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# taz.de -- Ermittlungen gegen Lindemann eingestellt: Einschüchterung vorerst …
> Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger
> Till Lindemann eingestellt. Wie groß ist der Schaden für die
> #MeToo-Bewegung?
Bild: Im Zweifel für den Angeklagten: Till Lindemann mit Statement-Cap
Ich stehe mit meinem Fahrrad an einer roten Ampel in Berlin-Mitte als ein
Pärchen über die Straße läuft. Sie sehen sympathisch aus, wir lächeln uns
kurz an. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass sie beide ein
Rammstein-Shirt tragen, auf seiner Wade prangt eine Tätowierung des
Band-Logos. Ich werde wütend, mir fallen lauter Dinge ein, die ich ihnen
hinterherschreien oder -werfen möchte. Stattdessen tue ich gar nichts und
überlege, ob sie die Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann
nicht glauben, ob sie ihnen egal sind oder ob sie [1][sogar gut finden, was
Lindemann getan hat]?
Die Begegnung fand an einem Wochenende Mitte Juli statt, an dem Rammstein
[2][drei ausverkaufte Konzerte] im Berliner Olympiastadion spielte. Zu der
Zeit liefen die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen
Frontsänger Till Lindemann wegen eines Anfangsverdachts auf Sexual- und
Drogendelikte schon seit ein paar Wochen. Zuvor hatte es verschiedene
Medienberichte gegeben, in denen Frauen anonym Vorwürfe gegen den Musiker
erhoben hatten.
Seit dieser Woche ist bekannt, [3][dass die Ermittlungen eingestellt
wurden]. Lindemanns Anwälte kommentierten dies wie folgt: „Die rasche
Einstellung des gegen meinen Mandanten geführten Ermittlungsverfahrens
belegt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Beweise bzw.
Indizien zutage gefördert haben, um meinen Mandanten wegen der Begehung von
Sexualstraftaten anklagen zu können. An den Anschuldigungen war schlichtweg
nichts dran.“
## Kein Hinweis auf unwahre Anschuldigungen
Während der erste Teil der Aussage stimmt, ist der zweite Teil nicht wahr.
Die Einstellung des Verfahren ist in keiner Weise ein Hinweis darauf, dass
die Frauen gelogen haben, dass ihre Anschuldigungen falsch waren.
Die Staatsanwaltschaft begründete das Ende der Ermittlungen in ihrer
Pressemitteilung mit einem „fehlenden hinreichenden Tatverdacht“ nach der
„Auswertung der verfügbaren Beweismittel“. Und diese verfügbaren
Beweismittel, so viel ist klar, waren nicht zahlreich. Denn keine der
Frauen, die strafrechtlich relevante Vorwürfe erhoben haben, hat mit der
Staatsantwaltschaft gesprochen. Ihre Vorwürfe waren durch Medienberichte
bekannt geworden und die Medien haben aus gutem Grund die Kontakte nicht
weitergegeben. Denn es muss den Frauen selbst überlassen sein, ob sie sich
mit ihren Vorwürfen an die Behörden wenden oder nicht.
Eine der wenigen Frauen, mit denen die Staatsanwaltschaft sprechen konnte,
ist die YouTuberin Kayla Shyx. Sie habe „kein eigenes Erleben
strafrechtlich relevanter Vorfälle schildern“ können. Das ist nicht
verwunderlich, denn in dem Video, mit dem sie bekannt wurde, schilderte sie
[4][das Castingsystem im Umfeld von Rammstein-Konzerten]. Und so unangenehm
man das auch finden mag, verboten ist es nicht.
Dass das Verfahren eingestellt wurde, ist also weder überraschend noch
skandalös. Es beweist lediglich, dass Lindemann keine Schuld nachgewiesen
und deswegen keine Anklage erhoben werden konnte. So funktioniert das
deutsche Rechtssystem: Im Zweifel für den Angeklagten. Und solange niemand
Anzeige gegen Lindemann erstattet oder neue Beweise auftauchen, wird es
keine weiteren Ermittlungen geben.
## Ein Bärendienst für die #MeToo-Bewegung
Ein standardmäßiges Vorgehen also, das trotz allem einen negativen
Beigeschmack hat und der #MeToo-Bewegung einen Bärendienst erweist. Denn
Rammstein-Fans sehen sich bestätigt und verbreiten munter das Narrativ der
lügenden Frau, die sich wichtig machen möchte. Statt diesem Narrativ Raum
zu geben, sollten wir uns fragen, wieso die mutmaßlich Betroffenen bereit
sind, sich an die Presse, aber nicht an die Behörden zu wenden.
Dahinter steckt die grundsätzliche Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird.
Sie fürchten, dass ihre Erfahrungen und Beweise nicht ausreichen. Es ist
hinreichend durch Statistiken bekannt, [5][dass nur ein Bruchteil der
verübten Sexualstraftaten zu einer Verurteilung führt.] Im Fall von
Vergewaltigung spricht man von einer Verurteilungsquote von einem Prozent.
Denn im Regelfall finden solche Straftaten im Verborgenen statt,
Zeug*innen und Beweise gibt es selten.
Im Fall von Till Lindemann kommt hinzu, dass die mutmaßlich Betroffenen,
seit die Vorwürfe bekannt sind, juristisch, im Netz und in der
Öffentlichkeit angegeriffen werden. Die Anwält*innen, die Lindemann
beauftragt hat, haben schon früh verkündet, nicht nur gegen Medien, sondern
auch gegen einzelne Frauen vorzugehen. So befinden sich seit Monaten der
Spiegel, die Süddeutsche und Co in juristischen Auseinandersetzungen
wieder, auch der YouTuberin Kayla Shyx [6][wurden bestimmte Aussagen
juristisch untersagt.]
## Aggressive Rammstein-Fans
Und auch die Fans haben mit ihren teils aggressiven Auftritten vor den
Konzerten zu verstehen gegeben: Es ist ihnen egal, was mit den Frauen
passiert. Dabei sollten selbst Vorwürfe wie eine Beziehung zu einer
Minderjährigen oder das Castingsystem, die weder strafrechtlich relevant
sind noch von Lindemann abgestritten werden, ihnen zu denken geben, ob sie
diesen Typen so unverfroren weiter feiern wollen.
Wen wundert es bei alldem noch, dass Betroffene nicht genügend Mut, Geld
und Kraft aufbringen, um sich bei den Behörden zu melden und sich
vermutlich jahrelangen Prozessen auszusetzen, die sie letztlich doch nur
als Verliererinnen verlassen? Sie sehen ja, wohin das führt.
Das Ganze ist ein systematisches Problem, das keinen fairen Prozess
ermöglicht.
Am Fall Lindemann den Untergang von #MeToo ablesen zu wollen ist trotz
allem falsch. Allein, dass Frauen trotzdem bereit sind zu sprechen und
Medien sich der schwierigen Verdachtsberichterstattung widmen, die fast
immer juristische Auseinandersetzungen mit sich bringt, zeigt, dass die Tür
in Richtung Geschlechtergerechtigkeit sich einen Spalt breit geöffnet hat:
Zeit, dass wir sie gemeinsam mit voller Kraft eintreten.
Meine Begegnung Mitte Juli war nicht die letzte dieser Art. Erst kürzlich
fuhr ein älterer Mann mit seinem Fahrrad in Kreuzberg an mir vorbei. Aus
seiner Boombox, die an seinem Rad befestigt war, lief laut Musik von
Rammstein. Mein Blick verriet wohl, was ich davon hielt, denn eine
Fußgängerin lächelte mich aufmunternd an. Rammstein-Fans zeigen jeden Tag
mit Musik und Fan-Shirts, auf welcher Seite sie stehen: auf der der Band.
Die Mehrheit der Gesellschaft entscheidet sich hoffentlich für die andere
Seite.
1 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/till-lindemann-frau-ueber-verh…
[2] /Rammstein-Fans-im-Zeitgeist/!5946772
[3] /Ermittlungen-gegen-Rammstein-Saenger/!5953339
[4] /Der-Fall-Till-Lindemann/!5938658
[5] /Noetigungsverfahren-gegen-Polizeichef/!5944668
[6] /Berichterstattung-ueber-Till-Lindemann/!5946486
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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