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# taz.de -- Verdachtsberichterstattung über Rapper: Berechtigtes Interesse
> Ein Musiker mailt einem Konzertveranstalter Vorwürfe von Frauen gegen den
> Rapper Cr7z. Ein Berliner Gericht verhandelte nun darüber, ob er das
> durfte.
Bild: Der Rapper Christoph Hess aka Cr7z
Zusätzliche Stühle müssen am vergangenen Dienstag im Landgericht Berlin in
den Saal 143 getragen werden. So viel Aufmerksamkeit für ein Zivilverfahren
an einem Mittag unter der Woche ist selten. An diesem Tag klagt der
Soziologe und Musiker David H. gegen den deutschen Rapper Cr7z. Der rappt
eigentlich über Frieden, bewegte sich aber im Umfeld von
Verschwörungsideologe [1][Xavier Naidoo].
In der Gerichtsverhandlung ging es ähnlich wie im Fall [2][Till Lindemann]
darum, wann eine Verdachtsberichterstattung zulässig ist, wann Vorwürfe
gegen einen [3][Musiker], egal wie berühmt, öffentlich gemacht werden
dürfen.
Wie man ihn denn nun genau ausspreche fragt Richter Dr. Wimmer-Soest am
Anfang der Verhandlung. „Wie Criz, glaube ich“, sagt Marcel Leeser, der
Verteidiger des Rappers Cr7z, der selbst nicht in Berlin erschienen ist.
Leeser gehört zur Kanzlei Höcker, die auch schon andere Rapper gegen
ähnliche Vorwürfe verteidigte. In der Verhandlung gibt Leeser zu Protokoll,
dass sein Mandant Cr7z laut eigener Aussage noch nie eine Frau geschlagen
und noch nie einer Frau Gewalt angetan habe.
## Eidesstattliche Versicherungen abgegeben
Er widerspricht damit Vorwürfen von Frauen, die es, wie im Laufe der
Verhandlung klar wird, auch gegen Cr7z gibt. Laut Richter Wimmer-Soest
würden die strafrechtlich relevanten im Bereich der Nötigung liegen, andere
Vorwürfe seinen nicht strafrechtlich relevant, bewegten sich im privaten
Rahmen.
In einem in der Verhandlung zitierten [4][Facebook-Post von 2018, der der
taz vorliegt und nach wie vor online abrufbar ist,] spricht eine
Ex-Freundin von einer Gewalterfahrung. Vier Frauen haben eidesstattliche
Versicherungen abgegeben, in denen sie mindestens zwei Vorfälle mit Cr7z im
Jahr 2016 und 2018 schildern. Was genau passiert ist, wird in der
Verhandlung nicht gesagt. Strafanzeige sei in keinem der Fälle erstattet
worden.
Das ist der vage Informationsstand. Verhandelt wird am Landgericht Berlin
aber nicht über die Fälle von mutmaßlich betroffenen Frauen. Es geht um
eine E-Mail, die für Cr7z zu einer Konzertabsage führte.
H. hatte von Vorwürfen gegen Cr7z Wind bekommen, den Facebook-Post
entdeckt, weitere mutmaßlich betroffene Frauen ausfindig gemacht und mit
ihnen gesprochen. Er schrieb daraufhin eine Mail an einen
Konzertveranstalter, der in Hamburg einen Auftritt von Cr7z geplant hatte.
In seiner Mail zitierte er unter anderem aus dem Facebook-Post der
Ex-Freundin und spricht von weiteren Frauen. Er bittet die Veranstalter um
ein Statement. Kurz darauf wurde das Konzert aus „unvorhersehbaren
Gründen“, [5][wie es in einem Instagram-Post heißt,] abgesagt. Im Verfahren
kommt heraus, dass es zur Absage auch aufgrund von Druck durch Sponsoren
gekommen sei. Auch an sie hatte H. dieselbe Mail geschickt.
## Abmahnung nach Konzertabsage
Kurz nach der Konzertabsage bekam H. von der Kanzlei Höcker eine Abmahnung.
Er solle die getätigten Aussagen, die bis dahin nur die Empfänger der Mail
gelesen hatten, nicht weiterverbreiten. H. klagte gegen die Abmahnung.
Diese Klage landete schließlich vorm Landgericht Berlin. Interessant an dem
Fall ist, dass die Mail von H. als Verdachtsberichterstattung gewertet
wurde, obwohl sie eigentlich nur für die Empfänger zugänglich war. Auch H.
selbst sieht sich, sagt er im Prozess, nicht als Berichterstatter.
Richter Wimmer-Soest zählt im Laufe der Verhandlung noch einmal die vier
Punkte auf, die die Voraussetzung für eine zulässige
Verdachtsberichterstattung sind: ein Mindestbestand an Beweisen, keine
Vorverurteilung, ein berechtigtes öffentliches Interesse und die
Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Gericht sieht, auch das ist interessant, die ersten drei Punkte als
erfüllt an – nur konfrontiert hatte H. Cr7z am Ende nicht mit den
Vorwürfen. Laut eigener Aussage, weil er zu diesem Zeitpunkt nirgendwo zu
erreichen war.
#MeToo-Vorwürfe finden ein großes öffentliches Interesse, sagte
Wimmer-Soest während der Verhandlung. H. wird sie allerdings nicht mehr wie
in der Mail formuliert äußern können. H. unterschrieb eine
Unterlassungserklärung und muss zudem 20 Prozent, Cr7z 80 Prozent der
Prozesskosten zahlen.
Was ihm aber gelungen ist: Dass es überhaupt mehrere Vorwürfe gegen Cr7z
gibt, wäre ohne die durch seine Klage initiierte öffentliche
Gerichtsverhandlung womöglich nicht bekannt geworden.
21 Sep 2023
## LINKS
[1] /Entschuldigung-in-Pop-und-Politik/!5849955
[2] /Ermittlungen-gegen-Lindemann-eingestellt/!5954836
[3] /Ukrainisch-deutsches-Musikprojekt/!5958742
[4] https://www.facebook.com/morgaineofficial/posts/2055967131126399
[5] https://www.instagram.com/p/CSjRhpUsHJw/
## AUTOREN
Johann Voigt
## TAGS
Sexualisierte Gewalt
Sexismus
Rechtsstreit
Musik
Rap
Schwerpunkt #metoo
Rammstein
Kolumne Red Flag
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