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# taz.de -- Eurovision-Beitrag der Niederlande: Wie Joost Klein groß wurde
> Der niederländische Künstler Joost Klein reist nach Malmö, um den
> Eurovision Song Contest zu gewinnen – mit einer Ode an Europa. Wer ist
> er?
Bild: Joost Klein in „Europapa“-Farben
Es ist seit Jahren ein Scherz unter seinen Follower*innen. Sie schreiben in
sozialen Medien immer wieder: „Ist Joost Klein nicht derjenige, der den
Eurovision Song Contest 2024 gewonnen hat?“ Am 9. Mai wird sich zeigen, ob
sie die Zukunft vorhersagen können. Dann repräsentiert der extravagante
26-jährige Künstler die Niederlande im Halbfinale des Songfestivals mit dem
[1][Gabberpop-Song „Europapa“].
Auch außerhalb der Niederlande ist Joost Klein bereits ziemlich bekannt. Im
Februar tourte er durch Köln, Berlin, Wien und Zürich. Das Berliner Konzert
war so schnell ausverkauft, dass es in einen größeren Saal verlegt wurde.
Innerhalb von fünf Sekunden, schrieb ein Kritiker, verwandelte Joost den
Frannz Club in Prenzlauer Berg in eine brodelnde Menschenmenge. Das
Publikum sang seine Hits Wort für Wort mit.
Seine Teilnahme am Eurovision Song Contest passt perfekt zu seinem Motto:
Joost Klein, Träume groß. Das gilt auch für seinen Erfolg in Deutschland.
„Might seem random“, sagte Joost letztes Jahr gegenüber der
niederländischen Musikplattform 3voor12, „Aber ich habe dafür gekämpft. Ich
habe Blut, Schweiß und Tränen investiert.“
## Auch in Deutschland Begeisterung
Alles begann 2019 in Zürich: Joost stand dort im Vorprogramm des
amerikanischen Rappers Yung Gravy und merkte, dass seine Musik ankam. Von
da an beschloss er, jede Gelegenheit zu nutzen, im Ausland aufzutreten. Er
machte Vorprogramme unter anderem in Köln, Frankfurt und Stuttgart. Hotel-
und Reisekosten zahlte er selbst.
Sein Durchbruch im deutschsprachigen Raum war [2][„Friesenjung“, mit dem
Berliner Rapper Ski Aggu]. Der Song – eine Bearbeitung des gleichnamigen
Liedes des Komikers Otto Waalkes – stand letzten Sommer einen Monat lang
auf Platz 1 der Deutschen Charts und wurde auf Spotify mittlerweile über
122 Millionen Mal gestreamt. Dahinter steckte ein umfangreicher
Marketingplan: Joost produzierte zum Beispiel eine ganze Reihe von
Tiktok-Videos für den 75-jährigen Waalkes. „Ich habe noch nie so hart auf
Tok getikt“, sagte er.
Ein deutscher Bekannter schickte Joost das Lied von Waalkes. Er hatte
gehört, dass Joost ein Album über Friesland machte, die nordniederländische
Provinz, in der er aufgewachsen war. Joost Klein hatte noch nie von
[3][Otto Waalkes] gehört, und dass es auch ein deutsches Friesland gab,
wusste er nicht. Das Lied fand er „echt cool“, erzählte er 3voor12. Aber
erst im Studio mit Ski Aggu wurde ihm klar, dass es ein Hit werden könnte.
„Aggu sagte zu mir: Diese Melodie ist legendär, Mann! Du hast Otto
gesampelt! What the fuck. Das ist eine Legende.“
Sie mussten nur noch die Erlaubnis von Waalkes einholen. Dafür drehten die
beiden ein Tiktok-Video, in dem ein ganzes Stadion voller Menschen unter
der Leitung von Ski Aggu ruft: „Bitte, Otto, bitte, bitte, Otto, bitte!“ In
den Kommentaren schrieb Joost Klein: „Bitte, Otto, ich bin auch ein
Friesenjung! Es bedeutet uns sehr viel!!!!“ Der Plan funktionierte: Kurz
darauf gab Otto seinen offiziellen Segen.
## „Ich bin auch ein Friesenjung!“
Über den Erfolg des Liedes sagte Waalkes später zu Bild: „Das macht einen
wieder jung. Es ist wirklich verrückt, es ist sehr erfrischend.“ Mit dieser
Version von „Friesenjung“ erreichte Waalkes übrigens seinen höchsten Platz
in den Charts aller Zeiten.
Bevor er sich der Musik zuwandte, war Joost Klein auf Youtube aktiv. Unter
dem Namen EenhoornJoost drehte er absurde Kurzfilme über sein Leben, die er
manchmal bis zu sechs Stunden lang bearbeitete.
In Friesland, der nordniederländischen Provinz, in der er aufwuchs, fühlte
er sich oft wie ein Außenseiter. „Meine Klassenkameraden kamen auf
Holzpantoffeln zur Schule, und ich kam mit glitzernden Nikes“, erzählte er
in einem Interview mit de Volkskrant. Das Internet faszinierte ihn
unermesslich, er konnte sich dort sicher zurückziehen. „Durch Youtube fühlt
es sich an, als wäre ich jedermanns Nachbar.“
Sein erstes Album, [4][„Scandinavian Boy“], veröffentlichte er 2017. Sein
Talent wurde schnell erkannt. Kritiker sahen aus seiner Musik eine
aufrichtige Liebe für und Kenntnis von HipHop sprechen. Gleichzeitig spielt
Joost ständig mit Klischees und (Selbst-)Ironie.
## Vielseitiger Künstler
Wer ihn in die Schublade eines Genres stecken will oder sogar nur die eines
„Musikers“, tut ihm Unrecht. Von seinen poetischen und manchmal
unerklärlichen Texten („den Zinédine Zidane des Unsinns schwatzen“, rappt
er zum Beispiel über sich selbst) über seine Outfits (er kombiniert gerne
einen schottischen Kilt mit einer Grillzange) bis hin zu seinen
hyperaktiven, oft teilweise auf der Straße gedrehten Videoclips: Joost ist
ein Künstler, auch wenn er sich selbst nicht so bezeichnen würde.
Er sagte gegenüber de Volkskrant: „Ich habe es immer schwer gefunden, wenn
Leute wissen wollen, was ich genau mache, wenn sie mir ein Etikett
aufdrücken wollen. Ich mache genug, daran liegt es nicht. Ich sehe mich
nicht unbedingt als Rapper. Wenn man drei Monate bei [der Supermarktkette]
Albert Heijn arbeitet, ist man doch auch nicht für immer Regaleinräumer?“
Auftritte von Joost Klein sind wie eine Achterbahnfahrt. Genau wie die
Beats seiner Musik hüpft er – geschminkt oder nicht – über die Bühne. Er
gibt gerne den Clown, aber seine Texte sind alles andere als oberflächlich.
Als Teenager verlor er kurz nacheinander seinen Vater und seine Mutter,
später hatte er ernsthafte mentale Probleme. Auf dem Album „Fryslân“ von
2022 ließ er sein Herz aus. In „Wachtmuziek“ singt er zum Beispiel auf
einem fröhlichen Beat über die langen Wartelisten im Gesundheitswesen. Der
Song „Florida 2009“ bezieht sich auf einen letzten Urlaub mit seinen
Eltern.
## Auch ernsthafte Texte
Joost Klein gibt selten Interviews. Er hat wenig übrig für traditionelle
Medien – die hat er schließlich nicht gebraucht, um berühmt zu werden. Er
möchte auch nicht als „Verherrlichung“ einer traurigen Geschichte gelesen
werden, sagte er gegenüber Musikplattform 3voor12. „Ich bin kein Objekt.
Ich bin vielleicht ein Waisenkind, aber ich habe das nicht gewählt.“
Was er jedoch gewählt hat, war eine eigene Bekleidungskollektion bei einer
Budgetkette, darunter auch Flip-Flops mit der Aufschrift „Weeskind“. Auch
hier wieder typische Joost-Klein-Ironie: „Weeskind“ bedeutet nicht nur
„Waisenkind“ auf Niederländisch, sondern auch „Sei kindlich“.
An „Europapa“, dem Song, mit dem Joost zum Songfestival geht, hat er
eigenen Angaben zufolge ein Jahr lang gearbeitet. Es ist ein „sehr
niederländischer Song“ geworden: Der Song enthält musikalische Referenzen
an fast alle Arten von Dance, die in den Niederlanden entstanden sind.
Hardcore-DJ Paul Elstak – eine lebende Legende – ist einer der Produzenten.
Der Text wird teilweise gesungen, teilweise gerappt und teilweise
gesprochen. Hauptsächlich auf Niederländisch, mit ein paar Sätzen auf
Englisch und Deutsch und einigen Wörtern auf Französisch und Italienisch.
Der Song ist eine Hommage an Europa, sagte Joost Klein bei der
Präsentation. Und an seinen Vater. „Der hat mir in einem kleinen Dorf in
Friesland beigebracht, dass die Welt keine Grenzen hat.“
## Proeuropäische Botschaft
Dass der niederländische Beitrag eine explizit proeuropäische Botschaft
hat, findet der Historiker Dean Vuletic, Autor des Buches „Nachkriegseuropa
und der Eurovision Song Contest“, faszinierend. „Der Eurovision Song
Contest ist eine der wenigen kulturellen Veranstaltungen, die es schaffen,
so viele Europäer zu vereinen, dennoch gab es bisher kaum Lieder über die
europäische Integration.“
Das bekannteste Beispiel, sagt Vuletic, ist wahrscheinlich [5][„Insieme:
1992“], mit dem der Italiener Toto Cutugno 1990 in Zagreb gewann. „Aber das
war natürlich direkt nach dem Ende des Kalten Krieges und deshalb eine
besondere Ausgabe.“
Obwohl „Europapa“ in den Niederlanden sofort auf Platz 1 der Charts
landete, erhielt der Song auch Kritik. Die brennende Windmühle im
Musikvideo wird von einigen als Symbol für die niederländische Identität
gesehen, die Platz machen muss für offene Grenzen.
## Spiegel der Veränderungen
Laut Vuletic ist es jedoch umgekehrt: „Wenn man genau hinhört, hört man,
dass es am Anfang darum geht, die größte Errungenschaft der Europäischen
Union zu genießen, nämlich die Möglichkeit, frei zu reisen. Ich weiß, dass
Joost Klein es als ein Lied über seine Familie interpretiert, aber ich
denke, es steckt auch eine Botschaft darin, was wir mit dem Aufkommen
euroskeptischer rechtsextremer Parteien zu verlieren drohen: den
europäischen Teil der niederländischen Identität.“ Der Eurovision Song
Contest, sagt Vuletic, [6][war schon immer ein Spiegel der politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen] Europas.
Der 9. Mai, der Tag, an dem Joost Klein im Halbfinale in Malmö steht, ist
auch das jährliche Fest des Friedens und der Einheit in Europa. Es ist dann
74 Jahre her, dass der französische Minister Robert Schuman mit seinem
Vorschlag für eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl die
Grundlage für die Europäische Union legte.
Dass der Auftritt von Joost ein Fest werden wird, ist klar. Die Frage ist,
ob der internationale Zuschauer die Vielschichtigkeit von „Europapa“
verstehen wird. Dass er Niederländer und Deutsche in Bewegung bringen kann,
hat Joost jedenfalls bereits gezeigt.
15 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=c9XcV1wwbZ0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=LMzAssOr2zE
[3] /Staatspreis-fuer-Otto-Waalkes/!5859568
[4] https://www.youtube.com/watch?v=AkyDRu8UAIc
[5] https://www.youtube.com/watch?v=JiRppGSF-tI
[6] /Kontroverse-um-Israels-ESC-Beitrag/!5991993
## AUTOREN
Anne-Martijn van der Kaaden
## TAGS
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