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# taz.de -- Ikkimel, SXTN, Shirin David & Co.: Die Fotzen sind da
> Was früher Beleidigung war, nutzen Rapperinnen heute zur
> Selbstermächtigung. Die Umdeutung von „Fotze“ zeigt das neue Selbstbild
> junger Feministinnen.
Bild: Sie ist eine Fotze, ihr seid Fotzen, wir sind Fotzen: Der Rapperin Ikkime…
Kein Disclaimer. Aber macht euch trotzdem bereit für ein Wort, für das es
scheinbar nur zwei mögliche Umgangsweisen gibt: Man sagt es mit Nachdruck
oder gar nicht. In diesem Text wird es oft stehen: F-O-T-Z-E.
Fotze: eine Beleidigung. Die schlimmste, die eine Frau abbekommen kann,
voller Abwertung und dem Willen, zu verletzen.
Fotze: eine Bezeichnung für die Vulva.
Fotze: ein Wort mit Konjunktur, eines, das sich Frauen zurückholen, in
Großbuchstaben schreiben, mit Strasssteinen auf Cappies kleben und in Songs
rappen.
Doch egal in welchem Kontext es genutzt wird, es löst etwas aus, lässt
wahlweise aufhorchen, aufschrecken, aufbegehren.
## Misogynie pur
Als ich meiner Mutter, Jahrgang 1968, promoviert in Geschlechterforschung
und bekennende Feministin, erzählte, dass ich einen Text über das Wort
Fotze schreiben werde, sagte sie: Ich hasse dieses Wort! Sie verzog das
Gesicht, als habe sie in eine Zitrone gebissen oder als würde es auf einmal
stinken.
Diese Reaktion ist verständlich. Das erste Mal, als ich jemanden das Wort
direkt sagen hörte, war ich in dieser seltsamen Übergangsphase zwischen
Kind und Jugendlicher, und ein Mitschüler bezeichnete eine Lehrerin so.
Eine wortgewordene Grenzüberschreitung. Natürlich kannte ich den Begriff
aber schon vorher. Im Deutschrap der mittleren 2010er Jahre, der Musik, die
viele meiner männlichen Mitschüler hörten, wurde es inflationär benutzt.
Farid Bang, Bushido, Summer Cem – sie alle bedrohten und degradierten damit
Frauen. Fünf Buchstaben reichten, um männliche Dominanz zu markieren, fünf
Buchstaben für die Abwesenheit von Respekt.
Wenn also ein Schüler eine Lehrerin als Fotze bezeichnete, dann stand das
in dieser Tradition.
Fotze richtet sich als Beleidigung exklusiv gegen Frauen. Doch es ist nicht
nur ein Angriff gegen eine Person, es attackiert Weiblichkeit. Die
Tatsache, dass ein alternatives Wort für Vulva überhaupt zur Erniedrigung
werden konnte, zeigt die Misogynie, die im Kern dieses Begriffs steckt. Es
gibt viele Schimpfwörter, die sich speziell gegen Frauen richten. Hure,
Schlampe, Nutte, sie alle greifen weibliche Sexualität an. Fotze aber ist
der Superlativ.
Als Jugendliche benutzte ich das Wort auch schon, zischte es
zusammenzuckend, es war das wütendste meiner Worte. Sprach ich es aus,
fühlte sich das nach Rebellion an, denn ich wusste: Das darf man eigentlich
nicht. Das ist ein Wort, das ich doch eigentlich ablehne. Es zu sagen,
passt nicht zu dem, was ich über Feminismus weiß.
## Die Fotzen-Pionierinnen
Heute ist das anders. Sich Feministin nennen und Fotze sagen – das
widerspricht sich nicht mehr. Angefangen hat das mit [1][SXTN, dem Rap-Duo,
bestehend aus Juju und Nura]. 2016 rappten sie: „Ich geh’ heut mit meinen
Fotzen in’ Club“, ein Jahr später begannen sie ihr Debütalbum mit der
Ansage: „Jetzt sind die Fotzen wieder da!“
SXTN holte sich die Sprache aus dem männlich geprägten Rap-Kosmos. Sie
machten vor, was bei jedem Aneignungsprozess passiert: Wer ein Wort für
sich vereinnahmt, kann damit nicht mehr beleidigt werden. Sie entwaffneten
Fotze als Beschimpfung – nicht, indem sie dem Wort selbst die Macht nahmen,
sondern, indem sie es Männern wegnahmen.
Expliziter, vulgärer und brutaler hat im Deutschrap niemand auf Misogynie
hingewiesen als SXTN mit dem Song „Hass Frau“. Er fängt an mit: „Hass Fr…
du nichts, ich Mann“, geht weiter mit: „Dein Essen schmeckt so whack wie
deine Fotze“ und: „Ich ruf’ dir hinterher: Fotze, dreh dich um. Ob du
willst oder nicht, wirst du von jedem gebumst“. Die Zeilen sind zum
Schauern. Aber sie erinnern mich auch an Autofahrten mit 18: Fenster
runter, Landstraße, den Song auf voller Lautstärke, mitbrüllen gegen
sexistische Ungerechtigkeit. Wir haben uns dabei nicht unbesiegbar gefühlt,
aber zumindest unbeleidigbar. Indem wir die Worte selbst in den Mund
nahmen, begriffen wir sprachliche Mechanismen, statt mit Schamesröte auf
sie zu reagieren.
SXTN zeichneten darüber hinaus ein spezielles Bild der selbsternannten
„Fotze“. Partyliebhaberinnen, Girl-Gang-Mitglieder, die zusammenhielten
und sich die Haare hielten beim Kotzen, die pöbelten, die übertrieben, die
alles taten, außer zurückhaltend und zu brav sein. Ähnlich wie einige Jahre
später der „Brat“-Prototyp, schlugen sie über die Stränge, in Jogginghos…
Crop-Top und mit Extensions in den Haaren.
Ein paar Jahre später lieferte die [2][Rapperin Shirin David] ein
Alternativbild. Sie ruft nicht mehr Fotze, sondern formt es zum Adjektiv.
Aus „fotzig“ macht sie einen eigenen Dresscode. Das heißt: freizügig,
aufreizend – wenn du Bock drauf hast, girl. Fotzig ist dabei ein Statement,
es ist nicht nur offensive, sondern überstilisierte Weiblichkeit, die damit
schon wieder zum Klischee reift. „Ich bin jung, fotzig und frech“, singt
Shirin David in ihrem Song „Schlau aber blond“ von diesem Jahr. Auch Jovana
Reisinger [3][nimmt sich den Begriff in ihrem Buch „Pleasure“ vor] und
beschreibt fotzig als popkulturelle Geste, die an „Camp“ erinnert. Doch
egal wie: fotzig als Spielart gehört Frauen.
## Die Fotzen-Queen
Derzeit steht aber besonders eine für die Verwendung des Wortes im
Substantiv: Ikkimel, die ihr erstes Studio-Album genau so genannt hat,
„FOTZE“, in Caps. Die Rapperin steht für Provokation, für die Lust am
Schockieren; wenn andere über einen Dreier sprechen, erzählt Ikkimel von
einem Vierer. Dass das Wort Fotze in ihren Texten daher schier überpräsent
ist, scheint logisch.
„Ich bin offiziell die allergrößte Fotze der Stadt“, heißt es in „Biki…
Grell“.
„Ich bin eine geile Fotze und hab’ mich noch nie geschämt“ in „Vodka E…
„Mein Sternzeichen ist Fotze“ in „Aszendent Bitch“.
Und dann besingt sie sie natürlich noch in dem gleichnamigen Song „DREI
GEILE FOTZEN MIT NEM BOMBENARSCH“.
Ikkimel scheint das Wort heute zu gehören. Sie ist eine Fotze, ihr seid
Fotzen, wir sind Fotzen, Amen Mutter Ikkimel – wie sie sich wahlweise
nennt, in der absoluten Ironisierung und Umkehr weiblicher Stereotype.
Die offensive Aneignung der Beleidigung, das Lautsein und das Sich-feiern
als Fotze, jeweils unter der Überschrift weiblichen Empowerments, ist aber
nicht allein auf den deutschsprachigen Raum begrenzt. Der englische
Ausdruck Cunt, beziehungsweise cunty kommt den deutschen Worten Fotze und
fotzig nah und taucht seit einigen Jahren ebenfalls vermehrt auf.
Besonders prominent besetzte Beyoncé die Begriffe in ihrem Song
„Pure/Honey“ aus ihrem Album „Renaissance“, in dem sie im Intro nichts
anderes tut, als die Worte cunt und cunty aneinanderzureihen, über
vierzigmal fallen sie in dem Lied. Bei der zum Album gehörenden weltweiten
Tournee tanzt sie dazu vor einem Tisch mit der Aufschrift „KNTY 4 NEWS“.
Auch der Ausdruck serving cunt ist Teil der internationalen Jugendsprache
geworden, gemeint als selbstermächtigende Geste und der Inszenierung als
selbstbewusste Frau, die sich so benimmt, wie sie selbst es will, nicht wie
Rollenbilder es vorgeben. Seinen Ursprung hat der Ausdruck vor allem in der
LGBTQIA+-Community und Ballroom-Szene, in der er vor allem von Trans-Frauen
verwendet wurde. Mittlerweile kommen die Begriffe sowohl im Englischen als
im Deutschen zunehmend im Mainstream an. Cunt, Fotze, die Verwendung der
Worte, ihr Besetzen, lauthals und mit viel Tamtam, markieren heute ein
feministisch gelabeltes Selbstbewusstsein.
Was wir zumindest hoffen können, ist, dass in Zukunft weiterhin Frauen
damit provozieren, statt provoziert zu werden: Fotze ist ein Buzzword, das
Aufmerksamkeit bringt, das aufhorchen lässt, das Fragen aufwirft, auf jeden
Fall zwischen den Generationen, zumindest zwischen jenen, die das Wort als
frauenverachtend grundlegend ablehnen, und denen, die Provokation als
feministisches Mittel der Wahl verstehen. Sich als Frau selbst „Fotze“ zu
nennen, heißt nämlich aber nicht nur, männliche Sprache zu vereinnahmen und
sie denen, die sie als Angriff benutzen wollen, wegzunehmen und die
Begriffe dann auch, nach und nach, neu zu deuten und mit neuen Bildern und
Assoziationen auszustatten. Andere als Drohgebärden oder hochgezogene
Schultern.
Aber dennoch: ein neutrales Wort wird das Wort – Fotze, mit Nachdruck
getippt – nie werden.
11 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Maja Görtz
## TAGS
Feminismus
Rap
HipHop
Sprache
GNS
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Deutschland
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