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# taz.de -- Vibe Shift in der Mode: Aus Brat-Grün wird Beige
> Der Vibe Shift hat die Modewelt erreicht. Konservative Ästhetik prägt
> Social Media, Laufstege und Magazine. Warum wir modisch trotzdem nicht
> lost sind.
Es ist Sommer, die Röcke sind kurz, die Fingernägel glitzern, wir sind
laut, frech [1][und fühlen uns fotzig] – ach warte mal, das war ja letztes
Jahr. Öffnen wir dieses Jahr die Kleiderschränke der Welt, Social Media
oder der Modemagazine, kriechen die biedere Vorstadthausfrau aus den 90ern
und der Golf-spielende Architektensohn wieder aus dem Staub und wickeln uns
in ein eierschalenfarbenes Kaschmir-Jäckchen. Stand letztes Jahr der Sommer
noch unter dem Motto der Frechheit, sind diesen Sommer mit den Temperaturen
auch die Gemüter unterkühlt. Was ist nur mit dem [2][Brat Summer] passiert?
Die kurze Antwort: Der Widerstand gegen jahrzehntelange emanzipatorische
Kämpfe für queere Sichtbarkeit und intersektionalen Feminismus ist
gewachsen. In Politik, Medien und der nonverbalen Kommunikation der Mode:
Der Diskurs hat sich verschoben. Der Konservatismus hat – hübsch verpackt
zu jedem Anlass und algorithmusfreundlich – die Modewelt infiltriert. Und
dabei ist der gut gekleidete Mainstream so weiß und [3][so schlank wie
lange nicht mehr].
Um diesen Wandel zu beschreiben, wird gern ein Begriff bemüht, der dem
selbsternannten Trendvorherseher und Journalisten Sean Monahan
zugeschrieben wird: „Vibe Shift“, also eine tiefgreifende Verschiebung im
kollektiven ästhetischen Empfinden darüber, was 'in’ ist. Das Aufkommen und
genauso schnelle Abebben der Indiekultur zu Beginn der 2000er zum Beispiel.
Und jetzt sollen wir also wieder mittendrin stehen in so einem Vibe Shift.
Das Ende der Ampelkoalition sei Folge eines weltweiten Vibe Shifts im
Denken und Empfinden in der Politik, sagte der schottische Historiker Niall
Ferguson nach der Wahl von Trump im Frühjahr. Die Chatgruppen der Tech-Bros
hätten den Vibe Shift ins Silicon Valley gebracht, erörtert der
Deutschlandfunk in seinem Podcast „Tech Bro Topia“. Social Media befinde
sich in einem nie dagewesenen Vibe Shift, schreibt der Social Media
Watchblog.
## Trad Wife und Old Money
Ein Wandel, der sich letztlich auf Stoff und Träger:in niederschlägt:
Nicht die vielfältige, sondern eine angepasste Gesellschaft scheint heute
das Leitbild zu sein: angepasste Körper (dünn), angepasste
Geschlechterrollen (sie kocht), angepasste Kleidung (bloß keine grellen
Farben mehr). Die Looks des Moments? Clean Girl, Trad Wife, Old Money.
Allesamt Ästhetiken, die sich auf gepflegte Langeweile, auf Wohlstand ohne
Protest, auf Weiblichkeit ohne Widerstand einigen.
Unter dem Hashtag #SkinnyTok erlebt das Körperbild der 90er (krankhaft
dünn) sein Comeback. Der Hashtag wurde zwar von TikTok [4][auf Druck der EU
gesperrt], aber viel Unterschied macht das auch nicht. Die Botschaft lebt
weiter, auch befeuert durch das Medikament Ozempic. Ursprünglich gegen
Diabetes entwickelt, wurde es inzwischen zur Lifestyle-Spritze
umetikettiert, Influencer:innen wie Sascha und Jule Lobo sprechen
öffentlich über die Nutzung.
Auf Social Media bekommen traditionelle Rollenbilder ein Rebranding: Die
Influencerin Nara Smith kocht für 11 Millionen Follower in dafür
ungeeigneten Rüschenkleidern und Absatzschuhen für ihre Kinder, inszeniert
in butterweichem Licht. Sie wird dem Trend [5][der „Tradwife“, also der
modernen Interpretation der traditionellen Ehefrau] zugeschrieben. Auch
einer großen Follower-Anzahl erfreut sich Hannah Neeleman.
Sie kümmert sich in ihrer „Ballerina Farm“ in Utah um ihre acht Kinder,
saubere Kleider und konservativen Content. Das verschwörungsideologische
und rechts-konservative US-Lifestyle-Magazin „Evie“ zeigte die Influencerin
auf dem Cover ihrer 2024 Ausgabe. Zu den Tradwifes gesellen sich außerdem
sogenannte „Christfluencer“: junge und meist weiße Menschen mit gerappten
Bibelversen und minimalistischen, traditionellen Kleiderschränken. Es ist
ein Lifestyle-Konservatismus, der so harmlos wirkt, dass man fast vergisst,
wie reaktionär er ist.
Dass sich dieser Wandel auch in der Werbewelt durchsetzt, zeigt zum
Beispiel American Eagle. Letztes Jahr brachte die Marke noch eine
Pride-Kollektion mit dem Slogan „Mal deinen eigenen Regenbogen“ heraus.
Dieses Jahr setzt sie in der Kampagne „Sydney Sweeney has great jeans“ –
ein Wortspiel mit „Jeans“/„genes“ – lieber auf die Blond-blauäugige
Euphoria-Schauspielerin. Die Kamera gleitet über ihren Körper, während eine
säuselnde Sweeney erklärt, dass Gene von den Eltern an die Nachkommen
weitergegeben werden. [6][Neben der offensichtlich gewollten Sexualisierung
sehen hier viele einen eugenischen Unterton, da „gute Gene“ mit einer
weißen, normschönen Amerikanerin gleichgesetzt werden].
## Modische Nazis
Das führte zu Empörung, doch vor allem zeigt die Kampagne: Die Windrichtung
hat sich gedreht. Marken wittern Profit im gepflegten Rückzug, eine weiße,
normschöne Schauspielerin ist da einfach „sicherer“. Marc Jacobs lässt
einfach gleich Foodfluencerin Nara Smith für sich Werbung machen, H&M
serviert dieses Jahr eine Spätsommer-Kollektion in Schwarz, Weiß, Beige und
– ganz gewagt – einem gedeckten Orange.
Die Jugendmarke New Yorker setzt gerade unter dem Motto „Mia san fresh“ mit
Dirndl und Lederhosen auf Oktoberfestästhetik, „um sowohl traditionell als
auch modisch aufzutreten“. Prost! Auch auf dem Laufsteg wird die Vielfalt
kleiner: Kate Moss, Ikone des „Heroin Chic“ aus den 90ern, hat eine neue
Linie bei Zara. Kaia Gerber, Körpermaße Size Zero, ist Kampagnengesicht von
Mango. Bodypositivity war einmal, so scheint es.
Was besonders gefährlich ist: Rechte Bewegungen kapieren das. Sie arbeiten
sich nicht nur an Mode ab – sie machen sie selbst. Laut der
Kulturwissenschaftlerin Elke Gaugele gibt es in Deutschland aktuell über 90
rechte Modemarken. Das habe sie so nicht kommen sehen, sagt Gaugele [7][in
einem Interview in der Vogue]. Sie bedienen dieselbe Ästhetik wie große
Brands: clean, minimalistisch, schön – aber mit subtiler bis offener
rechter Botschaft. Dabei kommen sie manchmal so angepasst rüber, dass es
schon ein Wort für Nazis gibt, die sich Hipsterkultur bedienen: Nipster.
Ja, das ist verdammt gruselig.
## Stabile Ästhetik gegen fragile Umstände
Aber warum funktionieren konservative Trends wie „Oldmoney“ (sich so
kleiden, als hätte man schon lange viel Geld in der Familie) oder „Clean
Girl“ (sich so schminken, als hätte man gar keine Schminke drauf)
eigentlich so gut? Es liegt einerseits an der perfekten Übersetzung in
digitale Erzählformate. Auf Plattformen wie TikTok und Instagram zählt
visuelle Kohärenz und Wiedererkennbarkeit.
Aus der gleichen Logik heraus haben Barbiepink 2023 und Limonengrün im Brat
Summer 2024 so gut funktioniert. Die pastellfarbene Klarheit vieler
konservativer Accounts entspricht den Bildstandards, die
Social-Media-Plattformen bevorzugt ausspielen. Influencerinnen wie Smith
oder Neeleman bedienen diese visuelle Formel bis zur Perfektion – und
werden dafür mit Millionenreichweiten belohnt.
Dazu kommt der kulturelle Backlash: Studien zeigen, dass in Zeiten
gesellschaftlicher Unsicherheit und wirtschaftlicher Krisen Menschen
vermehrt zu traditionellen Werten und klaren Ordnungsmustern tendieren. Die
Schere zwischen Arm und Reich wird weltweit immer größer. Die Meldungen
über Krisen überschlagen sich. Vielleicht ist es in all der Fragilität gar
nichtso verwunderlich, dass viele zumindest äußerlich stabil reich aussehen
wollen? In der konservativen Mode wird dieses Bedürfnis visuell erfüllt:
Klare Silhouetten, neutrale Farben, häusliche Inszenierungen wirken
beruhigend, emotional anschlussfähig und Statement-los – dabei sind sie ja
oft hochpolitisch, ideologisch und ökonomisch motiviert.
Aber! Nicht alles ist verloren. Denn wenn Mode eines kann, dann ist es:
kontern. Keine andere Branche lebt so stark vom Widerspruch. Und genau
darin liegt die Hoffnung: Kommt die konservative Welle auf dem Laufsteg an,
gibt es glitzernder, grelle, gemeinschaftliche Gegenwehr auf den
Bürgersteigen. Letztes Jahr war da zum Beispiel der „Brat Summer“,
ausgerufen von Charli XCX mit dem gleichnamigen Album.
Ein queerer, schriller Sommer, limonengrün, Party-feministisch, der für
alle frechen Gören stand. So laut, dass sogar die damalige
Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris mitmachte. Brat war kein Look,
sondern ein Mittelfinger gegen Normschönheit, gegen Langeweile, gegen
Männer in schlecht sitzenden Anzügen und zu langen Krawatten (Mr. Trump,
was ist da eigentlich los?).
Auch das T-Shirt mit dem Slogan „Protect the dolls“, bekannt gemacht von
Schauspieler Pedro Pascal und getragen unter anderem von Tilda Swinton,
passt als solidarischer Aufschrei für die Rechte von trans Personen in die
Zeit.
Es ist eben auch ein Zeichen unserer Zeit, dass Künstler:innen wie
Ikkimel im knappen Leoparden-Print Tanga auf der Bühne stehen, [8][über
Fotzen, Sex und Krawall rappen können] und Männer mit Hundemasken auf der
Bühne in Käfige sperren. Vielleicht muss man hier nicht den Fortschritt des
Feminismus suchen, aber man kann zumindest anerkennen, dass es dieses
„fotzige“ Selbstbewusstsein auf der Bühne von so vielen Künstler:innen
gleichzeitig (Billie Eillish, Charlie XCX, 6euro9zig, Nura, Lola Young,
Sampa the Great, um nur einige zu nennen) in der Fülle so vor ein paar
Jahren noch nicht gegeben hat.
Und solche Bewegungen wirken. Sie irritieren, sie inspirieren, sie erinnern
daran, dass Mode immer auch Protest ist. Und Protest bleibt die effektivste
Methode, um in der Modewelt nicht nur gesehen zu werden, sondern gehört.
Und sowieso: Draußen vibe-shifted gerade auch das Wetter und es wird
endlich richtig Sommer. Dann können wir es mit dem Brat Summer 2.0 ja noch
einmal versuchen. Immerhin wären wir dann verdammt gut angezogen.
9 Aug 2025
## LINKS
[1] /Wie-die-Umdeutung-von-Fotze-das-neue-Selbstbild-junger-Feministinnen-praeg…
[2] /EZB-senkt-Leitzins/!6041186
[3] /Was-Maenner-an-Frauen-mit-Bizeps-stoert/!6101951
[4] /Hashtag-skinnytok-gesperrt/!6088767
[5] /Antifeminismus-auf-Tiktok/!5995016
[6] /Jeanswerbung-mit-Sydney-Sweeney/!6099423
[7] https://www.vogue.de/artikel/tradwifes-old-money-warum-konservative-mode-so…
[8] /Wie-die-Umdeutung-von-Fotze-das-neue-Selbstbild-junger-Feministinnen-praeg…
## AUTOREN
Ann-Kathrin Leclere
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