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# taz.de -- Desinformation in der Klimakrise: Windbreaker gegen Rechtsruck
> Die Reaktionen auf den verregneten Juli 2025 offenbaren politische
> Rückschritte. Höchste Zeit für eine Klimaveränderung – nicht nur beim
> Wetter.
Bild: Regen hier, Gluthitze anderswo. Nicht immer funktioniert das Brückenschl…
Was war das denn für ein Sommer? Für ein paar schöne Tage im Juni mussten
wir mit dem ganzen darauffolgenden Monat bezahlen. Einzige Gewinnerinnen:
meine Übergangsjacken, die mit erfreulich vielen Einsatztagen überrascht
wurden.
In rechten Kreisen im Netz musste der nasse Juli für Häme über die
vermeintliche Klimawandellüge herhalten. Der AfD-Bundestagsabgeordnete
Stephan Brandner etwa witzelte über eine Wettermeldung des NDR, dass über
kalte Sommertage nicht berichtet werden dürfte, und der rechte
Nius-Journalist Julian Reichelt beschrieb ein Video des regnerischen
Berlins ironisch mit „Hitzesommer 25“. Der sogenannte Komiker Mario Barth
scherzt auf Instagram, dass 25 Grad Außentemperatur heute als tödlich
gälten. Zehntausende Likes inklusive.
Dabei sollte mittlerweile echt jeder Mensch wissen: Die globale Erwärmung
macht auch Dauerregenereignisse wahrscheinlicher. Denn wärmere Luftmassen
haben eine höhere Wasserspeicherkapazität. Das heißt, dass sie mehr Wasser
aufnehmen – und eben auch wieder abgeben können. Und damit intensivierten
sich sowohl Dürre- als auch Starkregenereignisse.
Hinzu könnte ein anderer Effekt kommen. Dafür, dass sich hier in Europa
trockene und feuchte Wetterereignisse abwechseln, ist vor allem der
sogenannte Jetstream verantwortlich. Er weht in großen Höhen mit bis zu 540
km/h und schiebt Hoch- und Tiefdruckgebiete Richtung Osten vor sich her.
Mit dem Klimawandel könnte der Jetstream schwächer werden und sich die
jeweilige Wettersituation langsamer fortbewegen. Von einer Blockade
sprechen dann die Fachleute. Dauerregen und Dauerhitze werden damit
wahrscheinlicher. Diesen Zusammenhang [1][bringt zumindest eine neue Studie
der University of Pennsylvania ins Spiel].
## Mit Scheuklappen durch die Welt
Aber man muss keinen Klimatologiekurs besucht haben, um zu sehen, dass sich
die Klimawandelleugner mit Scheuklappen durch die Welt bewegen. Denn
während sich bei uns im Juli kaltes Wetter breitmachte, sah es bei unseren
europäischen Nachbarn schon ganz anders aus. Dem Süden Frankreichs etwa
bescheren Hitze und Trockenheit die größten Waldbrände seit 1949. [2][Im
türkischen Silopi wurden 50,5 Grad gemessen] – so viel wie noch nie zuvor
in Anatolien. [3][Weltweit war der Juli gar der drittwärmste seit Beginn
der Aufzeichnungen].
Den Scheuklappenvorwurf muss sich auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende
Wolfgang Kubicki gefallen lassen, der sich in einer Kolumne im Cicero zwar
explizit nicht als Klimawandelleugner verstanden sehen will, aber
fälschlicherweise feststellt, der „Höllensommer“ sei „unbestreitbar
ausgefallen“.
Auch wenn das den Barths, Reichelts und Kubickis dieser Welt traditionell
schwerfällt: Der Blick über den Tellerrand des eigenen Aufenthaltslands
hinaus hilft wirklich ungemein für ein Verständnis globaler
naturwissenschaftlicher Vorgänge. Hier alles durchnässt, nebendran alles
furztrocken – mit dieser Gleichzeitigkeit müssen wir umgehen lernen, wenn
wir das Wetter als Teil des globalen Klimas verstehen lernen wollen.
Aber dieser Juli versinnbildlichte auch etwas: den Siegeszug der Julian
Reichelts dieser Welt. Während die Welt draußen zwischen Mausgrau und
Blaugrau vor sich hindümpelte, erscheint auch die Politik in letzter Zeit
zunehmend in Schwarz-Weiß und macht sich daran, die Errungenschaften der
vergangenen Jahre zu begraben: Die Einbürgerung wird wieder erschwert, im
Kulturstaatsministerium übernimmt die Sprachpolizei, Radikale im Parlament
verhindern eine gemäßigte Richterin am Verfassungsgericht.
## Alles gleichzeitig
Das ist die eigentliche Zumutung dieses Sommers: dass wir
menschenfeindliche Politik, rechte Desinformation, Klima-Horrormeldungen
und Regengüsse gleichzeitig ertragen müssen. Nur Letztere perlen am
Windbreaker ab, den Rest müssen wir durchlassen, fühlen, wirken lassen, um
irgendwie ein Gegengift zusammenzubrauen.
Vielleicht hilft dabei ja der Sommer. Denn die Wetterblockade löst sich
gerade auf und wir bekommen noch mal ein paar schöne Augustwochen. Vor ein
paar Tagen hat meine Kollegin in dieser Zeitung bereits zur modischen
Rückeroberung des Sommers aufgerufen. [4][Giftgrün statt Beige, war das
Motto.] Daran lässt sich politisch anknüpfen. Nutzen wir den Umschwung, um
auch die politische Blockade aufzulösen.
11 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2504482122
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/walbrande-frankreich-spanien-100.html
[3] /Copernicus-Wetterbilanz-/!6105636
[4] /Vibe-Shift-in-der-Mode/!6102075
## AUTOREN
Jannik Grimmbacher
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