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# taz.de -- Aufarbeitung des spanischen Faschismus: Schwerwiegende Vergangenheit
> Walther Bernecker erklärt in seinem Buch „Geschichte und
> Erinnerungskultur“, wie das Leid der Opfer in der Franco-Diktatur bis
> heute bekämpft wird.
Bild: Einschusslöcher aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs im Gebäude de…
Spanien wird dieser Tage von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht.
Die [1][Rechte protestiert] gegen die [2][Wiederwahl des Sozialisten Pedro
Sánchez] zum Ministerpräsidenten und gegen seine [3][Bündnispolitik mit den
Parteien aus der nach Unabhängigkeit] strebenden Peripherie.
Sie führen Fahnen aus Zeiten der Franco-Diktatur mit sich, rufen
ewiggestrige Parolen und singen faschistische Hymnen. Es mobilisiert nicht
nur die rechtsextreme Vox, drittstärkste Fraktion im spanischen Parlament,
sondern auch die konservative Partido Popular (PP).
Spaniens Konservative haben keinerlei Berührungsängste. Sie gehen überall
dort mit Vox zusammen, wo es zur Mehrheit reicht. Fünf Regionen und über
130 Gemeinden werden von einer Rechtskoalition regiert. Und überall ist
eine der ersten Amtshandlungen die Streichung aller Programme, die der
Vergangenheitsaufarbeitung dienen.
## Zuschüsse gestrichen
Es gibt keine Zuschüsse mehr für die Suche nach Massengräbern, in denen bis
heute, über 80 Jahre nach Ende des spanischen Bürgerkriegs, mehr als
100.000 Opfer der Faschisten liegen. Und dort, wo die Namen derer, die 1936
gegen die Republik putschten und Massaker unter Demokraten, Gewerkschaftern
und Linken anrichteten, dank staatlicher Politik von Straßen und Plätzen
verschwunden waren, kehren diese auf Straßenschilder zurück.
Der ehemalige Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät
in Nürnberg und Spezialist in spanischer Kultur und Politik, Walther
Bernecker, nimmt sich in seinem neuen Werk „Geschichte und
Erinnerungskultur“ des „Deutungskampfs um Vergangenheit und Gegenwart“ des
Themas an. Er versucht dem deutschen Publikum zu erklären, wie es möglich
ist, dass bis heute in Spanien um die Deutung der Vergangenheit gerungen
wird – eine Debatte, die in Deutschland, mit Ausnahme der Ultrarechten,
längst geklärt und die Verurteilung des Nazismus gesellschaftlicher Konsens
ist.
Bernecker spannt bei seiner historischen Einordnung der (fehlenden)
Erinnerungskultur den Bogen [4][vom Ende des Bürgerkriegs bis heute]. Er
zeigt auf, wie in 40 Jahren Diktatur nur derer gedacht wurde, die auf der
„nationalen Seite“ kämpften. Verteidiger der Republik galten bis zum Ende
der Diktatur als Feinde Spaniens. Doch wer nach General Francos Tod und dem
Übergang zur Demokratie eine Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit
erwartete, sah sich getäuscht.
## Auffällige Zurückhaltung
„In den auf Francos Tod folgenden zwei Jahrzehnten legten die politischen
Eliten (egal welcher Couleur) in der Frage der Vergangenheitsaufarbeitung
eine auffällige Zurückhaltung an den Tag“, schreibt Bernecker. Es lag zum
einen am Wunsch nach Aussöhnung und zum anderen an der Angst vor erneutem
Konflikt. Diese gesellschaftliche Amnesie wurde gar als „Kultur des
Übergangs zur Demokratie“ verklärt. Ein „klarer demokratischer Bruch mit
der Diktatur“ blieb aus, konstatiert Bernecker.
Erst zum Jahrtausendwechsel – 25 Jahre nach Ende der Diktatur – sollte sich
dies ändern. Es entstand eine soziale Bewegung [5][zur Erinnerung an Opfer
der faschistischen Repression]. Familien begannen die sterblichen Überreste
ihrer Angehörigen zu suchen, die ohne Gerichtsverfahren erschossen und
verscharrt worden waren. Die Politik folgte zögerlich, 2007 wurde ein
erstes „Gesetz zum historischen Gedenken“ erlassen, 2022 folgte das „Gese…
des demokratischen Gedenkens“. Erstmals werden Familien bei ihrer Suche
nach den Verschwundenen unterstützt.
Faschistische Namen verschwanden aus dem Straßenbild. [6][Der Leichnam
Francos wurde aus einem Mausoleum] in den Bergen Madrids in ein
Familiengrab umgebettet. Das Gleiche gilt für den Gründer der
faschistischen Falange und einen der wichtigsten faschistischen
Putschgeneräle an Francos Seite.
## Proteste von rechts
Jeder dieser Schritte war von rechten Protesten begleitet. „Das Spanienbild
der Ultranationalisten – in Teilen auch das des Partido Popular – benötigt
eine zusammenhängende und begeisternde Historie, um ihr nationales Narrativ
mit Glanz präsentieren zu können“, resümiert Bernecker. Der erbitterte
Kampf gegen jedwede Aufarbeitung der jüngsten Geschichte ist ein Kampf um
die ideologische Hegemonie, darum, was Spanien ist und sein soll.
„Sánchez oder Spanien“ ist oft zu hören. Für die Rechte – Vox und PP �…
der Sozialist Pedro Sánchez, der mit Unterstützung der gesamten Linken und
der Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien, dem Baskenland und Galizien Vox
und PP den Weg an die Macht versperrte, ein „Feind Spaniens“ und ein
„Vaterlandsverräter“.
Berneckers Band ist der perfekte Einstieg für all diejenigen, die verstehen
wollen, wie dies über 40 Jahre nach Ende der Franco-Diktatur mitten in
Europa möglich ist.
9 Jan 2024
## LINKS
[1] /Demonstrationen-in-Spanien/!5969554
[2] /Regierungsbildung-in-Spanien/!5972199
[3] /Amnestiegesetz-in-Spanien/!5969589
[4] /Tagebuecher-von-Rafael-Chirbes/!5884271
[5] /Reportagereise-Spanischer-Buergerkrieg/!5871441
[6] /Exhumierung-von-Toten-in-Spanien/!5927349
## AUTOREN
Reiner Wandler
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