# taz.de -- Solidarität auf Lampedusa: Fluchtpunkt im Mittelmeer | |
> Auf Lampedusa kommen viele Geflüchtete aus Nordafrika an, berichtet wird | |
> von Chaos und Überforderung. Doch dieses Bild ist einseitig. | |
Tagelang haben sie ihre Madonna beweihraucht, sind fein gekleidet mit ihr | |
durch die strahlend illuminierten Straßen gezogen, haben nimmermüde | |
„Evviva“ („Sie lebe hoch) gerufen und stundenlang Feuerwerk abgebrannt. Es | |
war das Fest der Schutzheiligen von Lampedusa und aller Menschen auf dem | |
Meer, doch bevor die Prozessionen und Gottesdienste richtig losgingen, | |
kamen wieder sehr viele Menschen, die den Schutz der Madonna auf dem Meer | |
ganz gut brauchen können, auf der Insel an. Die ganze Welt schaute Mitte | |
September plötzlich nach Lampedusa, und der Bürgermeister der Insel durfte | |
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vergangene Woche gar zu den UN | |
nach New York begleiten. | |
Jetzt, am Sonntag, enden die Feierlichkeiten für die Madonna auf dem Meer, | |
es ist Abend geworden, dunkel und noch warm, zum Abschluss soll es einen | |
Film über die „Madonnina“ auf einer Leinwand auf dem Kirchplatz geben. Doch | |
zuvor will Bürgermeister Filippo Mannino den Menschen noch etwas sagen, | |
über die letzten Tage und wie nun alles weitergeht. Er ist jung, seine | |
Schneidigkeit kommt ohne Härte daher, er hat ein sportliches Jackett | |
angezogen, auf seinen blauen Leinenslippern steht „Hey Dude“. Ansonsten | |
wirkt er recht seriös, obwohl er früher mal bei der Populistenpartei Cinque | |
Stelle war, und die Slipper sieht im Dunkeln sowieso keiner. Er steht nun | |
also nach dem Abendgottesdienst auf einer lauschigen Piazza, das Mikro in | |
der Hand, an die 1.000 Menschen sind gekommen und einige Kamerateams. | |
Mannino sagt, dass die Insel mit ihrer steten Hilfsbereitschaft ein | |
„Vorbild für die Menschheit“ sei, aber nun eben auch endlich die 45 | |
Millionen Euro Hilfsgelder von der Regierung in Rom wolle. Er rechnet vor, | |
was er mit dem Geld genau machen will, damit es nicht wieder verfällt, wie | |
die 26 Millionen, die Ex-Präsident Silvio Berlusconi der Insel einst wegen | |
der vielen Migranten bewilligte, die Manninos Vorgänger aber nicht | |
abzurufen imstande gewesen seien. Es helfe keine Ideologie, keine scharfen | |
Reden, sondern Pragmatismus und „Zusammenhalt“. Das ist Manninos Botschaft. | |
Neun Kilometer lang, bis zu 3 Kilometer breit – insgesamt 20 | |
Quadratkilometer klein ist Lampedusa, ein karger sandfarbener Felsen im | |
tiefblauen Meer, und fährt man dieser Tage hierher, dann sagen einem die | |
Leute zum Abschied: „Oh, bestimmt krass da.“ [1][8.000 Ankünfte von | |
Geflüchteten innerhalb von einer Woche], Bilder von Chaos und Notstand in | |
den Medien, so schlimm, dass die [2][rechte polnische PiS-Partei] | |
Wahlwerbung mit den Videos aus Lampedusa machte und insinuierte, bald werde | |
es überall in Europa so aussehen. Vielleicht trugen zum entstandenen | |
Eindruck auch Medien wie das neue Nachrichtenportal eines geschassten | |
deutschen Boulevard-Chefredakteurs bei: Dessen Reporterin klagte, die auf | |
Lampedusa angekommenen Migranten seien so gefährlich, dass Recherche für | |
sie dort unbewaffnet unmöglich sei, denn: Wer weiß. Aber je näher man der | |
Insel kommt, desto mehr verschiebt sich das Bild, manchmal gar so weit, | |
dass man meinen könnte, vieles sei vielleicht ganz anders. | |
Am Flughafen in Mailand etwa heben auch jetzt, lange nach Ende der | |
Feriensaison, vollbesetzte Flugzeuge in Richtung Lampedusa ab, auf den | |
Sitzen Hunderte vorfreudiger Urlauber:innen, die sich schon am Gate die | |
ersten Aperols gönnen, Selfies vor der Abflugtafel machen und klatschen, | |
wenn der Pilot das Flugzeug auf die Landebahn aufsetzt, hart natürlich, | |
denn die Bahn ist inseltypisch kurz. Wer dann die Viertelstunde vom | |
Flugfeld zur Hauptstraße marschiert, muss sich anstrengen, um irgendwo den | |
nächsten Aperol herzubekommen, denn an den Abenden ist in den Bars kaum ein | |
freier Platz. Ohne Reservierung hat man in den Restaurants kaum eine | |
Chance. | |
Die Lampedusianer insistieren, beim schönsten Strand der Welt handele es | |
sich um die Spiaggia dei Conigli – herrlichstes Pooltürkis inmitten | |
sichelförmiger sandfarbener Felsen an der Südküste der Insel. Aber wer | |
dahin will, muss warten: Je 550 Plätze gibt es vormittags und nachmittags, | |
vorab zu reservieren im Internet, auf Tage ausgebucht. Und viele andere | |
Strände gibt es nicht. Knapp zehn Flugzeuge und zwei Fähren mit | |
Tourist:innen kommen pro Tag an, und am Montag waren beide Fähren | |
ausgebucht, und die meisten Flüge und Hotels auch. | |
Die Tourist:innen kommen also, trotz der 62.000 Flüchtlinge, die seit | |
dem 1. Juni, als die Regierung den Notstand ausrief, Lampedusa erreichten. | |
Zu sehen ist nun allerdings kein einziger mehr von ihnen: Fast alle wurden | |
auf das italienische Festland gebracht. | |
Das war nicht immer so. Als 2011, nach dem Arabischen Frühling, Tausende | |
Tunesier:innen ihre neue Freiheit nutzten, um in Booten die nur rund | |
180 Kilometer nach Lampedusa überzusetzen, wollte der damalige | |
Innenminister Roberto Maroni von der rechtsextremen Lega Nord sie von der | |
Insel wieder nach Tunesien abschieben. Daraus wurde nichts und so | |
campierten von Februar bis April zeitweise Tausende Tuneser:innen wild | |
auf der Insel. | |
Die Regierung in Rom ist heute wieder eine rechtsextreme, aber auf | |
Lampedusa herrscht heute eher Pragmatismus: Die Menschen werden meist auf | |
See von der Küstenwache aufgenommen, auf die Insel gebracht und zügig | |
weitertransportiert. Pushbacks wie in der Ägäis gibt es in Richtung | |
Tunesien, soweit bekannt, nicht. 40.000 Menschen hat Tunesiens Küstenwache | |
selbst in diesem Jahr auf dem Meer gestoppt. Deutlich mehr aber kamen | |
durch. Meloni sähe es am liebsten, dass Tunesien alle Boote aufhält. Doch | |
damit ist vorerst wohl nicht zu rechnen, auch wenn dieser Tage die ersten | |
Millionen des neuen Deals mit der EU fließen: Geld für das nordafrikanische | |
Land im Gegenzug dafür, dass Tunis die Menschen davon abhält, in die Boote | |
nach Europa zu steigen. | |
Es gibt eine Art Monument auf Lampedusa, es heißt „Porta d’Europa“, das … | |
Europas, es sieht aus wie die Wand eines Hauses, die stehen geblieben ist, | |
nachdem der Rest eingestürzt ist. Die ästhetische Qualität ist etwas | |
zweifelhaft, aber es gibt sonst nicht viel zu fotografieren auf Lampedusa, | |
also kommen die Touristen auf ihren Mietvespas um die Landebahn | |
herumgezockelt und machen Selfies vor dem Tor. | |
Flüchtlingshelfer:innen auf der Insel sagen gern, dass die fehlende Tür | |
in der Wand eigentlich geschlossen sein müsste, weil Europa seine Türen für | |
die Geflüchteten hier ja zumacht. Aber das ist so nicht wahr. Lampedusa ist | |
dieser Tage genau das: Das Tor zu Europa für Menschen, die sich das Recht | |
nehmen, hier ihr Glück zu suchen. Es muss nicht so bleiben, aber heute ist | |
die Insel vor allem ein Ort des Zugangs. Zehntausende werden hier versorgt, | |
viele Inselbewohner:innen helfen, bevor die Menschen auf das Festland | |
gebracht werden. Und viele haben keine schlechten Aussichten, in Europa zu | |
bleiben. Das ist ein Teil der Realität. | |
Ein anderer Teil der Realität ist das unfassbare Risiko, das die Menschen | |
eingehen, um hier anzukommen. Etwa ein Jahr ist es her, dass die | |
Hilfsorganisationen einen neuen Typ von Booten bemerkten, auf denen die | |
Menschen bis heute kommen: Hastig zusammengeschweißte Kähne aus | |
Stahlplatten mit einem viel zu kleinen Außenbordmotor. Solche Wracks liegen | |
heute an den Küsten Lampedusas, und in der Brühe aus Rost, Diesel und | |
Salzwasser schwimmen leere Kekstüten, kleine Reifenschläuche und Kleidung, | |
die offenkundig aus Europa als Altkleider nach Afrika gelangte – und nun | |
wieder hierher zurückgespült wurde. | |
Mit bis zu 50 Menschen an Bord stechen die wenige Meter langen Kähne völlig | |
überfüllt in See, die Bordkante liegt dann schon nahe an der | |
Wasseroberfläche, die Wellen lassen sie schnell volllaufen. Ist eine | |
Schweißnaht undicht, ist das Wasser kaum noch schnell genug | |
herauszuschöpfen. An den Holzbooten oder den Gummischläuchen, die Schlepper | |
den Menschen in Libyen meist mit auf den Weg geben, können diese sich im | |
Notfall festhalten. [3][Die Metallboote aber sinken sofort in die Tiefe], | |
und wer nicht schwimmen kann, sinkt mit und ertrinkt. | |
Dass es diese Metallboote gibt, ist offenkundig eine Folge der Versuche der | |
EU, Tunesien mit viel Geld zum Grenzschutzpartner zu machen. Auch wenn die | |
entsprechenden Verhandlungen schleppend voranzugehen scheinen, hat die | |
Regierung in Tunis begonnen, die Holzboote der Fischer zu registrieren – | |
und jenen Strafe angedroht, die sie an Schlepper verkaufen. Und so zeigt | |
sich erneut, was auch für so viele andere Orte an den Transitrouten gilt: | |
Versuche, die Migration abzuwehren, machen ihre Wege gefährlicher. 2.093 | |
Menschen sind in diesem Jahr im zentralen Mittelmeer ertrunken – auch weil | |
schon kleine Wellen die neuen Metallboote kentern lassen können. | |
Das ist auch der Grund, weshalb dieser Tage keine neuen Flüchtlinge | |
ankommen. Es weht ein Wind, der auf den Cafétischen an Land nur die | |
Coladosen und Pizzakartons wegbläst, das Meer aber so aufpeitscht, dass es | |
an der Steilküste hohe Gischtfontänen schlägt. Wer am Hafen auf ein kleines | |
Motorboot steigt, spürt schon auf den ersten Metern die Kraft der Wellen, | |
die hier noch keinen halben Meter hoch sind, weiter draußen auf See aber | |
sind es zur selben Zeit ganze 2,40 Meter, wie auf Nautikportalen zu lesen | |
ist. Und so bleiben die Menschen an Tagen wie diesen an der Küste | |
Tunesiens, und warten auf Windstille, um die Überfahrt zu wagen – so war es | |
schon das ganze letzte Jahr. | |
„Die Menschen haben nicht verstanden, dass es in Zukunft noch mehr werden“, | |
sagt Giusi Nicolini. Im Café Royal, direkt neben dem Rathaus, ihrem alten | |
Rathaus, sitzt sie bei Espresso und Zigaretten und schaut zufrieden auf ihr | |
Handy. Am Morgen ist ihr Gastkommentar [4][im englischen Guardian online | |
gegangen], das gibt’s auch nicht alle Tage, auch nicht bei ihr, die von | |
2012 bis 2017 sozialdemokratische Bürgermeisterin der Insel war. „Es ist | |
eine humanitäre Krise – keine Migranteninvasion“, hat sie in ihrem | |
Kommentar geschrieben. | |
Im ersten Jahr ihrer Amtszeit starben direkt vor der Küste bei zwei | |
Unglücken fast 500 Menschen, und Nicolini reiste durch die Welt, um eine | |
andere Migrationspolitik zu fordern. Sie bekam dafür eine Auszeichnung von | |
der UN. Jetzt ist die Umweltschützerin Ende 50 und wieder für den lokalen | |
Nationalpark tätig. Sie hält Vorträge, vor allem vor Schüler:innen. | |
„Kriege und der Klimawandel, die Dürren und Verwüstungen werden immer mehr | |
Menschen vertreiben. Darauf muss man sich vorbereiten“, sagt sie. „Der | |
Westen antwortet darauf aber mit Mauern. Das macht das gesellschaftliche | |
Klima immer hysterischer und ist gefährlich für die Demokratie, bei Trump | |
hat man das ja schon gesehen.“ | |
Im Jahr 2011 schloss die Regierung in Rom das Aufnahmelager auf der Insel | |
und erklärte Lampedusa zum „nicht sicheren“ Hafen in der Hoffnung, sie | |
könne so verhindern, dass weiterhin Menschen auf die Insel flüchten. Doch | |
die Ankünfte gingen weiter. Nicolini sorgte mit dafür, dass das Lager | |
wieder eröffnet wurde. | |
Das heute „Hotspot“ genannte Lager liegt eine halbe Stunde zu Fuß außerha… | |
der Stadt, gestapelte Container hinter hohen Stahlgittern, bewacht von | |
Soldaten. 400 Plätze gibt es, 140 Menschen sind heute noch darin | |
untergebracht. Die Leiterin des Lagers heißt Francesa Basile. Die junge | |
Frau hat zuvor in Afghanistan Flüchtlingslager geleitet. „Die Lage hier ist | |
für uns händelbar“, sagt sie. Die vielen Reporter, die sie vor den Toren | |
befragen, wollen von Basile wissen, ob es denn keine Überforderung für die | |
Helfer:innen gebe, kein Zusammenbruch drohe, wenn wieder so viele | |
Flüchtlinge kommen. Basile sagt dann, dass es beim Roten Kreuz | |
Expert:innen für Notsituationen gebe, die damit umgehen könnten, aber | |
dass es „natürlich komplex werden kann, wenn viele Menschen auf einmal | |
versorgt werden müssen“. | |
Die Ministerpräsidentin Meloni hat dem Roten Kreuz das Lager im Juni | |
überantwortet, nachdem sie den Notstand ausgerufen hatte. Dass die | |
rechtsextreme Ministerpräsidentin Bilder des Chaos auf Lampedusa | |
provozieren wollte, um eine härtere Linie zu rechtfertigen, passt nicht zu | |
diesem Schritt. Denn zweifellos ist das Camp beim Roten Kreuz in besseren | |
Händen als bei der kleinen Betreiberfirma, die es zuvor managte, oder gar | |
bei der Polizei. Heraus aus dem Lager dürfen die Insassen aber offenkundig | |
trotzdem nicht. Basile streitet das ab, aber faktisch verlässt kein | |
einziger Flüchtling das Lager, was kaum ganz freiwillig geschehen dürfte. | |
## Caltanisetta auf Sizilien, ein Zwitter aus Asylheim und Abschiebehaft | |
Von hier geht es für die Menschen per Schiff meist schnell weiter auf das | |
Festland, zum Beispiel in das Flüchtlingslager von Caltanisetta, einer | |
60.000-Einwohner-Stadt im leicht verödeten Inselinneren Siziliens. Auf dem | |
Gelände einer ehemaligen Pulverfabrik ließ Silvio Berlusconi Ende der | |
1990er Jahre ein Flüchtlingslager errichten, schon damals ein Zwitter aus | |
offenem Asylheim und Abschiebehaftlager, rund 500 Plätze hat es. Bewacht | |
von Soldaten und umgeben von Stacheldraht und Zäunen steht es weit | |
außerhalb der Stadt. | |
Einer der Bewohner heißt Mohamed, er sei 28 Jahre alt, sagt er. In Burkina | |
Fasos Hauptstadt Ouagadougou hat er in einem Klamottengeschäft gearbeitet, | |
ein richtiger Job war das nicht, keine 60 Euro habe er im Monat verdient, | |
aber das sei nicht das größte Problem gewesen: „Die Terroristen haben uns | |
völlig fertiggemacht“, sagt er. Dschihadistische Gruppen haben den | |
Wüstenstaat mit Gewalt überzogen: Das bis vor einigen Jahren friedliche | |
Land steht heute an Platz zwei des Global Terrorism Index, als schlimmer | |
gilt nur Afghanistan. Mohamed ist ein typisches Beispiel für „gemischte | |
Fluchtursachen“. Er ist, wenn man so will, wie so viele andere wohl Migrant | |
und Flüchtling gleichzeitig. | |
Ende April habe er sich aufgemacht, berichtet er. Er habe niemanden | |
persönlich gekannt, der nach Europa gereist ist. Eine Million | |
westafrikanische Francs, rund 1.500 Euro, habe er für die Reise durch die | |
Wüste und über das Meer insgesamt zahlen müssen, Familie und Freunde hätten | |
ihm die Summe geliehen. Weit vor der Grenze von Niger und Algerien sowie | |
später dann der Grenze von Algerien und Tunesien hätten die Schlepper sie | |
aus Angst vor der Polizei abgesetzt und ihnen lediglich eine kleine Ration | |
Wasser mit auf den Weg gegeben. | |
„Tagelang mussten wir marschieren“, sagt Mohamed. Am Ende habe er mit 38 | |
anderen Männern aus Mali, Burkina Faso und Sudan in einem der Metallboote | |
gesessen. Schwimmwesten hatten sie nicht, er lacht bei der Frage. Warum hat | |
er die Überfahrt gewagt? Er zuckt die Schultern: „Es ging eben nicht | |
anders.“ | |
Zehn Wochen lang war Mohamed über Land unterwegs, 30 Stunden auf dem Meer, | |
dann kam ein Boot der italienischen Küstenwache. Ihr eigener Motor lief | |
noch, aber die überfüllten Metallboote aus Tunesien sind automatisch ein | |
Notfall, das sieht auch Italiens Küstenwache heute meist so. Sie nahm die | |
Menschen auf, alle an Bord überlebten. „Sie haben uns gut behandelt“, sagt | |
Mohamed, auch die Menschen vom Roten Kreuz seien freundlich gewesen. | |
Zwei Tage war er im „Hotspot“ von Lampedusa, dann kam er nach Caltanisetta. | |
Auch hier werde er „gut behandelt“. Morgens gebe es „nur Kaffee“, mitta… | |
und abends Essen. „Es ist nicht das, was wir gewohnt sind“, sagt er. Ihm | |
wäre etwas anderes lieber, Reis mit Erdnussoße statt Nudeln vielleicht. | |
Aber Kochen ist im Lager verboten. 2,50 Euro Taschengeld pro Tag steht | |
Asylsuchenden in Italien zu, die Auszahlung werde aber oft verschleppt, | |
berichten Helfer:innen. Mohamed sagt, er bekomme gar nichts. | |
Er hat einen Asylantrag gestellt, erklärt worden dazu sei ihm nichts. Er | |
weiß, dass er dazu wohl befragt werden soll, aber nicht wann. Zwei Jahre | |
kann das Verfahren dauern. Arbeiten ist Menschen wie ihm in dieser Zeit | |
gestattet. Wer das Lager länger verlässt, dessen Asylantrag wird | |
annulliert. Doch wer von hier in ein anderes Land geht, wird daran nicht | |
gehindert. Als er seinen Asylantrag gestellt hat, habe man ihn gefragt, ob | |
er in ein anderes Land gehen wolle: „Ich habe nein gesagt.“ Er will Arbeit | |
in Italien. | |
Am Donnerstag wollen sich die EU-Innenminister mal wieder treffen, der | |
Druck in der Migrationsfrage ist groß wie lange nicht. Der mühsam errungene | |
Asylkompromiss, der im Wesentlichen Auffanglager und Abschiebungen direkt | |
an den EU-Außengrenzen vorsieht, hängt im europäischen Parlament fest, es | |
gibt noch immer Streitigkeiten über Details. | |
Wie geht es weiter für Lampedusa? Die größte Sorge dort ist, dass die | |
Regierung hier ein neues, größeres Internierungslager bauen könnte. Meloni | |
hat dies dementiert. Aber das Misstrauen ist groß, die Inselbewohner | |
fürchten sich, dass Lampedusa zur Gefängnisinsel wird und die Touristen | |
dann am Ende doch wegbleiben. Vergangene Woche haben sie dagegen | |
demonstriert und sogar die Anlieferung von Zelten mit einer Sitzblockade | |
verhindert. | |
## Wie die harte Linie der Rechten an der Realität scheitert | |
Der Vizebürgermeister Attilio Lucia von der Lega hat die Demo angeführt und | |
die Regierung – an der seine Partei beteiligt ist – dabei „kriminell“ | |
genannt. An Lucia zeigt sich, wie die harte Linie der rechtsextremen | |
Parteien an der Realität scheitert. Am Freitag zeigte „Propaganda Live“, | |
eine der beliebtesten italienischen TV-Sendungen, wie die lokalen | |
Lega-Politiker 2017, als Giuisi Nicolini noch im Amt war, geifernd | |
forderten, alle Boote mit einer Seeblockade zu stoppen. Heute spricht Lucia | |
davon, dass seine Familie schon immer den Ankommenden mit Essen und Duschen | |
aushalf und dass Lampedusa auch weiterhin helfen werde. | |
„Die Spektakularisierung von Krisen und Notfällen hat oft zu einem Mangel | |
an Verständnis für die lokalen Kämpfe der Menschen geführt, die auf der | |
Insel leben und sie durchqueren“, schreibt die [5][Solidaritätsinitiative | |
Maldusa], die das Geschehen auf der Insel dokumentiert. Und das trifft es | |
sehr gut. Keine Flüchtlinge wären den Insulanern zweifellos lieber. Aber | |
seit weit über einem Jahrzehnt versucht Italien, die Migration einzudämmen | |
– mit Druck auf oder Geld für die Staaten jenseits des Meeres, mit | |
Schikanen gegen Retter:innen, mit Kriminalisierung und immer wieder auch | |
mit verweigerter Nothilfe. Doch selbst unter Meloni sind die Zahlen weiter | |
gestiegen. Letztlich will keiner auf der Insel mehr Tote im Meer sehen. | |
Und so fordern Lucia und viele andere Insulaner heute ein neues „Mare | |
Nostrum“ – eine Neuauflage der Militär-Seenotrettungsmission ab 2013, die | |
die Menschen vorübergehend auf dem Meer aufnahm und direkt auf das Festland | |
brachte. Die Mission wurde 2014 eingestellt, weil Italien fand, dass es zu | |
wenig Hilfe von der EU bekam. Die Lega und Meloni lehnen eine neue Mission | |
nach diesem Muster strikt ab. „Aber das ist es, was wir heute wieder | |
brauchen“, sagt Lucia. | |
26 Sep 2023 | |
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[1] /Migration-nach-Lampedusa/!5958536 | |
[2] /Handel-mit-Schengen-Visa-in-Polen/!5961368 | |
[3] /Seenotretter-ueber-Lampedusa/!5958533 | |
[4] https://www.theguardian.com/profile/giusi-nicolini | |
[5] https://www.maldusa.org/en/ | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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