# taz.de -- Seenotretter über Lampedusa: „Die Boote sinken sofort“ | |
> An der Überforderung auf Lampedusa ist auch die italienische Küstenwache | |
> Schuld, sagt Seenotretter Gorden Isler. Denn die blockiert | |
> Rettungsmissionen. | |
Bild: Das Rettungsschiff „Sea Eye“ vor dem Hafen von Neapel mit Migranten a… | |
taz: Herr Isler, Ende August wurden Schiffe mehrerer | |
Seenotrettungsorganisationen, unter anderem auch von Ihrer [1][Organisation | |
Sea-Eye], in Italien festgesetzt, nachdem sie zusammen insgesamt 381 | |
Menschen aus Seenot gerettet haben. Sind Sie inzwischen wieder unterwegs? | |
Gorden Isler: Wir sind mit unserem Schiff, der Sea-Eye 4, seit vergangener | |
Woche wieder frei und zunächst Richtung Spanien zu einem Wartungsintervall | |
aufgebrochen. Anfang Oktober werden wir wieder im Einsatz sein. | |
Wie laufen diese Festsetzungen durch die italienische Küstenwache ab? | |
Große Schiffe wie der Sea-Eye 4 werden in der Regel weit entfernte Häfen | |
wie Salerno zugewiesen. Damit wird ein Einsatzende erzwungen, auch wenn | |
noch andere Seenotfälle offen sind. Beim letzten Einsatz haben wir drei | |
Rettungen hintereinander durchgeführt und die Italiener hätten erwartet, | |
dass wir nach der ersten sofort zu einem weit entfernten zugewiesenen Hafen | |
aufbrechen. Wir wussten aber bereits bei der ersten Rettung von zwei | |
weiteren Seenotfällen. Die dritte Rettung war besonders wichtig, da bereits | |
Bewusstlose an Bord des Flüchtlingsboots waren. Hätten wir uns an das | |
italienische Prozedere gehalten, hätte es Tote gegeben. | |
Italien hat [2][die Gesetzeslage für die Seenotrettung in diesem Jahr | |
verschärft]. Wie beeinflusst das seitdem Ihre Arbeit? | |
Am 24. Februar wurde vom italienischen Parlament ein Gesetz verabschiedet. | |
Sie haben dieses Gesetz extra für die Seenotretter:innen geschrieben. | |
Es sieht vor, dass Schiffe, die den Anweisungen der italienischen Behörden | |
nicht folgen, mit eskalierenden Strafen belegt werden können. Unabhängig | |
davon, ob die italienischen Behörden überhaupt zuständig sind oder nicht. | |
Dazu muss man wissen: Die Meere sind in Seenotrettungszonen, sogenannten | |
SAR-Zonen, eingeteilt. Wenn Menschen in der SAR-Zone eines Staates gerettet | |
werden, ist dieser eigentlich für die weitere Koordination der | |
Rettungsaktion zuständig. | |
Niemand versteht zum Beispiel, warum die maltesische Seenotrettungszone um | |
Lampedusa herum bis nach Kreta reicht. Dabei tun die maltesischen Behörden | |
gar nichts mehr. Wenn die Menschen dann die italienischen SAR-Zonen | |
erreichen, dann ist die italienische Rettungsleitstelle zuständig – und die | |
rettet aktuell auch. Das führt aber genau zu der Situation, die jetzt in | |
Lampedusa beschrieben wird: Würden die staatlichen Stellen immer dann dort | |
retten, wo es einen Notfall gibt, und nicht warten, bis die Menschen selbst | |
Italien erreichen – sie also besser verteilen schon bei den | |
Rettungsmissionen – dann würde es auf Lampedusa nicht zu so einer | |
Überforderungssituation kommen. | |
Wer von Libyen und Tunesien aus Europa erreichen will, muss den kürzesten | |
Weg über Lampedusa nehmen. | |
Es ist bestürzend, dass die EU-Mitgliedsstaaten in dieser zugespitzten | |
Situation den politischen Konflikt mit der italienischen Regierung suchen. | |
Die gesamte Politik ist darauf ausgerichtet, die Zahl der Ankünfte schnell | |
zu reduzieren. In der vergangenen Woche forderte die italienische | |
Ministerpräsidentin Meloni eine Seeblockade durch eine Marinemission der | |
EU. Sie weiß, dass das unrealistisch ist, kann der EU aber nun weiter die | |
Schuld dafür geben, dass die Ankünfte nicht reduziert werden können. | |
Wie gefährlich sind die rund 180 Kilometer Luftlinie zwischen der | |
tunesischen Küste und Lampedusa? | |
Bei den Einsätzen sehen wir statt Holz- und Schlauchbooten oft | |
Ganzmetallboote. Wenn die kentern, sinken sie sofort. Deshalb ist die | |
Todesrate auch in diesem Jahr wieder so erschreckend hoch. Wir beobachten | |
auch, dass die Leute kein Telefon mehr dabei haben, um Hilfe zu rufen, aus | |
Angst, geortet zu werden. Auch die Chance, an Lampedusa vorbeizufahren, ist | |
nicht unwahrscheinlich. Viele verdursten. | |
Wie beurteilen Sie die Migrationspolitik, die derzeit in Deutschland und in | |
der EU passiert? | |
In dem Moment, wo die Situation auf Lampedusa wieder eskaliert und Italien | |
Hilfe braucht, sagt die Bundesregierung: Wir können nicht so viele Menschen | |
aufnehmen. Dahinter steckt die politische Annahme, dass die Aufnahme von | |
Menschen dazu führt, dass noch mehr Menschen fliehen. Aber die | |
Fluchtursachen verschwinden ja nicht. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, | |
kann das mit immer mehr Stacheldraht nicht erreichen. | |
22 Sep 2023 | |
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[1] https://sea-eye.org/ | |
[2] /Lampedusa-und-Italiens-Migrationspolitik/!5957848 | |
## AUTOREN | |
Jean Dumler | |
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