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# taz.de -- Senatorin über Schwarz-Rot in Berlin: „Mit der CDU haben wir meh…
> Cansel Kiziltepe (SPD) über Regieren mit der CDU, Kritik an
> Kürzungsplänen und wie sie mit Azubi-Wohnungen gegen den Fachkräftemangel
> vorgehen will.
Bild: Cansel Kiziltepe (re.) arbeitet gerne mit der CDU und ihrem Vorsitzenden …
taz: Frau Kiziltepe, Sie sind jetzt [1][seit fast fünf Monaten] Senatorin
für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und
Antidiskriminierung. Was sind Ihre Schwerpunkte, was wollen Sie besser
machen als Ihre Vorgängerin Katja Kipping von der Linkspartei?
Cansel Kiziltepe: Mein Leitmotiv ist Gute Arbeit. Ich glaube, das ist der
Schlüssel zur Lösung zentraler gesellschaftlicher Herausforderungen.
Integration funktioniert besser durch Gute Arbeit, die Abschaffung von
Diskriminierung, aber auch der [2][Spracherwerb]. Auch was die
Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt angeht, die
Ungleichbehandlung bei der Bezahlung, bei der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf, all das kann man miteinander sehr gut verknüpfen.
Und wie wollen Sie Gute Arbeit genau umsetzen?
Wir hatten jetzt die Auftaktveranstaltung des [3][Bündnisses für
Ausbildung]. Alle rufen verzweifelt nach Fachkräften, und dennoch ist der
Ausbildungsmarkt in Berlin in einer [4][Schieflage]. In Brandenburg werden
alle jungen Menschen versorgt, aber bei uns sind über 3.000 Suchende
unversorgt. Da frage nicht nur ich mich: Wie kann das sein? Mit dem Bündnis
für Ausbildung wollen wir diese Lücke bis 2025 schließen. Und wenn das
nicht passiert, soll eine [5][Ausbildungsplatzumlage] kommen.
Damit sollen Unternehmen, die nicht ausbilden, zur Kasse gebeten und
diejenigen unterstützt werden, die ausbilden. Ein Projekt des
rot-grün-roten Vorgängersenats, das von der Wirtschaft heftig kritisiert
wird.
Es gab Eckwerte, aber keinen Zeitplan. Zu wenig Betriebe in Berlin bilden
aus. Ich verstehe das überhaupt nicht. Wenn ich Fachkräfte haben will, muss
ich auch dafür sorgen, dass ich welche ausbilde. Dieser Verantwortung
stellen sich in Berlin nur 11 Prozent der Betriebe, das ist zu wenig.
Ob [6][Bildung], [7][Verwaltungsmodernisierung] oder Energiewende – der
[8][Fachkräftemangel] wird eine der größten Herausforderungen für Berlin in
den nächsten Jahren. Welche Stellschrauben gibt es da noch außer dem
Ausbildungsbündnis?
Wohnraum, ganz klar. Auszubildende finden mit ihrer Ausbildungsvergütung
kein Zimmer mehr, das sie bezahlen können. Deshalb möchte ich ein
Azubi-Werk für Berlin. Azubi-Wohnungen, die dem Land gehören, mit einer
Ewigkeitsgarantie, sodass sie nie verkauft werden können. Es gibt schon ein
Azubi-Werk in München und Hamburg, warum noch nicht in Berlin? Immerhin
haben wir seit 100 Jahren ein Studierendenwerk. Das ist eines meiner
Leitprojekte, die ich vorantreiben möchte.
Bislang war Ihre Amtszeit eher von [9][Kritik an Kürzungsplänen] geprägt
Wir hatten direkt nach der Wiederholungswahl den Eckwertebeschluss unserer
Vorgänger, und der hat mir gezeigt, das geht so nicht. Wichtige
Schwerpunkte des Koalitionsvertrags waren nur unzureichend mit Mitteln
unterlegt. Das hätte ich unmöglich akzeptieren können. Und dann gingen die
Verhandlungen los. Mit dem [10][Ergebnis] bin ich sehr zufrieden.
Es wird also in keinem Bereich Kürzungen geben?
Ich wurde kürzlich kritisiert, dass ich im Bereich der Wohnungs- und
Obdachlosigkeit Mittel kürzen würde – was nicht der Fall ist. Im Gegenteil,
wir haben Erhöhungen in diesem Bereich. Wir haben die beiden
24/7-Unterkünfte gesichert, auch die Projekte gegen Gewalt gegen Frauen
bleiben erhalten. Wir planen die Umsetzung der Istanbul-Konvention, der
Landesaktionsplan soll jetzt im Herbst im Senat beschlossen werden. Wir
haben 27 Millionen Euro in die Umsetzung der Istanbul-Konvention gesteckt.
Die sozialen Projekte können also aufatmen?
Erstmal ja. Aber beim nächsten Doppelhaushalt wird die Lage schwieriger
sein. Die Schuldenbremse verhindert kreditfinanzierte Investitionen. Das
gefährdet nötige Ausgaben im Sozialbereich. Zugleich steigen die
Steuereinnahmen nicht mehr wie vor ein paar Jahren. Wir haben jetzt alle
Rücklagen aufgelöst, die wir haben. Um die öffentlichen Haushalte zu
stabilisieren, müssen wir große Einkommen und Vermögen verstärkt in den
Blick nehmen. Der Bund steht hier ebenso in der Verantwortung wie bei der
überfälligen Reform der Schuldenbremse. Im Haus müssen wir daher schauen,
welche Projekte gestärkt werden und welche vielleicht nicht so gut laufen
und daher entbehrlich sind.
Haben Sie da schon etwas im Blick?
Nein.
Bleiben wir beim Thema Obdachlosigkeit. Das Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030
zu beenden, steht auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Wie wollen Sie
das erreichen?
Alle Ebenen haben dieses Ziel ausgerufen, auch die EU und der Bund. Es ist
eine Herausforderung. Der Bund arbeitet gerade an einem nationalen
Aktionsplan, wo wir gemeinsam mit Hamburg und Rheinland-Pfalz im
Lenkungskreis sitzen. Bundesweit sind wir Pionier im Bereich des
[11][Housing-First-Ansatzes]. Wir erhöhen jetzt noch mal die Mittel für die
Housing-First-Projekte, auch für die Wohnungsnotfallhilfe geben wir mehr
Geld aus. Allerdings muss man ehrlicherweise auch sagen, dass es hier eine
Gruppe von Menschen gibt, die wir nicht nachhaltig auffangen können, weil
sie als EU-Zugewanderte teilweise keinen Anspruch auf Sozialleistungen
haben.
Beim jetzigen Tempo würde es mit Housing First allerdings [12][80 Jahre]
dauern, bis alle Obdachlosen in Berlin eine eigene Wohnung haben. Wie
wollen Sie das in sieben Jahren schaffen?
Wir haben in Berlin eine enorme Wohnungsnot und müssen für alle bezahlbaren
Wohnraum schaffen, das gilt natürlich auch für obdachlose und geflüchtete
Menschen. Das heißt, wir müssen für alle mehr bauen, als es bisher der Fall
war. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass zu unserer
wohnungspolitischen Strategie auch integrierte Konzepte gehören.
Integrierte Konzepte?
Wir wollen nicht, dass [13][MUF] (Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge, d.
Red.) einzeln irgendwo am Stadtrand entstehen, die umzäunt sind und
geschützt werden müssen. Wir wollen Integration in bestehenden
Stadtquartieren, auch durch Nachverdichtung. Wir wollen
Geflüchtetenunterkünfte bauen, aber auch in neu entstehenden
Stadtquartieren diese Wohnform immer mitdenken. Damit wir eine soziale
Mischung haben, damit die Integration besser funktioniert – durch die
Nachbarschaft, durch den Dialog. Das wollen wir jetzt in der Task Force
verstärkt angehen. Dabei werden wir auch konkrete Flächen benennen.
In Berlin gibt es pro Jahr rund 1.600 Zwangsräumungen, nicht wenige enden
mittelfristig in der Obdachlosigkeit. Wäre das nicht ein Ansatz, um
Obdachlosigkeit zu vermeiden?
Ich war als Bundestagsabgeordnete mit dem Bündnis „[14][Zwangsräumungen
verhindern]“ im Austausch. Aber ob man das grundsätzlich verbieten kann,
stelle ich infrage. Es muss im Vorfeld einer Zwangsräumung verstärkt
Sozialarbeit geleistet werden, auch durch die Bezirke. Dazu ist es
erforderlich, dass die Behörden sich gegenseitig informieren. Wenn eine
Räumungsklage eingereicht wird, muss das Signal an den Bezirk gehen: Hey,
hier stimmt was nicht. Menschen müssen angesprochen werden: Brauchen Sie
Hilfe? Was können wir tun?
Wie ist da Ihre Rolle?
Wir müssen schauen, ob die Miete übernommen werden kann. Ich werde mit
meinen Senatskollegen darüber sprechen, wie wir den Informationsaustausch
verbessern können, damit es nicht zu Zwangsräumungen kommt. Überfällig wäre
auch, endlich Mieterhöhungen nach Zwangsräumungen zu untersagen. Hier ist
der Bund gefordert.
Was ist mit dem geplanten Pilotprojekt, Räumungsbescheide persönlich
zuzustellen, das jetzt [15][auf der Kippe steht]?
Das will ich auf jeden Fall in Angriff nehmen.
Es wird derzeit sehr viel geredet über die [16][Drogen- und
Gewaltproblematiken], etwa im [17][Görlitzer Park] in Kreuzberg. Beim
Sicherheitsgipfel waren Sie nicht dabei. Was sind Ihre Ideen, um der
Drogen-Epidemie beizukommen?
Die Drogenproblematik dort ist wirklich besorgniserregend. Das Innenressort
hat uns berichtet, dass viel mehr Drogen nach Berlin kommen, vor allem
Crack. Viele Dealer setzen auf Crack, weil das günstig ist, schnell
abhängig macht und die Konsumintervalle kürzer sind. Das macht die Leute
wirklich kaputt. Da muss auf jeden Fall starke Präventions- und
Sozialarbeit geleistet werden. Zugleich ist nicht hinnehmbar, dass der
Görlitzer Park gerade für Mädchen und Frauen ein Angstraum geworden ist.
Wir sind uns im Senat einig, dass wir Maßnahmen der Prävention auch mit
verstärkten [18][Sicherheitsanstrengungen] begleiten müssen.
Viele der geplanten Maßnahmen des Gipfels berühren auch Ihre
Themenbereiche, darunter Antidiskriminierung. Mit der verstärkten
Polizeipräsenz, gerade im Wrangelkiez, gibt es Befürchtungen, dass zum
Beispiel [19][Racial Profiling] weiter zunehmen könnte.
Man kann nicht leugnen, [20][dass es Racial Profiling gibt]. Das erlebe ich
ja selbst. Zum Beispiel, wenn ich Bahn fahre. Ich werde immer nach meinem
Ticket gefragt. Mein Mann, er ist „biodeutsch“, sitzt neben mir und muss
nichts vorzeigen. Das Problem sprechen wir auch an. Die Polizei ist
heutzutage aber sensibler und problembewusster als noch vor einigen Jahren.
Das Profil Ihrer Senatsverwaltung ist gleich um drei Bereiche gewachsen: Zu
Integration, Arbeit und Soziales gesellen sich nun Gleichstellung, Vielfalt
und Antidiskriminierung. Hat die Entscheidung auch etwas mit dem
rassistischen Wahlkampf Ihres Koalitionspartners CDU zu tun?
Die [21][rassistische Namenskampagne] haben wir in den
Koalitionsverhandlungen immer wieder angesprochen. Wir haben klargemacht,
dass das nicht geht. Das war wirklich emotional. Kai Wegner hat sich dann
ja auch entschuldigt für sein Verhalten. Und jetzt hat er gegenüber seinen
Kollegen in anderen CDU-Landesverbänden, zum Beispiel bei der
[22][Gillamoos]-Geschichte, eine [23][dezidiert andere Seite] gezeigt. Für
mich war wichtig, dass jetzt alle sozialen Arbeitsgebiete unter einem Dach
versammelt sind.
Wie regiert es sich denn zusammen mit der CDU? Sie haben der schwarz-roten
Koalition ja zugestimmt, obwohl Sie eher zum linken Flügel der SPD zählen.
Das war keine einfache Entscheidung. Ich habe auf Bundesebene immer gegen
die Groko gekämpft. Und es kann auch wieder andere politische Mehrheiten
geben. Aber die Sondierungsgespräche mit Linken und Grünen haben das nicht
hergegeben. Es reicht nicht, nur in Fragen der Vielfalt oder beim
Antirassismus einig zu sein.
Sondern?
Mit der CDU haben wir inhaltlich mehr für die Stadt erreicht. Auch im
Bundesrat hat der schwarz-rote Senat fortschrittliche Politik nicht
blockiert und beispielsweise das Fachkräfteeinwanderungsgesetz und den
inklusiven Arbeitsmarkt durchgesetzt. Die Ausgleichsabgabe für Unternehmen,
die keine Menschen mit Behinderungen einstellen, wurde verdoppelt.
Verdoppelt! Das ist für viele in der Wirtschaft ein No-Go. Da hat die CDU
mitgemacht, Berlin hat zugestimmt.
Also, man kann durchaus gut mit der CDU arbeiten?
Ja. Wir haben einen guten Koalitionsvertrag.
20 Sep 2023
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## AUTOREN
Marie Frank
Jonas Wahmkow
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