| # taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Räumungen als letztes Mittel | |
| > Ein Pilotprojekt zur Verhinderung von Zwangsräumungen steht unter dem | |
| > neuen schwarz-roten Senat auf der Kippe. | |
| Bild: Bei einer Protestaktion des Bündnisses Zwangsräumung verhindern 2021 | |
| Berlin taz | Die Linke sorgt sich um ein unter ihrer ehemaligen | |
| [1][Justizsenatorin Lena Kreck] angeschobenes Projekt, das | |
| [2][Zwangsräumungen verhindern] soll. Im vergangenen Jahr haben die | |
| Justizverwaltung sowie das Kammergericht und mehrere Amtsgerichte das | |
| Pilotprojekt „Zustellung von Räumungsklagen durch Justizbedienstete“ | |
| erarbeitet, das noch in diesem Jahr in Lichtenberg in die Testphase gehen | |
| sollte. | |
| Nun aber droht das Vorhaben an rechtlichen Bedenken zu scheitern, wie aus | |
| einer Antwort der Senatsverwaltung von Justizsenatorin Felor Badenberg | |
| (parteilos) hervorgeht, die der taz vorliegt. | |
| Bislang läuft das Verfahren so: Mieter*innen, die mit ihren Miet- oder | |
| Nebenkostenzahlungen in Verzug geraten und zwei Monatsmieten schuldig sind, | |
| können von ihren Vermieter*innen fristlos gekündigt werden. Kommen sie | |
| einer Aufforderung, die Wohnung zu räumen, nicht nach, folgt die Erhebung | |
| einer Räumungsklage beim zuständigen Amtsgericht. Die Klage bekommen die | |
| Mieter*innen per Post zugestellt. Reagieren sie nicht, erlässt das | |
| Gericht unweigerlich einen Räumungstitel. Ein Gerichtsvollzieher kommt und | |
| setzt die Zwangsräumung durch. | |
| Laut Sebastian Schlüsselburg, dem rechtspolitischen Sprecher der | |
| Linksfraktion, [3][sind vor allem „Menschen in psychischen | |
| Ausnahmesituationen oder mit Suchtproblemen“ betroffen]. Menschen also, | |
| deren Briefkästen überquellen und die auch amtliche gelbe Briefe nicht mehr | |
| wahrnehmen. Die Idee des Projekts sei daher, eine weitere Schleife zu | |
| drehen, um Zwangsräumungen zu verhindern. | |
| Statt einer rein postalischen Zustellung sollen Justizbedienstete die | |
| Klagen persönlich zustellen, notfalls mit mehreren Versuchen und ergänzt um | |
| Informationen zu Hilfsangeboten. Denn auch nach Klageerhebung kann eine | |
| Räumung immer noch durch die Begleichung der Schulden abgewendet werden; | |
| Sozialämter oder Jobcenter kommen für die Kostenübernahme infrage. | |
| ## Justizsenatorin hält sich bedeckt | |
| Schlüsselburg spricht von einem „gut vorbereiteten Projekt“. Der Staat | |
| könne nicht daran interessiert sein, dass Menschen ihre Wohnungen | |
| verlieren, um dann in Sozialeinrichtungen wie Wohnungslosenunterkünften zu | |
| landen. Justizsenatorin Badenberg dagegen hält sich bedeckt. In einer | |
| Antwort auf eine taz-Anfrage teilt ihre Verwaltung mit: Die Senatorin | |
| „teilt die hinter dem Projekt stehende Annahme, dass zur Bekämpfung der | |
| Wohnungs- und Obdachlosigkeit im Land Berlin auch neue Ansätze geprüft | |
| werden müssen“. Es müsse jedoch untersucht werden, ob das Projekt | |
| „rechtlich möglich und inhaltlich zielführend ist“. Demnach ist „die | |
| Meinungsbildung zur Fortführung dieses konkreten Projekts noch nicht | |
| abgeschlossen“. | |
| Im Zentrum der rechtlichen Prüfung, die noch von Lena Kreck in Auftrag | |
| gegeben wurde, stehe die Vereinbarkeit mit der Zivilprozessordnung, „nach | |
| der Räumungssachen 'vorrangig und beschleunigt durchzuführen’ sind“. Dies | |
| trage dem besonderen Risiko von Vermieter*innen Rechnung, deren | |
| Mietausfälle steigen, je länger der Räumungsprozess dauert. Die | |
| vorgesehenen „wiederholten Zustellungsversuche“ stünden im | |
| „Spannungsverhältnis zum bundesgesetzlichen besonderen | |
| Beschleunigungsgebot“. | |
| Laut der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Schlüsselburg an den | |
| Senat soll die Entscheidung über das Projekt „bis Herbst“ fallen. | |
| Schlüsselburg sagt: „Ich hoffe sehr, dass es jetzt auch umgesetzt wird und | |
| nicht unter dem politischen Deckmantel einer Rechtsprüfung beerdigt wird.“ | |
| Der Abgeordnete spricht von einem „Spielraum“, den das Bundesgesetz lasse. | |
| Es sei also eine Frage des Wollens. | |
| Die sozialen Wohnhilfen der Bezirke haben laut einer Linke-Anfrage vom März | |
| vergangenen Jahres zwischen 2017 und dem ersten Halbjahr 2021 etwa 17.000 | |
| Räumungsklagen erfasst. In vielen Fällen fallen die Räumungsurteile als | |
| Versäumnisurteile, also ohne dass die beklagten Mieter*innen Widerspruch | |
| eingelegt hätten. Das zumindest legen Zahlen aus Pankow nahe. Von 544 | |
| Räumungsurteilen ergingen drei Viertel als Versäumnisurteil. Zum Stichtag | |
| 31. Dezember 2022 waren mehr als 33.000 Wohnungslose von den Bezirken | |
| untergebracht. | |
| 4 Jul 2023 | |
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| [2] /81-Jaehrige-ueber-Zwangsraeumung/!5900836 | |
| [3] /Zwangsraeumung-in-Kreuzberg/!5806469 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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