# taz.de -- Zwangsräumung ohne Schonfrist: „Masche von manchen Vermietern“ | |
> 2022 verloren jeden Tag Menschen durch Zwangsräumungen ihre Wohnungen. Wo | |
> bleibt der verbesserte Kündigungsschutz? | |
Bild: Oktober 2023 Berlin-Kreuzberg: Protest gegen die Zwangsräumung eines 69-… | |
BERLIN taz | Im Jahr 2022 gab es bundesweit laut Bundesjustizministerium | |
mindestens 27.319 Zwangsräumungen. Die meisten fanden demnach in | |
Nordrhein-Westfalen (8.690) statt, gefolgt von Bayern (2.579), | |
Niedersachsen (2.288) und Sachsen (2.265). Insgesamt dürften es noch mehr | |
sein. Denn die Daten aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern | |
fehlen in der Auflistung. | |
Die [1][Bundestagsabgeordnete Caren Lay] (Linke), die diese Zahlen | |
abgefragt hat, geht von etwa 30.000 Zwangsräumungen pro Jahr aus, indem sie | |
die Daten der beiden Bundesländer aus der Deutschen Gerichtsvollzieher | |
Zeitung hinzuzählt. Damit käme man im Schnitt auf 82 Zwangsräumungen pro | |
Tag. | |
Dennoch bleibt das Thema in weiten Teilen eine Black Box. Es gibt nur wenig | |
Erkenntnisse dazu, wer genau warum oder auch wie viele Kinder von | |
Zwangsräumungen betroffen sind. Auch ist unklar, was mit den Menschen nach | |
Zwangsräumungen eigentlich passiert. Dabei ist es erklärtes Ziel der | |
Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu | |
überwinden. | |
Im [2][Statistikbericht 2021 der Bundesarbeitsgemeinschaft | |
Wohnungslosenhilfe] nannte fast jede siebte hilfesuchende Person eine | |
Zwangsräumung als Grund für den Wohnungsverlust. Fast zwei Drittel von | |
ihnen gaben Mietschulden als Grund für die Zwangsräumung an, 6 Prozent | |
aufgrund von Eigenbedarf. | |
Zumindest einen Teil der Zwangsräumungen könnte man durch einen | |
verbesserten Kündigungsschutz verhindern. Werden Mieter*innen wegen | |
Mietschulden fristlos gekündigt, dann gibt es derzeit eine | |
Schonfristregelung: Wenn innerhalb von zwei Monaten die Mietschulden selbst | |
oder durch das Jobcenter beglichen werden, wird die Kündigung unwirksam. | |
Das Problem ist: Diese Schonfristregelung gilt nicht bei ordentlichen | |
Kündigungen. | |
„Warum das so ist, versteht kein Mensch“, sagt Jutta Hartmann vom Deutschen | |
Mieterbund der taz. „Der Gesetzgeber muss dringend die Schonfristregelung | |
auf die ordentliche Kündigung ausweiten. Das ist ein echter Missstand.“ Zu | |
beobachten sei in angespannten Wohnlagen „eine Masche von manchen | |
Vermietern, eine außerordentliche und eine ordentliche Kündigung | |
auszusprechen, um genau diese Gesetzeslücke auszunutzen.“ Ein Mieterwechsel | |
sei „die Gelegenheit, die Mieten wieder zu erhöhen“, erklärt sie. | |
Eigentlich wollte die Ampelregierung das Problem anpacken. „Um die Ursachen | |
drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen, werden wir das Mietrecht, | |
insbesondere dort, wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des | |
Mietverhältnisses entgegenstehen, evaluieren und entgegensteuern“, steht im | |
Koalitonsvertrag. Doch bislang ist nichts passiert. | |
## Uneinigkeit in der Ampel-Koalition | |
Es werde derzeit geprüft, „ob und inwieweit es in Bezug auf Zwangsräumungen | |
gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt“, erklärt das für Mietrecht | |
zuständige FDP-geführte Bundesjustizministerium auf Nachfrage der taz. Eine | |
Entscheidung „über etwaige Änderungen in Bezug auf Schonfristzahlungen“ s… | |
noch nicht getroffen. Das Ministerium betont zudem, dass „die Behandlung | |
von Schonfristzahlungen auch nicht für alle Zwangsräumungen relevant“ sei. | |
Diese vage Antwort des Ministeriums ist wohl auch darauf zurückzuführen, | |
dass das Thema in der Koalition sehr unterschiedlich bewertet wird. Während | |
SPD und Grüne Handlungsbedarf sehen, ist die FDP skeptisch. | |
Die SPD-Abgeordnete Zanda Martens kritisiert gegenüber der taz, dass die | |
[3][Zahl der Wohnungslosen] „in den letzten Jahren dramatisch“ gestiegen | |
sei. Man müsse daher vor allem „die Mieterinnen und Mieter vor einer | |
Kündigung schützen, die ihre Mietschulden doch noch zurückzahlen“, sagt sie | |
und verweist auf das Koalitionsvorhaben zu den Schonfristzahlungen. Sie | |
hofft nun auf baldige Einigung, „um die vielen Mieterinnen und Mieter in | |
diesem Land besser vor Wohnungslosigkeit zu schützen.“ | |
Darauf hofft auch die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne). „Zur | |
Abwendung von Gefahren für Leib und Leben sollte nur dann geräumt werden | |
dürfen, wenn eine Ersatzunterkunft nachweislich zur Verfügung steht“, | |
fordert sie weiter. Die Realität sei aber, „dass Menschen in die | |
Obdachlosigkeit geräumt werden. Selbst Familien mit Kindern.“ | |
## Unzureichende Datenlage | |
Der wohnungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Daniel Föst, hält von | |
mietrechtlichen Verschärfungen aber wenig. „Weitergehende gesetzliche | |
Regelungen – auch bei Zwangsräumungen – halte ich nicht für notwendig.“ | |
Durch einen Zahlungsausfall werde „das Mieter-Vermieter-Verhältnis | |
langfristig gestört.“ Dieses Vertrauen lasse sich „nur schwer | |
zurückgewinnen“, erklärt er der taz. | |
Im Januar 2023 publizierte das Deutsche Institut für Menschenrechte das | |
[4][Papier „Zwangsräumungen als Menschenrechtsverletzung“]. Zwangsräumung… | |
in Deutschland könnten „beispielsweise gravierende Eingriffe in das Recht | |
auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und das Recht auf | |
Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG)“ darstellen, heißt es darin. | |
Sie könnten zudem „zu Wohnungslosigkeit führen und damit unter anderem zur | |
Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen | |
Existenzminimums einschließlich einer Unterkunft (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 | |
Abs. 1 GG).“ Im Bericht wird auch die unzureichende Datenlage in | |
Deutschland kritisiert. | |
4 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Linkenpolitikerin-uebers-Wohnen/!5880216 | |
[2] https://www.bagw.de/de/themen/statistik-und-dokumentation/statistikberichte… | |
[3] /Wohnungslosigkeit-in-Deutschland/!5971851 | |
[4] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/zwangsraeu… | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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