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# taz.de -- Anwältin über Zwangsräumungen: „Manche trifft es unter Dusche�…
> Rechtsanwältin Carola Handwerg betreute einige Fälle, in denen Menschen
> unvorbereitet aus der Wohnung geworfen wurden. Sie fordert eine
> Gesetzesänderung.
Bild: Proteste gegen Zwangsräumungen haben meist wenig Erfolg
taz: Frau Handwerg, darf man nach geltender Rechtslage Menschen einfach so
auf die Straße räumen?
Carola Handwerg: Einfach so natürlich nicht, es bedarf eines
Räumungstitels. Erst dann kann ein Gerichtsvollzieher die Räumung
durchführen.
Muss sichergestellt werden, dass die Person, die geräumt wird, eine andere
Unterkunft hat?
Das ist leider nicht so. Wenn der Vermieter ein Räumungsurteil erwirken
konnte, müssen die ursprünglichen Mieter selbst gucken, wo sie bleiben.
Was passiert mit den Sachen aus einer geräumten Wohnung?
Der Vermieter bzw. Gerichtsvollzieher*in ist verpflichtet, die Sachen
einen Monat lang aufzubewahren. Danach kann das, was verwertet werden kann,
verwertet werden, der Rest wird vernichtet.
Vernichtet?
Es ist wirklich dramatisch. Da gehen alle Papiere aus einem Leben verloren,
Zeugnisse, Geburtsurkunden, alles. Ich hab immer wieder Fälle, wo mich
entsetzt Menschen anrufen und sagen, ich bin gerade geräumt worden. Ich
sage dann, aber da muss es doch ein Gerichtsverfahren gegeben haben und ein
Urteil – nur leider gibt es viele, die [1][aus psychischen Gründen nicht in
der Lage] sind, sich um ihre Post zu kümmern. Und diese Menschen trifft
eine Zwangsräumung quasi unter der Dusche oder am Frühstückstisch.
Wäre es zumindest möglich zu regeln, dass niemand geräumt werden darf,
solange es keine andere Unterkunft gibt?
Natürlich wäre das möglich, wenn der Bundesgesetzgeber das will. In
Frankreich ist es zum Beispiel verboten, im Winter zu räumen. Ich hatte im
Dezember des vergangenen Jahres eine alleinerziehende Mutter mit einem
Kind, die kurz vor Weihnachten geräumt wurde. Das war so furchtbar. Man
kann natürlich fragen, warum machen Eigentümer das, weil die die
Zwangsvollstreckungsaufträge ja auslösen. Aber die eigentliche Frage ist:
Warum schreitet der Gesetzgeber da nicht ein?
Gibt es keinen Schutzmechanismus? Es ist doch ein Anliegen der
Bundesregierung, dass Menschen nicht wohnungslos werden.
Ja, das sollte man meinen. Mit dem Eingang einer Räumungsklage sind die
Gerichte verpflichtet, das Sozialamt zu unterrichten. Aber die Behörden
gehen damit sehr unterschiedlich um. In Berlin wurden zum Beispiel in
Neukölln Sozialarbeiter losgeschickt, um an der Tür zu klingeln. Andere
Bezirke schicken einfach nur einen Brief ab und das war es dann. Aber es
gibt sehr viele Menschen, die aus Angst vor negativer Post nicht mehr an
den Briefkasten gehen. Und die könnte ein Sozialarbeiter erreichen. Dann
gäbe es auch die Chance, einen Räumungsschutzantrag zu stellen.
Es gibt unterschiedliche Gründe für Zwangsräumungen. Zahlungsunfähigkeit
ist sehr häufig, es kann aber auch Eigenbedarf geltend gemacht werden. Gibt
es Härtefallregelungen, wenn zum Beispiel jemand schon sehr alt oder krank
ist?
Beim Beispiel der Eigenbedarfskündigung findet eine Härtefallabwägung
statt, wenn man rechtzeitig Widerspruch eingelegt hat. Das sind natürlich
Hürden, die meist nur genommen werden können, wenn man eine Rechtsberatung
hat. Wenn nach einer Härtefallabwägung in erster und zweiter Instanz eine
Räumung rechtskräftig wird, gibt es nur zwei Stellschrauben: Man kann einen
Verlängerungsantrag bei der Räumungsfrist stellen. Und wenn sich der
Gerichtsvollzieher ankündigt, kann man noch einen Räumungsschutzantrag
stellen. An dieser Stelle könnte ein ärztliches Attest erwirken, dass der
Räumungstermin wieder abgesagt wird.
Wie oft passiert das?
Dafür ist die Hürde sehr groß. Es muss schon eine begründete Suizidgefahr
vorliegen. Die Gerichte wollen sehen, dass die Person schon eine konkrete
Vorstellung hat, wie sie ihren Suizid ausführen will. Das klingt
sarkastisch, aber es ist tatsächlich so. Erst wenn so ein qualifiziertes
Attest vorliegt, hat man eine Chance, eine Räumung abzuwenden. Aber
[2][älteren, kranken Menschen, Menschen mit Kindern, oder im Fall der
alleinerziehenden Mutter hilft das nicht weiter.]
Das ist hart.
Ja. Es haben schon mehrfach Menschen nach der Räumung Suizid begangen. 2013
ist in Berlin eine Frau nach ihrer [3][Räumung in einer
Obdachlosenunterkunft] gestorben. Und der Fall der bereits erwähnten
alleinerziehenden Mutter mit ihrer Tochter hat mich auch tief erschüttert.
Sie hatte die ganze Wohnung schön gemacht vor Weihnachten, wir hatten ein
Attest vom Kinderarzt, wir hatten ein Schreiben von der Schule, wie
wichtig es ist, das Kind nicht aus der Umgebung zu reißen. Es war mitten im
Winter. Aber es hat alles nichts geholfen. Diese Mutter und dieses Kind
wurden geräumt.
Wo sind die beiden untergekommen?
Bei Freunden.
Wie war das bei anderen Fällen, die Sie betreut haben?
Vielen gelingt es rechtzeitig, eine neue Wohnung zu finden. Einige
schließen aber prekäre Untermietverträge ab. Andere kommen bei Freunden
oder Familie unter. Ganz schlimm sind die Fälle, die quasi von der
Zwangsräumung kalt erwischt werden. Davon hatte ich im vergangenen Jahr
drei Fälle. Die stehen dann tatsächlich völlig unvorbereitet vor einer
verschlossenen Tür, und wenn da nicht ein familiäres Netzwerk oder Freunde
existieren, dann landen sie auf der Straße.
Ein häufiger Grund für Zwangsräumungen sind Miet- oder Energieschulden . Es
wird immer wieder bemängelt, dass es bei einer ordentlichen Kündigung keine
Schonfristregelung gibt, mit der man innerhalb von zwei Monaten seine
Schulden begleichen und die Kündigung abwenden kann. Bei einer
außerordentlichen Kündigung gibt es eine solche Schonfrist. Warum wird das
nicht gemacht?
Mir fällt kein Grund ein, außer dass die Vermieterlobby sehr stark ist.
Zumindest steht im Koalitionsvertrag der Plan, dass die Schonfristregelung
auf die ordentliche Kündigung ausgeweitet werden soll. Das könnte der
Gesetzgeber ganz einfach klarstellen: Man braucht im Prinzip nur einen
Absatz einfügen, dass die Schonfristregelung auch entsprechend für die
meist hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung gilt.
4 Apr 2024
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## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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