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# taz.de -- Zwangsräumung mit 81 Jahren: Leben in Unordnung
> Monika Bauer musste wegen einer Eigenbedarfskündigung ihre Wohnung
> räumen. Die Obdachlosigkeit blieb ihr erspart, ihr Verdränger zog aber
> nie ein.
Bild: Zwangsräumungen sind immer häufiger die Folge von Eigenbedarfskündigun…
Berlin taz | „Physisch und psychisch ging ich am Stock“, sagt [1][Monika
Bauer] (Name geändert) im Rückblick. Sie meint damit die Zeit vor rund
einem Jahr, als ihr ihre [2][Zwangsräumung] noch bevorstand. Der Käufer
ihrer Wohnung hatte Eigenbedarf angemeldet und diesen gerichtlich
durchgesetzt. Die Angst vor Obdachlosigkeit hatte die damals 81-Jährige
fest im Griff, sie hatte sie gelähmt, aber auch ihren Widerstandsgeist
mobilisiert. Der taz hatte sie in einem Interview davon berichtet. Doch
alles Bangen und Kämpfen half nichts: Ende April musste Bauer ihre Wohnung
in Wilmersdorf, in der sie fast 40 Jahre lebte, verlassen.
Acht Monate danach merkt man ihr die Aufregung noch an, wenn sie ohne Punkt
und Komma von der Phase erzählt, die ihr Leben so in Unordnung brachte. Die
grauen Haare sind zerzaust, aber Bauers Erzählung ist es nicht. Das
Gespräch findet bei einem Bäcker in Schmargendorf statt, der bestellte
„Latte“ vor ihr bleibt lange unberührt. Für den kurzen Weg von ihrer neuen
Wohnung musste Bauer den Gehstock nehmen – der ist ihr aus der Zeit
geblieben. Die psychische Belastung dagegen, die „ist jetzt vorbei“, sagt
sie.
Wirklich angekommen ist die ehemalige Lehrerin in ihrer neuen Umgebung
bislang aber nicht. Das Beste, was ihr dazu einfällt: Ihre alte Buslinie,
der 249er, bringt sie in nur sieben Haltestellen zur Blissestraße in ihr
früheres Leben. Dorthin, wo sie all ihre Nachbar:innen kennt und wo ihr
Stammcafé ist. In ihrem neuen Haus, einem Seniorenwohnhaus der Degewo, kann
sie mit den Nachbar:innen wenig anfangen: „Die sind alle Frau Soundso,
aber ich kenne nur Du“, sagt Bauer. Über die alten Damen sagt sie mit wenig
Verständnis: „Die gehen zum Friseur.“
Monika Bauer dagegen will im Frühjahr wieder zum Plenum von Zwangsräumung
verhindern, einem Bündnis, das zusammen mit Betroffenen gegen den
erzwungenen Verlust von Wohnraum kämpft. Dorthin hatte sie sich in ihrer
Not vor mehr als einem Jahr nach einem Tipp aus einem Nachbarschaftszentrum
gewandt und war dann wöchentlich nach Kreuzberg zum Treffen gefahren. „Ich
fand die so toll, die Leute“, sagt Bauer.
## Aktiv bei Zwangsräumung verhindern
Im Kontakt mit den Aktivist:innen ist sie geblieben. So hat sie auch
von dem kürzlich durch das Bündnis publik gemachten Fall gehört, Reinhard
aus Kreuzberg: Im Dezember war der 69-jährige Mieter trotz Protest aus
seiner Wohnung in der Manteuffelstraße geräumt worden. Bauer findet gut,
dass ihre Freund:innen von Zwangsräumung verhindern den Rausschmiss
verhindern wollten: „Diesen zivilen Ungehorsam, das kannte ich vorher noch
nicht.“ Sie selbst würde sich nicht in den Weg eines Gerichtsvollziehers
setzen – „weil ich so schlecht aufstehen kann“. Mit einem Stuhl aber ginge
das.
Mit Begeisterung erzählt Bauer von der „Demo für mich“. Ende Februar, am
Tag, an dem sie ihre Wohnung ursprünglich geräumt übergeben sollte, hatte
das Bündnis eine Kundgebung organisiert – und alle Nachbar:innen seien
gekommen. Weil Bauers Anwalt noch eine zweimonatige Verlängerung der
Räumungsfrist bei Gericht erwirkt hatte, musste das Bündnis an diesem Tag
nicht blockieren, stattdessen wurden Reden gehalten und Flyer verteilt, die
um Hilfe bei der Wohnungssuche warben.
Die Rettung kam kurz darauf durch das Bezirksamt
Charlottenburg-Wilmersdorf. Nach einem Schreiben, das über den
bevorstehenden Wohnungsverlust informierte, kam es zu einem Treffen mit
einer Bezirksmitarbeiterin. Diese habe ihr dann die neue Wohnung angeboten.
Mit 40 Quadratmetern halb so groß wie die bisherige, bei gleich hoher Miete
und mit einem „ollen“ Linoleumfußboden. Bauer sagt, sie hatte die Hoffnung,
bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, sich nach kurzer Bedenkzeit dann
aber doch für den Umzug entschieden.
## Haushaltsauflösung
Was folgte, waren chaotische Wochen – „dann ging’s ans Eingemachte“, wie
Bauer sagt. Wenn sie davon erzählt, fallen sehr viele Namen – von
Freund:innen, Nachbar:innen und Familienangehörigen, die ihr alle
halfen, ihren Haushalt aufzulösen und den Umzug zu organisieren. Wochenlang
sei ihre Tür für alle offen gewesen, jede:r konnte nehmen, was er wollte.
Leid tut es Bauer um viele Bücher, Kunstbildbände oder Ökologiebücher, die
sie aus Platzmangel nicht mitnehmen konnte. „Ich dachte, irgendwann habe
ich Zeit und kann die in Ruhe lesen“, sagt sie.
Einer ihrer beiden Söhne kam aus Zürich und half bei der Renovierung der
neuen Wohnung und dem Umzug des verbliebenen Hausstands, eine Freundin
dekorierte die Wohnung. „Ich selbst hätte überhaupt nichts gekonnt und
geschafft“, sagt Bauer und fügt hinzu: „Ich konnte gar nicht fassen, wie
schön die das eingerichtet haben.“
Ende April, am Tag der Wohnungsübergabe, saß Bauer mit Nachbar:innen und
ihrem Anwalt in ihrem Wohnzimmer. Der Käufer ihrer Wohnung, der sie
herausgeklagt hatte, kam und übernahm vom Anwalt in der Küche die
Schlüssel. Bauer sagt: „Ich wollte den gar nicht sehen.“
2017 hatte ihr Verdränger ihre Wohnung gekauft, bei einer Besichtigung
gesagt, dass er kein Interesse habe, selbst in der Wohnung zu leben. Doch
schon im Januar 2018 folgte die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Über zwei
Instanzen konnte er diesen schließlich vor Gericht durchsetzen. Bauer fällt
damit unter die 1.150 Zwangsräumungen allein im ersten Halbjahr 2023 in
Berlin. Die Zahlen steigen: 2021 waren es über das ganze Jahr noch 1.668.
Immer häufiger ist Eigenbedarf der Grund dafür, so berichtet es auch das
Bündnis Zwangsräumung verhindern.
## Doch kein Eigenbedarf
Zumindest ist es der behauptete Grund. Bauers Eigentümer ist nie
eingezogen. Nur einen einzigen Tag habe sein Name am Klingelschild
gestanden, berichteten Nachbar:innen. Inzwischen habe sie erfahren, dass
die Wohnung zwangsversteigert wurde, womöglich sei der Eigentümer in
Zahlungsschwierigkeiten geraten. Vielleicht auch, weil sich Bauer so lange
gegen den Auszug wehren konnte, vermutet sie selbst. Momentan lässt der
neue Käufer die Wohnung sanieren. „Da wird wohl eine Luxuswohnung draus“,
sagt Bauer.
Nun überlegt sie, ob sie noch Schadenersatz erstreiten kann, weil sie
letztlich unter der falschen Behauptung des Eigenbedarfs gekündigt wurde.
Demnächst werde sie darüber mit ihrem Anwalt von der Mietergemeinschaft
sprechen.
Monika Bauer hat in den vergangenen Wochen auch häufiger an den ersten
erzwungenen Umzug in ihrem Leben gedacht. Am 12. August 1961 war sie, die
damals noch bei ihren Eltern in Prenzlauer Berg wohnte, zusammen mit ihrem
Freund bei einer Party in einem Studentenwohnheim im Westen. Als sie abends
am Bahnhof Eichkamp die S-Bahn zurück nach Haus nehmen wollten, habe der
Bahnhofswärter gesagt: „Da kommt keine Bahn mehr. In Staaken ziehen sie
einen Zaun“, wie Bauer sich erinnert.
Der nächste Tag ging als Tag des Mauerbaus in die Geschichte ein. Bauer
steckte 19-jährig, ohne Geld und Klamotten, im Westen fest und wusste
nicht, ob sie bleiben sollte oder nicht.
Besonders gereizt habe sie „der goldene Westen“ nicht. Schließlich habe ihr
Freund aufgrund der besseren Studienaussichten den Ausschlag gegeben zu
bleiben. Bauer wurde heimisch in Westberlin. 62 Jahre später folgte die
nächste Verdrängung.
4 Jan 2024
## LINKS
[1] /81-Jaehrige-ueber-Zwangsraeumung/!5900836
[2] /Zwangsraeumungen-in-Berlin/!5961722
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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Zwangsräumung
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