# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Jede Räumung hat ihren Preis | |
> Ob linke Kneipen, Kiez-Café oder einfache Mieter:innen: Wenn das Kapital | |
> Rendite sucht, müssen andere weichen. | |
Bild: Statt Kneipe ist es Anlageobjekt: Zwei Jahre nach der Räumung steht das … | |
Während Berlins Regierende Bürgermeisterin und ausgewiesene | |
Enteignungsgegnerin Franziska Giffey (SPD) [1][mit ihrem vagen Vorschlag, | |
Mieten an Einkommen zu koppeln und zu deckeln], für Unverständnis und | |
Ratlosigkeit sorgt, sehen sich Gewerbetreibende weiter schutzlos der | |
Willkür ihrer Vermieter*innen ausgeliefert. | |
Denn in der Hauptstadt des Mietenwahnsinns explodieren neben den Mieten für | |
Wohnungen auch die für Gewerbe. Das ist nämlich nicht nur von der | |
Mietpreisbremse ausgeschlossen, wodurch Mieterhöhungen keine Grenzen | |
gesetzt sind, sondern genießt auch kaum Kündigungsschutz und kann im | |
Prinzip jederzeit gekündigt werden. | |
Ob Kitas und Kinderläden, Arztpraxen und Apotheken oder autonome Zentren | |
und Kultureinrichtungen – immer mehr soziale Einrichtungen in Berlin sind | |
durch diese Entwicklung von Verdrängung bedroht. Als nächstes wird es wohl | |
das [2][Bateau Ivre in der Oranienstraße in Kreuzberg treffen.] Das Café | |
und Restaurant direkt am Heinrichplatz soll am 8. Juni nach 23 Jahren | |
Betrieb zwangsgeräumt werden. | |
Der Betreiber hatte im Lockdown zwei Monatsmieten verspätet gezahlt, | |
woraufhin ihm der Vermieter fristlos kündigte. Die | |
Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg versucht, die | |
Räumung noch zu stoppen und will an diesem Mittwoch die Resolution „Das | |
‚Bateau Ivre‘ muss bleiben“ beschließen. | |
Schließlich sei das Café ein „wichtiger Treffpunkt für die Anwohner*innen�… | |
einer der „rar gewordenen Orte (…), an dem die bunt gemischte Nachbarschaft | |
zusammenkommt“ und auch „Menschen mit geringerem Einkommen einen Platz“ | |
finden, wie es in dem Antrag der Grünen heißt. Der Betreiber Atalay Aktaş | |
[3][ruft in einer Petition zum Erhalt des Bateau Ivre] auf. | |
Kommt es zu keiner Einigung sieht er nur zwei Möglichkeiten: „Entweder wir | |
demontieren den Laden eine Woche vorher. Oder wir liefern uns eine | |
Straßenschlacht mit dem Gerichtsvollzieher und den Polizisten.“ | |
## Die Geister des Syndikats | |
Einer der bezahlbaren und bunt gemischten Nachbarschaftsläden, die der | |
rasanten Verdrängungswelle in Berlin bereits zum Opfer gefallen sind, ist | |
die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat. Eine Straßenschlacht gab es bei der | |
Räumung im August 2020 zwar nicht, dennoch steht an diesem Donnerstag einer | |
der Hunderten Demonstrant*innen, die [4][in einem vierzehnstündigen | |
Protestmarathon] gegen die Räumung protestiert hatten, vor Gericht. | |
Fast zwei Jahre lang hatte die linke Kneipe einen [5][juristischen und | |
politischen Existenzkampf] geführt und dabei das Briefkastengeflecht und | |
Immobilienimperium der [6][britischen Milliardärsfamilie Pears aufgedeckt.] | |
Am Ende half alles nichts, trotz [7][überwältigender Unterstützung aus dem | |
Kiez] wurde das Syndikat mit einem martialischen Polizeiaufgebot von über | |
1.000 Polizist*innen, Helikoptern und einer großflächigen Sperrzone | |
geräumt. | |
Damit die Festgenommenen, denen nun der Prozess gemacht wird, nicht alleine | |
sind, rufen Unterstützer*innen zu einer [8][solidarischen Kundgebung | |
gegen Repression und für Autonome Freiräume auf.] (Donnerstag 2. Juni, 10 | |
Uhr vor dem Amtsgericht Tiergarten, Kirchstr. 6). | |
So tragisch der Verlust von soziokulturellen Freiräumen für einen Kiez auch | |
sind, noch tragischer ist der Verlust der eigenen vier Wände für | |
Mieter*innen, die danach im schlimmsten Fall auf der Straße landen. Laut | |
einer Befragung der Berliner Sozialämter k[9][am es in Berlin im Jahr 2019 | |
zu sage und schreibe 3.482 Räumungsklagen] – also zu fast zehn täglich. | |
Die tatsächliche Zahl dürfte sogar noch um einiges höher liegen, denn | |
Räumungsklagen aufgrund von Eigenbedarf oder wegen Fehlverhaltens der | |
Mieter*innen sind in der Zahl nicht enthalten. Davon ist auch ein Mieter | |
aus Steglitz betroffen, der laut dem Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ | |
seit 30 Jahren in seiner Wohnung wohnt, und dem nun die Zwangsräumung | |
droht. Demnach wurde die Wohnung 2018 an die Eigentümer eines Berliner | |
Luxusladens verkauft, die umgehend Eigenbedarf anmeldeten. | |
Das Gericht gewährte einen Räumungsaufschub bis zum 30. November dieses | |
Jahres, da die Eigentümer jedoch bislang alle Gespräche verweigern würden, | |
um das Zuhause des langjährigen Mieters zu retten, [10][ruft das Bündnis | |
für diesen Freitag zu einer Kundgebung vor dem Geschäft der Eigentümer auf] | |
(3. Juni, 17 Uhr, Kurfürstendamm 43). | |
Frauen* und ihre Kämpfe | |
Nicht nur die Mietenpolitik gehört reformiert und das Recht auf Wohnen | |
konsequent umgesetzt, auch Sexarbeiter*innen fordern in dieser Woche | |
mehr Rechte ein. Anlässlich des Internationalen Hurentags am 2. Juni wollen | |
in Berlin auch in diesem Jahr wieder Hunderte Sexarbeiter*innen auf | |
die Straße gehen. | |
Unter dem Motto „Redet mit statt über uns“ fordern | |
Branchenvertreter*innen mehr Mitspracherecht bei der Evaluation des | |
Prostituiertenschutzgesetzes sowie dessen Umsetzung auf Landesebene. Um | |
Politiker*innen und die Gesellschaft daran zu erinnern, dass die | |
Entkriminalisierung das einzige Rechtsmodell ist, das | |
Sexarbeiter*innen unterstützt und schützt, ruft die Sex Worker Action | |
Group Berlin für diesen Samstag [11][zu einer Demonstration für die Rechte | |
von Sexarbeitenden auf.] (4. Juni, 17 Uhr, Hardenbergplatz). | |
Frauen* und ihre Kämpfe sind in dieser Woche auch Thema eines | |
[12][Filmscreenings im IL-Kino. „Women* What we are fighting for“] handelt | |
von lesbischen Personen, die für Frauen- und LGBTQ+-Rechte kämpfen. | |
Aktivist*innen aus der Ukraine, Deutschland, Russland, Kasachstan, | |
Niederlande, Brasilien, Moldau und Kroatien erzählen darin aus ihrem Leben. | |
Nach dem Film werden die beiden ukrainischen Regisseurinnen Viktoria Guyvik | |
und Alina Sevchenko, die vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine | |
geflohen sind, über die aktuelle Situation von queeren Aktivist*innen | |
in ihrem Heimatland berichten. Die Erlöse gehen an [13][“Kharkiv Pride“], | |
wo sie der queeren Community in der Ukraine zu Gute kommen (5. Juni, 17 | |
Uhr, IL-Kino, Nansenstr. 22,). | |
1 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Wohnungspolitik-in-Berlin/!5854973 | |
[2] /Cafe-Bateau-Ivre-in-der-Oranienstrasse/!5853731 | |
[3] https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-das-bateau-ivre-kultbar-… | |
[4] /Raeumung-der-Kneipe-Syndikat-in-Berlin/!5705833 | |
[5] /Am-Tresen-vom-bedrohten-Syndikat/!5640949 | |
[6] /Linke-Kneipe-enttarnt-Immobilienriesen/!5548679 | |
[7] /Raeumung-des-Syndikat-in-Berlin/!5701735 | |
[8] https://stressfaktor.squat.net/node/213915 | |
[9] /Wohnungslosenhilfe-in-Berlin/!5773121 | |
[10] https://zwangsraeumungverhindern.nostate.net/2022/05/25/zwangsraeumung-von… | |
[11] https://stressfaktor.squat.net/node/213105 | |
[12] https://ilkino.de/ | |
[13] http://kharkivpride.org.ua/ | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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