| # taz.de -- Zwangsräumungen wegen Brandschutzmängeln: Rausschmiss ohne Warnung | |
| > In Duisburg-Hochfeld kämpft ein Kulturzentrum gegen strukturellen | |
| > Rassismus und Zwangsräumungen. Die treffen vor allem viele Rom*nja. | |
| Bild: Für die einen Problemviertel, für die anderen Wohnzimmer: Duisburg-Hoch… | |
| Duisburg taz | Hochfeld ist ein kompliziertes Viertel. Der ehemalige | |
| Arbeiterstadtteil ist über die Stadtgrenzen Duisburgs hinaus als | |
| Problemviertel verschrien. Steigt man früh morgens an der Haltestelle | |
| Brückenplatz aus der 903, die nach wenigen unterirdischen Stationen zur | |
| Straßenbahn wird, sind die Straßen bereits bevölkert. Die belebte Wanheimer | |
| Straße ist gesäumt von türkischen Bäckereien, Reisebüros, Spielhallen und | |
| bulgarischen Lebensmittelläden. Es riecht nach warmem Asphalt, frisch | |
| gebackenem Brot und ein kleines bisschen auch nach dem Abfall in den | |
| überquellenden Mülleimern. | |
| Lena Wiese steht in ihrer Bomberjacke vor der Tür des ehemaligen „Zum St. | |
| Johann“ am Hochfelder Markt. Hinter den rustikalen Buntglasfenstern der | |
| alten Eckkneipe befindet sich heute das ZK, das Zentrum für Kultur | |
| Hochfeld, ein bunter Raum mit Sperrmüllmöbeln und Retro-Stehlampen. „Wir | |
| wollen ein Wohnzimmer für den Stadtteil sein“, sagt Wiese. Den negativen | |
| Blick auf das Viertel teilt sie nicht. | |
| Wiese wohnt in der Nachbarschaft und hat das ZK vor ein paar Monaten | |
| gegründet. „Auch aus Wut“, sagt sie, darüber, wie die Stadt mit einigen | |
| ihrer Bewohner*innen umgehe. | |
| Als die Industrie in den 80ern verschwand, stieg in Hochfeld die | |
| Arbeitslosigkeit. Folgen waren Armut und Kriminalität. Häuser verfielen. | |
| Menschen zogen weg. 55,9 Prozent hier haben keinen deutschen Pass. In den | |
| letzten Jahren gab es einen vermehrten Zuzug aus Rumänien und Bulgarien, | |
| viele der Leute sind Rom*nja. | |
| ## Stadt gründete die Taskforce „Problemimmobilien“ | |
| Zusammen mit Özkan Ulucan, Klaus Steffen und einigen anderen Freiwilligen | |
| veranstaltet Wiese nun Konzerte, Kneipen-Abende und politische Vorträge im | |
| ZK. Außerdem bieten sie eine Sozialberatung an. Auf diese wartet um kurz | |
| vor 12 Uhr bereits eine kleine Menschentraube, Familien mit Kinderwagen, | |
| Männer in Flip-Flops, Frauen in bunten Kleidern. Die Anliegen sind | |
| vielfältig: bürokratische Hürden, Übersetzungen, Ärger mit dem Jobcenter. | |
| Doch ein Problem scheint alle anderen zu überschatten: Zwangsräumungen. | |
| „Wir sprechen hier von einer humanitären Krise“, sagt Wiese. „Was in | |
| Duisburg stattfindet, ist die systematische Entrechtung von | |
| marginalisierten Menschen.“ Seit 2012 räumt die Stadt Duisburg mithilfe der | |
| sogenannten Taskforce Problemimmobilien Mieter*innen aus ihren | |
| Wohnungen. Allein in den letzten fünf Jahren hatten rund 1.200 davon einen | |
| rumänischen oder bulgarischen Hintergrund, etwa die Hälfte der Geräumten | |
| insgesamt. | |
| Einer von ihnen ist Marin*, ein Mann Anfang dreißig, der unruhig auf seinem | |
| Stuhl sitzt und sich immer wieder mit der Hand durch den Bart streicht. Bei | |
| seiner Räumung habe er noch am selben Tag bis 16 Uhr das Haus verlassen | |
| müssen, erklärt er in brüchigem Deutsch. Den Grund dafür habe er nicht | |
| verstanden, irgendwas mit einer fehlenden Brandschutztür im Keller des | |
| mehrgeschossigen Altbaus. | |
| Brandschutz ist ein übliches [1][Argument für die Räumungen]. „Das läuft … | |
| ab“, erzählt Wiese bitter: „Um 8 Uhr beginnt die Überprüfung, so bis 12 … | |
| kommt man zu dem Ergebnis, es bestehe Gefahr für Leib und Leben.“ Da habe | |
| die Taskforce bereits blaue Müllsäcke dabei, in die die Betroffenen ihre | |
| Habseligkeiten packen sollen. „Zu der Zeit kommen die Grundschulkids aus | |
| der Schule, gehen mit ihren Tornistern hoch, kommen mit den gefüllten | |
| Müllsäcken wieder herunter und sitzen dann auf der Straße.“ | |
| Ohne Wohnung verlieren EU-Bürger*innen auch den Anspruch auf | |
| Sozialleistungen, da dann der dauerhafte Aufenthalt im Gastland nicht mehr | |
| gewährleistet sei. Die Betroffenen stürzt das in eine existenzielle | |
| Notsituation. Zwar haben sie wieder einen Anspruch auf Sozialleistungen, | |
| wenn sie sich in einer städtischen Notunterkunft einfinden, aber in | |
| Duisburg liegt die im mit den Öffis knapp 1,5 Stunden von Hochfeld | |
| entfernten Stadtteil Baerl. Sie werde, auch nach Angaben der Stadt, | |
| „zumeist nicht genutzt“. | |
| ## Angeblich herrscht Lebensgefahr | |
| Die Geräumten kämen laut ZK nach Verlust ihrer Wohnung oft bei Verwandten | |
| und Freund*innen unter. Immer wieder säßen Leute auch nächteweise auf der | |
| Straße. Auch die Vermieter*innen zögen sich aus der Affäre und kämen | |
| ihrer Pflicht, eine Ersatzunterkunft zu stellen, häufig nicht nach. Die | |
| meisten Betroffenen erführen laut Wiese zudem vorab weder, dass sie geräumt | |
| würden, noch warum. | |
| „Bei den Überprüfungen werden häufig eklatante Verstöße gegen den | |
| Brandschutz vorgefunden“, erklärt eine Sprecherin der Stadt auf unsere | |
| Anfrage. Die fehlende Vorwarnung der Mieter*innen beruhe vor allem auf | |
| der unmittelbaren Lebensgefahr, die von den Häusern ausgehe. Da sei die | |
| Rechtsprechung eindeutig: Bei Gefahr im Verzug bestehe „keine Möglichkeit | |
| und keine Zeit mehr für ‚Ermahnungen‘ oder Alternativen.“ | |
| Die Staatsangehörigkeit der Bewohner*innen hingegen sei „nicht | |
| Grundlage der Nutzungsuntersagung“, heißt es von der Stadt. Fakt sei aber, | |
| dass mangelhafte Wohnungen häufig an Menschen aus Südosteuropa vermietet | |
| würden. Auf die Kontrollliste der Taskforce käme man durch Infos von | |
| Ordnungsamt und Polizei oder durch „Hinweise von besorgten Nachbarn“. | |
| Inzwischen ist es Nachmittag am Hochfelder Markt. Das ZK-Team sitzt auf | |
| Bierbänken zum Mittagessen zusammen. „Wenn man nur nach dem Brandschutz | |
| ginge, müsste man halb Hochfeld räumen“, sagt Özkan Ulucan ironisch, | |
| während er sich Reis auftut. Heute habe er einem Mann in wenigen Minuten | |
| einen Restaurant-Job ums Eck organisiert. „Das war total einfach“, sagt der | |
| gebürtige Duisburger. „Das Problem ist, dass viele von denen so viel | |
| Ablehnung erfahren haben, dass sie sich gar nicht mehr trauen zu fragen.“ | |
| Andy, die mit am Tisch sitzt, kommt ebenfalls aus Rumänien. Auf Englisch | |
| erzählt sie, wie sie von einem älteren Mann auf der Straße aus heiterem | |
| Himmel geschlagen wurde. Als dann die Polizei dazukam, sei anstatt des | |
| Mannes sie selbst festgenommen worden. Gegen den Mann und die Polizei habe | |
| sie Anzeige erstattet. Ob sie sich Erfolg von der Anzeige verspreche: „Of | |
| course!“, sagt sie entrüstet, „if they don’t do anything, I will make it | |
| again and again and again!“ | |
| Antiziganismus, unter dem Menschen wie Andy und Marin seit Jahren leiden, | |
| ist in Duisburg salonfähig. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in | |
| der Politik. Oberbürgermeister Sören Link machte dies 2015 auf einer | |
| Flüchtlingskonferenz von SPD-Kommunalpolitiker*innen in Berlin deutlich. | |
| Link erklärte damals: „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich | |
| dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte.“ | |
| „Nach unten treten ist immer einfach“, sagt Ulucan. Das wüssten nicht nur | |
| „die Deutschen“, auch manche türkischstämmige Leute hier seien [2][offen | |
| rassistisch gegen die Menschen aus Rumänien]. „Duisburg ist ne arme Stadt. | |
| Wenn der Kuchen nur so klein ist, hast du Angst vor Mitbewerbern.“ | |
| Grund dafür sei auch fehlende Aufklärung. Das unabhängige ZK ist eine der | |
| wenigen Einrichtungen im knapp 500.000 Einwohner*innen starken | |
| Duisburg, die sich überhaupt mit Antiziganismus beschäftigen. Um für | |
| Begegnung und Öffentlichkeit zu sorgen, organisieren Wiese, Ulucan und | |
| Steffen seit einiger Zeit Kundgebungen, Info-Veranstaltungen, sind bei | |
| Räumungen zugegen. Ziel sei nicht, für die Betroffenen zu sprechen, sondern | |
| ihnen zu helfen, sich selbst zu organisieren. | |
| Auch mit Kulturangeboten will das ZK den Zusammenhalt im Viertel stärken | |
| und veranstaltet deshalb vom 19. bis 21. August zum zweiten Mal das „Fest | |
| der Vielen“ im Hochfelder Rheinpark. Der ist ganz nah. Folgt man dem | |
| Straßenverlauf, lichtet sich die enge Gründerzeitbebauung und gibt den | |
| Blick auf den weitläufigen, teils noch im Bau befindlichen Park frei. | |
| ## Prestigeprojekt am Wasser | |
| Der Veranstaltungsort hat auch symbolischen Charakter. Denn der Rheinpark | |
| ist ein städtebauliches Prestigeobjekt der Stadt und der einzige Zugang zum | |
| Fluss am sonst von Gewerbe dominierten Hochfelder Rheinufer. Auf dem | |
| früheren Industriegelände gibt es heute eine ausladende Promenade, einen | |
| Skatepark und die Strandbar „Ziegenpeter“. 2027 soll hier die | |
| internationale Gartenschau stattfinden. Außerdem plant die Stadt ein hippes | |
| Innenstadtquartier mit Wohnungen für 4.500 Menschen. Erklärtes Ziel des | |
| Großprojekts: „Hochfeld zu beleben.“ | |
| Auch der „Initiativkreis Ruhr“, ein Zusammenschluss aus Großkonzernen wie | |
| Vonovia, Deutscher Bank und Thyssenkrupp, will in den nächsten Jahren das | |
| Viertel mitgestalten. [3][Von Gentrifizierung will dort keiner etwas | |
| hören.] Bildung wolle man anbieten, den öffentlichen Raum aufwerten, | |
| Mobilität verbessern. Hochfeld solle eine „Blaupause für die Region“ | |
| werden. | |
| Während am Rhein schon jetzt die weiße Mittelschicht ihren Aperol in der | |
| Abendsonne genießt, füllt sich auch das ZK langsam. Das gelbe Licht einer | |
| Straßenlaterne fällt auf die Gesichter der Leute und leise Funk-Musik | |
| schallt durch das gekippte Fenster. Wiese, Steffen und Ulucan sind | |
| zufrieden mit ihrem Kiez, wie er ist. „Das ist neben Marxloh [4][der | |
| einzige urbane Stadtteil im westlichen Ruhrgebiet]“, sagt Steffen. „Hier | |
| kannst du 24/7 einkaufen, kriegst mitten in der Nacht noch was zu essen. Wo | |
| gibt es das sonst in Duisburg?“ | |
| Die drei fürchten, dass die Zwangsräumungen auch etwas mit den großen | |
| Plänen der Stadt zu tun haben könnten. „Die wollen die Rumänen hier | |
| weghaben“, sagt Ulucan. Seitens der Stadt wird jeglicher Zusammenhang | |
| zwischen Großprojekten und Räumungen dementiert. | |
| *Name geändert | |
| 13 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Schroer | |
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