| # taz.de -- Rassistische Bedrohung in Celle: Messer auf der Brust | |
| > Ein Pizzabote wird von einem Mann überfallen und beschimpft. Er vermutet | |
| > einen rassistischen Hintergrund. Die Polizei sieht dafür keine Hinweise. | |
| Bild: So könnte die Tatwaffe ausgesehen haben: Machete | |
| Hannover taz | Eigentlich dachte Saad Khaiat (Name geändert) am | |
| Samstagabend, seine Schicht sei gleich zu Ende. Was der 56-jährige | |
| Pizzalieferant in Altenhagen, einem 850-Seelen Ortsteil am Rand von Celle, | |
| erlebte, klingt wie aus einem Horrorfilm. Gegen halb elf sei er zur letzten | |
| Lieferung aufgebrochen, erzählt er. Zehn Bier und vier Burgermenüs im Wert | |
| von 60,50 Euro hatte er dabei. Auf der Bestellung war ein Vermerk: „nur | |
| klopfen. meine tochter schläft. ich warte an der tür“. | |
| Als er vor dem dunklen Haus wartete, habe er eine Person hinter sich | |
| gespürt, erzählt Khaiat. „Ich habe mich umgedreht und einen Mann mit | |
| Handschuhen und einem großen Messer in der Hand gesehen“, erinnert er sich. | |
| Mit seinen Händen deutete er eine Klingenlänge von etwa 50 Zentimetern an. | |
| Der Mann habe zunächst sein Telefon verlangt und ihn rassistisch beleidigt, | |
| erzählt Khaiat. | |
| Weil er Todesangst gehabt habe, könne er sich nur noch an Wortfetzen | |
| erinnern. Er sei sich aber sicher, der Mann habe ihn als „Araberschwein“ | |
| und „Scheiß Ausländer“ beschimpft. Er habe dann sein Handy hergegeben und | |
| angeboten, die Bestellung ohne Bezahlung dort zu lassen. Daraufhin habe der | |
| Mann ihm das Messer auf die Brust gelegt und sei noch näher gekommen. | |
| Khaiat habe keinen anderen Ausweg gesehen, als die Klinge zu greifen, den | |
| Mann zu schubsen und wegzulaufen. | |
| Während er spricht, massiert er seine Handfläche, auf der mehrere kleinere | |
| und eine größere Schnittwunde zu sehen sind. Er habe vergeblich laut nach | |
| Hilfe gerufen. Ein Fahrradfahrer habe ihn nicht unterstützt. Er habe auch | |
| versucht, ein Auto anzuhalten. Das sei von dannen gebraust. Der Angreifer | |
| habe gerufen, er solle zurückkommen. | |
| ## Passanten halfen nicht | |
| [1][Eine Nachbarin sei dann gekommen, habe aber auch nicht die Polizei | |
| gerufen], sondern auf eine irakische Familie verwiesen, die ein paar | |
| hundert Meter weiter lebt. Die rief daraufhin die Polizei, die einen | |
| 38-jährigen Verdächtigen in der Nähe vorläufig festnahm, wie Khaiat | |
| erzählt. Im Gras habe sich noch ein zweites bereitliegendes großes Messer | |
| gefunden. | |
| Khaiat, der ein Polohemd trägt, wirkt gestresst. Die Vorfälle sind keine 24 | |
| Stunden her, als er sich an die taz wendet. In der letzten Nacht habe er | |
| nicht geschlafen, erzählt er. Am Morgen sei er zur Polizei gegangen. Man | |
| habe ihm ein Bild des Verdächtigen in einer Uniform gezeigt, erzählt er. Er | |
| habe auch auf die Beleidigungen hingewiesen; man habe ihm aber gesagt, es | |
| handle sich nicht um eine rassistische Tat. | |
| Khaiat ist sich aber sicher, dass es sich nicht um einen Raubüberfall | |
| gehandelt habe. Alle Lieferant*innen des Kurierdienstes, für den er | |
| arbeitet, haben eine Migrationsgeschichte und auch der Inhaber habe einen | |
| nicht deutsch klingenden Namen. Das könnte bei der Auswahl des Opfers eine | |
| Rolle gespielt haben. | |
| In der Pressemeldung der Polizei findet das alles keine Erwähnung. Auf | |
| Nachfrage der taz heißt es, es hätten sich keine Hinweise auf eine | |
| politische Motivation ergeben. Der Tatverdächtige sitzt mittlerweile in | |
| Untersuchungshaft. Zusätzlich wird ihm ein Überfall auf eine Tankstelle | |
| einige Stunden zuvor zur Last gelegt. Dort erbeutete er Bier und | |
| Zigaretten. | |
| Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt wegen schweren Raubs, sowie | |
| schwerer räuberischer Erpressung. Bisher sei der Mann unbestraft und habe | |
| auch keine Verfahren offen. Es hätten sich [2][keine Hinweise ergeben, dass | |
| der Auswahl des Tatopfers ein fremdenfeindliches Motiv zugrunde liege,] | |
| heißt es weiter. | |
| „Sollten rassistische Beleidigungen während der Tat ausgesprochen worden | |
| sein, wird dies im Rahmen der Ermittlungen berücksichtigt“, sagt die | |
| Staatsanwaltschaft. Derlei Äußerungen ließen aber keinen zwingenden | |
| Rückschluss auf das Tatmotiv, sowie die Auswahl des Opfers zu. | |
| Khaiat ist sehr enttäuscht von den Äußerungen der Polizei, die die | |
| rassistische Dimension direkt klein geredet habe. „Wir leben in einem | |
| demokratischen Land, ich hoffe auf Gerechtigkeit“, sagt er. | |
| Die Nachbar*innen des Verhafteten wollen möglichst wenig über die | |
| Geschehnisse sprechen. Die Vorgärten der Gegend sind akkurat | |
| zurechtgemacht. Ein großes CDU-Plakat gegen „kriminelle Clans“ hängt an | |
| einer Laterne. Ein pensionierter Polizist ruft gleich die Polizei, als ein | |
| taz-Reporter Fragen stellt. Beim Verhafteten handle es sich um einen | |
| Eigenbrötler, erzählen andere Anwohner*innen. | |
| ## Nicht zum ersten Mal | |
| Der Garten des Wohnhauses, schräg gegenüber vom Tatort, wirkt verwildert. | |
| Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten wurden zwei Macheten, | |
| die als Tatwaffe in Betracht kommen, sowie zwei Beile gefunden,teilt die | |
| Staatsanwaltschaft mit. Rechte Devotionalien hätten sich nicht unter den | |
| sichergestellten Gegenständen befunden. | |
| Nicht zum ersten Mal wird durch die Polizei in Celle [3][vorschnell eine | |
| rassistische Dimension bei einer Gewalttat gegen Geflüchtete | |
| ausgeschlossen]. Am 7. April 2020 ist Arkhan Khalaf, ein 14-Jähriger Junge, | |
| der mit seiner Familie vor dem Terror des so genannten Islamischen Staates | |
| geflohen war, niedergestochen und getötet worden. Obwohl der Täter | |
| rassistische Beschimpfungen bei seiner Verhaftung rief und auch davor einen | |
| Taxifahrer rassistisch beleidigt haben soll, wurde dem zunächst nicht | |
| weiter nachgegangen. | |
| Die Polizei schloss ein rassistisches Motiv sofort – wie im vorliegenden | |
| Fall – öffentlich aus. Erst nach Presseberichten über das online Verhalten | |
| des Täters, geriet dessen Ideologie mehr in den Fokus. Vor Gericht wurde | |
| eine mögliche rassistische Dimension der Tat dann nur oberflächlich | |
| thematisiert. Erst durch den WDR-Cosmo-Podcast “Schwarz – Rot -Blut“ | |
| stellte sich heraus, dass dem Verfassungsschutz einschlägige Straftaten | |
| bekannt waren. Bis heute ist unklar, wie genau es in diesem Fall zur | |
| Auswahl des Opfers kam. | |
| 24 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
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