# taz.de -- Neonazis durchdringen Stadtteil: Landnahme von rechts | |
> In Hannover-Ahlem bedrohen Rechtsradikale eine junge Frau rassistisch und | |
> schänden die dortige Gedenkstätte. Die Zivilgesellschaft reagiert kaum. | |
Bild: Erneut von Nazis geschändet: die „Wand der Namen“ in der Gedenkstät… | |
HANNOVER taz | Es sind verstörende Botschaften, die Mitarbeiter*innen | |
der Gedenkstätte Ahlem vergangene Woche auf der „Wand der Namen“ vorfinden. | |
Rechtsextreme Propaganda und Verherrlichung des Nationalsozialismus | |
überdecken an mehreren Stellen die über 3.000 dunklen Steintafeln. Namen, | |
Geburts- und Todesdaten sollen auf dem Außengelände der früheren | |
israelitischen Gartenbauschule eigentlich an jene erinnern, die in dem zur | |
Gestapo-Außenstelle gemachten Gebäude auf dem Weg in den Tod inhaftiert | |
oder gleich hier ermordet wurden. | |
Es handle sich nicht nur um Sachbeschädigung, sondern um einen | |
„abscheulichen“ Angriff auf das Gedenken an die Opfer der Verbrechen des | |
Nationalsozialismus, sagt der hannoversche Regionspräsident Steffen Krach | |
(SPD). Die Region Hannover als Betreiberin der Gedenkstätte Ahlem habe | |
Anzeige erstattet. | |
Die Polizei bestätigt, der für politische Kriminalität zuständige | |
Staatsschutz ermittle. „Diese Beleidigungen und der Hass gegen die Opfer | |
des Nationalsozialismus machen überdeutlich, wie wichtig die | |
Erinnerungsarbeit der [1][Gedenkstätte Ahlem] ist und dass wir | |
Antisemitismus mit Erinnern, Aufklärung und Bildung begegnen müssen“, sagt | |
Krach. Aktiv kommuniziert hatte die Region die Schmierereien nicht. Die taz | |
wurde durch einen Tipp aufmerksam. Die rechtsextremen Hassbotschaften an | |
der Gedenkstätte sind ein weiterer Höhepunkt im Kampf um den öffentlichen | |
Raum im beschaulichen Ahlem. | |
Wer durch den 12.000-Seelen-Stadtteil im Westen von [2][Hannover] läuft, | |
würde wohl auf den ersten Blick nicht darauf kommen, dass Rechtsextreme | |
versuchen, diesen als ihr Gebiet zu markieren. Reihenhäuser mit adrett | |
gepflegten Vorgärten drängen sich aneinander. Dazwischen liegen eine | |
Kleingartenanlage und ein Tümpel, zu dem nur Anlieger*innen Zugang | |
haben. Ansonsten ist der Stadtteil von Wohnblocks geprägt. Ganz am Rand | |
sind in einer ehemaligen Schule Geflüchtete untergebracht. Ein Fünftel | |
aller Einwohner*innen hat keinen deutschen Pass. Damit liegt Ahlem im | |
hannoverschen Durchschnitt. | |
Seit Monaten überschwemmen hunderte rechte Sticker und Parolen das Viertel. | |
Kaum ein Laternenpfosten und Stromkasten auf den Hauptstraßen sind | |
verschont geblieben. In krakeliger Schrift steht vor dem ehemaligen | |
Gemeindezentrum: „Antifafreie Zone“. | |
Ein Lagebild, [3][veröffentlicht durch das Recherche Netzwerk Hannover], | |
sammelt die Daten zur rechtsextremen Raumnahme. Die hat bereits vor drei | |
Jahren begonnen. Im August 2019 tauchten erstmals vereinzelte NPD-Aufkleber | |
rund um den Endhaltepunkt der Straßenbahn auf. Im Januar 2020 wurde dann | |
ein eingeritztes Hakenkreuz in den Gedenktafeln festgestellt, die nun | |
wieder geschändet wurden. | |
Im Verlauf des Jahres seien weitere Hakenkreuzschmierereien im Umfeld der | |
Gedenkstätte aufgetaucht. Danach habe es noch vereinzelte Sticker der NPD | |
im Stadtteil gegeben. Im März 2022 zogen die lokalen | |
Verschwörungsideolog*innen an der Gedenkstätte vorbei. In diesem | |
Sommer tauchten dann hunderte Sticker auf. Eine neue Qualität erreichte die | |
rechte Raumnahme im Juni – denn es blieb nicht bei [4][Propaganda]. | |
Eine junge Deutsche mit kurdischen Wurzeln wurde an der Wunstorfer | |
Landstraße beleidigt und bedroht, als sie eine Gruppe junger Männer beim | |
Verkleben rechter Sticker ansprach. „Wenn ich dich das nächste Mal hier | |
sehe, fahr ich dich tot“, habe ihr einer der Männer zugerufen, sagt Hêvî | |
Keskesor (Name geändert) der taz am Telefon. | |
Seitdem fühlt sie sich in Ahlem unsicher und will am liebsten wegziehen. | |
Das kann sie sich aber nicht leisten. Nachts vermeidet sie es, unterwegs zu | |
sein. „E-Scooter fahren, Pfefferspray in der Tasche und Handy parat – das | |
ist meine Realität geworden“, so Keskesor. Die Polizei konnte damals zwei | |
der mutmaßlichen Täter aufgreifen, schweigt aber zum Ermittlungsstand. | |
Die Veröffentlichung des Recherche Netzwerks Hannover hat die Lokalpresse | |
aufgescheucht. Bisher reagiert die Zivilgesellschaft aber eher verhalten. | |
Lediglich der Bezirksrat entschied vor Kurzem, die Sticker entfernen zu | |
lassen. | |
## Polizei sieht Ahlem nicht als rechten Brennpunkt | |
Eine Beobachterin der Sitzung berichtete der taz, die CDU habe dort eher | |
Linke als Problem ausgemacht, die die Nazi-Sticker besprühten und damit | |
Sachbeschädigungen an den Gebäuden verübten. Die Grünen enthielten sich, da | |
sie den Antrag der SPD aufgrund der immer wieder auftauchenden Sticker für | |
praxisfern erachteten. Die AfD enthielt sich dagegen, weil ihr im Antrag | |
linke Sticker fehlen – die sollten in eine Reihe mit „rassistischen, | |
fremdenfeindlichen, homophoben, frauenverachtenden oder vergleichbaren | |
Inhalten“ gestellt werden, so die Beobachterin. | |
Die Polizei ermittelt weiter und konnte einen 16-jährigen Tatverdächtigen | |
feststellen, der mehrere Graffitis gesprüht haben soll. Eine Zeugin soll | |
ihn dabei fotografiert haben. Seit 2019 hätten sich 43 rechte Straftaten im | |
Viertel ereignet, heißt es in einem Bericht der Polizei an den Bezirksrat. | |
Trotz der Übergriffe und Propagandadelikte sieht die Polizei Ahlem nicht | |
als einen Brennpunkt rechtsmotivierter Kriminalität an. Allerdings wurde | |
ein Ermittlungskomplex geformt, wie ein Sprecher der Polizei Hannover der | |
Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte. Eine Anfrage der taz blieb bis | |
Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
„Ich möchte mich einfach wieder wohl fühlen“, sagt Hêvî Keskesor. | |
Vielleicht würde es ihr helfen, wenn ein Großteil der Nachbarschaft | |
Zivilcourage zeigte. Erst vor wenigen Wochen war sie wieder mit den immer | |
mutiger werdenden Rechten im Stadtteil konfrontiert. Ein Mann habe in der | |
Linie 10 Richtung Ahlem einen Hitlergruß gemacht, erzählt Keskesor. „In dem | |
Moment bin ich innerlich gestorben.“ Sie habe eine Panikattacke bekommen | |
und habe nur denken können: „Jetzt haben sie mich!“ | |
5 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!288713&s=Gedenkst%C3%A4tte+Ahlem&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Hannover/!t5008211 | |
[3] https://recherchenetzwerkhannover.org/ | |
[4] /Faschistische-Symbole-erkennen/!5512652 | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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