| # taz.de -- Berliner Doppelhaushalt 2024/25: Die große Ungewissheit | |
| > Trotz gestiegener Budgets im Haushaltsentwurf stellen sich Projektträger | |
| > auf Kürzungen ein. Opposition sieht soziale Infrastruktur in Gefahr. | |
| Bild: Am falschen Ende gespart? Es gibt Kritik am Haushalt von Sozialsenatorin … | |
| Berlin taz | Im Bereich Arbeit, Soziales, Integration, Gleichstellung und | |
| Antidiskriminierung, den seit dem Regierungswechsel Cansel Kiziltepe (SPD) | |
| verantwortet, müssen im kommenden Doppelhaushalt 2024/25 eine Menge | |
| Bereiche und Projekte Federn lassen. Dies kritisiert zumindest die grüne | |
| und linke Opposition, die eine gefährliche soziale Schieflage wittern. | |
| Kiziltepe will davon nichts wissen: Trotz der großen „haushaltspolitischen | |
| Herausforderungen“ gebe es in dem Bereich einen „Aufwuchs“ von 1,7 | |
| Milliarden auf 2,3 Milliarden gegenüber dem letzten Doppelhaushalt, | |
| erklärte sie vorigen Donnerstag im Ausschuss für Integration, Frauen und | |
| Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung. [1][Im taz-Interview | |
| betont sie]: Mit dem Ergebnis der Verhandlungen in der Koalition über den | |
| Haushalt sei sie „sehr zufrieden“. | |
| Taylan Kurt, Sozialpolitiker der Grünen-Fraktion, sieht das völlig anders: | |
| „Die Kürzungen legen die Axt an das soziale Berlin.“ Beispiele dafür hat … | |
| viele: Bei Projekten für wohnungslose Menschen inklusive Housing First sind | |
| etwa laut Haushaltsentwurf 1,2 Millionen Euro weniger vorgesehen. Auch für | |
| die Krankenwohnung für Obdachlose in der Turmstraße sowie bei der Caritas | |
| Ambulanz am Zoo gebe es weniger Geld, kritisiert Kurt. Seine Kollegin von | |
| der Linksfraktion, Katina Schubert, sieht ebenfalls beide Projekte „in | |
| akuter Gefahr“. Kiziltepe verwahrt sich dagegen im taz-Interview gegen | |
| Kritik, „dass ich im Bereich der Wohnungs- und Obdachlosigkeit Mittel | |
| kürzen würde“. Das Gegenteil sei der Fall. | |
| ## Sehr allgemein, sehr kompliziert | |
| Im Moment sind solche Widersprüche nicht aufzulösen: Ein Haushaltsplan ist | |
| trotz vieler hundert Seiten sehr allgemein, zudem kompliziert, hinter | |
| einzelnen „Titeln“ kann sich vieles verstecken. So ist unklar, was es zum | |
| Beispiel bedeutet, dass Feministische Zentren wie die Schokofabrik in | |
| Kreuzberg oder das Paula Panke in Pankow nicht mehr einzeln gelistet sind, | |
| sondern unter der Übergruppe „Frauenzentren mit besonderer Zielsetzung, | |
| Frauenverbände und Empowerment-Projekte“. | |
| Die Zentren kritisieren in einer Pressemitteilung die Unsicherheit, die das | |
| für sie bedeute: Projektträger wüssten nun nicht, „mit welchen Summen sie | |
| planen und arbeiten können oder ob sie gar gekürzt oder ganz gestrichen | |
| werden“. Denn im entsprechenden Etat fehlten rund 840.000 Euro – das wären | |
| Kürzungen von rund 20 Prozent. | |
| Kiziltepe beschwichtigte im Ausschuss, der Übertitel sei nur eine andere | |
| Darstellung als zuvor. „Wir kürzen nicht“, versicherte sie den | |
| Frauenprojekten. Ob sie recht behält, wird sich erst im Zuge der weiteren | |
| Haushaltsberatungen aufklären. Linke und Grüne haben dafür etliche | |
| Berichtsaufträge an die Verwaltung gestellt, um Details zu erfahren. | |
| Ungereimtheiten gibt es auch im Bereich Antidiskriminierung: So soll es | |
| auch hier einen Aufwuchs um knapp 9 Millionen Euro auf 24 Millionen geben. | |
| Vor allem bei Projekten für LSBTIQ+ und sexuelle Selbstbestimmung, aber | |
| auch für Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus | |
| sowie für Projekte zur Stärkung der Demokratie und Schutz vor | |
| Diskriminierung und Gewalt. Gleichzeitig müssen ab kommendem Jahr alle | |
| Projekte, die über die Landesstelle für Gleichstellung – gegen | |
| Diskriminierung (LADS) gefördert werden, einen Eigenanteil von 2 Prozent | |
| zahlen, bisher waren es maximal 0,5 Prozent. | |
| ## Massive Schwierigkeiten | |
| Nicht wenige Träger bringe dies in massive Schwierigkeiten, kritisiert die | |
| Linken-Abgeordnete Elif Eralp gegenüber der taz: „Viele werden das nicht | |
| schaffen.“ Zumal die Ankündigung kurzfristig erfolgte, erst im August | |
| wurden die Träger über die Änderung informiert, die ab 2024 gelten soll. | |
| Das gefährde ihre Arbeit im kommenden Jahr, bestätigt Sanchita Basu, | |
| Geschäftsführerin des Vereins Ariba e. V, der die Projekte Reachout, OPRA, | |
| PowerMe und KOP verantwortet. „Woher sollen wir das Geld bekommen? Alle | |
| LADS-Projekte werden nun um Spenden konkurrieren.“ Basu rechnet vor: Bisher | |
| musste Ariba für Reachout, das jährlich rund 700.000 Euro vom Land bekommt, | |
| 3.000 Euro Eigenmittel stellen, nun sollen es 14.000 Euro pro Jahr sein. | |
| Und jede neue Stelle, jede Tariferhöhung bedeute eine zusätzliche | |
| Belastung, da dies immer mehr Eigenanteil bedeute. „Der Senat sabotiert die | |
| Arbeit kleiner Träger“, kritisiert sie. | |
| Schwierig dürfte die Arbeit auch werden in Projekten, die über den | |
| bezirklichen Integrationsfonds finanziert werden. Dieser wird laut Eralp | |
| gekürzt von aktuell 6.158.000 Euro auf 2.402.000 Euro im kommenden Jahr. | |
| Die Bezirke bezahlen darüber etwa Partizipationsmaßnahmen, Beratungen und | |
| Anlaufstellen für Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte. „Das | |
| ausgerechnet der bezirkliche Integrationsfonds trotz steigender | |
| Ankommenszahlen gekürzt wird, ist ein Skandal“, findet Eralp. | |
| Ein großes Problem sieht sie auch darin, dass trotz steigender Bedarfe | |
| nicht mehr Personal für das Landesflüchtlingsamt (LAF) vorgesehen ist, das | |
| schon jetzt angesichts steigender Flüchtlingszahlen nicht mit der Arbeit | |
| hinterherkomme. | |
| Wie geht es weiter? Bis der Haushalt im Dezember verabschiedet wird, kann | |
| noch einiges geschehen – vor allem weil die Koalitionsfraktionen am Ende | |
| der Verhandlungen immer ein paar Millionen zusätzlich bekommen, die sie | |
| verteilen dürfen. Fest steht, dass die ganze Wahrheit, wo wie viel gekürzt | |
| wird, erst im nächsten Jahr ans Licht kommt. Dies liegt an den „Pauschalen | |
| Minderausgaben“ (PMA), das sind Ausgaben, die nicht gedeckt sind. Eine | |
| kleine PMA ist kein Problem, weil es immer Projekte oder Vorhaben gibt, die | |
| doch nicht realisiert werden oder weniger kosten als veranschlagt. Eine | |
| große PMA kann aber kaum ausgeglichen werden, dann entscheidet der Senat | |
| kurzfristig, wo gekürzt wird. | |
| Dieses Mal sind die PMAs sehr hoch: für den Einzelplan 11 betragen sie mit | |
| rund 4,5 Millionen doppelt so viel wie im letzten Haushalt. Eralp: „Die | |
| Koalition hat zwar sehr viel Geld verteilt, aber am Ende wird irgendwo | |
| gespart werden müssen. Wer garantiert, dass nicht die Projektträger die | |
| Zeche zahlen müssen?“ | |
| 20 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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