# taz.de -- Betroffene gegen Racial Profiling: Gegenkontrolle | |
> Während die Polizei noch diskutiert, ob Racial Profiling existiert, | |
> entwickeln Betroffene Strategien dagegen. Auf der Straße und in | |
> Parlamenten. | |
Tareq Alaows ist nicht überrascht, als zwei Polizisten auf ihn zukommen. Es | |
passiert nicht zum ersten Mal. Es ist Mitte Dezember vergangenen Jahres in | |
Berlin. Alaows ist gerade aus dem Bus gestiegen und auf dem Weg zur S-Bahn. | |
Wenn er heute vor dem Bahnhof Friedrichstraße steht und darüber spricht, | |
erinnert er sich genau an die Details. „Hier war es“, sagt er und geht in | |
die Eingangshalle des Bahnhofsgebäudes. | |
An dem Tag Ende 2021 fragen die Polizisten nach seinem Ausweis, dann wollen | |
sie seinen Rucksack und seine Kleidung durchsuchen. Sie sagen, dass sie bei | |
solchen Kontrollen nach Messern und Waffen suchen. Keiner der weißen | |
Menschen um ihn herum wird angehalten. Alaows ist Jurist, aktiv bei den | |
Grünen, er kennt seine Rechte. Er zeigt ihnen seinen Rucksack nicht. Warum | |
er diesmal kontrolliert werde, fragt er. Bei ihm sei eine Gefährdung nicht | |
auszuschließen, antwortet ein Polizist, so erinnert Alaows sich. | |
## „Was ist falsch an meinem Aussehen?“ | |
„Was ist falsch an meinem Aussehen, dass von mir keine Gefährdung | |
ausgeschlossen werden kann?“ fragt Alaows. Er hat die Frage schon [1][auf | |
Twitter gestellt], einige Tage nach der Kontrolle, mit „Hallo | |
@polizeiberlin“. Und er stellt sie wieder, jetzt, wo er in der Halle des | |
S-Bahnhofs steht. Alaows trägt einen grauen Wintermantel aus feiner Wolle, | |
seine Haare hat er auf dem Kopf zum Dutt zusammengebunden, an den Seiten | |
seiner FFP2-Maske schaut ein schwarzer Vollbart hervor. „Was ist falsch an | |
meinem Aussehen?“ | |
Racial Profiling bezeichnet diskriminierende Kontrollpraktiken der Polizei | |
und anderer Behörden. Also Kontrollen, Überwachung oder Ermittlungen anhand | |
der Hautfarbe oder der von den Polizist:innen angenommenen ethnischen | |
oder religiösen Zugehörigkeit. Das kann beim Screening am Flughafen, bei | |
der Verkehrskontrolle oder auf der Suche nach Drogendealern im Park | |
passieren. | |
Das Profiling ist eigentlich eine komplexe Methode in der Kriminologie: | |
Aufgrund bekannter Umstände bei Straftaten oder Verbrechen werden | |
Rückschlüsse auf das Persönlichkeitsprofil unbekannter Täter*innen | |
gezogen, um die Suche eingrenzen zu können. Beim Racial Profiling wird die | |
komplexe Analyse durch Stereotype ersetzt, rassistische Polizeikontrollen | |
sind ein Ergebnis davon. | |
Aber auch wenn – wie im Falle der NSU-Morde – aufgrund rassistischer | |
Vorurteile jahrelang in die falsche Richtung ermittelt wird, kann das als | |
Racial Profiling bezeichnet werden. „Ohne ethnisierende Vorstellungen von | |
organisierter Kriminalität, ohne entsprechend stigmatisierende Zuweisungen | |
an Migrant*innen-Communitys, ohne das Vorhandensein von institutionellem | |
Rassismus und ohne das Zutun staatlicher Organe wie dem Verfassungsschutz | |
hätten die jahrelangen Morde des NSU-Netzwerkes kaum jahrelang unentdeckt | |
bleiben können,“ schreiben Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen | |
in Deutschland und Biplab Basu vom Verein Reach Out im Vorwort zum Buch | |
“Racial Profiling. Erfahrung. Wirkung. Widerstand.“ | |
In großen Teilen der Polizei wird weiterhin bestritten, dass es ein Problem | |
gibt. Auch deshalb gibt es kaum verlässliche Zahlen zum Ausmaß von Racial | |
Profiling. Als die Debatte um eine Studie zu Rassismus in der Polizei im | |
Spätsommer 2020 aufkam, wehrte sich der damalige Innenminister Horst | |
Seehofer (CDU) mit der Begründung, Rassismus sei eben ein | |
gesamtgesellschaftliches Problem. Die neue Bundesinnenministerin Nancy | |
Faser (SPD) hat zwar im Januar dieses Jahres angekündigt, sich dem Thema | |
anzunehmen, doch im Koalitionsvertrag der neuen Regierung kommt Racial | |
Profiling nicht vor. Betroffene sind skeptisch, dass sich tatsächlich etwas | |
ändert. Viele wollen nicht mehr auf die Politik warten und entwickeln schon | |
lange ihren eigenen Widerstand. | |
So wie Tareq Alaows, der im Dezember im Berliner Bahnhof Friedrichstraße | |
kontrolliert wird. Er ist überzeugt, dass er aufgrund von Racial Profiling | |
kontrolliert wurde und das somit rechtswidrig war. Das möchte er nun vor | |
Gericht beweisen. | |
Oft sind es die Betroffenen selbst, die sich organisieren und Strategien im | |
Umgang mit dem Problem entwickeln. Egal ob auf der Straße, wo | |
Aktivist*innen versuchen, mit Plakaten oder Infoständen auf | |
rassistische Kontrollen aufmerksam zu machen, oder im Parlament, wo erste | |
Abgeordnete die Sicherheit in Städten neu denken möchten und dort den Abbau | |
der Polizei fordern. Wir haben Menschen aus Initiativen, Bewegungen und | |
Parteien getroffen auf der Suche nach ihren unterschiedlichen Strategien | |
gegen das gemeinsame Problem. | |
## Klage einreichen | |
Der 32-jährige Tareq Alaows ist vor sieben Jahren aus Syrien nach Berlin | |
geflohen, er hat schnell Deutsch gelernt. Hier in Berlin wird er immer | |
wieder kontrolliert, oft fragen Polizist:innen nach dem Kaufvertrag für | |
sein Fahrrad. Man ginge bei einem Migranten wie ihm einfach nicht davon | |
aus, dass er sich ein teures Fahrrad leisten könne, sagt Alaows. „Diese | |
Kontrollen sind keine Einzelfälle und passieren nicht nur mir.“ Als Jurist | |
hat er jahrelang Rechtsberatung für andere Migrant*innen gegeben. Alaows | |
sagt, die Polizei unterstelle, er hätte sein Fahrrad geklaut oder würde | |
Waffen bei sich tragen, so wie bei der Kontrolle Ende 2021. | |
Tareq Alaows hat sich nach dem Vorfall an die Beratungsinitiative Reach Out | |
gewandt. Er möchte Klage einreichen. Die Initiative bietet Beratung für | |
Opfer von rassistischer, antiziganistischer, antisemitischer und rechter | |
Gewalt an. Sie wird die Anwaltskosten übernehmen. Im Moment bereiten sie | |
gemeinsam mit Anwält*innen die Klage vor. | |
Vor Gericht Recht zu bekommen ist nicht ganz einfach: Zunächst prüft das | |
Gericht, ob eine Kontrolle überhaupt aufgrund der “Hautfarbe“ stattgefunden | |
hat. Racial Profiling verstößt gegen das Diskriminierungsverbot und ist ein | |
Bruch von Artikel 3 des Grundgesetzes. Niemand darf nur aufgrund | |
rassistischer Kriterien kontrolliert werden. Doch die tatsächliche | |
Motivation des*r einzelnen Polizist*in bleibt oft im Unklaren. | |
Problematisch sind insbesondere Orte, an denen die Polizei [2][anlasslose | |
Kontrollen durchführen darf]. Die Möglichkeit, solche „gefährlichen Orte“ | |
festzulegen, besteht in vielen Polizeigesetzen der Länder. Wenn das wie am | |
Bahnhof Friedrichstraße in Berlin nicht der Fall ist, beruft sich die | |
Polizei oft auf sogenanntes „Polizeiliches Erfahrungswissen“. Das hieße | |
dann beispielsweise, dass sie behauptet, dass eine bestimmte Straftat – | |
etwa Fahrraddiebstahl oder das Tragen von illegalen Waffen – an einem | |
bestimmten Ort häufig einer bestimmten Personengruppe zuzuordnen sei. Das | |
Gericht prüft dann, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt war. | |
Ein weiteres Problem bei Klagen ist, dass betroffene Personen oft alleine | |
einer Vielzahl von Polizist*innen gegenüberstehen, die ihre Aussagen | |
möglicherweise absprechen und andere Gründe für die Kontrolle vorschieben, | |
häufig fehlen unabhängige Zeug*innen. Auch aus Angst vor einer Gegenanzeige | |
sehen Betroffene häufig von einer Anzeige ab. Hier könnte das neue Berliner | |
Antidiskriminierungsgesetz helfen. Dieses Gesetz sieht eine | |
Beweislastumkehr vor, wenn eine betroffene Person eine Ungleichbehandlung | |
überwiegend glaubhaft machen kann. Dann muss die Behörde beweisen, dass sie | |
nicht diskriminierend gehandelt hat. Ein entsprechendes Urteil gibt es | |
bisher noch nicht. Tareq Alaows will das ändern. | |
Dass Verurteilungen von rassistischen Polizeikontrollen grundsätzlich | |
möglich sind, zeigt etwa das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom | |
Februar 2022. Ein Schwarzer Mann hatte bei einer Kontrolle am Bahnhof die | |
Herausgabe seiner Papiere verweigert, zu Recht, befand das Gericht: Er sei | |
durch Racial Profiling in seinen Grundrechten verletzt worden. | |
Die Berater*innen von Reach Out sehen eine Chance, dass Tareq Alaows | |
gewinnen kann. Was Hoffnung macht: Es gibt eine Augenzeugin, die bereit | |
ist, auszusagen. | |
## Vorfälle dokumentieren | |
Es ist der 11. November 2021, und Biplab Basu steht im Regen. Basu ist | |
aktiv bei Reach Out und der Kampagne für Opfer von rassistischer | |
Polizeigewalt – kurz KOP. An diesem Tag startet er eine neue Kampagne. | |
Gemeinsam mit einer Handvoll Aktivist*innen steht er an einer großen | |
Straße in Berlin, es regnet in Strömen. Eine Pappmaché-Kamera auf zwei | |
Beinen läuft umher. Unter der Regenjacke und Maske erkennt man ihn kaum, | |
umso deutlicher ist zu verstehen, was Basu ins Mikro spricht: “Go, film the | |
police“. Das Ziel der Kampagne mit diesem Titel ist, eine Debatte zu | |
rassistischen Polizeieinsätzen zu entfachen, indem mehr Zeug*innen mit | |
ihren Handys Kontrollen dokumentieren. | |
Es braucht Videos, die belegen, dass es Racial Profiling gibt. Film für | |
Film, Post für Post. Biplab Basu und die Initiative KOP haben die Erfahrung | |
gemacht, dass sie Racial Profiling beweisen, belegen, dokumentieren müssen, | |
um dagegen zu kämpfen. Sie führen Chroniken, zählen die Fälle, mit dem | |
Ziel, dass niemand mehr behaupten kann, es gäbe kein Muster hinter diesen | |
Zahlen. | |
Ursprünglich war die Initiative aus der Beratungsarbeit von Reach Out | |
entstanden. Basu und das Team hatten festgestellt, dass die herkömmlichen | |
Unterstützungsmöglichkeiten für Opfer im Fall von rassistisch motivierter | |
Polizeigewalt nicht ausreichen. Institutionelle Einrichtungen unterstützen | |
in diesen Fällen aufgrund der Tatsache, dass die Polizei die Opfer oft als | |
Täter*innen darstellt, wenig. Das bedeutet, dass sich die Betroffenen | |
zusätzlich zum Erlebten teilweise auch gegen eine Anklage durch die Polizei | |
wehren müssen. | |
Zum Tag gegen Polizeigewalt am 15. März hat die Initiative KOP ihre Chronik | |
vorgestellt. Sie dokumentiert rassistische Vorfälle von 2000 bis 2021, in | |
die Polizeibeamt*innen verwickelt waren. Die Fälle basieren | |
vorwiegend auf Berichten von Betroffenen und Zeug*innen. Die Chroniken | |
sollen helfen, eine Gegenerzählung aufzubauen. Berichte wie dieser vom 20. | |
Juni 2021: „Am Oranienplatz in Kreuzberg parkt ein Polizeifahrzeug. Eine | |
Zeugin hört jemanden schreien: „Hört auf mit Rassismus“. Sie bleibt vor d… | |
Mannschaftswagen stehen und sieht, wie drei Polizist*innen eine Person | |
of Colour auf den Boden pressen.“ | |
Die Kampagne „Go! Film the police“ hat Vorbilder, vor allem in den USA. | |
Dort sorgten vor allem Filmaufnahmen von rassistischer Polizeigewalt für | |
breite gesellschaftliche Empörung und eine stärkere Auseinandersetzung mit | |
dem Thema, wie etwa 1991 gegenüber Rodney King oder zuletzt 2020 beim Tod | |
von George Floyd, der die [3][internationalen „Black lives Matter“-Proteste | |
auslöste]. | |
Racial Profiling als Begriff wurde erst Mitte der 1990er Jahre aus den USA | |
importiert, das Phänomen ist aber kein neues. Biplab Basu war Anfang der | |
Neunziger Jahre Teil einer Gruppe von Unterstützenden, die für die | |
Aufklärung des Mordes an [4][Amadeu Antonio] arbeiteten. Antonio, ein | |
junger Mann, Vertragsarbeiter aus Angola in Ostdeutschland, wurde 1990 in | |
einem Nachtclub von einem Mob angegriffen und zu Tode geprügelt. In dieser | |
Nacht waren auch drei Polizisten in Zivil dabei. Als sie vor Gericht nach | |
dem Grund gefragt wurden, warum sie nicht eingeschritten seien, warum sie | |
den Prügelnden nicht gestoppt hätten, sagte einer von ihnen, er hätte „sein | |
Leben für diesen N****“ nicht riskieren wollen. | |
Zusammen mit der Schwarzen Community und der Initiative Schwarze Menschen | |
in Deutschland (ISD) setzte sich Basu dafür ein, dass der Fall | |
Aufmerksamkeit bekam, und dass die Täter vor Gericht gestellt wurden. Zwar | |
wurden einige der Angreifer bestraft, doch die anwesenden Polizeibeamten | |
wurden nicht verurteilt. | |
Basu ist sich sicher, dass diese Tradition fortgesetzt wird, dass | |
Polizist*innen nicht für das bestraft werden, was sie getan oder | |
unterlassen haben. Deshalb ist ihm Dokumentation aus Sicht der Betroffenen | |
so wichtig, sei es mit der Handykamera oder mit Gedächtnisprotokollen. „Aus | |
der Sammlung der individuellen Erfahrungen der Opfer leitet sich der | |
Handlungsbedarf ab“, sagt Basu. | |
## Leerstellen in der Statistik | |
Studien zum Thema Racial Profiling gibt es vereinzelt. Etwa von Tobias | |
Singelnstein, Professor am Lehrstuhl für Kriminologie an der | |
Ruhr-Universität Bochum. Er hat 2020 im Zuge des Forschungsprojekts | |
[5][“Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“] Rassismus und | |
Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung | |
untersucht und dabei festgestellt, dass People of Coulor häufiger aufgrund | |
von Personenkontrollen mit der Polizei in Kontakt kommen als Weiße. Auch | |
die Studie “Racial Profiling“ von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schweiz | |
umreißt das Problem qualitativ und wirft die Frage auf, welche Taktiken im | |
Umgang mit rassistischen Polizeikontrollen möglich sind. Insgesamt ist das | |
Phänomen nur lückenhaft untersucht: Es fehlen ausreichend quantitative | |
Studien und Zahlen. | |
Immer wieder wehren sich Polizei und politisch Verantwortliche dagegen, | |
unabhängige Untersuchungen zuzulassen. Die Wissenschaftlerin Fiona Schmidt, | |
die an der HU Berlin zu Rassismus in der Polizei forscht, sagt: “Das Fehlen | |
von systemischem Monitoring ist ein großes Problem“. Ihr würden Steine in | |
den Weg gelegt, wenn es um den Zugang zu Daten von der Polizei oder den | |
zuständigen Ministerien ginge. | |
Es bleiben deswegen nur die qualitativen Daten, die Initiativen wie [6][KOP | |
in ihrer Chronik] sammeln. Bei dem im Jahr 2020 von zivilgesellschaftlichen | |
Organisationen angeschobenen „[7][Afrozensus]“ gaben mehr als 8 von 10 der | |
Afrozensus-Befragten an, in den letzten zwei Jahren im Kontakt mit der | |
Polizei diskriminiert worden zu sein. | |
## Solidarität organisieren | |
Vor etwa zwei Jahren beginnt die Initiative Wrangelkiez United mit einer | |
Telegram-Gruppe. Judith und David, die Initator*innen, wollen aufgrund | |
ihres Engagements ihre Nachnamen nicht öffentlich nennen. Rassistische | |
Polizeikontrollen seien bei ihnen vor der Haustür Alltag. Die beiden wohnen | |
im Berliner Wrangelkiez in der Nähe des Görlitzer Parks, einem Ort, an dem | |
mit Drogen gehandelt wird. Der Park ist als kriminalitätsbelasteter Ort – | |
kurz KBO – ausgezeichnet. Das heißt: Hier darf die Polizei anlasslos | |
kontrollieren. David hat schon viele Kontrollen beobachtet. Einmal hat er | |
zum Beispiel anschließend die Person gefragt, weshalb sie kontrolliert | |
wurde. Die Antwort: Ja nix, wir saßen hier.’ Die Erklärung der | |
Polizist*innen zu, Grund dieser Kontrolle: Verweilen ohne Grund im | |
öffentlichen Raum. „Es war Freitagnachmittag. Es war knalle heiß und die | |
Sonne schien. Alle saßen ohne Grund draußen rum“, sagt David. | |
Die Menschen, die im Görlitzer Park mit Drogen handeln, sind oftmals | |
tatsächlich Geflüchtete ohne Aufenthaltsstatus. David sieht das Problem vor | |
allem in der verfehlten Asyl-, Sozial- und Drogenpolitik. Viele Menschen | |
hier dürfen nicht arbeiten, und das Dealen sei eine der wenigen | |
Möglichkeiten, Geld zu verdienen. | |
Die Initiative druckt Plakate, verteilt sie Flyer, organisiert Workshops | |
für die Nachbar*innenschaft. Mit einem rosa Regenschirm sitzen | |
Aktivist*innen zum Beispiel im Park und suchen das Gespräch. Sie geben | |
Menschen Ratschläge für den Fall, dass sie Zeug*innen einer rassistischen | |
Polizeikontrolle werden. Ihr Vorschlag: In unmittelbarer Umgebung stehen | |
bleiben – als Signal an die Polizei. Gerade Nicht-Betroffene hätten weniger | |
zu befürchten und hätten die Chance, das zu nutzen. | |
Judith sagt, es habe sich schon Einiges geändert. Früher hätte sie bei | |
Polizeikontrollen Angst gehabt und sei als einzige Beobachterin von Beamten | |
angeschrien worden, sie solle gehen. Heute suchten Polizist*innen oft | |
das Gespräch. “Die Polizei merkt, dass sie genau beobachtet wird“, sagt | |
Judith. | |
## Gesetze ändern | |
Ferat Kocak sitzt er in seinem Büro, neben sich das Bild seiner Großeltern. | |
Kocak hat es geschafft: Er ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. An | |
diesem Tag im Januar lacht er, als er erzählt, dass die Securities ihn | |
selbst hier manchmal doppelt kontrollieren. Er will mit Gesetzen auf | |
Landesebene gegen Rassismus und Racial Profiling arbeiten. 2016 kandidierte | |
er das erste Mal für die Linke, es war die Zeit der erstarkenden AfD. Es | |
folgten Drohungen, Beleidigungen und Nazi-Symbole auf seinen Wahlplakaten. | |
2018 gab es einen Brandanschlag auf ihn und seine Familie. Die | |
Sicherheitsbehörden wussten, dass er im Visier von Rechtsradikalen war, | |
dennoch wurde er nicht gewarnt. Jahrelang verschleppte die Polizei die | |
Aufklärung. | |
Mit Racial Profiling hat Kocak seit seiner Jugend immer wieder Erfahrungen | |
gemacht. Kocak ist deshalb der Überzeugung, dass das Thema Sicherheit | |
grundlegend neu gedacht werden muss. | |
Auch die Initiative „Ihr seid keine Sicherheit“ (ISKS) unterstützt diesen | |
Gedanken. Im Mai letzten Jahres hatten sie zu einer Großdemonstration gegen | |
strukturelle Gewalt von Polizei und Sicherheitsbehörden aufgerufen, auch | |
Kocak war mit dabei. Diesen Frühling wollen sie ein Tribunal in Berlin zum | |
Thema Sicherheit und Polizei organisieren. Sie stellen Fragen wie: Was sind | |
die Voraussetzungen, dass etwas kriminell ist? Warum wird zum Beispiel das | |
Sterben-Lassen an den EU-Außengrenzen nicht geahndet? Die | |
Aktivist*innen von ISKS plädieren für den Abbau der Polizei durch | |
Dekriminalisierungskampagnen, etwa die Legalisierung von Marihuana. Ziel | |
ist für ISKS die Entwaffnung der Polizei, eine Entmilitarisierung, nicht | |
nur in Bezug auf Waffen, sondern auch auf technisches Wissen und Daten, die | |
gesammelt werden. | |
Forderungen, die Polizei lediglich mehr zu überwachen, hält die Initiative | |
für wenig ergiebig. Schließlich seien die schlimmsten rassistischen Morde – | |
wie zum Beispiel der Mord an George Floyd – auf Video aufgenommen worden. | |
Oft ohne Konsequenzen. Kocak sieht das ähnlich. Es gäbe unterschiedliche | |
Ideen, wie Racial Profiling bekämpft werden könne, sagt er, aber das | |
Grundelement sei, die Macht und die Verantwortlichkeiten der Polizei zu | |
verringern. Die Linke strebt mit den Koalitionspartnern in Berlin ein | |
Quittungssystem an. Nach der Kontrolle kann die kontrollierte Person eine | |
Quittung von der Polizei verlangen. Kocak reicht das nicht aus: „Es gibt | |
Studien in den USA, die beweisen, dass das nicht funktioniert.“ Tatsächlich | |
ist die Wirksamkeit eines solchen Systems umstritten, weil | |
Polizist*innen letztlich die Macht darüber behalten, was auf der | |
Quittung steht. | |
Die Umkehr der Beweislast zu schaffen, ist für Kocak ein richtiger Schritt. | |
Das heißt, wenn sich jemand aufgrund von rassistischen Vorbehalten | |
kontrolliert fühlt, muss die Polizei erklären, warum das nicht der Fall ist | |
und warum es einen triftigen Grund gab für die Kontrolle. | |
Wenn Kocak aufgrund seines Aussehens kontrolliert wird, geschieht das nicht | |
nur durch weiße Polizeibeamt*innen, sondern durchaus auch durch | |
Polizist*innen mit migrantischen Wurzeln. Das zeigt für Kocak deutlich, | |
dass das Problem innerhalb der Behörde struktureller Natur ist. | |
Um Racial Profiling aber ernsthaft anzugehen, brauche es deshalb eine | |
grundlegend andere Sicherheitspolitik: „Es braucht eine radikale | |
Veränderung, wie wir Sicherheit in der Gesellschaft denken.“ Durch die | |
Verstärkung sozialer Problemlösungsansätze könnte ein Teil der | |
Polizeiarbeit überflüssig gemacht werden. Zum Beispiel: Mehr Fahrradständer | |
für das sichere Abschließen von Fahrrädern könnten zu weniger geklauten | |
Fahrrädern und damit weniger Notwendigkeit von Kontrollen führen. Noch | |
seien aber Sicherheitsdenken und Polizei fest miteinander verbunden. | |
Obwohl es schon seit 40 Jahren organisierte Strukturen gegen Racial | |
Profiling aus der Zivilgesellschaft gibt, steht die Debatte noch am Anfang. | |
Doch Kocak sieht zumindest in Berlin „ein Stück weit Hoffnung, dass wir | |
Racial Profiling in dieser Legislaturperiode angehen werden“. Das hat vor | |
allem mit der Besetzung des Innenauschusses zu tun. In ihm sitzen seit 2021 | |
viele Menschen mit Rassismuserfahrung. Sie haben etwas vor. | |
24 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Tareq_Alaows/status/1474830339205996547 | |
[2] /Gesetze-zu-Racial-Profiling-der-Polizei/!5698417 | |
[3] /Black-Lives-Matter/!t5320244 | |
[4] https://todesopfer-rechter-gewalt-in-brandenburg.de/amadeu-antonio/ | |
[5] https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zweiter_Zwischenbericht.pdf | |
[6] https://kop-berlin.de/files/documents/chronik.pdf | |
[7] https://afrozensus.de/reports/2020/Afrozensus-2020.pdf | |
## AUTOREN | |
Sarah Hüther | |
Ibrahim Karci | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Racial Profiling | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
IG | |
Schleswig-Holstein | |
Polizei Berlin | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
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