# taz.de -- Diskussion um den Görlitzer Park: Jede Menge Druck | |
> Wie ein Déjà-vu mutet die Debatte an, die nach einer Vergewaltigung über | |
> die Sicherheit im Görlitzer Park und Wrangelkiez entbrannt ist. | |
Bild: Der Görlitzer Park in Kreuzberg: Keine Gastronomie, keine Sportangebote,… | |
BERLIN taz | Der Görli, wieder einmal. Seit Bekanntwerden einer | |
[1][mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung] einer Frau im Görlitzer Park im | |
Juni vor den Augen ihres Begleiters tobt eine Debatte um die Sicherheit in | |
dem Park und dem angrenzenden Wrangelkiez. Wie in der Vergangenheit, wenn | |
drastische Vorkommnisse das gewohnte Maß an Kriminalität und Elend in dem | |
Kreuzberger Kiez überschritten, hat sich auch diesmal die Politik | |
eingeschaltet. | |
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat für September einen | |
Sicherheitsgipfel im Roten Rathaus angekündigt, bei dem es nicht nur um den | |
Görlitzer Park gehen soll. Dass dazu bislang nur Polizei, Verfassungsschutz | |
und die Senatsverwaltungen für Inneres und für Justiz als Teilnehmer | |
vorgesehen sind, hat Kritik nach sich gezogen. Nicht einmal die zuständige | |
Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann | |
(Grüne), wurde eingeladen. | |
Die schwarz-rote Koalition erwägt, einen Zaun um den Görli zu ziehen und | |
den Park nach dem Vorbild des Tempelhofer Felds in der Nacht abzuschließen. | |
Der Regierende Wegner, SPD-Fraktionschef Raed Saleh und auch | |
Polizeipräsidentin Barbara Slowik haben sich in den Medien bereits offen | |
für entsprechende Pläne gezeigt. Ein Zaun allein bringe nichts, zeigt sich | |
die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann dagegen skeptisch. Bisher liege | |
kein Konzept vor, das nicht zu einer Verdrängung und damit Verschärfung der | |
Problemlagen führen würde. | |
Und es gibt weitere Forderungen. In den den Reihen der CDU plädiert man für | |
eine Videoüberwachung im Park. Auch über den Aufbau einer festen | |
Polizeiwache wird diskutiert. Die Debatte mutet an wie ein Déjà-vu. | |
## Dritte Taskforce | |
Die Taskforce für den Görli, die Wegner im September einberufen will – sie | |
heißt nur anders –, wäre mittlerweile schon die dritte. Die erste hatte | |
2014 der damalige CDU-Innensenator Frank Henkel gegründet, nachdem der Wirt | |
einer Shishabar in der Skalitzer Straße in einem Akt von Selbstjustiz einen | |
Drogendealer niedergestochen hatte. In den Wochen vor der Tat soll der Wirt | |
70-mal die Polizei gerufen haben, weil er sich von Dealern bedroht fühlte. | |
Die Taskforce beschloss ein Maßnahmenpaket, mit dem die Drogenkriminalität | |
zwischen Görlitzer Park und angrenzenden Kiezen bis hin zur Revaler Straße | |
in Friedrichshain eingedämmt werden sollte. | |
Razzien und verdeckte Ermittlungen wurden erhöht. Zeitgleich wurde der | |
[2][Görli zur Null-Toleranz-Zone für Drogen] erklärt. Die Idee dahinter: | |
die Dealer sollten sich nicht mehr auf die in Berlin geltende | |
15-Gramm-Duldungsregelung beim Besitz von Cannabis zum Eigenbedarf berufen | |
können. | |
Während die Polizei den Repressionsdruck erhöhte, bemühte sich das | |
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg um niedrigschwellige Maßnahmen: „Unser | |
Konzept war, den Park mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zurückzuerobern“, | |
erinnert sich [3][Monika Herrmann (Grüne), die von 2013 bis 2021 | |
Bezirksbürgermeisterin] war. Konkret sah das so aus: Hecken und Unterholz | |
lichten, Hauptwege beleuchten, BSR zur regelmäßigen Säuberung anheuern, | |
Parkläufer und Sozialarbeiter einsetzen. Erste, um die Dealer in Schach zu | |
halten, zweitere, um sie in Sozialprojekte zu lotsen. | |
Der Bezirk habe frühzeitig mit der Polizei zusammengearbeitet, sagt Monika | |
Herrmann. Aber Razzien nach der Methode, „die Dealer einmal durch den Park | |
jagen, kurz danach sind alle wieder da“, seien völlig unsinnig gewesen. Das | |
Ergebnis sei allerdings gewesen, dass sich Drogenhandel und | |
Begleitkriminalität seither massiv in die Kieze verlagert hätten, besonders | |
in den Wrangelkiez. „Die Probleme können nicht losgelöst von der Partymeile | |
diskutiert werden“, sagt Monika Herrmann. Durch die Besucher der Clubs am | |
Schlesischen Tor, Warschauer Straße bis rüber zum RAW-Gelände bestimmt die | |
Nachfrage nach Drogen das Angebot. Längst ist das nicht mehr nur Cannabis. | |
## Brennpunkteinheit soll es richten | |
Taskforce Phase zwei läutete SPD-Innensenator Andreas Geisel 2020 mit der | |
Gründung der Polizei-Brennpunkt-Einheit ein. Die Bilanz nach einem Jahr und | |
rund 100.000 Einsatzkräftestunden an den als kriminalitätsbelastet | |
eingestuften Orten aus Sicht von Anwohnern: Die Dealer würden immer mehr | |
und träten bedrohlicher auf, klagten die einen. Auffällig ist, dass sich in | |
der linken Kreuzberger Anwohnerschaft kaum jemand namentlich zu den | |
Problemen äußern will. Auch aus Angst, dass ihnen zum Vorwurf gemacht | |
werden könnte, Rechtspopulisten mit rassistischen Vorurteilen zu beliefern. | |
Andere, darunter die Anwohner:inneninitiative Wrangelkiez United!, | |
warfen der Brennpunkteinheit Rassismus und Racial Profiling bei den | |
Kontrollen vor. Nahezu ausschließlich People of Color und Schwarze Menschen | |
würden kontrolliert – unabhängig davon, was sie täten, so die Kritik. Der | |
Subtext: Wenn der Kiez ein Problem hat, ist es ein Polizeiproblem. | |
Inzwischen hat sich eine stark verelendende Drogenszene im Wrangelkiez | |
ausgebreitet. Seit wann das so ist, lässt sich schwer sagen. Seit der | |
Coronapandemie sei das „wie ein Schub“, meint eine Anwohnerin. Dealer, die | |
selbst unter Drogen stehen, sowie Junkies hätten Treppenhäuser, | |
Hauseingänge und Höfe belegt. Fast überall werde genächtigt, Stoff | |
aufgekocht und gespritzt. Sie erlebe die Abhängigen als sehr unberechenbar | |
und zum Teil auch bedrohlich, sagt eine 57-jährige Grafikerin. Nachts gehe | |
sie nicht mehr alleine auf die Straße. Auch ihr Partner tue das nur noch | |
mit Pfefferspray in der Tasche | |
Zugenommen habe insbesondere der Konsum von Crack, bestätigt David Kiefer | |
von der Anwohner:inneninitiative Wrangelkiez United! Was es | |
brauche, seien Streetworkprojekte und verstärkte Aufklärung der | |
Drogenhilfe, vor allem aber einen mobilen Konsumraum mit einem Angebot bis | |
in die Nacht. | |
„Wir als Anwohner:innen wollen nachhaltige Lösungen“, sagt David Kiefer | |
von der Anwohner:inneninitiative Wrangelkiez United! Nichts sei | |
durch die Verstärkung der Polizeikontrollen besser geworden. Jetzt erneut | |
über Polizei, Zäune oder Videoüberwachung zu diskutieren „ist | |
Effekthascherei“. Die Probleme würden dadurch nur weiter in die Wohngebiete | |
verlagert. Eine grundsätzliche Lösung brauche Perspektiven für die | |
Menschen, die keine Papiere hätten, also Aufenthalts- und | |
Arbeitserlaubnisse. „Die Probleme der EU-Migrationspolitik finden sich in | |
unserem kleinen Park wieder“, sagt Kiefer. | |
## Eine Ballung an Armut | |
„Die Armut aus aller Welt ballt sich hier“, bestätigt eine Rechtsanwältin, | |
die seit 40 Jahren im Wrangelkiez wohnt. Auffällig sei die große Zahl | |
verelendeter junger Männer. Sie selbst habe sich aber noch nie bedroht | |
gefühlt, gehe weiterhin nachts allein auf die Straße. Der Idee, den Görli | |
nachts zuzusperren, könne sie aber trotzdem etwas abgewinnen, sagt die | |
Anwältin. „Vielleicht wäre das ja eine Möglichkeit, das Partyvolk zur | |
Konfliktvermeidung draußen zu halten.“ | |
Die mutmaßliche Massenvergewaltigung im Görlitzer Park hat viele | |
erschreckt. Drei Tatverdächtige sind inzwischen festgenommen worden. Aus | |
der Tat den Schluss zu ziehen, Vergewaltigungen geschähen besonders oft im | |
Görli und dem angrenzenden Straßenraum, ist aber falsch. Von der Polizei | |
nicht nach Tatort aufgeschlüsselte Zahlen hatten das zunächst nahegelegt. | |
[4][Recherchen der taz ergaben, dass fünf von sechs Taten in Privaträumen | |
stattfanden]. | |
Auch hier lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Es war im September | |
1991: Nach der Vergewaltigung einer 15-Jährigen im Görlitzer Park hatte der | |
Frauen-Notruf an die Parkmauern Warnungen für Frauen plakatiert. „Morgen | |
kann es auch Sie erwischen“, schrieben die Notruf-Frauen. Seit der | |
Maueröffnung häuften sich die Meldungen über Vergewaltigungen. Auf | |
Nachfrage der taz stelle sich dann heraus, dass diese Aussage nicht nur für | |
Kreuzberg SO 36 gelte, sondern für die ganze Stadt. | |
## Ein Angstraum für manche | |
Monika Herrmann kann sich noch gut an die Plakataktion erinnern. Und auch | |
an die Debatte, die sie selbst 2019 als Bezirksbürgermeistern mit einem | |
Satz in einem Interview mit der Welt ausgelöst hatte: „Ich gehe in Berlin | |
im Dunkeln durch gar keine Parks.“ Bis heute halte sie das so, so Herrmann | |
zur taz. Das gelte auch für den Görli. „Nachts ist der Park eine | |
Parallelwelt, ein Angstraum für manche.“ | |
Aber mit dem Abschließen werde nichts gelöst. Im Gegenteil. „Dann verlagert | |
sich das noch mehr in die Wohnkieze und – denken wir mal einen Schritt | |
weiter – in den Schlesischen Busch und in den nicht weit entfernten | |
Treptower Park.“ Sie sei immer für eine ständige Anwesenheit der Polizei im | |
Kiez gewesen, für eine dauerhafte mobile Wache. | |
Und was macht der Bezirk? | |
Alles, was der Bezirk an sozialer Arbeit und Drogenarbeit habe leisten | |
können, sei gemacht worden. „Aber wenn wir weitergehende Forderungen für | |
eine Ausweitung gestellt haben, hieß es vom Senat stets: kein Geld da.“ | |
Will man eine ehrliche Einschätzung, wie es um den Görli bestellt ist, | |
fragt man am besten Michael Schulze, den langjährigen Mitarbeiter des | |
Kinderbauernhofs im Görli. In den letzten 10, 15 Jahren habe es viele Ideen | |
für den Görli gegeben, aber die Situation habe sich eher verschlechtert, | |
sagt Schulze. Der Park sei runtergekommen, es gebe schon lange keine | |
Gastronomie mehr auf dem Gelände. Und auch das viel gepriesene, begeistert | |
angenommene Kinder- und Jugendsportangebot sei beendet worden. Die voll | |
ausgestattete Sportanlage im Park war Ende Februar geschlossen worden, | |
[5][weil das Bezirksamt mit der Turngemeinde in Berlin (TiB), Trägerin des | |
Projekts, nicht einig geworden ist]. | |
Die Idee, den Parks nachts zuzumachen, sei gar nicht so übel, sagt Schulze: | |
„Einfach mal eine Zeit lang ausprobieren und gucken, ob sich was | |
verändert.“ | |
6 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Mutmassliche-Gruppenvergewaltigungen/!5951531 | |
[2] /Kommentar-zur-Berliner-Drogenpolitik/!5387649 | |
[3] /Monika-Herrmann-ueber-ihr-Amt/!5638449 | |
[4] /Vergewaltigung-in-Berlin-Kreuzberg/!5948133 | |
[5] /Sport-und-Freizeit-in-Berlin/!5920052 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
Erik Peter | |
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