# taz.de -- Markus Söder im Wahlkampf: Der Würstchen-Populist | |
> Markus Söder schürt Ängste und nimmt es mit Fakten nicht so genau. Stellt | |
> sich in Bayern im Herbst ein kleiner Trump zur Wiederwahl? | |
ADLDORF UND MÜNCHEN taz | Am Ende wird es strahlende Gesichter geben auf | |
dem Parkfest in Adldorf. Ein Mädchen wird zu ihren Freundinnen hüpfen, | |
stolz das Selfie mit dem Ministerpräsidenten zeigen. Eine Frau mittleren | |
Alters wird ihrem Mann um den Hals fallen und rufen: „Ich werde ihn wählen, | |
ich bin so überzeugt von ihm.“ Und ein junger Mann wird resümieren: „War | |
schee, hat passt.“ Dann wird Markus Söder aber auch schon in seinen 7er-BMW | |
gestiegen und auf dem Weg zum nächsten Termin sein. Mission erfüllt. | |
Wenn man das Phänomen Markus Söder verstehen will, muss man nicht unbedingt | |
ins niederbayerische Adldorf fahren. Aber schaden kann es nicht. Adldorf | |
liegt an der Vils und hat wenige hundert Einwohner. Die Weiler in der | |
Umgebung haben so schöne Namen wie Grimöd, Kuföd oder Weilöd. Eine Wiese | |
weiter wird ein paar Tage später Howard Carpendale auftreten. Größte | |
Sehenswürdigkeit des Ortes: das Schloss der gräflichen Familie [1][Arco auf | |
Valley], die hier noch immer den Ton angibt, die Brauerei betreibt und | |
alljährlich das fünftägige Parkfest ausrichtet. Die Menschen bauen Gemüse | |
an, arbeiten in der Brauerei oder bei BMW in Dingolfing. | |
Hier ist Niederbayern, wie es niederbayerischer nicht mehr wird. Stimmkreis | |
Dingolfing, konservatives Kernland. Und doch: Wenn am 8. Oktober der neue | |
Landtag gewählt wird, ist das hier längst kein Selbstläufer mehr für die | |
CSU. | |
Früher holte die Partei in Dingolfing Ergebnisse von 47 Prozent und mehr. | |
2018 lag sie dann nur noch bei 37,9 Prozent; die Freien Wähler bekamen | |
19,4, die AfD 13,8 Prozent. Im Nachbarstimmkreis Deggendorf kamen die | |
Rechtsextremen mit 15,6 Prozent sogar auf ihr bayernweites Rekordergebnis. | |
Und nur ein bisschen weiter im Westen liegt Landshut, wo dem | |
Freie-Wähler-Chef [2][Hubert Aiwanger] diesmal gute Chancen auf ein | |
Direktmandat eingeräumt werden. | |
## Die Bierzeltperformance | |
Populisten hier, Populisten da. Und mittendrin: Markus Söder. Ein | |
Politiker, dem allerdings nicht wenige bescheinigen, ebenfalls aus solchem | |
Holz geschnitzt zu sein. Die Opposition in Bayern vergleicht ihn mitunter | |
gar mit Donald Trump. | |
Es ist ein beschauliches Volksfest, wie man sie hier auf dem Land eben so | |
feiert. Hendlbraterei, Kinderkarussell, Autoscooter, das Rote Kreuz | |
verkauft Lose. Am vorletzten Abend gibt es immer eine CSU-Kundgebung im | |
Bierzelt. Und da die Landtagswahl ansteht, hat sich der Ministerpräsident | |
angekündigt. Vorne an der Landstraße warten schon seit zehn Minuten der | |
Landrat, die örtlichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die gräfliche | |
Familie und der Brauereidirektor. Auch Bauminister Christian Bernreiter ist | |
da, seit einigen Wochen ist er Chef der CSU Niederbayern. Es ist 17.10 Uhr, | |
als Söder vorfährt. Jemand ruft: „Aufstellung!“ Die Musiker der Blaskapel… | |
Führmann stellen schnell noch ihre Masskrüge weg, kurze Begrüßung, dann | |
geht man gemeinsam rüber zum Bierzelt. Defiliermarsch, Einzug des | |
Ministerpräsidenten. | |
Montagnachmittag – man könnte sich günstigere Termine für den Wahlkampf im | |
Bierzelt vorstellen. Aber da die Gäste des Seniorennachmittags herzlich | |
eingeladen wurden, noch ein wenig zu bleiben, ist das Zelt ordentlich | |
besetzt: Zwischen 600 und 1.000 Zuschauer dürften es sein. Wenn das immer | |
so läuft, kommt bei den rund 110 Bierzeltauftritten, die Söder in diesem | |
Wahlsommer absolvieren will, schon was zusammen. | |
17.30 Uhr: Die Brotzeitbrettl sind gereicht, der stellvertretende | |
Vorsitzende der bayerischen Wasserwacht ist begrüßt, Söder hat zwei-, | |
dreimal am gräflichen Bier genippt. Dann steht er oben am Rednerpult in | |
seinem beigefarbenen Trachtenjanker und legt los. Er freue sich, leitet | |
Söder ein, mal wieder „vernünftige und anständige Menschen“ zu treffen. | |
Schließlich habe jede bayerische Gemeinde mehr Verstand als die | |
Regierungsparteien in Berlin. Das geht runter wie die kühle Mass bei den | |
noch immer 30 Grad im Schatten. | |
Es folgt ein Parforceritt durch die Söder’sche Themenlandschaft: vom | |
Heizungsgesetz über den Länderfinanzausgleich bis zur Erbschaftssteuer. Es | |
geht um Biomasse, Holz und die Wichtigkeit des Warmduschens, natürlich auch | |
ums Gendern, die Letzte Generation et cetera. Söders Stimme ist etwas | |
mitgenommen, er muss immer wieder husten. Aber für eine solide Performance | |
reicht die Konstitution des 56-Jährigen allemal. | |
Ein paar Häppchen sind speziell auf das Publikum zugeschnitten, auf die | |
bayerischen Bauern, die „die halbe Welt“ ernährten und denen man Dank | |
zollen müsse. Ansonsten liefert Söder sein Standardrepertoire: deftige | |
Sprüche, seichte Witze, beispielsweise über das Aussehen von Karl | |
Lauterbach, und viel bayerisches Selbstbewusstsein. | |
## Auch in Bayern legt die AfD zu | |
Söder kann einigermaßen gelassen in diese Wahl gehen. Zuletzt stand die CSU | |
in den Umfragen solide da, mal über 40 Prozent, mal etwas drunter. Dass CSU | |
und Freie Wähler ihre Koalition werden fortsetzen können, das bezweifelt | |
kaum jemand. Das beunruhigendste Ergebnis der Umfragen ist ein anderes. | |
Auch in Bayern kann die AfD weiter zulegen, könnte drittstärkste Kraft im | |
neuen Landtag werden. Wie also mit ihr umgehen? Söder steckt noch die | |
Erfahrung von 2018 in den Knochen, als er ihr mit besonders markigen | |
rechten Parolen – Stichwort Asyltourismus – den Wind aus den Segeln nehmen | |
wollte. Er ruderte zurück. | |
Heute sagt Söder: „Wer anderen hinterherläuft, wird nie die Nummer eins.“ | |
Aber wenn man einen Koalitionspartner hat, der offenbar mit dem einen oder | |
anderen kopierten AfD-Spruch kein Problem, sondern sogar Erfolg hat, und in | |
der Schwesterpartei einen Chef, der sich neuerdings öffentlich [3][den Kopf | |
über kommunale Bündnisse mit den Rechtsradikalen zerbricht] – was dann? Es | |
macht die Sache zumindest nicht einfacher. Und es gibt auch in der CSU | |
Politiker, die intern beklagen: „Wir haben keine konzeptionelle Antwort auf | |
die AfD.“ | |
Ein Politiker müsse dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem | |
Mund reden, hat schon CSU-Übervater Franz Josef Strauß vorgegeben. Aber ist | |
die Trennlinie da immer so scharf? | |
## Sticheleien gegen die Demokratie | |
Astrid Séville hat noch schnell einen Minztee gekocht. Jetzt sitzt die | |
Politikwissenschaftlerin an dem kleinen Besprechungstisch in ihrem Büro. Es | |
liegt in einem modernen Nebengebäude der Technischen Universität München, | |
gleich hinter dem Lenbachhaus. Séville spricht über Markus Söder. Und über | |
Populismus. Die naheliegende Frage: Gibt es da einen Zusammenhang? | |
Was ist das überhaupt, Populismus? Astrid Séville beschäftigt sich seit | |
Jahren mit dem Phänomen. Kern des Populismus, sagt die 38-Jährige, sei die | |
Gegenüberstellung des ehrlichen, schweigenden und übergangenen Volkes und | |
einer in welcher Weise auch immer abgehobenen Elite, einem Establishment, | |
das das Volk um sein Recht bringe. Er beinhalte daher immer die Behauptung, | |
es herrsche aktuell keine richtige Demokratie, und den Aufruf, sich gegen | |
„die da oben“ zu wehren. | |
Der klassische Populist wäre also demnach Söders Vize Hubert Aiwanger, man | |
erinnert sich an seinen [4][Auftritt bei einer Kundgebung in Erding], wo er | |
forderte, „die schweigende große Mehrheit“ müsse sich „die Demokratie | |
wieder zurückholen“. Séville nickt. „Da habe ich mir auch gedacht: Hat der | |
Aiwanger gerade eine How-to-do-Populism-Anleitung gelesen?“ | |
Ist Söder dagegen also harmlos? So ungeschoren will ihn die Professorin | |
nicht davonkommen lassen. Dass auch Söder in Erding gewesen sei, sei ja | |
kein Versehen gewesen. „Der wusste, auf welcher Bühne er da steht. Das sind | |
so kleine Tabubrüche nach rechts, Testballons, wie weit man gehen kann.“ | |
Sie wolle nicht sagen, dass Söder nicht fest auf dem Boden des | |
Grundgesetzes stehe oder demokratische Institutionen infrage stelle. Aber: | |
„Ich glaube tatsächlich, dass er einer derjenigen in der deutschen Politik | |
ist, die das Spiel mit populistischer Agitation, mit populistischer Logik | |
hervorragend beherrschen und es auch ganz gezielt einsetzen.“ Beispiel | |
Atomkraft: Natürlich wisse Söder, dass sein Vorschlag, Atomkraftwerke in | |
bayerischer Eigenregie weiterzuführen, jeglicher verfassungsrechtlicher | |
Grundlage entbehre – trotzdem bringe er ihn an. „Das sind Sticheleien gegen | |
Entscheidungen unserer demokratischen Institutionen. Das hat schon eine | |
Tendenz zum Populismus.“ | |
Anders als Aiwanger versuche er dabei einen Spagat – „auf der einen Seite | |
der Staatsmann, auf der anderen Seite einer aus dem normalen Volk, der der | |
angeblich schweigenden Mehrheit eine Stimme verleiht – gegen die da oben.“ | |
## „Das schönste Bundesland der Welt“ | |
Schlichte Botschaften sind auch so ein Wesensmerkmal des Populismus. Eine | |
solche Botschaft lautet: Wir in Bayern sind die Besten, wir haben’s am | |
schönsten, und schuld daran ist die CSU. „Bayern ist das schönste | |
Bundesland der Welt“, ist einer von Söders schöneren Sätzen in Adldorf. | |
Natürlich exerziert der CSU-Chef die Großartigkeit Bayerns auch gern im | |
Detail durch. Auf die niedrigste Kriminalitätsrate verweist er dann und | |
darauf, dass Bayern „Familienland Nummer eins“ und „mit dem Silicon Valley | |
auf Augenhöhe“ sei. Er nennt Bayern aber auch das „menschlichste Land“, | |
denn es habe mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich. Gäbe | |
es den Defiliermarsch nicht, zöge Söder wohl zu Tina Turners Zeile | |
[5][„Simply the best …“] ins Bierzelt ein. | |
Im Titel ihres Regierungsprogramms unternimmt die CSU noch nicht einmal den | |
Versuch zu verheimlichen, wie dünn der Inhalt ist – [6][„In Bayern lebt es | |
sich einfach besser“], heißt der. Wenig hätte es verwundert, wenn die | |
Partei noch ein achselzuckendes „Mei“ vorangestellt hätte. | |
Die tatsächliche Bilanz der CSU ist durchwachsen. Wirtschaftlich steht | |
Bayern noch immer sehr gut da. Aber nicht überall ist der Freistaat an der | |
Spitze. So tritt die Regierung in der Bekämpfung der in Bayern besonders | |
heftigen Wohnungsmisere auf der Stelle. 10.000 bezahlbare Wohnungen hatte | |
Söder bis 2025 versprochen, vor einigen Monaten wurden Zahlen bekannt, | |
wonach er dieses Ziel um etwa 93 Prozent verfehlt. Auch bei der | |
ÖPNV-Anbindung ist Bayern nach einer Analyse des Bundesinstituts für Bau, | |
Stadt- und Raumforschung neben Mecklenburg-Vorpommern Schlusslicht. Und der | |
Ausbau der Windkraft kommt allen Versprechungen zum Trotz kaum voran: Mit | |
fünf neuen Anlagen kann Bayern sich im ersten Halbjahr gerade mal für 1 | |
Prozent des deutschen Zubaus verantwortlich zeichnen. | |
Auch gibt es große Zweifel daran, dass die Regierung ihr ausgerufenes Ziel | |
der Klimaneutralität bis 2040 erreicht. Aktuell steigen die Emissionen | |
wieder, eine Besserung ist nicht in Sicht. Und erst vor wenigen Tagen | |
schimpfte der Bund Naturschutz, dass die Staatsregierung auch in Sachen | |
Flächenfraß weit von ihrem selbstgesteckten Ziel entfernt ist. Statt der | |
angestrebten fünf würden weiterhin täglich weitere zehn Hektar Fläche | |
verbraucht. | |
Söder ficht das freilich nicht an. Er sagt dann oft Sätze wie: „Wir sind | |
nicht perfekt, aber wir sind näher dran als andere.“ Neben maximaler | |
Selbstbeweihräucherung gibt es noch eine weitere Kernbotschaft in seinem | |
Wahlkampf: den vermeintlichen Kulturkampf. Da geht es um die angeblichen | |
Verbote, die Umerziehungsversuche der Ampel, allen voran der Grünen. „Dazu | |
gehört dann auch, diese Pappfiguren aufzubauen, gegen die man schießen | |
kann. Bei Söder ist das in ganz besonderem Maße diese Idee einer grünen | |
Zwangsveganisierung“, erklärt Séville, „bei der dann mitschwingt, dass da | |
oben diese Grünen sitzen, die autoritäre Entscheidungen gegen den | |
eigentlichen Willen des Volkes treffen.“ | |
## Unser täglich Fleisch gib uns heute | |
Ja, das Fleisch! Söders liebstes Nahrungsmittel spielt eine zentrale Rolle | |
in seiner Dauerwahlkampfsendung. Keine Rede, kein Talkshow-Auftritt kommt | |
ohne aus. In den sogenannten Sozialen Medien hat Söder sogar einen eigenen | |
Hashtag #söderisst eingeführt. Hier verbreitet er Fotos von so ziemlich | |
allem, was sich auf seinem Teller findet: Schweinshaxn, saures Lüngerl, | |
Weißwürste, Kalbskopf, selbstverständlich Nürnberger Bratwürste und, und, | |
und … „Eigentlich müsste man bei Söder schon von Fleisch-Populismus | |
sprechen“, sagt Astrid Séville. | |
Fleisch, das habe etwas mit bayerischer Alltagskultur zu tun, so die | |
Wissenschaftlerin. Für viele stehe es für gesunden Menschenverstand, | |
Normalität. Die einfachen Leute, so der Gedanke, äßen Fleisch. Für Söder | |
hat das Thema noch einen besonderen Vorteil, denn in Wirklichkeit | |
entspricht er ja so gar nicht dem bayerischen Bierzeltnormalo. Franke ist | |
er, Protestant, Städter und Akademiker. Trinkt so gut wie keinen Alkohol, | |
trägt vom Janker abgesehen keine Tracht, und bei den Schützen ist er auch | |
nicht. Aber in puncto Fleischkonsum kann er sich authentisch als Mitglied | |
des „normalen Volks“ präsentieren. Unser täglich Fleisch gib uns heute! | |
Und wenn dann die von den Grünen mitregierte Stadt München beschließt, in | |
ihren Kitas keine Fleisch- und Fischgerichte mehr anzubieten, ist das | |
natürlich ein gefundenes – pardon! – Fressen für den CSU-Chef. Da könnte | |
man kleinlich sein und wie das Münchner Bildungsreferat einwenden, dass die | |
Behauptung gar nicht stimmt und dass künftig lediglich mit Rücksicht auf | |
die Überfischung der Meere auf die Verwendung von tiefgefrorenem Fisch | |
verzichtet werde. Nur darf man die Wirkkraft von Fakten nicht überschätzen. | |
Söder erreicht mit seiner Behauptung bei „Lanz“ ein Millionenpublikum, das | |
Bildungsreferat mit seiner Richtigstellung dagegen … genau. | |
## Die One-Man-Show eines Opportunisten | |
Séville erinnert an das Motto von Steve Bannon, dem früheren Trump-Berater: | |
„Flood the zone with shit.“ Je mehr Desinformation man verbreite, desto | |
mehr davon werde hängen bleiben. „Dann kann man natürlich auch mal den | |
Leuten erzählen, dass ihnen gleich übermorgen jemand ihre alte Heizung | |
ausbaut.“ Irgendwas bleibt zurück. Und Angst schüren geht immer. Da | |
entwirft Söder auch mal drastische Armutsszenarien: „Einkaufen im | |
Supermarkt muss wieder möglich sein“, [7][forderte er jüngst bei einer | |
CSU-Klausurtagung]. „Natürlich ist auch das mit der Zwangsveganisierung | |
totaler Quatsch“, sagt Séville. „Niemand in Deutschland will ja jemanden | |
zwangsveganisieren.“ | |
Dasselbe gilt natürlich fürs Zwangsgendern oder grüne Liederverbote. | |
Dennoch ist es Söder beispielsweise zum Wiesn-Auftakt ein Anliegen, eine | |
Lanze für den sexistischen Song „Layla“ zu brechen. À la: Das wird man wo… | |
noch singen dürfen. Man darf vermuten, dass Söder kein inneres Bedürfnis | |
verspürt, Ballermann-Schlager über geile Puffmütter in die Welt hinaus zu | |
grölen. Aber solange es opportun ist, solange es hilft, das Bild des | |
Freiheitsentzugs durch eine grüne Sittenpolizei zu zeichnen, macht sich der | |
Ministerpräsident auch gern mal zum Anwalt der „Layla“-Sänger. | |
Ein Hang zum Opportunen wird Söder von jeher zugeschrieben. „Vielleicht | |
sollte man ihn als Machiavellisten beschreiben“, überlegt Séville, also als | |
einen, der sich den Gelegenheiten anpasst, sie erkennt und nutzt. Und das | |
Ganze kann dann auch noch unter Staatsräson laufen, denn der Principe ist | |
ja derjenige, der den Laden zusammenhält. Deshalb ist der Machterhalt quasi | |
ein Wert für sich.“ Söder, ein populistischer Machiavellist? | |
Letztlich lässt sich das, womit der CSU-Chef den Wahlkampf bestreitet, in | |
ein Wort fassen: Söder. Dabei ist es nicht nur das fortwährende Selbstlob, | |
das auffällt – etwa die stete Behauptung, er habe in der Pandemie 130.000 | |
Leben gerettet – oder die von der Staatskanzlei aus dirigierte | |
One-Man-Show. Es ist auch die absolute Omnipräsenz des Ministerpräsidenten. | |
Flood the zone with Söder! | |
Völlig einerlei, ob die MAN-Betriebsversammlung in Nürnberg, das | |
Bezirksmusikfest des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes in Unterroth, der | |
Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl oder das Internationale | |
Samba-Festival in Coburg: Söder ist da. Oft sind es vier, fünf solcher | |
Termine pro Tag. Zwischenrein zeichnet er die zehn besten Metzger Bayerns | |
aus. Und wenn die Gemeinde Rohr meinen sollte, sie könnte den 675. | |
Jahrestag der Verleihung des Marktrechts ohne den Ministerpräsidenten | |
begehen, dann hat sie sich aber so was von geschnitten. Meint sie aber | |
natürlich nicht. | |
Selbstverständlich geht Söder auch zu Lanz und Maischberger, und inzwischen | |
hat er sogar seinen eigenen Podcast, in dem er sich mit Prominenten | |
unterhält. Überhaupt – die Prominenten. An ihrer Seite zeigt er sich gern. | |
Oder besser gesagt: Er zeigt sie gern an seiner Seite. In der Filmbranche | |
erinnern sich noch manche nicht ohne eine Portion Fremdscham an die | |
Verleihung des Bayerischen Filmpreises im vergangenen Jahr. An den Moment, | |
als Söder bei der Übergabe des Ehrenpreises [8][mit Fußball unterm Arm und | |
im kompletten Fußballoutfit von 1954] auf die Bühne sprang. Der eigentliche | |
Preisträger, der zum Statisten verdammte Sönke Wortmann, stand daneben und | |
schaute mit versteinerter Miene zu. Auch das gehört zur großen Söder-Show. | |
Dass ihm nichts, aber auch gar nichts peinlich ist. | |
## Kann es einen Populismus der Mitte geben? | |
Es gibt jedoch Termine, um die selbst Söder einen Bogen macht. Zu | |
Opernveranstaltungen schickt er in Vertretung gern seinen Kunstminister | |
Markus Blume, zu Podiumsdiskussionen mit Spitzenkandidaten der anderen | |
Parteien seinen Finanzminister Albert Füracker – und auch den Landtag | |
meidet Söder. 2022 habe er von 30 Sitzungen 25 geschwänzt, rechnete die SPD | |
vor; auf eine ähnlich niedrige Quote komme kein anderer Ministerpräsident. | |
Dem politischen Nahkampf mit der Opposition, so die Süddeutsche Zeitung, | |
weiche Söder konsequent aus. | |
Im Bierzelt in Adldorf hat er keinen Kampf zu befürchten. Nach knapp einer | |
Stunde ist Söder am Ende seiner Rede angelangt; ein Mitarbeiter reicht ihm | |
ein Handtuch. Passt schon, sagen die Leute. „Aber wenn der Aiwanger | |
dagewesen wäre“, meint ein Besucher, „da hätte das Zelt getobt.“ Ein | |
anderer klingt besorgter: „Die AfD ist im Anmarsch, dazu hätte er ein | |
bisschen mehr sagen können.“ Ja, man wüsste zu gern, wie Söder es nun mit | |
den ganz Rechten hält. | |
Eine Woche später, CSU-Vorstandssitzung. Markus Söder will die | |
Migrationspolitik nun offenbar doch zum Wahlkampfthema zu machen, und | |
kündigt an, bei abgelehnten Asylbewerbern wieder von Geld- zu | |
Sachleistungen zurückzukehren. „Ist es Zufall“, fragt sogar die sehr | |
CSU-freundliche Passauer Neue Presse, „dass das ausgerechnet jetzt | |
passiert, wo die AfD gerade einen Lauf hat?“ | |
Sieht so Söders Brandmauer nach rechts aus? Und was, sollte sie | |
funktionieren? Kann es einen Populismus der sogenannten Mitte geben, der | |
hilft, die Extremisten in Schach zu halten? | |
Es gebe Kollegen, für die Populismus ein Teil der Demokratie sei, sagt die | |
Politikwissenschaftlerin Astrid Séville. „Dann gibt es aber auch die | |
anderen, die in ihm gerade einen Angriff auf die Demokratie sehen. In der | |
Diskussion um Populismus geht es bisweilen um die helle und die dunkle | |
Seite der Demokratie.“ Eine Analogie, die dem „Star Wars“-Fan Markus Söd… | |
gefallen dürfte. „Söder ist beides gleichzeitig. Anakin Skywalker und Darth | |
Vader.“ Astrid Séville macht eine kleine Pause und fügt hinzu: „Aber mit | |
Würstchen in der Hand.“ | |
28 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Arco_(Adelsgeschlecht)#Linie_Arco_auf_Valley | |
[2] /Aiwanger-und-der-Populismus/!5941100 | |
[3] /Umgang-der-CDU-mit-AfD/!5946273 | |
[4] /Soeder-bei-Heizungsdemo-in-Erding/!5937347 | |
[5] https://yewtu.be/watch?v=8Afffdv5Tfg | |
[6] https://www.csu.de/regierungsprogramm | |
[7] /CSU-Klausurtagung-in-Andechs/!5945189 | |
[8] https://nitter.1d4.us/Markus_Soeder/status/1527759010291752961 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Markus Söder | |
Landtagswahl Bayern | |
Populismus | |
CSU | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
GNS | |
Markus Söder | |
Junge Union | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Hubert Aiwanger | |
Hubert Aiwanger | |
Sachleistungen | |
Kolumne Die eine Frage | |
Landtagswahl Bayern | |
Kanzlerkandidatur | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
CSU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Länderfinanzausgleich und 29-Euro-Ticket: Danke, Danke Bayern! | |
Berlin lebt auf Bayerns Kosten, ob 29-Euro-Ticket, kostenloser Kita- oder | |
Museumsbesuch. Markus Söder wütet über den Finanzausgleich. Wir sagen | |
Danke. | |
Merz und Söder bei der Jungen Union: Deutschlandtag und Regierungskrise | |
Die JU feiert, wie die Bundesregierung wankt. Angesichts der Debatte um | |
Migration und Antisemitismus strotzen die Konservativen vor | |
Selbstbewusstsein. | |
Landtagswahl in Bayern in Grafiken: Schwarzes Land mit gelben Flecken | |
Die CSU gewinnt fast alle Wahlkreise. Zwei verliert sie an die Freien | |
Wähler, zwei holt sie von den Grünen zurück. Die verlieren sogar an die | |
AfD. | |
Ernährung und Genuss in Bayern: Blasse Würste und Stierhoden | |
Wer nach Bayern kommt, ist schnell vollständig von Fleisch- und Wurstwaren | |
umgeben – warum nur? Eine Abrechnung mit der bayerischen Gastronomie. | |
Heimspieltag beim TSV 1860 München: Weiß-Blau und gegen rechts | |
Zeit für einen Spaziergang zum „Sechzgerstadion“! Vorbei an Söder-Plakaten | |
und einem Gedenk-Mural an einen verlorenen Arbeiterkampf. | |
Ilse Aigner über Debattenkultur: „Diese moralische Attitüde nervt“ | |
Die Debattenkultur hat einen Tiefpunkt erreicht, findet Bayerns | |
Landtagspräsidentin Aigner. Die CSU-Politikerin plädiert für einen anderen | |
Umgang unter Politikern. | |
Landtagswahl in Bayern: Die Jammer-Bayern | |
In Ostbayern erhält die AfD besonders viel Zuspruch. Dabei ist die Region | |
alles andere als strukturschwach. Warum wählen die Menschen dort rechts? | |
Nazi-Pamphlet: Diese Recherche war nötig | |
Im Zuge der Affäre um Hubert Aiwanger gibt es Kritik an der „Süddeutschen | |
Zeitung“. Darf man in dieser Form über einen Skandal berichten? | |
Antisemitismus-Vorwurf gegen Aiwanger: Nazi-Geschmier in der Schultasche | |
Der bayerische Vize-Ministerpräsident Aiwanger hatte als Schüler eine | |
antisemitische Hetzschrift in der Tasche. Verfasst haben will sie sein | |
Bruder. | |
Antisemitismus und Hubert Aiwanger: Seine brisante Vergangenheit | |
Freie-Wähler-Chef Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts aus | |
seiner Jugend unter Druck. Sein Bruder bekennt sich dazu. Kritik bleibt. | |
Union für Sachleistungen für Geflüchtete: Dann doch lieber weiter Bargeld | |
Die Union plädiert für Sachdienstleistungen für Geflüchtete in den Heimen. | |
Nicht nur bürokratisch gesehen ist das Bullshit. | |
AfD und Friedrich Merz: Was sind „normale Leute“? | |
Früher wollte keiner normal sein, auch unser Kolumnist nicht. Heute ist er | |
normaler, als die AfD erlaubt. | |
Wahlkampf mit Argrarminister Özdemir: Bayrische Bauern übertönen Grüne | |
Landwirtschaftsminister Özdemir und die grüne bayrische Spitzenkandidatin | |
Schulze treffen im Chiemgau wütende Landwirte und rechte Pöbler. | |
CDU-Chef nach AfD-Aussagen unter Druck: Merz warnt vor Kanzlerdebatte | |
Die Union solle sich auf inhaltliche Arbeit fokussieren, fordert der | |
CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, statt „über Koalitionen oder gar | |
Personaldebatten“ zu spekulieren. | |
Umgang der CDU mit AfD: Das Loch in der Brandmauer | |
Friedrich Merz schließt Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene mit AfD nicht | |
aus. Einige Parteikollegen widersprechen. Dann rudert er zurück. | |
CSU-Klausurtagung in Andechs: Botschaft vom heiligen Berg | |
Die CSU hat im idyllischen Kloster Andechs getagt. Das Ergebnis: | |
Forderungen nach mehr Elterngeld, ein Ende von „Habecks-Heiz-Hammer“ und | |
übliches Ampel-Gebashe. |