# taz.de -- Union für Sachleistungen für Geflüchtete: Dann doch lieber weite… | |
> Die Union plädiert für Sachdienstleistungen für Geflüchtete in den | |
> Heimen. Nicht nur bürokratisch gesehen ist das Bullshit. | |
Bild: Flüchtlingsunterkunft in Sporbitz bei Dresden | |
Die CSU in Bayern und die CDU Brandenburg wollen, dass [1][mehr Geflüchtete | |
Sachleistungen bekommen] statt Bargeld. Also drei Mahlzeiten am Tag und | |
Kosmetikartikel statt Geld, mit dem sie selbst einkaufen können. Damit will | |
man angeblich Anreize abschaffen, nach Deutschland zu kommen. Weil, so die | |
Denke, Asylsuchende von ihren Sozialleistungen, die fast 100 Euro unter dem | |
„Bürgergeld“ liegen, ihren Verwandten in der Heimat Geld schicken würden, | |
was in etlichen Fällen das eigentliche Ziel der Flucht nach Deutschland | |
sei, so die Behauptung. | |
„[2][Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren]“, | |
urteilten 2012 die Karlsruher Richter. Damals waren zwar nicht | |
Sachleistungen Gegenstand der Klage, sondern zu geringe Sozialleistungen | |
für Geflüchtete, verbunden mit demselben Ziel, nämlich das Fluchtziel | |
Deutschland für sie so unattraktiv wie möglich zu machen. | |
Man kann gegen die Behauptungen der CSU und der Brandenburger CDU | |
argumentieren, dass man von den 410 Euro, die ein allein reisender | |
Asylbewerber pro Monat bekommt, wohl kaum etwas abknapsen kann für die | |
Verwandten. Man kann argumentieren, dass es würdelos ist, wenn man dreimal | |
pro Tag in Folie eingeschweißtes Essen bekommt und individuelle | |
Lebensbedürfnisse und gesundheitliche Aspekte damit nicht berücksichtigt | |
werden. All das ist richtig. | |
Aber man kann auch betriebswirtschaftlich argumentieren: Sachleistungen für | |
Asylsuchende heißt, dass es Personal geben muss, das diese Sachleistungen | |
ausgibt. Die Personalkosten fallen dann für die Kommunen zusätzlich an. Und | |
dieses Personal ist auf dem leergefegten Arbeitsmarkt immer schwerer zu | |
finden. | |
## Liberale Regelung | |
Ich habe von Mitte 2014 bis Mitte 2016 in [3][Berliner Flüchtlingsheimen | |
gearbeitet]. Das erste Jahr war ich in einer Erstaufnahmeeinrichtung, wo | |
die BewohnerInnen Sachleistungen bekamen. Damals galt eine liberale | |
Berliner Regelung, wonach nach drei oder spätestens nach sechs Monaten das | |
Sachleistungsprinzip endete und es stattdessen Geld gab. Gesetzlich ist es | |
jedoch möglich, bis zu 18 Monate Sachleistungen an Asylsuchende auszugeben. | |
Das zweite Jahr arbeitete ich in einem Heim, wo die Bewohner selber kochen | |
und wirtschaften konnten. Der Unterschied in der Personalausstattung war | |
beträchtlich. Und dementsprechend unterschied sich der Tagessatz, den das | |
Land Berlin an den Träger pro Bewohner zahlte, auch deutlich. | |
[4][Wer Sachleistungen fordert], sollte mal in einer | |
Erstaufnahmeeinrichtung arbeiten. Selbst das Müllaufkommen war dort | |
erheblich höher als in dem Heim, in dem ich später arbeitete. Kein Wunder: | |
Bekam jeder Bewohner sein Essen und seine Kosmetikartikel doch in kleinen | |
Dosen ausgehändigt. Dadurch fiel eine Menge Verpackungsmüll an. | |
## Essen im Park | |
Im Sommer zogen es viele Bewohner vor, die Mahlzeiten im benachbarten Park | |
einzunehmen. Mit dem Ergebnis, dass dort die Papierkörbe überquollen. Das | |
führte zu Konflikten mit der Nachbarschaft, die die Heimleiterin moderieren | |
musste. Auch das war Arbeitszeit, die nur anfiel, weil es das mit hohem | |
Verpackungsmüll verbundene Sachleistungsprinzip gab. In der Folge durften | |
verpackte Lebensmittel nur noch im Speiseraum verzehrt werden. | |
Arbeitsaufgabe der Küchenkräfte wurde es, darauf zu achten, dass niemand | |
ein eingeschweißtes Nutelladöschen oder verpackte Käsescheiben mit nach | |
draußen nahm. | |
Die Essenszeiten ließen sich nicht immer mit den Zeiten für die | |
Behördengänge und Deutschkurse vereinbaren. Ein Behördengang in den | |
Mittagsstunden bedeutete den Verzicht auf das Mittagessen. Ein Deutschkurs | |
in den Mittagsstunden bedeutete den regelmäßigen Verzicht auf das | |
Mittagessen. Das Sachleistungsprinzip wurde zum Integrationshindernis. | |
Noch gravierender sind die Auswirkungen in kleineren Heimen mit weniger als | |
200 oder 300 Bewohnern. Hauswirtschaftskräfte arbeiten in der Regel nur | |
sechs Stunden pro Tag. Da lohnt es nicht, einen Schichtdienst einzurichten. | |
Um die Mahlzeiten mit den Arbeitszeiten zu vereinbaren, wird das Abendessen | |
in Folie eingeschweißt zum späteren Verzehr ausgegeben. Das bedeutet für | |
Leute, die zur Mittagszeit einen Behördengang erledigen oder Deutsch | |
lernen, dass sie gleich auf zwei Mahlzeiten verzichten müssen. Bei ihrer | |
Rückkehr ist die Essensausgabe geschlossen. | |
## Albanischer Diabetiker | |
Einen besonderen Fall gab es mit einem Albaner, der starker Diabetiker war. | |
Er legte ein ärztliches Attest vor, dass er kein Weißbrot essen darf. Bis | |
die Behörden ihn auf Bargeld umstellten, musste für ihn Vollkornbrot | |
gekauft werden – auch das ein für den Bewohner zwingend notwendiger, aber | |
ohne Sachleistungsprinzip völlig überflüssiger Verwaltungsakt. Abgesehen | |
davon, hätte ohne Sachleistungsprinzip kein Arzt bemüht werden müssen, um | |
ein Attest auszustellen, und kein Verwaltungsangestellter, der beim | |
nächsten Termin das Attest prüfte und ihn vom Sachleistungsprinzip | |
befreite. | |
Auch die Ausgabe der Kosmetikartikel brachte für die BewohnerInnen wie für | |
die damit befassten Hauswirtschaftskräfte Momente der Peinlichkeit: Die | |
Mitarbeiterinnen mussten bei einem 12-jährigen Mädchen beispielsweise per | |
optischer Musterung abschätzen, [5][ob es bereits Menstruationsartikel | |
braucht], und bei einem 14-jährigen Jungen, ob der bereits Rasierzeug | |
ausgehändigt bekommt. Ein Fehlgriff war peinlich für beide Seiten. Und eine | |
sprachliche Verständigung bei so speziellen Begriffen gelang gerade bei | |
Neuankömmlingen nur selten. | |
Die Forderung nach Sachleistungen soll Geflüchtete abschrecken, nach | |
Deutschland zu kommen, so CSU und Teile der CDU. Doch die Forderung lässt | |
den höheren Arbeitsaufwand für die kommunalen Verwaltungen, das | |
Heimpersonal, Ärzte, Gerichte und sogar für die Müllabfuhr völlig außer | |
Acht. Es geht nach hinten los. | |
22 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article145349770/Union-vollzieht-We… | |
[2] https://www.proasyl.de/hintergrund/bundesverfassungsgerichtsurteil-menschen… | |
[3] /Fluechtlingsunterbringung-in-Berlin/!5899354 | |
[4] /Bereitschaft-zum-Spenden/!5892332 | |
[5] /Internationaler-Tag-der-Menstruation/!5775167 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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