| # taz.de -- Sanktionen gegen Irans Revolutionsgarden: Streit um EU-Terrorliste | |
| > Die EU-Staaten streiten über weitere Iran-Sanktionen. Es soll die | |
| > Revolutionsgarden treffen – für die iranische Wirtschaft wäre das ein | |
| > harter Schlag. | |
| Bild: „Die Revolutionsgarde als Terrororganisation zu listen ist politisch wi… | |
| Berlin taz/dpa | Der Auswärtige Dienst der EU sieht rechtliche Hürden für | |
| die Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation | |
| allein auf Ebene der EU. Für die Aufnahme einer Organisation auf die | |
| EU-Terrorliste sei beispielsweise eine nationale Gerichtsentscheidung oder | |
| Verbotsverfügung notwendig, sagte eine Sprecherin am Donnerstagabend auf | |
| Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Das bedeutet, dass die EU-Ebene | |
| allein nicht ohne eine solche nationale Entscheidung handeln kann“, | |
| erklärte die Sprecherin. | |
| Um die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation wird seit | |
| Monaten verhandelt und gestritten. Am Mittwoch hatte das [1][Europäische | |
| Parlament seine Haltung zu den Revolutionsgarden verdeutlicht]: „Angesichts | |
| ihrer terroristischen Aktivitäten, der Unterdrückung von Demonstranten und | |
| der Lieferung von Drohnen an Russland“ solle die EU die iranischen | |
| Revolutionsgarden samt Hilfstruppen auf die EU-Terrorliste setzen, forderte | |
| eine Mehrheit der Europaabgeordneten. | |
| Das iranische Außenministerium warnte die EU vor diesem Schritt. Dies hätte | |
| „negative Folgen“, die EU würde sich selbst schaden. Die Stellungnahme der | |
| EU-Parlamentarier sei „unangemessen“. | |
| Die EU-Staaten wollen am Montag neue Sanktionen gegen den Iran beschließen. | |
| Es wäre das vierte Sanktionspaket der EU gegen den Iran nach Beginn des | |
| aktuellen Aufstands gegen das islamistische Regime im September. Einer | |
| Vorab-Einigung zufolge werden sie rund drei Dutzend Personen und | |
| Organisationen treffen, die an der brutalen Unterdrückung von landesweiten | |
| Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini beteiligt sind. Wer | |
| genau sanktioniert wird, ist noch geheim. Die Revolutionsgarden werden aber | |
| am Montag zunächst nicht auf die EU-Terrorliste gesetzt. | |
| ## Linke kritisiert unklare Kommunikation | |
| Die Linkspartei indes vermisst in Deutschland erneut eine eindeutige | |
| Haltung des Außenministeriums bezüglich der Terror-Einstufung der | |
| Revolutionsgarden. Auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Martina Renner im | |
| Bundestag hatte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann am Mittwoch in einer | |
| schriftlichen Antwort erklärt: Mit Blick auf den Rat für Auswärtige | |
| Angelegenheiten am kommenden Montag werde „bereits an weiteren Listungen | |
| gearbeitet, darunter auch Individuallistungen von iranischen | |
| Revolutionsgarden.“ Unerwähnt blieb allerdings das Vorhaben, die Garden | |
| auch als komplette Organisation auf die Terrorliste der EU aufzunehmen. | |
| Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte mehrfach bekräftigt, | |
| sich seit Monaten dafür einzusetzen. Erst vor zehn Tagen aber hatte der | |
| CDU-Außenpolitiker [2][Norbert Röttgen den Willen des Außenministeriums | |
| diesbezüglich in Frage gestellt]. Außenministerin Baerbock gab danach ein | |
| klares Statement ab: „Die Revolutionsgarde als Terrororganisation zu listen | |
| ist politisch wichtig und sinnvoll“, [3][erklärte Baerbock auf Twitter]. | |
| Vor einer Listung müssten aber rechtliche Hürden genommen werden. | |
| Linken-Politikerin Renner kritisiert nun eine erneut indifferente Haltung | |
| und Kommunikation: „Dass die Außenministerin öffentlich von einer | |
| Gesamtlistung spricht, das Auswärtige Amt nun lediglich von | |
| Individuallistungen, zeigt, dass das weitere Vorgehen diesbezüglich offen | |
| gelassen wird“, sagte Renner der taz. | |
| „Angesichts fünf durchgeführter Todesurteile drängt die Zeit, Maßnahmen | |
| gegenüber dem iranischen Regime auszuweiten und alle Möglichkeiten | |
| auszuschöpfen“, sagte Renner weiter. In ihrer Frage im Bundestag hatte sie | |
| auch darauf hingewiesen, dass Deutschland für den Iran trotz Hinrichtungen | |
| und Menschenrechtsverletzungen nach wie vor der wichtigste Handelspartner | |
| in der EU ist. „Die Revolutionsgarden sind im Iran ein starker | |
| Wirtschaftsakteur. Die lange überfällige Listung als Terrororganisation, | |
| und damit mögliche Sanktionen und Vermögenseinziehungen, würden sie hart | |
| treffen.“ Zudem forderte Renner, Botschaftsangehörige auszuweisen, die | |
| offensichtlich für den iranischen Geheimdienst agierten. | |
| ## Außenministerium beteuert klaren Kurs | |
| Auf Nachfrage der taz verwies das Außenministerium auf das klare Statement | |
| von Außenministern Baerbock, die Revolutionsgarden als Terrororganisation | |
| auf EU-Ebene listen zu wollen. „Wir haben die EU gebeten, die rechtlichen | |
| Voraussetzungen dafür zu prüfen. Parallel dazu arbeitet die Bundesregierung | |
| weiterhin daran, die Verantwortlichen für die gewaltsame Niederschlagung | |
| der Proteste und die Repressionen in Iran zur Rechenschaft zu ziehen“, | |
| erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. | |
| Bereits in den letzten Monaten seien Dutzende Anführer sowie regionale | |
| Verbände der Revolutionsgarden individuell nach dem | |
| Menschenrechts-Sanktionsregime gegen Iran gelistet. Zudem verwies der | |
| Sprecher auf die neuen Sanktionsvorhaben des EU-Außenrats am Montag. | |
| Staatsministerin Führmann hatte auch daran erinnert, dass die | |
| Bundesrepublik in November die Sondersitzung des Menschenrechtsrats der | |
| Vereinten Nationen initiiert hatte, bei der eine Aufarbeitung der | |
| Menschenrechtsverletzungen im Iran mandatiert wurde. | |
| Dazu, warum die klare Haltung zur Terrorlistung sich nicht auch in der | |
| Antwort der Staatsministerin im Bundestag niederschlug, gab das Auswärtige | |
| Amt keine Erklärung ab. | |
| Neben dem regelmäßigen Verweis auf rechtliche Hürden gibt es politische | |
| Vorbehalte einzelner EU-Staaten. So wird teilweise an die Fortführung des | |
| Atomabkommens geglaubt, eine Terror-Listung der Revolutionsgarden stünde | |
| dem im Weg. Ebenso scheint manchen die Wirtschaftsmacht der | |
| Revolutionsgarden zu groß, um Verbindungen komplett kappen zu wollen. | |
| ## Aufnahme auf Terrorliste hätte weitreichende Folgen | |
| Laut Experten hätte die Einstufung der Revolutionsgarden als | |
| Terrororganisation, über individuelle Sanktion hinaus, jedenfalls eine | |
| weitreichende Bedeutung. Julia Grauvogel, Expertin für Sanktionen und | |
| Forscherin am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in | |
| Hamburg, erklärte der taz: „Die Revolutionsgarden sind an zahlreichen | |
| Unternehmen beteiligt. Diese Firmen wären dann von den entsprechenden | |
| Sanktionen für Terrororganisationen, also dem Einfrieren von Geldern und | |
| sonstigen Vermögenswerten, betroffen, sodass wirtschaftliche Beziehungen | |
| nicht mehr möglich wären.“ | |
| Für Grauvogel hätte die Einstufung insofern eine wichtige symbolische | |
| Bedeutung, aber auch wirtschaftlich massive Auswirkungen. „Das ist auch der | |
| Grund, warum das iranische Regime auf die Ankündigung so sensibel | |
| reagiert.“ | |
| Der [4][Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad verweist diesbezüglich | |
| auf Schätzungen], wonach die Revolutionsgarden mit jedem zweiten | |
| Unternehmen im Iran verbunden seien. Wichtige Industriebereiche wie Bau, | |
| Verkehr, Telekommunikation und Energie würden von ihnen dominiert. Der | |
| [5][Islamwissenschaftler Wilfried Buchta schätzte 2020], dass die | |
| Revolutionsgarden weit über 1.200 Firmen und Unternehmen in Iran und im | |
| Ausland besäßen und damit mindestens 40 Prozent der gesamten iranischen | |
| Wirtschaft kontrollierten. | |
| Die Revolutionsgarden sind direkt dem Revolutionsführer Ali Chamenei | |
| unterstellt und wurden nach der islamistischen Revolution 1979 als | |
| Gegengewicht zur regulären Armee gegründet. Die EU und das deutsche | |
| Außenministerium werfen den Revolutionsgarden schwere | |
| Menschenrechtsverletzungen vor. | |
| Die sogenannte EU-Terrorliste wurde als Reaktion auf die Anschläge des 11. | |
| September 2001 eingeführt und umfasst laut Europäischem Rat aktuell 21 | |
| Organisationen und 13 Einzelpersonen, die mit terroristischen Handlungen in | |
| Verbindung gebracht werden. Die Liste wird mindestens zweimal im Jahr | |
| überprüft, es ist möglich, dagegen zu klagen. | |
| 20 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sanktionen-gegen-Iran/!5909915 | |
| [2] https://twitter.com/n_roettgen/status/1612479920839557120 | |
| [3] https://twitter.com/ABaerbock/status/1612526062751338496 | |
| [4] /Anschlaege-auf-Synagogen-in-NRW/!5899893 | |
| [5] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/309948/eine-theokratie-hinter-re… | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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