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# taz.de -- Iraner*innen im Exil: Das Ringen um Einheit
> Der Wunsch nach einem Ende der Islamischen Republik in Iran ist auch
> unter Oppositionellen im Exil groß. Doch ein Bündnis gibt es bislang
> nicht.
Bild: Masih Alinejad in New York im September: Die Aktivistin ist gut vernetzt …
Eigentlich war es nur ein Tweet zum Jahreswechsel: „2022 war ein
glorreiches Jahr der Solidarität für Iraner*innen aller
Glaubensrichtungen, Sprachen und Orientierungen“, hieß es im Text, den
etliche prominente iranische Oppositionelle fast zur selben Zeit posteten.
„Mit Organisierung und Solidarität wird 2023 das Jahr des Sieges, der
Freiheit und Gerechtigkeit.“
Schnell wurde die Aktion als Ankündigung einer iranischen Exilkoalition
verstanden, denn unter den Beteiligten waren gleich mehrere bekannte
Oppositionelle aus der Diaspora. Doch es dauerte nicht lange, da folgten
die Dementi: „Weder vor noch nach dem Tweet hatten wir ein gemeinsames
Treffen“, erklärte der in Kanada lebende Aktivist Hamed Esmailion in einem
Interview. Es handele sich nicht um die Bildung einer Koalition.
Die Debatte über ein Bündnis der Exilopposition, das die Freiheitsbewegung
in Iran unterstützen soll, ist nicht neu. In den sozialen Medien wird seit
Beginn der Proteste vor mehr als vier Monaten kontrovers diskutiert, was es
leisten könnte und wäre und wer wichtige Rollen übernehmen könnte. Drei
Personen werden oft genannt, sie repräsentieren unterschiedliche politische
und soziale Gruppen.
Eine von ihnen ist [1][die Aktivistin Masih Alinejad], eine laute Stimme
aus den USA. Viele erwarten, dass sie die Koordination der Opposition
übernimmt. Die Journalistin und Frauenrechtsaktivistin wurde vor allem
durch ihr Engagement gegen die Zwangsverschleierung in Iran bekannt.
Außerdem gilt sie als bedeutende Figur für die Hinterbliebenen des
sogenannten Blutigen Novembers 2019.
Auch damals schon ging das Regime brutal gegen Proteste vor, die sich gegen
hohe Benzinpreise richteten. Alinejad selbst sagte in einem Interview mit
Iran International, einem oppositionsnahen TV-Sender aus London, sie wolle
die Revolution organisatorisch begleiten.
Kritik an Alinejad kommt unter anderem von linken Aktivist*innen und
Reformist*innen aus dem Iran. Sie stören sich an ihrer Nähe zum Westen
und den USA. Alinejad ist im Ausland bestens vernetzt, sie trifft sich
immer wieder mit einflussreichen Politiker*innen und fordert sie auf,
den Iran stärker unter Druck zu setzen.
Ein zweiter Name, der häufig fällt, ist Reza Pahlavi. Der 62-Jährige ist
der älteste Sohn des letzten iranischen Schahs, also einstiger Kronprinz.
Nach dem Sturz der Pahlavi-Dynastie im Zuge der Revolution von 1979 wurden
viele Monarchist*innen vertrieben. Heute sehen vor allem die Mitglieder
des 2018 im Exil gegründeten Netzwerks Faraschgard („Wiederbelebung“), die
sich als neue Pahlavist*innen verstehen, in ihm eine Alternative zur
Islamischen Republik.
Wegen seiner Prominenz bekommt Pahlavi viel mediale Aufmerksamkeit. Doch
für Feminist*innen, die bei den aktuellen Protesten eine zentrale Rolle
spielen, sind die Rufe nach einer Rückkehr der Dynastie Ausdruck des
Patriarchats.
Äußerst kritisch gesehen wird Pahlavi auch bei Angehörigen von Irans
ethnischen Minderheiten – Kurd*innen, Belutsch*innen und anderen. Immer
wieder bringt er sie mit „Separatismus“ in Verbindung, obwohl in den von
ethnischen Minderheiten dominierten Regionen bei den aktuellen Protesten
kaum Unabhängigkeitsparolen zu vernehmen sind. Die Parole „Weder Monarchie
noch Führerschaft! Demokratie! Gerechtigkeit!“ wird seit Wochen in der
Provinz Sistan und Belutschistan gerufen.
„Reza Pahlavi ist mein Anwalt“ heißt eine Kampagne, die seine
Anhänger*innen in den vergangenen Tagen gestartet haben. Unterstützt
wird sie von dem Fernsehsender Manoto TV, der in London sitzt und die
einstige Herrscherdynastie der Pahlavis (1925–1979) als beste Zeit des
Irans zelebriert.
Dort machte er am Montag in einem [2][Interview] Irans ethnischen
Minderheiten – ohne Namen zu nennen – erneut den Vorwurf des Separatismus
und betonte, die territoriale Integrität des Landes stehe nicht zur
Debatte. Mit Separatist*innen werde er keine Koalition bilden.
Widerspruch kam prompt: Abdollah Mohtadi, Vorsitzender der
kurdisch-iranischen Partei Komala, die ihren Hauptsitz im Nachbarland Irak
hat, [3][beschuldigte] Pahlavi, ebenfalls ohne ihn beim Namen zu nennen,
Angst vor Separatismus zu schüren und die eigentliche Botschaft der
Revolution, also Einheit, zu ignorieren.
Vor allem die iranisch-kurdischen Kräfte stellen sich tendenziell gegen
zentralistische Staatsformen und iranischen Nationalismus. Weil das Land
mit seinen fast 90 Millionen Einwohner*innen ein Vielvölkerstaat ist
und die sogenannten ethnischen Minderheiten zusammen die
Bevölkerungsmehrheit stellen, hat deren Stimme Gewicht, vor allem in der
aktuellen Aufstandsbewegung.
Die Proteste hatten in den kurdischen Gebieten im Nordwesten Irans
begonnen, wo auch die Heimatstadt der Kurdin Jina Mahsa Aminis liegt, deren
mutmaßliche Tötung in Polizeigewahrsam die Proteste im September entfachte.
Auch in der Provinz Sistan und Belutschistan im Südosten kam es zu
zahlreichen Protesten.
Anders als Reza Pahlavi ist Masih Alinejad bei vielen Kurd*innen
mittlerweile beliebt. Seit Beginn der Proteste betont sie deren zentrale
Rolle in der Freiheitsbewegung: „Wir müssen zugeben, dass es Kurdistan war,
das hinter den Frauen stand“, sagte sie bereits im September [4][in einem
TV-Interview] auf Iran International. In einer Diskussion mit dem
Vorsitzenden der Komala, Abdulla Mohtadi, betonte Alinejad Anfang Januar
erneut die Rolle der kurdischen Gebiete im Kampf für einen freien Iran.
Ein dritter Name, der oft fällt, ist Hamed Esmailion. Der in Kanada lebende
Zahnarzt ist der bekannteste Vertreter der Hinterbliebenen der Opfer des
Absturzes der ukrainischen Passagiermaschine PS 752, die im Januar 2020 in
Teheran von den Revolutionsgarden mit Raketen abgeschossen wurde.
Esmailion gründete die Initiative „Vereinigung der Familien der Opfer von
Flug PS 752“, die sich für die Aufarbeitung des Vorfalls und für
Gerechtigkeit einsetzt. Im vergangenen Oktober hatte Esmailion zudem zu
einer Großdemonstration von Iraner*innen in Berlin aufgerufen. Rund
80.000 Menschen folgten seinem Ruf.
Wie Alinejad solidarisiert sich auch Esmailion mit den Kurd*innen.
[5][Einen Tweet], den er am Montag auf Kurdisch an den Vater eines bei
Protesten getöteten jungen Mannes richtete, beendete er mit den Worten: „Es
lebe Kurdistan, es lebe der Iran.“
Eine Führungsrolle in der Opposition schlägt Esmailion aber bislang aus: Er
selbst sei zwar ein politischer Mensch. Die von ihm gegründete
Opferinitiative sei aber keine politische Organisation, sagte er in einem
Interview mit dem persischen Dienst der BBC.
21 Jan 2023
## LINKS
[1] /Nach-dem-Tod-von-Mahsa-Zhina-Amini/!5881370
[2] https://www.youtube.com/watch?v=_Te59UAOnzE
[3] https://twitter.com/AbdullahMohtadi/status/1616231261122486272?s=20&t=u…
[4] https://www.youtube.com/watch?v=vwHcH3qOoJk
[5] https://twitter.com/esmaeilion/status/1615044304061300736?s=20&t=Wjdzr5…
## AUTOREN
Mina Khani
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