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# taz.de -- Deutsch-Iraner droht Todesstrafe: „Das Ganze ist ein Schauprozess…
> Dem Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd droht im Iran die Todesstrafe. Seine
> Tochter wirft der Bundesregierung vor, nichts für ihn erreicht zu haben.
Bild: Seit eineinhalb Jahren hat Gazelle (r.) nicht mehr mit ihrem Vater Jamshi…
taz: Frau Sharmahd, Ihrem Vater droht im Iran die Todesstrafe. Hat es Sie
überrascht, dass sich Friedrich Merz symbolisch mit einer politischen
Patenschaft für ihn einsetzt?
Gazelle Sharmahd: Das hat mich sehr positiv überrascht. Der Fall meines
Vaters ist ja ein extremer Fall samt Kidnapping und einem Schauprozess im
Iran und einer doppelten, deutsch-iranischen Staatsbürgerschaft. Ich bin
froh, dass endlich jemand eine Patenschaft übernommen hat und dann auch
noch jemand mit Gewicht. Das hätte schon vor zwei Jahren geschehen müssen,
als sie ihn gekidnappt haben. Aber hoffentlich ist es nicht zu spät.
Der Prozess gegen ihn steht nicht in Zusammenhang mit den aktuellen
Protesten. Ihr Vater ist nicht nur Journalist, [1][wie Merz es beschrieb] ,
sondern auch Aktivist und Befürworter einer Rückkehr der Monarchie im Iran.
Mein Vater hat wie jeder andere eine politische Meinung, aber in erster
Linie ist er ein Mensch. Seit 16 Jahren war er als Aktivist und Journalist
aktiv. Er hat den Menschen im Iran eine Stimme gegeben, also genau das, was
jetzt so viele Aktivisten machen. Er ist nicht direkt mit den Protesten in
Verbindung zu bringen, aber gleichzeitig sind die Proteste auch ein
Resultat all der Bewegungen, die es seit 43 Jahren im Iran und der
iranischen Diaspora gibt. Außerdem wird vielen Protestierenden wie auch
meinem Vater „Korruption auf Erden“ vorgeworfen. Das ist alles nichts
Neues.
Konkret wird er beschuldigt, an der Planung eines Anschlags 2008 beteiligt
gewesen zu sein, was Ihr Vater zurückweist. Doch dass er für die Gruppe
Kingdom Assembly of Iran aktiv war, steht außer Frage.
Er stand in Verbindung mit vielen Aktivisten, auch mit dem Kingdom Assembly
of Iran, für die er 2006 eine Onlineplattform gegründet hat. Doch die
Vorwürfe gegen ihn sind erfunden. Mein Vater ist Ingenieur, Journalist und
Aktivist. Er ist weder Terrorist noch Spion. Dass er Spion vom CIA, FBI und
Mossad war, wird ihm auch vorgeworfen. Es gibt 50 Anklagepunkte, nichts
davon ist wahr. Vorwürfe wie diese sind eine der Strategien der Islamischen
Republik, mit denen sie versucht, Aktivisten zu diskreditieren.
Wie erklären Sie, dass es Berichte gibt, etwa vom US-Thinktank
[2][Jamestown Foundation], dass das Kingdom Assembly den Anschlag damals
tatsächlich für sich reklamierte?
Es ist schrecklich, dass die Jamestown Foundation so etwas wiedergibt, als
handele es sich um einen Fakt und nicht um Propaganda. Es gibt viele
Quellen aus dem Iran, selbst aus dem Staatsapparat, die sagen, dass es den
Anschlag überhaupt nicht gegeben hat, dass er ein Vorwand war, um
Aktivisten hinzurichten. Genauso machen sie das jetzt wieder. Jetzt heißt
es, ein Richter oder ein Mitglied der Basidsch-Miliz wurde von
Protestierenden getötet, also richten wir die und die hin. Das Problem ist,
dass es im Iran keinerlei unabhängigen Recherchen gibt.
Sie sagen also nicht nur, dass Ihr Vater nichts mit militanten Aktionen am
Hut hatte, sondern auch, dass das Kingdom Assembly nichts mit den
Anschlägen zu tun hatte?
Ich glaube nicht, dass sie mit irgendwelchen Anschlägen in Verbindung
stehen. Im Iran gibt es militärische Angriffe auf Menschen. Was die
Menschen machen, um sich zu verteidigen, ist deren Sache. Ich verurteile
das von hier aus nicht, denn ich bin nicht in ihrer Situation, auf mich
wird nicht geschossen, ich werde nicht vergewaltigt, eingesperrt,
hingerichtet.
Warum stellt Ihr Vater Ihrer Meinung nach eine Gefahr für die Islamische
Republik dar?
Aus dem Grund, aus dem aktuell auch [3][Aktivisten wie Masih Alinejad], die
letztes Jahr fast umgebracht wurde, eine Gefahr sind. Die Menschen im Iran
brauchen ein Sprachrohr. Wenn du eine Plattform anbietest, auf der Leute
anonym bleiben, wo ihre IP-Adresse geschützt wird und wo Informationen von
Aktivisten aus dem Iran unzensiert veröffentlicht werden, ist das eine
Gefahr. Anfangs wollten sie nur die Website hijacken, dann flog der Server
meines Vaters auf und es begannen Attacken, Propagandavideos und 2009 kam
der erste Mordanschlag. Außerdem war mein Vater gegen den Einfluss von
Religion. Er sagte, Religion gehört in dein Herz und in dein Haus, aber
nicht in den Staat. Der Islam ist eins der Fundamente der Islamischen
Republik und das hat er angegriffen.
Sie haben Alinejad, die wie Sie im US-Exil lebt, öffentlich dafür gedankt,
dass sie sich für Ihren Vater einsetzt. Er ist Monarchist, Alinejad nicht.
Wie ist das Verhältnis der unterschiedlichen Gruppen der Exil-Opposition
zueinander?
Mein Vater hat sich nie als Monarchist bezeichnet.
Er ist für einen König, aber kein Monarchist?
In dem Königreich, das das Kingdom Assembly of Iran haben möchte, genießen
die unterschiedlichen Regionen Irans Souveränität, beispielsweise Kurdistan
oder Belutschistan. Die Menschen können selbst entscheiden, welche Sprache
sie sprechen und welche Kultur sie haben. Parlament und König sollen
gewählt werden. Der König ist kein Diktator, aber auch nicht nur Symbol wie
in England. Seine Rolle ist die einer zusätzlichen Kontrollinstanz, ähnlich
dem Präsidenten in Amerika. Man kann nicht alle iranischen Monarchisten
über einen Kamm scheren.
Zurück zu Alinejad und der Exilopposition.
Das Verhältnis zwischen den Oppositionsgruppen war lange nicht gut. Denn
die Islamische Republik hat eins sehr gut hinbekommen: die Opposition
gegeneinander aufzuhetzen, Monarchisten gegen Linke und so weiter. Deshalb
habe ich Frau Alinejad gedankt, dass sie einfach sagt: Niemand darf
entführt werden, niemand darf terrorisiert werden. In den letzten vier
Monaten hat sich das Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander verändert.
Ich sehe sehr viel Einheit. Wir alle wollen Freiheit. Wir wollen, dass die
Menschen im Iran selbst wählen, was für eine Regierung sie haben. Diese
Einigkeit habe ich so noch nie gesehen. Das ist unglaublich. Deshalb reden
alle von einer Revolution. Da ist was im Gange, das ist nicht mehr zu
stoppen.
Die Proteste halten seit über vier Monaten an, auch wenn die
Straßenproteste offenbar abgeflaut sind. Wie lange geben Sie dem Regime
noch?
Die letzte Revolution, die Islamische Revolution 1979, hat ein bis zwei
Jahre gedauert. Da gab es auch Ebben und Fluten. Ich hoffe, dass dieses
Jahr das letzte Jahr der Islamischen Republik ist. Ich habe ein gutes
Gefühl. Wir brauchen nur noch den Tipping Point, den Moment, wenn alle
Menschen, auch die, die noch zögern, auf die Straße kommen. Dann war’s das.
Das Urteil gegen ihren Vater dürfte aber schon sehr bald fallen. Wann haben
Sie ihn zuletzt gesehen?
Im März 2020 hier in LA, bevor er abflog (und mutmaßlich in den Iran
verschleppt wurde, d. Red.). Mit ihm sprechen darf ich seit eineinhalb
Jahren nicht mehr. Meine Mutter durfte letztes Jahr zweimal mit ihm
sprechen. Aber seit der Revolution gibt’s nur noch Sprachnachrichten, die
letzte im November.
Was bekommen Sie vom Prozess mit?
Mein Vater hat keinen Zugang zu irgendeiner Menschenseele, keine Anwälte,
keine Familie, auch nicht die deutsche Botschaft. Ich habe also keine
neutrale Quelle. Mein Informationskanal sind die Medien der Islamischen
Republik und ein Anwalt des Regimes. Das Ganze ist ein Schauprozess, hat
nichts im Geringsten mit einem Gericht zu tun. Ein Theater, kein Gericht.
Was tut die Bundesregierung für Ihren Vater?
Uns wurde gesagt, sie täten alles, was in ihrer Macht steht. Aber was hat
das gebracht? Er ist in Isolationshaft, wird gefoltert, hat keine Zähne
mehr, hat 20 Kilo verloren. Ich verstehe nicht, warum Deutschland nicht
mehr macht. Ein deutscher Staatsbürger soll hingerichtet werden, weil er
eine Website gründete? Ich erwarte, was jeder von seiner Regierung
erwartet: dass sie uns vor Terroristen beschützt, vor Kidnapping, Folter,
Hinrichtung.
Was fordern Sie konkret?
Die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste setzen und die
Handelsbeziehungen komplett abbrechen. Deutschland hat die Macht, etwas zu
bewegen. Deutschland ist in Europa der wichtigste Handelspartner Irans. Das
Wichtigste ist aber, dass wir alle Druck machen. Der Fall meines Vaters
zeigt: Die Islamische Republik kennt keine Grenzen. Die verüben Anschläge
in Paris, entführen Leute in Amerika, unterstützen Terrororganisationen und
mischen sich in unsere Politik ein. Wenn wir dieses Terrornetzwerk nicht
stoppen, sind wir alle in Gefahr. Dass mein Vater überhaupt Kontakt zu
seiner Familie haben durfte, liegt daran, dass wir laut waren, Petitionen
und Briefe geschrieben haben, dass Reporter berichtet haben. Wir haben die
Power. Selbst kleine Schritte wären ein Fortschritt. Dass mein Vater zum
Beispiel mal mit mir sprechen darf, bevor sie ihn ermorden.
22 Jan 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1612548476436357158?s=20&t=_0…
[2] https://jamestown.org/
[3] /Nach-dem-Tod-von-Mahsa-Zhina-Amini/!5881370
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Schwerpunkt Iran
Iranische Revolutionsgarden
Todesstrafe
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Kolumne La dolce Vita
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