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# taz.de -- Berichterstattung über Iran: Es fehlt die linke Perspektive
> Über die Proteste in Iran verfestigt sich ein liberales Bild: Im Kern
> gehe es um individuelle Freiheiten. Das ist nicht falsch, aber
> unvollständig.
Bild: Ein Polizeimotorrad brennt während eines Protestes gegen den Tod von Mah…
Wenn mich eines in den vergangenen Jahren geärgert hat, dann, dass linke
und progressive Ideen in Deutschland wenig anschlussfähig sind. Es wundert
mich also nicht, wenn in der Berichterstattung über Iran ein wesentlicher
Aspekt kaum Beachtung findet: [1][Die Streiks der Arbeiter*innen].
In einer Diktatur, in der unabhängige Gewerkschaften verboten sind, wie
schon in der Schah-Zeit, gestaltet sich die Organisation unabhängiger
Arbeiter*innen sehr schwierig. Treffen und Kommunikation finden
heimlich statt. Als Gegenstück zur unabhängigen Organisation gibt es
staatliche „Gewerkschaften“. In den Betrieben sind die Basidsch aktiv.
Basidsch sind eine von Chomeini ins Leben gerufene paramilitärische
Organisation von Freiwilligen als Teil der Revolutionsgarden mit
zahlreichen Unterorganisationen. Sie unterdrücken die Opposition
gewaltvoll. In den Betrieben beobachten sie ungewöhnliche Aktivitäten der
Arbeiter*innen. Über Unliebsame werden Akten angelegt.
Kommt es zu Protesten zum Beispiel für mehr Lohn, der in den vergangenen
Jahren bei vielen Arbeiter*innen Monate zu spät oder gar nicht gezahlt
wurde, werden sie als Unruhestifter*innen verhaftet, einige mussten
das Land verlassen.
Die wenigen westlichen Journalist*innen, die sich in Iran aufhalten dürfen,
um ein bestimmtes Bild zu zeichnen – freie Berichterstattung ist verboten –
beobachten die Lage meist von bestimmten Stadtteilen der
Neun-Millionen-Stadt Teheran aus. Das ist aber je nach dem, von wo dort man
berichtet, kein guter Gradmesser für die Einschätzung der Geschehnisse.
Ebenso wenig taugen die Berichte von Verwandten, die einige
Journalist*innen in der Diaspora im Westen wiedergeben und dabei zum
Allgemeinplatz oder Politikum überhöhen, als verlässliche Quelle.
## Revolutionen sind nicht voraussehbar
Was die wenigsten hierzulande wissen: Dass man es schon vor Beginn des
revolutionären Prozesses in den reichen Vierteln Teherans mit dem Hidschab
nicht so genau nahm. Es verfestigt sich ein Bild, wonach es bei den
Protesten in Iran zentral um individuelle Freiheiten geht und gegen
islamische Gesetze. Dass [2][die revolutionäre Bewegung] aber mindestens
genauso für die Veränderung der materiellen Verhältnisse kämpft, ist den
wenigsten klar.
Revolutionen sind nicht voraussehbar. Die CIA hat Ende der 1970er ihre Hand
dafür ins Feuer gelegt, in Iran würde keine passieren – und dann war sie
da. Die Voraussetzungen in Iran sind alles andere als ideal, wie die
Hinrichtungen und Repressionen zeigen. Streiks jedoch können revolutionäre
Bedingungen begünstigen. In den kurdischen Städten hat man das verstanden
und ist seit Jina Mahsa Aminis Tod am Streiken. Auch in Ölraffinerien und
anderen Branchen wird gestreikt.
Wenn gesellschaftsliberale Expert*innen dies analysieren, dann betonen
sie den Status der Streikenden als ethnische Minderheit. Das ist nicht
falsch. Aber dabei wird ihre ebenso revelante Armut außen vorgelassen. Es
sind auch die armen Regionen Irans, wo das Regime hart zuschlägt. Linke
Perspektiven könnten diese Aspekte einordnen. Sie wären in der Lage, die
Ereignisse in Iran auch als Klassenkämpfe zu sehen – welche für
revolutionäre Prozesse essenziell sind. In den Medien fehlt diese
Perspektive derzeit schmerzlich.
1 Jan 2023
## LINKS
[1] /Generalstreik-in-Iran/!5896727
[2] /Proteste-in-Iran/!t5884344
## AUTOREN
Amina Aziz
## TAGS
Kolumne La dolce Vita
Proteste in Iran
Liberalismus
Klassenkampf
Streik
Kurdistan
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Schlagloch
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