# taz.de -- Fortsetzung der Verhandlungen mit Iran: Hohle Worte der Solidarität | |
> Die EU-Sanktionen gegen Iran sind spärlich. Europa setzt trotz der | |
> Menschenrechtslage auf das Atomabkommen und trifft sich sogar mit | |
> Regime-Vertretern. | |
Bild: Treffen der EU (li.) und des Irans (re.) am 20. Dezember | |
Annalena Baerbock und Olaf Scholz haben in den vergangenen Wochen starke | |
Worte gefunden, wenn es um die Taten des iranischen Regimes ging. Anfang | |
November schrieb die Außenministerin auf Twitter: „Wir stehen an der Seite | |
der Männer & Frauen in Iran, und zwar nicht nur heute, sondern: so lange es | |
notwendig ist. Wir tragen ihre Stimmen in die Welt.“ Der Kanzler richtete | |
in einer Videobotschaft diese Worte an das iranische Regime: „Was sind Sie | |
für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer | |
so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen.“ | |
Tatsächlich muss das iranische Regime weder von Seiten Deutschlands noch | |
der EU mit nennenswertem Widerstand rechnen. Die drei | |
[1][EU-Sanktionsrunden], die es seit Beginn der Protestbewegung Mitte | |
September gab, sind kaum der Rede wert. Es wurden lediglich ein paar | |
weitere Namen und Organisationen auf die Liste gesetzt. Aktuell stehen | |
insgesamt 146 Individuen und 12 Entitäten auf der Sanktionsliste. Der | |
Großteil der Missetäter im Regime bleibt ausgespart. Zum Vergleich: In | |
einer einzigen Sanktionsrunde zu Russland setzte die EU zuletzt fast 200 | |
Individuen auf einmal zusätzlich auf die Liste. Auf der Liste der Entitäten | |
stehen bei Russland: 410. | |
Die EU scheint dem iranischen Regime also bewusst nicht weh tun zu wollen. | |
Die bisherigen Sanktionen spürt das Regime jedenfalls nicht. Vor allem: Die | |
[2][Revolutionsgarden] (IRGC) – die bestimmende Macht im Staate – wurden | |
als ganze Einheit bisher nicht sanktioniert. Die Staatsministerin im | |
Auswärtigen Amt Katja Keul erklärte Ende November im Bundestag, die | |
Möglichkeit, die IGRC auf die Terrorliste zu setzen, bestünde erst, wenn es | |
in einem der EU-Mitgliedstaaten entweder Ermittlungen oder eine | |
Strafverfolgung wegen einer terroristischen Handlung der IRGC gebe – oder | |
wenn bereits eine Verurteilung erfolgt sei. Diese Auslegung von EU-Recht | |
ist zumindest fragwürdig. Vor allem aber legen die aktuellen Entwicklungen | |
den Verdacht nahe, dass die Erklärung des Auswärtigen Amts mehr Ausrede ist | |
als Tatsache: Denn eigentlich geht es um das Atomabkommen (JCPoA). | |
Just in dieser Woche traf sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit | |
Hossein Amir Abdollahian, dem iranischen Außenminister. Am Dienstag kamen | |
die beiden Delegationen in Amman zusammen. Ein Foto dokumentiert dieses | |
Treffen; Borrell und Abdollahian sitzen einander gegenüber und lächeln sich | |
zu. Abdollahian beeilte sich denn auch, das Foto auf Twitter zu | |
veröffentlichen und dazu zu schreiben, dass man ein „offenes, freundliches | |
und konstruktives Treffen“ gehabt habe. | |
## Von Regimekräften vergewaltigt | |
Nur wenige Tage vor diesem Treffen wurde im Iran ein 14-jähriges Mädchen | |
festgenommen, weil sie in der Schule ihr Kopftuch abgenommen hatte. Sie | |
wurde von Regimekräften so lange vergewaltigt, bis ihr Vaginalmuskel riss | |
und sie an den Verletzungen starb. Ihr Tod sorgte weltweit für Entsetzen. | |
Mitte Dezember wurden zwei [3][unschuldige junge Menschen hingerichtet,] | |
weil sie gegen das Regime protestiert hatten. Da ist es für einen hohen | |
EU-Repräsentanten wie Borrell schon ein starkes Stück, sich mit einem der | |
Hauptverantwortlichen für diese Menschenrechtsverletzungen an einen Tisch | |
zu setzen und ihm ein solches Propaganda-Geschenk zu bereiten. | |
Auch Borrell twitterte nach dem Treffen mit Abdollahian: Man habe sich | |
darauf „verständigt, dass man die Kommunikation aufrechterhalten und das | |
JCPoA […] wiederherstellen müsse.“ Tatsächlich war bereits wenige Tage vor | |
dem Treffen in Amman eine Delegation der Internationalen | |
Atomenergieorganisation (IAEO) in Teheran eingetroffen, wenn auch ohne | |
Verhandlungsmandat. Eines ist klar: Die Erklärungen der Bundesregierung, | |
die Atomverhandlungen lägen auf Eis, entsprechen nicht den Tatsachen. Im | |
Gegenteil: Die Priorität der EU scheint auf dem Atomabkommen zu liegen. | |
Dafür scheint man bereit, bei den gravierenden Menschenrechtsverbrechen | |
beide Augen zuzudrücken. Das erklärt auch, warum die Revolutionsgarden | |
nicht auf der Terrorliste landen dürfen: Das wäre für das iranische Regime | |
ein Grund, die Verhandlungen abzubrechen. | |
Natürlich: Das schlimmste Szenario, der Super-GAU, wären nukleare Waffen in | |
den Händen der iranischen Machthaber. Nur hat das Atomabkommen, das 2015 | |
geschlossen wurde und das nun wieder aufleben soll, das iranische Regime | |
nicht davon abgehalten, sein Atomprogramm in den vergangenen Monaten | |
schnell wieder hochzufahren. Das Abkommen kann das Erlangen von nuklearen | |
Waffen höchstens – auch nur im besten Falle – aufschieben. Nicht | |
verhindern. Gleichzeitig hilft es dem Regime dabei, seine Macht durch noch | |
mehr Vermögen, das durch Sanktionserleichterungen ins Land fließen würde, | |
zu festigen. Derweil wird die Menschenrechtslage im Land ignoriert. Eine | |
Lose-Lose-Situation also. | |
## Frustriert von der EU | |
Im Iran kommt all das nicht gut an. Viele Menschen, die gegen das Regime | |
sind, sind frustriert. Eine bekannte Menschenrechtsaktivistin, deren Namen | |
aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann, sagte in einem Telefonat: | |
„Wir wollen die Hilfe der EU ja gar nicht. Aber sie sollen uns aufhören, | |
uns auch noch Steine in den Weg zu legen. Das werden wir nicht vergessen.“ | |
Die starken Worte von Annalena Baerbock und Olaf Scholz klingen vor diesem | |
Hintergrund hohl. Was aus der feministischen Außenpolitik geworden ist, | |
möchte man schon gar nicht mehr fragen. Die Menschen im Iran, die unter | |
Einsatz ihres Lebens „Frau, Leben, Freiheit“ rufen, können mit Rückenwind | |
von Deutschland und der EU jedenfalls nicht rechnen. Nur mit Gegenwind. | |
22 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Proteste-in-Iran/!5892093 | |
[2] /Repression-in-Iran/!5898220 | |
[3] /Todesurteile-des-Mullah-Regimes/!5900498 | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
## TAGS | |
Proteste in Iran | |
Atomabkommen mit Iran | |
Iranische Revolutionsgarden | |
EU Außenpolitik | |
Proteste in Iran | |
Atomabkommen mit Iran | |
Proteste in Iran | |
Proteste in Iran | |
Kolumne La dolce Vita | |
Iran | |
Proteste in Iran | |
wochentaz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Feministische Proteste in Iran: So viel mehr als das Kopftuch | |
Rechte instrumentalisieren die Proteste in Iran, Linke zögern mit | |
Solidarität. Ein Vorabdruck von Gilda Sahebis Buch „Unser Schwert ist | |
Liebe“. | |
Uran im Iran: Hat Teheran bald eine Atombombe? | |
Im Iran soll hochangereichertes Uran lagern. Die UN-Atombehörde und die | |
Regierung verhandeln. Das Atomabkommen liegt weiter auf Eis. | |
Irans Revolutionsgarden: Terroristen in Uniform | |
Die iranische Elitetruppe ist entscheidend an der Unterdrückung der | |
Proteste beteiligt. Sie gehört auf die EU-Liste der Terrororganisationen. | |
Brief an eine iranische Journalistin: An meine Schwester im Gefängnis | |
Weil die iranische Journalistin Elahe Mohammadi über den Tod von Jina Mahsa | |
Amini berichtete, ist sie in Haft. Ihre Schwester schrieb ihr einen Brief. | |
Berichterstattung über Iran: Es fehlt die linke Perspektive | |
Über die Proteste in Iran verfestigt sich ein liberales Bild: Im Kern gehe | |
es um individuelle Freiheiten. Das ist nicht falsch, aber unvollständig. | |
Iranische Protestbewegung in Berlin: „Die Despoten setzen auf Zeit“ | |
Der Verfassungsschutz muss den iranischen Geheimdienst in Berlin genauer | |
beobachten, fordert die Vorsitzende des Innenausschusses, Gollaleh Ahmadi. | |
Todesurteile des Mullah-Regimes: Irans blutige 15 Minuten | |
Mit den Hinrichtungen will das iranische Regime die Protestierenden | |
einschüchtern. Doch es erreicht damit nur das Gegenteil. | |
Freiheitsbewegung in Iran: Der Schützengraben der Mullahs | |
Das Festhalten der Mullahs am Hidschab hat viel mit dem Islam zu tun. Aber | |
mehr noch mit Sexualität. |