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# taz.de -- Feministische Proteste in Iran: So viel mehr als das Kopftuch
> Rechte instrumentalisieren die Proteste in Iran, Linke zögern mit
> Solidarität. Ein Vorabdruck von Gilda Sahebis Buch „Unser Schwert ist
> Liebe“.
Bild: Lächeln, als sie die Kamera sehen: Zwei Teheranerinnen auf ihrem Weg ins…
Die Proteste in Iran, die brennenden Kopftücher, der Kampf gegen die
Islamische Republik – all das ist für manche Menschen im Westen schwer zu
verdauen. Nicht, weil sie grundsätzlich gegen feministische Kämpfe wären,
sondern weil [1][die Proteste in Iran] liebgewonnene Haltungen, man möchte
sagen: Vorurteile, durcheinanderwerfen. Vorurteile und Vorstellungen über
„den Islam“ und „das Kopftuch“.
Diejenigen im Westen, die schon immer gesagt haben, dass der Islam
frauenverachtend und das Kopftuch Ausdruck der misogynen Struktur des
Islams sei, fühlen sich bestätigt: Seht her, die Frauen in Iran nehmen das
Kopftuch ab, sie verbrennen es sogar! Ihre Botschaft an alle
„Islamversteher“ im Westen: Seid nicht so naiv und hört auf, den Islam zu
verherrlichen. So beschwerte sich ein Publizist nach Beginn der Proteste
auf Twitter, dass „Menschen, die seit Jahren nicht den Mut aufbringen, den
politischen Islam zu kritisieren, plötzlich in Sachen Iran deutlich
geworden sind“. Oder anders: Wenn ihr das Kopftuch in Iran kritisiert,
kritisiert es gefälligst auch hier bei uns.
Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige, die sich, sagen wir,
zurückhalten, wenn es um die Solidarität mit den Frauen in Iran geht. In
politisch linken Kreisen gibt es die Argumentation, es sei eine „westliche“
Idee, dass das Abnehmen des Kopftuchs in Iran Freiheit für die Frau
bedeute. Das Kopftuch sei doch Teil der Kultur in Ländern wie dem Iran, und
wenn man sich gegen das Kopftuch ausspreche, so glauben sie, sei das
islamophob. Dieses Narrativ, das auch vom iranischen Regime propagiert
wird, füttern westliche Politikerinnen, wenn sie bei Staatsbesuchen in Iran
ein Kopftuch tragen. Sie halten sich, so kann man annehmen, für besonders
tolerant, glauben, dass sie die iranische „Kultur“ respektieren, wenn sie
sich verschleiern.
In beiden Fällen wird der Kampf der Frauen in Iran für die eigene Ideologie
instrumentalisiert. Und: Sowohl dieser Kulturrelativismus als auch die
Dämonisierung des Islams sind von einer rassistischen Denkstruktur geprägt.
Der Rassismus der rechten Seite ist leicht erkennbar. Hass gegen
Muslim*innen ist nicht erst seit 9/11 im Westen angekommen, hat sich
seitdem aber extrem intensiviert. Terroranschläge [2][wie in Christchurch]
und [3][in Hanau] sind ideologisch fest mit rassistischen
Verschwörungserzählungen verbunden. Eine ganze Partei, die inzwischen im
Bundestag sitzt, definiert sich zu großen Teilen durch ihren Hass auf
alles, was mit dem Islam zu tun hat. Eine der Abgeordneten dieser Partei
sprach im Deutschen Bundestag offen von „Messermännern“ und
„Kopftuchmädchen“ und meinte damit Muslim*innen.
Schnell waren die Rechten dabei, die Bilder aus dem Iran, den [4][Kampf der
Frauen] für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Eine rechtsextreme Vereinigung
von Abgeordneten im EU-Parlament sprach sogar einen Freiheitspreis für die
iranischen Frauen aus. Völlig absurd, wenn man bedenkt, dass in ihrer
rechtsextremen Ideologie alle aus Europa geworfen werden sollen, die nicht
in den europäischen „Kulturkreis“ passen, und dass diese Gruppen seit Jahr
und Tag gegen Geflüchtete aus der Region des sogenannten Nahen Ostens
hetzen. Dass es keinen von diesen Leuten um die Menschen in Iran geht, ist
klar. Es geht nur darum, Bilder von brennenden Kopftüchern dafür zu nutzen,
die eigene Ideologie voranzutreiben.
Auf der anderen Seite heißt es von links: Das Kopftuch als Symbol der
Frauenunterdrückung sei eine „westliche“ Erzählung; die Idee, dass Frauen
sich vom Kopftuch befreien müssten, um frei zu sein, sei imperialistisch
und kolonialistisch. Westliche Feminist*innen würden sich auf den
Kopftuchzwang versteifen und dabei „westliche“ Vorstellungen von Feminismus
und Gleichberechtigung quasi kolonialistisch durchdrücken. Man müsse die
„Kultur“ der Menschen in islamischen Ländern respektieren. Und: Die Rechten
nutzen die iranische Revolution für ihre muslimfeindliche Agenda, heißt es
aus linken Kreisen. Also Vorsicht.
Ob in den USA, in Europa oder in Deutschland: Die Linke, die einen
feministischen Kampf wie in Iran eigentlich als historisch feiern müsste,
[5][hält sich auffällig zurück]. In den USA, wo die demokratische Partei
als Partei des Feminismus gelten will, wird [6][„Frau, Leben, Freiheit“]
gänzlich ignoriert. Dort gibt es schon genug Probleme mit Islamhass, denken
sich, so scheint es, viele. Bei Teilen von linken Parteien in Deutschland
sieht es nicht anders aus.
Seit Beginn der Proteste im September 2022 wurde schon oft gesagt und
geschrieben: Es geht nicht um das Kopftuch. Es geht um so viel mehr. Um die
systematische Unterdrückung der Frau in Iran. Ausgerechnet diejenigen, die
vorgeben, antikolonialistisch und antiimperialistisch zu denken, verfallen
in eine in der Konsequenz rassistische Argumentation. Denn wenn die
Befreiung vom Kopftuch eine „westliche“ Idee ist, sind auch die
Selbstbestimmung der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter
„westliche“ Werte.
Kulturrelativismus bedeutet eben auch einen Relativismus der Werte.
Bestimmte Werte gibt es in dieser Logik nur im Westen, Frauen im
sogenannten Nahen Osten haben damit nicht dasselbe Bedürfnis nach Freiheit
wie Frauen im Westen. Während der Feminismus im Globalen Norden dafür
kämpft, dass „Nein heißt nein“ gilt und dass der Schwangerschaftsabbruch
legalisiert wird, soll der Feminismus im Globalen Süden ein rückständiger
sein; Frauen sollen sich nicht so haben mit dem Kopftuch.
Vor allem sollen Frauen in Iran nicht den Islamhassern im Westen glauben,
dass das Kopftuch ein Symbol der Frauenunterdrückung sei. Denn das zu
denken, ist islamophob. Das nutzen Rechte nur aus. Ja, das stimmt, das tun
sie. Nur ist das wahrlich nicht das Problem der Menschen in Iran. Das ist
unser Problem, hier im Westen. Um den Rassismus in unserer Gesellschaft
müssen wir uns kümmern.
Solche Einstellungen von links und rechts zeigen nur, dass das Wissen um
den iranischen Kontext fehlt oder bewusst vernachlässigt wird. Das Kopftuch
in Iran hat eine vollkommen andere Bedeutung als das Kopftuch in westlichen
Staaten. „Nur wenige Tage nachdem Ajatollah Ruhollah Chomeini aus einer
Air-France-Maschine entstiegen war, seinen Fuß auf iranischen Boden gesetzt
hatte, erhob er das Schwert seiner Revolution als Erstes gegen die Frauen“,
schreibt Golineh Atai in ihrem 2021 erschienenen Buch „Iran – Die Freiheit
ist weiblich“. Und weiter: „Fast alle Gesetze, die fünf Jahrzehnte sozialer
Gewinne für die Frauen bedeutet hatten, sollten seiner Idee des Islam zum
Opfer fallen.“
Als Erstes kam der Verschleierungszwang, von einem Tag auf den anderen.
Dann folgten bald die frauenfeindlichen Gesetze, mit denen das Leben aller
Frauen in Iran entwertet wurde.
## Der Hidschab ist in Iran ein Symbol
Im Oktober 2022 machte ein Video in den sozialen Netzwerken die Runde, in
dem eine Frau im Tschador auf eine Mauer schreibt „Frau, Leben, Freiheit“;
im Hintergrund sagt eine weibliche Stimme: „Wir verschleierten Frauen von
Maschhad unterstützen Frau, Leben, Freiheit.“ Es sind in dieser Revolte
nicht nur Frauen aktiv, die kein Kopftuch tragen wollen, sondern auch
solche, die es gerne tragen, auch weiter tragen wollen. Weil es um weit
mehr geht als um das Kopftuch.
Das Kopftuch, der Hidschab, ist in Iran ein Symbol. Ein Symbol für die
Unterdrückung von Frauen durch eine ideologisch extremistische Machtelite,
aus Männern bestehend, die den Islam als eine Art Universalerklärung für
all ihre Frauenrechts- und Menschenrechtsverbrechen nutzt. Die
Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, ebenfalls gläubige Muslimin, war
bei den iranischen Klerikern auch deshalb so verhasst, weil sie mit ihrem
Einsatz für Menschenrechte und ihrer Arbeit als Anwältin immer wieder
erklärte, dass die Machthaber ihre eigene Religion nicht verstünden.
Eine der mutigsten feministischen Stimmen in Iran ist Fatemeh Sepehri. Im
September 2022 wurde sie verhaftet. Sie ist gläubige Muslimin und trägt
nicht nur ein Kopftuch, sondern einen Tschador, einen Ganzkörperschleier.
Sie kämpft dafür, dass junge Frauen wie ihre Töchter die Freiheit haben zu
entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Sie fordert
schon lange den Rücktritt von Revolutionsführer Chamenei – und sagt das
auch noch ganz offen. Auch mit ihr hat Golineh Atai für ihr Buch
gesprochen, lange vor Beginn der Protestbewegung. Sie zitiert Fatemeh
Sepehri mit den Worten: „Ich will, dass die Islamische Republik gründlich
weggefegt wird. Ich verlange, dass der Iran eine säkulare Demokratie wird.
Ein Staat, der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte endlich achtet.“
Der Kampf gegen das Kopftuch in Iran hat nichts mit Islamophobie, sondern
mit Frauenunterdrückungsphobie zu tun. Der Kampf der Menschen und der
Frauen in Iran ist kein Spielfeld für Instrumentalisierungen, ob von rechts
oder von links. So einfach ist es mit „dem Islam“ und „dem Kopftuch“ eb…
nicht.
7 Mar 2023
## LINKS
[1] /Iranische-Oppositionelle-in-Deutschland/!5906725
[2] /Christchurch-Prozess-in-Neuseeland/!5710319
[3] /Rechtsextremistisches-Attentat-von-Hanau/!5913920
[4] /Sittenpolizei-des-iranischen-Regimes/!5896485
[5] /Aktivistin-ueber-Revolution-in-Iran/!5901676
[6] /Proteste-in-Iran/!5893454
## AUTOREN
Gilda Sahebi
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