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# taz.de -- Kritik an Baerbocks Iran-Politik: „Es braucht klare Parteinahme“
> Die iranischen Revolutionsgarden gehören auf die EU-Terrorliste, sagt
> CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Außenministerin Baerbock agiere zu
> zaghaft.
Bild: Solidarität mit den Menschen im Iran: Eine Frau steht Mitte Januar in ei…
taz: Herr Röttgen, sind Sie ein feministischer Außenpolitiker?
Norbert Röttgen: Ich halte es nicht für richtig, ein außenpolitisches Ziel
zu verabsolutieren. Das führt zu unlösbaren Widersprüchen. Aber wenn Sie
mich fragen, ob ich mich für die Inhalte einsetze, die man [1][mit
feministischer Außenpolitik verbindet], dann bejahe ich das.
Was wäre feministische Außenpolitik in Bezug auf Iran?
Mit feministischer Außenpolitik wird ja der Einsatz gegen systematische
Unterdrückung von an den Rand gedrängten Gruppen einer Gesellschaft
verbunden. Im Iran lehnt sich zum ersten Mal seit 1979 wieder das ganze
Volk gegen ein brutales Machtregime auf. Angeführt wird die Bewegung von
Frauen. Wenn es einen evidenten Anwendungsfall für deutsche oder
europäische feministische Außenpolitik gibt, dann ist es jetzt der Iran.
Das heißt konkret?
In der aktuellen Situation der Revolution gibt es nur A oder B. Sind wir
für die Freiheit oder für den Fortbestand eines Terrorregimes? Ich meine,
es braucht unsererseits eine klare Parteinahme für das sich auflehnende
Volk gegen die brutalen Unterdrücker.
Sie sprechen von einer Revolution, nicht nur von Protesten. Warum?
Was wir sehen, ist eine Bewegung des Volkes. Die P[2][roteste sind im
ganzen Land, in Dörfern, Städten, überall]. Die Basaris (Händler, d. Red.),
die Arbeiter, die Studenten sind mit dabei. Und das Ziel ist der Sturz der
Regierung. Wenn eine Regierung erst mal den Hass des Volkes so entschieden
gegen sich hat, weil sie alle – vor allem die Jungen – um ihre
Lebensperspektive und Freiheit beraubt, dann wird es schwer für sie.
In Ihrer Solidarität mit der Protestbewegung sind Sie sich also mit der
grünen Außenministerin im Grunde einig?
Ich sage mal so: Ich verstehe nicht, warum Frau Baerbock nicht mit mir
einig ist. Warum sie die feministische Politik, die sie propagiert,
ausgerechnet in einem so eindeutigen Fall nicht anwendet, geht mir über die
Hutschnur. Warum braucht die deutsche Außenministerin, wenn im Iran eine
junge Frau, Jina Mahsa Amini, brutal vom Regime ermordet wird, Tage, bevor
ihr überhaupt etwas dazu einfällt?
Baerbock hat sich unter anderem im UN-Menschenrechtsrat erfolgreich für
eine unabhängige Untersuchung der iranischen Verbrechen eingesetzt. Sie
spricht sich dafür aus, die iranischen Revolutionsgarden auf die
EU-Terrorliste zu setzen. Das ist doch genau Ihre Forderung!
Ich habe Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Worte, weil ich nicht
erkennen kann, dass sie für die Terrorlistung kämpft. Bei Frau Baerbock und
ihren Beamten im Auswärtigen Amt ist immer alles rechtlich schwierig und
dann nicht möglich. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Eine Terrorlistung
der Revolutionsgarden wäre möglich, Beweismaterial gibt es genug.
Welche Konsequenzen hätte das jenseits der Symbolik?
Die Terrorlistung wäre der klare Bruch mit dem Regime, denn die
Revolutionsgarden sind das Regime. Eine stärkere Sanktionseinstufung als
die Terrorlistung gibt es nicht. Zurzeit reisen die reichen Profiteure des
Systems noch durch Europa, lassen sich medizinisch behandeln, schicken ihre
Kinder auf Elite-Unis. Für die würde es dann deutlich unangenehmer werden.
[3][Grünen-Chef Omid Nouripour sagte im taz-Interview] kürzlich, manche
Abgeordnete würden ihre Leidenschaft für Menschenrechte erst in der
Opposition entdecken. Kann es sein, dass er Sie damit meinte?
Nein, das glaube ich nicht. Eine solche Unverschämtheit möchte ich dem
geschätzten Kollegen Nouripour nicht unterstellen. Das wäre ja, wie wenn
ich ihm und den Grünen vorwürfe, Menschenrechte über Bord zu werfen, sobald
man selbst in der Regierung ist.
Ihr harter Kurs gegen den Iran ist aber neu. Heute lehnen Sie Gespräche
über eine Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 ab, das offiziell Joint
Comprehensive Plan of Action (JCPoA) heißt. Früher haben Sie es
befürwortet.
Ja, ich war immer für das JCPoA. Es war aus meiner Sicht die am wenigsten
schlechte Lösung, um zu verhindern, dass der Iran die Atomwaffe bekommt.
Darum habe ich es auch für einen schweren Fehler gehalten, als Trump das
Abkommen 2018 aufkündigte. Die Iraner haben sich noch eine Weile nach der
Kündigung an das Abkommen gehalten.
Also hat sich Ihre Position verändert?
Die Realität hat sich verändert und damit auch meine Position. Meine
Analyse ist jetzt, dass das Regime am JCPoA kein Interesse mehr hat. Seit
Jahren treibt es unter Ausschaltung der internationalen Kontrollen die
Urananreicherung immer weiter voran. Mittlerweile hat Iran technologisch
die Fähigkeit, waffenfähiges Uran anzureichern. Die Iraner haben auch eine
Rakete. Was sie wohl noch nicht haben, ist ein Sprengkopf.
Ein Regimesturz steht möglicherweise nicht unmittelbar bevor. Wenn auch ein
Atomabkommen keine Option mehr ist, was sind dann die Perspektiven einer
Iranpolitik?
Eine Perspektive ist ein anderes System im Iran, das international
kooperativ eingestellt ist.
Ist ein Regimesturz Aufgabe deutscher Außenpolitik?
Ein regime change ist Sache des iranischen Volks, und das wissen die Iraner
auch. Was wir tun können und sollten, ist, die Menschen zu unterstützen,
indem wir solidarisch sind und das Regime in seinen Möglichkeiten
einschränken. Mit dem Todesurteil für Jamshid Sharmahd ist eine
Neuausrichtung der deutschen Iranpolitik noch einmal dringender geworden.
Wenn es jetzt keine harten Konsequenzen gibt, wird diese Methode –
ausländische Staatsbürger zu entführen und als Druckmittel einzusetzen –
Schule machen.
Heißt das, alle Gesprächskanäle zu schließen?
Es ist unehrlich, Solidarität zu bekunden und für die Terrorlistung der
Revolutionsgarden einzutreten, aber die Gesprächskanäle offen halten zu
wollen. Wenn ausländische Regierungen jetzt öffentlich mit Teheran
sprechen, verleihen sie dem Regime Legitimation. Der Hohe Beauftragte der
EU, Josep Borell, hat sich mit Irans Außenminister medial wahrnehmbar
getroffen, und zwar in Absprache mit den EU-Außenministern. Jeder muss
wissen, dass so etwas von Teheran für die eigene Propaganda ausgeschlachtet
wird.
Neben dem Iran ist auch Russland eine Herausforderung für die deutsche und
europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Sehen Sie da Parallelen?
Russland führt Krieg gegen ein Nachbarland, das Regime in Teheran gegen die
eigene Bevölkerung. Putin und die Mullahs sind in ihrer Isolation verbunden
und unterstützen sich gegenseitig. Was das Mullah-Regime schwächt, hilft
daher auch der Ukraine. Hier haben wir uns zuletzt so sehr auf die
Waffenfrage fokussiert, dass wir – die Bundesregierung, aber auch die
Opposition – auf die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu wenig
Wert gelegt haben. Allein der Umstand, dass jetzt um den Jahrestag des
Kriegsbeginns über zusätzliche Sanktionen gesprochen worden ist, belegt,
dass es noch Raum gibt. Ich hätte nicht den Jahrestag abgewartet, sondern
die Spielräume so zügig wie möglich genutzt. Auch bei der
Umsetzungskontrolle besteht Grund für Kritik.
Würden Sie im Nachhinein sagen, dass die Bundesrepublik in den letzten
Jahrzehnten außenpolitisch gegenüber Russland, aber auch gegenüber Iran zu
viele Fehler gemacht hat?
Ich weiß, Sie wollen jetzt die CDU an den Wickel bekommen.
Genau.
Nehmen wir die letzten zehn Jahre, da ist die CDU, neben der SPD, ja immer
noch voll mit dabei. Da muss man sagen, dass deutsche Russland- und
Energieaußenpolitik, zumindest nach 2014, also seit der Annexion der Krim
durch Russland, der wohl größte Irrtum der deutschen Außenpolitik in der
Nachkriegsgeschichte war.
Das müssen Sie ausführen.
Mit den Maidan-Protesten und dem anschließenden Assoziationsabkommen
zwischen der EU und der Ukraine hatte sich die Ukraine entschlossen,
europäisch und damit erfolgreich zu werden. Das hat Putin und sein
Machtsystem unter Druck gesetzt. Darauf hat er aggressiv reagiert, sich zum
Outlaw gemacht und geschworen, die politische Ordnung Europas als Ergebnis
des Kalten Krieges zu revidieren. Diese aggressive und revisionistische
Entwicklung der russischen Außenpolitik nicht anerkannt zu haben, sondern
im Gegenteil nach einigen harmlosen Sanktionen wieder an das business as
usual angeknüpft zu haben, mit Nord Stream 2 und dem Verkauf des größten
Gasspeichers an Russland, das war ein wirklich katastrophaler Fehler.
Wie erklären Sie sich das?
Es gab Strukturen, die dazu geführt haben. Und zwar, erstens: das
parteipolitische Interesse der SPD. Man wollte sich als Partei der
Entspannungspolitik beschreiben. Zweitens: der enorme Druck der deutschen
Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie. Drittens: auch
unsere Arroganz gegenüber den Mittel- und Osteuropäern und den Balten, die
wir nicht voll ernst genommen haben. Viertens: eine CDU, die diesen
Konflikt mit SPD und Wirtschaft nicht austragen wollte. Und fünftens: eine
überwiegend unkritische, bequeme Öffentlichkeit – unter Einschluss des
politischen Journalismus.
Würden Sie ein so hartes Urteil auch für die zurückliegende deutsche
Iranpolitik formulieren? Viele Regimegegner*innen kritisieren seit
Jahren, dass der Kurs zu verständnisvoll sei. Hätte man das nicht, wie bei
Russland, auch beim Iran viel früher erkennen müssen?
Hier liegen die Dinge anders. Es ging an erster Stelle darum, zu
verhindern, dass der Iran eine Atomwaffe erhält. Dass im Format der E3,
bestehend aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, plus USA, China
und Russland verhandelt wurde, war schon für sich ein Erfolg. Das galt erst
recht für das abgeschlossene JCPoA im Jahr 2015. Danach sind die Fehler
passiert. Teheran hat in großem Stil Terrorismus in der Region finanziert,
was man dem Regime im Wesentlichen hat durchgehen lassen. Die Position
hätte sein müssen, dass das JCPoA gilt, aber kein Freifahrtschein für
Terrorismus ist. Dann hat Trump das JCPoA gekündigt. Nun haben wir Terror –
und kein Atomabkommen.
26 Feb 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Jannis Hagmann
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