# taz.de -- Omid Nouripour zum Iran: „Ich verstehe die Frustration“ | |
> Grünen-Chef Omid Nouripour ist in Iran geboren. Er fordert von der EU, | |
> die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation zu listen. | |
taz: [1][Herr Nouripour], sind die Proteste im Iran gescheitert? | |
Omid Nouripour: Dass sie weniger sichtbar sind, heißt nicht, dass sie zu | |
Ende sind – und erst recht nicht, dass die Gründe für den Protest | |
weggefallen sind. Es gibt weiterhin sehr viele kreative Protestformen: | |
Graffiti, Banner, Plakate. In Regionen wie Belutschistan im Südosten gehen | |
die Leute auch weiterhin rege auf die Straße. | |
Sie sind im Iran geboren und dem Land bis heute verbunden. Wie fühlt es | |
sich für Sie an, die Proteste aus der Ferne zu verfolgen und parallel in | |
Berlin Bundespolitik zu betreiben? | |
Damit bin ich nicht allein und das ist emotional unerträglich. Das geht | |
vielen Leuten so, die dem Land biografisch oder anderweitig verbunden sind. | |
Aber es hilft ja nichts, sich davon lähmen zu lassen. Im Gegenteil: Wir | |
müssen daraus unseren Ansporn ziehen, die Menschen im Iran auch weiterhin | |
zu unterstützen. | |
Sowohl von der CDU im Bundestag als auch aus der iranischen Diaspora gibt | |
es Kritik am grünen Regierungshandeln. Sie könnten demnach mehr für die | |
Protestbewegung tun. Trifft Sie der Vorwurf? | |
Manche Abgeordnete erkennen ihre Leidenschaft für Menschenrechte wohl erst | |
in der Opposition. Dagegen verstehe ich, dass es in der Diaspora den Wunsch | |
gibt, dass es schneller geht. Sie stellt Forderungen, die ich | |
nachvollziehen kann und die wir zum Teil selbst formuliert haben. So haben | |
wir bei unserem Parteitag im Oktober schon die Aufnahme der | |
Revolutionsgardisten auf die EU-Terrorliste gefordert. | |
Durch eine solche Listung würden die Revolutionsgarden breiter sanktioniert | |
als bisher. Es wäre verboten, sie in irgendeiner Form von Europa aus zu | |
unterstützen. Ein starkes politisches Signal wäre es auch. Wann ist es so | |
weit? | |
Wenn es uns und die grüne Außenministerin nicht gäbe, stünde die Listung | |
nicht permanent in Brüssel auf der Tagesordnung. Annalena Baerbock | |
formuliert sehr klar, dass das passieren muss; sie hat selbst schon gesagt, | |
dass sie die Revolutionsgarden für eine Terrororganisation hält. Wir halten | |
das alle für ein effektives Instrument, um auf die Revolutionsgarden als | |
Rückgrat der Unterdrückung Druck auszuüben. Dafür braucht es jedoch eine | |
Einstimmigkeit in der EU, die es bedauerlicherweise derzeit nicht gibt. | |
Welche Staaten sind dagegen? | |
Sie finden in der EU nur eine Handvoll Staaten, die in derselben Lautstärke | |
wie Deutschland eine Listung der Revolutionsgarden fordern. Das führt im | |
Übrigen dazu, dass es jedes Mal, wenn die Außenministerin dieses Thema | |
fährt, sehr aggressive Töne aus dem Regime gibt. Der iranische | |
Außenminister stellt Annalena Baerbock auf eine Stufe mit dem Außenminister | |
der – aus Sicht des iranischen Regimes – verfeindeten USA. Das zeigt | |
deutlich, dass sie sehr vieles richtig macht. | |
Das Auswärtige Amt argumentiert nicht nur mit der fehlenden Einstimmigkeit, | |
sondern macht sich auch rechtliche Bedenken zu eigen. | |
Anders als der Iran sind wir ein Rechtsstaat – und halten uns an Recht und | |
Gesetz. Deswegen hat das Auswärtige Amt richtigerweise darauf verwiesen, | |
dass eine Rechtsgrundlage erst noch zu schaffen ist. Die EU-Kommission und | |
insbesondere der Außenbeauftragte Josep Borrell sollten mit mehr Herzblut | |
und Dringlichkeit an einer gesetzlichen Grundlage für die Listung arbeiten. | |
Ihre Kritiker sagen: Rechtlich wäre es jetzt schon möglich. | |
Für eine europäische Listung der Revolutionsgarden braucht es in der Regel | |
Verurteilungen oder Ermittlungen im Zusammenhang mit Terrorismus. Es | |
stimmt, dass es in den USA bereits Urteile gegen die Revolutionsgarden | |
gibt. Doch zur Frage, ob das für eine Listung hier in Europa ausreicht, | |
gibt es in der EU keine geeinte Einschätzung. Damit sind wir wieder am | |
politischen Punkt: Es gibt derzeit leider keine Einhelligkeit in dieser | |
Frage in der EU. | |
Steckt hinter der Zögerlichkeit auch der Wunsch, Gesprächskanäle zum Regime | |
aufrechtzuerhalten – um irgendwann auch wieder die Verhandlungen über das | |
Atomabkommen aufzunehmen und eine iranische Atombombe zu verhindern? | |
Es wird momentan gar nicht gesprochen und erst recht nicht verhandelt. Es | |
gibt keine Gesprächsgrundlage mit der iranischen Seite. | |
Und in Zukunft? Sollte der Westen die Gespräche jetzt auch formell und | |
endgültig beenden? | |
Mit Sorge beobachten wir die Weiterentwicklung des iranischen | |
Nuklearprogramms. Alle westlichen Staaten, die an den Verhandlungen | |
beteiligt sind – Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die USA – | |
sollten in dieser Frage sehr eng zusammenstehen. | |
Israel hat den Iran diese Woche mutmaßlich mit Drohnen angegriffen. Die | |
US-Regierung schließt einen Militärschlag gegen das Atomprogramms auch | |
nicht aus. Wie viele Sorgen macht Ihnen das? | |
Dass Israel um seine Sicherheit massiv besorgt ist, verstehe ich. Doch ein | |
iranisches Atomprogramm kann mit militärischen Mitteln wohl höchstens | |
verzögert und nicht verhindert werden. Am Ende braucht es eine politische | |
Lösung. | |
Und wie soll die nun aussehen? | |
Wenn das jemand wüsste, wäre die Welt ein besserer Ort. Sie zu finden, ist | |
ständige und anhaltende Aufgabe. Dafür braucht es die Geschlossenheit des | |
Westens, für die wir uns tagtäglich auch in Regierungsverantwortung | |
einsetzen. | |
Themenwechsel: [2][In einem Patenschaftsprogramm versuchen deutsche | |
Abgeordnete, Aufmerksamkeit für bedrohte Aktivist*innen im Iran zu | |
schaffen.] Nehmen Sie daran teil? | |
Es gibt eine Reihe solcher Patenschaftsprogramme. Bei zwei davon bin ich | |
seit Jahren aktiv dabei: Bei dem des Bundestags und dem der Internationalen | |
Gesellschaft für Menschenrechte. | |
Wir meinten eigentlich ein neues Programm, das aus der Diaspora organisiert | |
wird und derzeit viel Aufmerksamkeit erhält. Die Organisatorinnen | |
kritisieren die Grünen: Von Ihnen seien weniger Abgeordnete dabei als von | |
anderen Parteien. | |
Das ist ein ehrenvolles Programm und ich danke all jenen, die es | |
organisieren und dadurch einen Beitrag zur öffentlichen und politischen | |
Debatte leisten. Aber es ist nicht seriös, unser Engagement für die | |
Menschen im Iran an der Teilnehmerstatistik eines einzelnen Programms zu | |
bemessen. | |
Würde man alle Programme nebeneinander legen, sähen die Zahlen besser aus? | |
Ja, aber auch das wäre nicht das einzige Indiz für Menschenrechtsarbeit. | |
Man muss von Fall zu Fall schauen. Wenn es zu einer Besserung von | |
Haftbedingungen durch geschaffene Öffentlichkeit kommt, bin ich darüber | |
sehr froh und dankbar. Das Argument, dass Aufmerksamkeit in manchen Fällen | |
eher schaden kann, ist aber auch nicht völlig abwegig. Ich kenne Fälle, bei | |
denen Leute dadurch aus dem Hausarrest zurück ins Foltergefängnis mussten. | |
Können Sie Beispiele nennen? | |
Leider nein, weil die entsprechenden Personen immer noch im Gefängnis sind. | |
Allein das zeigt doch, wie komplex und sensibel diese Fragen sind. | |
Lassen Sie uns weitere Kritikpunkte durchgehen: Deutschland ist restriktiv | |
bei der Visavergabe. Wer sich bedroht fühlt, kommt nicht raus aus dem Iran. | |
Die Visaabteilungen im Iran sind seit Jahren ein Problemfall. Die | |
Wartezeiten betrugen zuweilen auch mal eineinhalb Jahre. Dem ist aber | |
gerade in den letzten Monaten sehr viel Abhilfe geschaffen worden und ich | |
gehe davon aus, dass weitere Maßnahmen zur Besserung der Visavergabe für | |
politisch verfolgte Iranerinnen und Iraner folgen werden. | |
Warum schränken Sie die deutschen Handelsbeziehungen zum Iran nicht weiter | |
ein? | |
Ich wüsste nicht, dass die Geschäftsbeziehungen mit dem Iran florierten. | |
Empört waren Aktivist*innen über einen Iran-Pavillon auf einer | |
Düsseldorfer Gesundheitsmesse. | |
Ich verstehe, dass die Leute solche Auftritte nicht ertragen können. Mir | |
geht es nicht anders. Ich habe ja auch Verwandte im Iran verloren. [3][Über | |
die Hinrichtung meines Onkels habe ich vor Jahren in einem Gastbeitrag in | |
der taz geschrieben.] In einem Rechtsstaat können wir aber nicht einfach | |
die Hebel umlegen und von heute auf morgen bestehende Verträge auflösen | |
oder Zuwendungsbescheide annullieren. Ähnlich sieht es übrigens mit der | |
Schließung des IZH in Hamburg aus. | |
Sie meinen das Islamische Zentrum Hamburg – eine Gemeinde, die der | |
Verfassungsschutz als wichtigste Vertretung des Iran in Deutschland | |
bezeichnet. | |
Dieses offensichtliche Spionagenest gilt es zu schließen. Die sind | |
zuständig für die Einschüchterung und Ausspähung von iranischen | |
Protestierenden in Deutschland. Die Angelegenheit liegt jetzt bei der | |
Bundesinnenministerin. Ich hoffe sehr, dass sie so bald wie möglich | |
erwirkt, dass das IZH geschlossen wird. Aber auch da gilt: Es muss | |
rechtsstaatlich laufen und es dauert daher. | |
Die Grünen haben sich immer als Partei der Menschenrechte und des | |
Feminismus geriert. Jetzt sagen Sie: Hier ist es juristisch schwierig, da | |
muss ein paar Wochen gewartet werden und dort sind die anderen schuld. Dass | |
das Enttäuschung produziert, dürfte Sie nicht wundern. | |
Was im Iran passiert, ist unerträglich. In dieser hilflosen Situation eine | |
Regierung vorzufinden, die sich zur feministischen Außenpolitik bekennt, | |
weckt natürlich Erwartungen. Das ist auch gut so. Wir können trotzdem nicht | |
aus Tausenden Kilometern Entfernung nach 44 Jahren mit zwei Handgriffen die | |
staatlich organisierte Unterdrückung der Frauen beseitigen. Ich verstehe | |
die Frustration und die Ungeduld der Menschen. Dass sie an uns besonders | |
hohe Erwartungen haben, ehrt und verpflichtet uns. | |
2 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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