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# taz.de -- Analyst über Iran und die Münchner Sicherheitskonferenz: „Strei…
> Eine Exil-Koalition trägt den Ruf nach Regimesturz ins Ausland. In Iran
> dürfte es sehr bald schon neue Proteste geben, sagt der Politologe Ali
> Fathollah-Nejad.
Bild: Protest gegen das Mullah-Regime mit einem Bild des ehemaligen Kronprinzen…
taz: Herr Fathollah-Nejad, in Washington ist es letzte Woche zu einem
ersten Treffen von prominenten iranischen Oppositionellen gekommen. Zwei
der dort Vertretenen sind an diesem Wochenende auch zur [1][Münchner
Sicherheitskonferenz] eingeladen. Was tut sich da?
Ali Fathollah-Nejad: Es bildet sich eine Art [2][iranische
Auslandskoalition], bestehend aus den vielleicht prominentesten
Oppositionsvertretern in der Diaspora, darunter die
Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der ehemalige Kronprinz Reza
Pahlavi und die Frauenrechtlerin Masih Alinejad. Innerhalb Irans hatte es
einen Ruf danach gegeben. Die Teheraner Jugendorganisation, die Teil der
landesweiten oppositionellen Nachbarschafts-Jugend-Allianz ist, hatte
gefordert, dass sich die Auslandsopposition vereint.
Wozu braucht es eine Koalition im Ausland?
Diese Koalition kann den Ruf nach einem Regimewechsel in Iran nach außen
tragen, vor allem an die westliche Staatengemeinschaft. Dass Pahlavi und
Alinejad nun zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen wurden und somit
zum ersten Mal keine Vertreter der Islamischen Republik Iran anwesend sein
werden, bedeutet zumindest, dass man oppositionellen Stimmen vermehrt Gehör
schenkt.
Aber warum spricht ausgerechnet der ehemalige Kronprinz, also der Sohn des
früheren Schahs, eines Diktators, auf der Sicherheitskonferenz?
Natürlich war Reza Pahlavis Vater ein Diktator. Die [3][Revolution von
1979] war die Folge von Unzufriedenheit mit einer Diktatur. Aber im
Anschluss wurde eine noch brutalere Diktatur errichtet. In Teilen der
iranischen Bevölkerung gibt es nach vier Jahrzehnten realexistierenden
Islamismus’ eine gewisse Nostalgie für das, was vor der Revolution war, vor
allem für die soziokulturellen Freiheiten. Übrigens gab es bei den
Straßenprotesten der letzten Jahre immer wieder auch Slogans zugunsten
nicht seines Vaters, sondern seines Großvaters Reza Schah (von 1925 bis
1941 Schah von Persien bzw. Iran, d.Red.). Das war einer, der – ähnlich wie
Atatürk – eine autokratische Modernisierung vorangetrieben und den Einfluss
des schiitischen Klerus reduziert hat.
Reza Pahlavi, 62 Jahre alt, lebt in den USA im Exil. Was halten Sie von
ihm?
Nicht von allen, aber von vielen iranischen Oppositionellen wird er als
Teil der demokratischen Opposition wahrgenommen. Was jedoch fehlt, ist eine
Distanzierung von seinem Vater und der Diktatur. Aber man darf sich nicht
zu sehr auf Reza Pahlavi fokussieren, die ganze iranische Exil-Opposition
ist nur ein Nebenschauplatz.
Was ist der Hauptschauplatz? Die Straßenproteste innerhalb Irans scheinen
ja weitgehend vorbei zu sein.
Seit Januar gibt es kaum mehr Straßenproteste. Das ist zum einen der
Repression geschuldet, zum anderen den Wintermonaten. Aber wir müssen
wegkommen von der Vorstellung einer schnellen Revolution. Die Debatten in
Deutschland erinnern mich an die Debatten über den Arabischen Frühling.
Erst kam der Frühling, dann der Winter und die Sache war vorbei. Das ist
eine sehr oberflächliche Betrachtung. Auch beim Arabischen Frühling gab es
ja eine zweite Welle 2018/19. Genauso falsch ist es, zu denken, dass der
„iranische Frühling“ nunmehr in einem Winter verendet ist. Aufgrund von
eklatanten sozioökonomischen und politischen Missständen befindet sich Iran
meines Erachtens in einem langfristigen revolutionären Prozess. Es gibt
Phasen des Aufruhrs und der Ruhe. Phasen der Ruhe können somit nicht
gleichgesetzt werden mit einem Scheitern.
Wann hat dieser Prozess begonnen?
Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, als [4][zur Jahreswende 2018] und
dann im [5][November 2019] zum ersten Mal auch die unteren Schichten auf
die Straße gingen, die als soziale Basis des Regimes galten. Sie
skandierten Slogans gegen alle Komponenten des Regimes, sowohl gegen die
klerikale als auch die militärische, und zum ersten Mal auch gegen beide
Fraktionen des politischen Establishments, gegen die Hardliner und die
Reformer. Heute ist das politische Bewusstsein der unteren Schichten sehr
ausgeprägt.
Was war das qualitativ Neue an den Protesten, die letzten September
begannen?
Das Schichtenübergreifende. In den letzten zehn Jahren ist die iranische
Mittelschicht enorm verarmt, die noch 2009 die Grüne Bewegung mit den
seitdem begrabenen Hoffnungen auf eine Reform innerhalb des Systems
vorantrieb. So gingen ein Jahrzehnt später, also 2019, nicht nur Angehörige
der Unterschicht auf die Straßen, sondern auch die sogenannten middle class
poor. Das sind Leute, die sozioökonomisch verarmen, obwohl sie
Mittelstandsqualifikationen wie Uniabschlüsse und entsprechende Erwartungen
an soziale Mobilität haben. Die Islamische Republik hat keine Antworten auf
die grundlegenden Belange sehr weiter Bevölkerungsgruppen. Das
Schichtenübergreifende ist der Grund dafür, dass das Regime diesen
revolutionären Aufstand als veritable Gefahr ansieht.
Letztendlich geht es also um die Wirtschaft?
Nein, aufgrund der Monopolisierung politischer und ökonomischer Macht durch
dieselbe Elite kann man in Iran beides nicht voneinander trennen. An
vorderster Front haben diesmal vier Gruppen protestiert: Frauen, die
Jugend, Studierende und marginalisierte Ethnien. Alle vereint eine
disproportionale Arbeitslosenrate nebst anderen politischen und
soziokulturellen Formen von Diskriminierung. Und die sozioökonomischen
Indikatoren verschlechtern sich tendenziell. Die wirtschaftliche Situation
ist katastrophal. Wir haben einen beispiellosen Währungsverfall, eine
Inflationsrate von über 50 Prozent, und dennoch investiert der Staat seine
Ressourcen in den Repressions- und Propagandaapparat statt in die
Reduzierung der Missstände. Daher gehe ich davon aus, dass es zu einer
Wiederaufnahme von Straßenprotesten kommt. Ihre Frequenz nimmt zu, die
Proteste finden also in immer kleineren Abständen statt, während die
politischen Forderungen radikaler werden. Die Folge ist in meinen Augen
eine irreversible Kluft zwischen Staat und Gesellschaft.
Ein niederländisches Forschungsinstitut hat im Februar [6][eine Studie]
veröffentlicht, der zufolge 81 Prozent der Iraner*innen die Islamische
Republik ablehnen. Halten Sie das für realistisch?
Die Zahl ist nicht überraschend. Schon vor fünf Jahren hat der in Iran
bekannte Politikprofessor und regimeloyale Kritiker Sadegh Zibakalam dies
ähnlich eingeschätzt. Ich beziffere schon seit geraumer Zeit die soziale
Basis der Islamischen Republik auf nur 15 Prozent. Es gibt eine große
Bandbreite an sozialen Gruppen, die verstehen, dass ihre Belange mit dem
Fortbestehen des Systems nicht befriedigt werden. Deshalb ist die
Stoßrichtung eine revolutionäre. Bei den Iranern im In- und Ausland hat es
einen Paradigmenwechsel gegeben, die Überzeugung, dass das System der
Islamischen Republik nicht reformierbar ist, nicht zuletzt, weil die
Reformer als potenzielle Akteure des Wandels jegliche Legitimität eingebüßt
haben und somit weggefallen sind. Das sind ebenjene Reformer, die wir
nichtsdestotrotz in unserer Außenpolitik als Hoffnungsträger hochgehalten
haben.
Was fehlt dann noch, damit das Regime stürzt?
Damit der revolutionäre Prozess in die nächste Phase eintritt, bedarf es
einer quantitativen und qualitativen Expansion. Noch mehr Menschen müssen
an Straßenprotesten teilnehmen und es braucht stetige
Arbeitsniederlegungen. Das Problem ist, dass der Arbeiterschaft aufgrund
ihrer desolaten Lage eigentlich die ökonomischen Ressourcen fehlen, um
längere Streikperioden auszuhalten. Aber Streiks in wichtigen Sektoren der
Wirtschaft, im Erdgas- und Erdölsektor und der petrochemischen Industrie,
könnten das Rückgrat des Regimes brechen. Und zuletzt bedarf es Rissen
innerhalb der Machtelite, die wir bislang nur ansatzweise beobachten
können, die sich aber vertiefen können, wenn beispielsweise der Westen eine
robustere Iranpolitik verfolgt.
Was wäre eine robustere Iranpolitik?
Eine [7][Terrorlistung der iranischen Revolutionsgarden auf EU-Ebene] zum
Beispiel würde dem Machtapparat signalisieren, dass von außen ein anderer
Wind weht, dass der Kuschelkurs der letzten Jahre in der europäischen und
deutschen Iranpolitik vorbei ist. Es wäre ein Signal, dass das derzeitige
System keine Zukunft hat, was wiederum Abspaltungstendenzen innerhalb des
Machtapparats begünstigen würde. Der Protestbewegung würde es inmitten der
Pattsituation mit dem Regime neues Leben einhauchen können.
17 Feb 2023
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## AUTOREN
Jannis Hagmann
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