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# taz.de -- 30 Jahre iranische Revolution: Hat sich die Revolution gelohnt?
> Am 11. Februar 1979 wird das Regime des Schahs von den Aufständischen
> gestürzt. Ein großer Tag für Bahman Nirumand, Omid Nouripour und Katajun
> Amirpur, die ihn als Aktivisten oder als Kinder von Oppositionellen
> erleben. Wie sehen sie die Dinge heute?
Bild: Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad auf der Jahresfeier der islamischen …
VON OMID NOURIPOUR
Zwei Onkel haben mich Lesen und Schreiben gelehrt. Der eine war mein
Stiefonkel Hassan, der ab und an auf mich aufgepasst hat, da meine Eltern
beide berufstätig waren. Dabei brachte er mir alle 32 Buchstaben des
iranischen Alphabets bei. Der andere hieß nur "der Onkel", war ein
weißbärtiger Grundschullehrer, der singend und Geschichten erzählend im
einzigen Fernsehkanal des Irans kurz nach der Revolution für die erste
Klasse unterrichtete. Dieses schnell improvisierte Programm war notwendig
geworden, da die Schulen erst einmal geschlossen blieben.
Beide Onkel starben kurz nacheinander. Der Fernseh-Onkel an einem
Herzinfarkt, direkt nach Beendigung der Dreharbeiten. Seine Sendung wurde
noch Jahre später im Staatsfernsehen gezeigt und hat nicht nur Kinder,
sondern auch so manche Kleinstadt-Großmutter zu Alphabeten gemacht. Hassan
wurde nach dem Schnellurteil eines Revolutionsgerichts - noch keine zwanzig
Jahre alt - hingerichtet, weil er die falschen Flugblätter verteilt hatte.
Beide Onkel waren bis zum Tag des Sieges glühende Anhänger der Revolution.
Hassan hatte gesehen, wie seine Klassenkameraden von der Savak, der
Geheimpolizei des Schah-Regimes, abgeführt wurden, ohne dass er sie je
wiedersah. Der Fernseh-Onkel, weniger politisch motiviert, wirkte wie
befreit darüber, dass er ein Volk unterrichten konnte, das zur Hälfte aus
Analphabeten bestand.
Korruption, Armut, Landflucht, politische Unterdrückung: Wer war damals
nicht für die Revolution? In meiner Verwandtschaft (fast) alle. Ich
erinnere mich an das wütende Weinen meiner Mutter, an die tiefe Trauer
meines Vaters, nachdem die Armee des Schahs an einem belebten Platz das
Feuer auf eine friedliche Demonstration eröffnet hatte. Ich erinnere mich
an die Freudentränen meiner Großmutter, als der Revolutionsführer Ajatollah
Chomeini aus dem Exil nach Teheran zurückkehrte und in einer bewegenden
Rede allen Menschen politische Freiheiten und kostenlosen Strom und Heizöl
noch dazu versprach. Haben Sie Marjane Satrapis geniales Werk "Persepolis"
gelesen oder gesehen? Genau so war es damals. Für alle. Alle glaubten
Chomeini.
Onkel Hassan erlebte nicht mehr die Hunderttausende von Toten des Krieges
mit dem Irak. Er sah nicht mehr, wie seinem eigenen 70-jährigen Onkel, der
als Freiwilliger an der Front fiel, als "Märtyrer" eine Straße gewidmet
wurde. Hassan sah nicht, wie sein Bruder als Soldat als einer von wenigen
in Halabdscha "Glück" hatte und Saddam Husseins Giftgasangriff überlebte.
Er sah nicht die Rückkehr der Korruption, der Armut und der Landflucht. Er
wurde kurz nach der Einführung des Kopftuchzwangs für die Frauen und deren
Verbannung aus öffentlichen Ämtern hingerichtet.
War die Revolution richtig? Ja. Doch danach wurde es schlimmer. Nur darauf
können sich Revisionisten bis heute berufen, wenn sie die Schah-Zeit
glorifizieren. Der Fernseh-Onkel würde heute wahrscheinlich Freudengesänge
anstimmen, wenn er sehen könnte, dass die Alphabetisierungsrate
mittlerweile bei knapp 80 Prozent liegt. Die Geschichte zeigt: Wer sich
bildet, lässt sich nicht auf ewig unterdrücken. Damit ist der Grundstein
gelegt für eine (hoffentlich nicht allzu ferne) Zukunft des Irans in
Freiheit.
OMID NOURIPOUR, 33, geboren in Teheran, kam im Alter von 13 Jahren mit
seiner Familie nach Frankfurt. Er rückte 2006 für Joschka Fischer in den
Bundestag nach.
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VON KATAJUN AMIRPUR
Meine Erinnerung an die Islamische Revolution sind Klimaanlagen. Es ist
vielleicht nicht die spektakulärste, aber doch die, die mir, die ich damals
noch sehr klein war, bis heute nachdrücklich im Gedächtnis haften geblieben
ist.
Nach der Revolution lebte eine Bekannte meiner Eltern für längere Zeit bei
uns in Deutschland. Ihr Mann war Erdölingenieur in Ahwas am Persischen
Golf, als die Revolution begann. Sie lebte in einem Riesenhaus und wurde
von einem Chauffeur kutschiert. Das Interessanteste für mich war: Da ihr
Mann eine sehr hohe Position in der Hierarchie der Erdölangestellten
bekleidete, hatten sie in jedem Zimmer ihrer Riesenvilla eine Klimaanlage.
Wer einen etwas niedereren Status in dieser Hierarchie bekleidete, hatte
nur in ein, zwei Räumen eine Klimaanlage. Und dem einfachen Erdölarbeiter
war der Besitz von Klimaanlagen verboten. Klimaanlagen waren also nicht nur
ein Statussymbol in dem Sinne, dass sie teuer waren. Sondern auch weil es
staatlich geregelt war, wer in den Genuss wie vieler kam.
Nun sind Klimaanlagen nicht das Wichtigste und war die Ungerechtigkeit, die
in anderen Bereichen des Lebens zu spüren war, weit frappanter.
Andererseits ist es im Sommer in Ahwas so heiß, dass man auf blankem Boden
Spiegeleier braten kann. Und dass die Klassenzugehörigkeit im Kaiserreich
Iran eine Rolle spielte bis in die Verordnung über die erlaubte Anzahl der
Klimaanlagen hinein, war durchaus ein Thema in dieser Revolution, die
Gleichheit predigte.
Die Bekannte sagte, selbst sie, die ich immer für einen Snob gehalten
hatte, konnte den Hass der Arbeiter auf diese Klimaanlagen, die sie
zerstörten, als sie schließlich die Riesenvilla stürmten, nachvollziehen.
Auch ihr Ehemann, der Erdölingenieur, hatte für solche Ungerechtigkeit
durchaus einen Sinn. Er war eigentlich Kommunist und Anhänger der
Tudeh-Partei, die vor der Revolution verboten war und einige Jahre nach ihr
erneut verboten wurde.
Für diese Anhängerschaft hatte er in den Sechzigerjahren ein Jahr im
Gefängnis verbracht. Später hatte er noch einen toubename, einen Reuebrief,
schreiben müssen. Als Vater zweier Kinder hatte er sich notgedrungen zu
diesem Schritt entschlossen. Den Brief habe er unter Tränen geschrieben,
erzählte mir mein Vater.
Nach der Revolution fiel den Revolutionären irgendwann auch der toubename
in die Hände. Sie befahlen dem Ingenieur, einen neuen Reuebrief zu
schreiben. Doch er weigerte sich: Wenn es nicht möglich sei, im Iran zu
leben, ohne alle paar Jahre einen Reuebrief schreiben zu müssen und seine
Überzeugungen zu verraten, dann sei dies eben doch nicht seine Revolution.
KATAJUN AMIRPUR, 38, ist Islamwissenschaftlerin und Publizistin. Sie lebt
in Köln, wo sie als Kind eines iranischen Vaters geboren wurde. Zuletzt gab
sie das Buch "Der Islam am Wendepunkt" heraus.
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VON BAHMAN NIRUMAND
Die schönsten Monate, die der Iran je erlebt hat, lagen in der Zeit, als
der Schah nicht mehr Herr der Lage war, bis zu der Zeit, als die Islamisten
um Ajatollah Chomeini ihre Macht festigten. Jeder war erfüllt von der
Hoffnung auf bessere Tage, auf Freiheit und Unabhängigkeit; jeder hatte das
Gefühl, am Schicksal des Landes direkt beteiligt zu sein.
Ich war nach 14 Jahren im Exil nach Teheran zurückgekehrt, um die letzten
Wochen der lang ersehnten Revolution mitzuerleben. Für mich waren die
Monate wie in einem schönen Traum.
Was das Glücksgefühl allerdings zunächst etwas trübte, war die Angst vor
einem Militärputsch. Werden die USA den Sturz ihres engsten Verbündeten am
Golf dulden?, fragten wir uns. Erst als am 16. Januar der Schah das Land
verließ und am 11. Februar im Rundfunk eine Neutralitätserklärung der
Militärs verlesen wurde, konnten wir aufatmen.
Der Rest war ein leichtes Spiel, ein Vergnügen. Jeder rannte dahin, wo er
die interessantesten Funde und Erlebnisse vermutete. Polizeireviere,
Kasernen, Waffendepots, Rundfunk, Parlament und Senat, Paläste und
Gefängnisse waren Ziele, die von Aufständischen aufgesucht, erobert und
geplündert wurden.
Ich entschied mich zunächst für das Evin-Gefängnis, einen Ort des
Schreckens, in dem Tausende eingesperrt, gefoltert und hingerichtet worden
waren. Ich hatte im Ausland oft über dieses Gefängnis berichtet. Jetzt
wollte ich es von innen sehen.
Das Gefängnis lag im Nordosten von Teheran in einem Tal. Wenn ich früher
daran vorbeikam, sah ich auf den dicken hohen Mauern zumeist eine Schar von
schwarzen Raben, die davonflogen, wenn Schüsse fielen. Als wollten sie der
Stadt die Nachricht von einem neuen Verbrechen mitteilen.
Eine große Menschenmenge stürmte das von Wärtern und Polizisten verlassene
Gefängnis. Das Tor wurde mit schwerem Gerät aufgebrochen, die letzten
Gefangenen wurden auf Händen hinausgetragen. Sicher waren Kriminelle
darunter, die für einige Stunden zu Helden wurden.
Ein ehemaliger Gefangener führte mich an Einzelzellen vorbei in eine
Folterkammer. Es war ein großer, fast leerer Raum. In der Mitte stand ein
Podest aus Marmor, rechts an der Wand ein leeres Bett aus Eisen. Links in
der Ecke hingen zwei Ketten an der Decke, an deren Ende Riemen befestigt
waren. Der Gefangene erzählte mir, wie er mit den Fußgelenken an den Riemen
festgebunden und mit dem Kopf nach unten hängend ausgepeitscht wurde; wie
ihm mit Zigaretten Brandmale zugefügt wurden.
Welcher Außenstehende wäre in der Lage, zu fühlen, welche Qualen die
Menschen hier erleiden mussten?, dachte ich. Wird es jetzt damit aufhören,
wird es in Zukunft, wie Chomeini versprochen hat, keine Folter und
Hinrichtungen mehr für Andersdenkende geben?
Was für ein Irrtum, was für eine Enttäuschung! Wenige Tage nach Chomeinis
Ankunft erfolgten die ersten Hinrichtungen. Erst waren es die Monarchisten.
Dann kamen nacheinander die Linken, die Liberalen und Widersacher aus den
eigenen Reihen dran. Es gab Tage, an denen im Radio Namen von 200 bis 300
Hingerichteten verlesen wurden. So wenig blutig die Revolution verlief, so
mörderisch waren die Jahre danach. Das Evin-Gefängnis war bald überfüllt.
Und ist es bis heute geblieben.
BAHMAN NIRUMAND, 73, ist Publizist und wurde in Teheran geboren. 1965 floh
er nach Westberlin, kehrte 1979 in den Iran zurück, um nach drei Jahren
erneut zu fliehen.
11 Feb 2009
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