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# taz.de -- Brief an eine iranische Journalistin: An meine Schwester im Gefäng…
> Weil die iranische Journalistin Elahe Mohammadi über den Tod von Jina
> Mahsa Amini berichtete, ist sie in Haft. Ihre Schwester schrieb ihr einen
> Brief.
Bild: Die beiden verhafteten Journalistinnen Nilufar Hamedi and Elahe Mohammadi…
Es ist viele Jahre her, dass ich dir einen Brief geschrieben habe. Als wir
Kinder waren und uns wieder einmal gestritten haben, riet uns unsere
Mutter, einander zu schreiben, um uns zu versöhnen. Deshalb gab es nach
jedem Streit zwei Briefe; ich schrieb einen für dich und du einen für mich.
Seitdem sind viele Jahre vergangen. Wir haben uns nicht mehr gestritten,
sodass es nicht mehr nötig war, einen Brief zu schreiben.
Aber jetzt ist es an der Zeit. Du bist nun seit vierzig Tagen von mir
getrennt. Von mir, von deinem Mann Said, unserer Schwester Elham und
unseren Eltern. In dieser Zeit fiel es mir schwer, dir zu schreiben. Ich
habe in den Spalten der Zeitung über dich geschrieben, aber auch da fehlten
mir die Worte, und am Ende habe ich stets einen unfertigen Text an den
Redakteur geschickt.
Die Worte waren immer meine engsten Verbündeten, aber jetzt lassen sie mich
im Stich. Die Worte, die mir jahrelang geholfen haben, über die Frauen
dieses Landes zu schreiben, haben jetzt beschämt den Kopf gesenkt und
wollten mir nicht mehr helfen. Wie soll man über die Leere schreiben, die
du hinterlassen hast? Du warst nie von mir getrennt, seit wir gemeinsam im
Mutterleib aufgewachsen sind. Du, die du meine engste und wichtigste
Unterstützerin bist, seit wir auf der Schulbank saßen und uns gegenseitig
gehänselt haben. Deine Güte war so ehrlich, so vorbehaltlos und so
grenzenlos, dass nur der Gedanke an sie mich jetzt vor dir verneigen lässt.
## Du bist nicht mehr hier
In diesen vierzig Tagen habe ich daran gedacht, dass ich nicht so
freundlich zu dir war, wie ich es hätte sein sollen. Dass ich deine
Zuneigung nicht so erwidert habe, wie ich es hätte tun müssen. Jetzt denke
ich daran, wie ich vierzig Tage ohne dich überhaupt überstanden habe. Wie
konnte ich jeden Tag aufwachen, zur Arbeit gehen, schreiben, das
Word-Dokument schließen, zu Abend essen und schlafen? Wie konnte ich jede
Nacht in meinem weichen Bett einschlafen, während du auf den Teppichen in
den Räumen des Evin-Gefängnisses einen unruhigen Schlaf hattest? Wie habe
ich im selben Augenblick die Speisen gegessen, die dir am liebsten waren?
Das sind wiederkehrende, müßige Fragen. Anfangs habe ich mit anderen
darüber gesprochen, aber jetzt sehe ich keinen Sinn mehr, darüber zu reden.
Die Menschen sind von vielen Dingen belastet. Wenn ich dann über meine
Schmerzen spreche, wird mir das manchmal peinlich. Du, meine beste
Freundin, bist nicht mehr hier, und ich habe dir viel zu erzählen. Aber
unsere Gespräche können bis zum Tag deiner Freiheit warten. Bis zu dem Tag,
den ich voller Aufregung erwarte.
## Millionen von neuen Freunden
Und du? Was denkst du in diesen Tagen? Machst du dir wieder einmal Sorgen
um andere? Machst du dir Sorgen um deine Situation, brennst du mit der dir
eigenen Eile darauf, dass deine Situation so schnell wie möglich geklärt
wird? Weinst du nachts? Denkst du an deine Freunde und vermisst sie? Denkst
du noch an die Menschen, denen du geholfen hast, ihnen das Leben
erträglicher zu machen? Was machst du in den langen Minuten des
Gefängnisses, meine Liebe? Ich wünschte, du würdest früher kommen, damit
mein Kopf nicht vor lauter unbeantworteten Fragen birst.
Wenn du zurückkommst, habe ich gute Nachrichten für dich. Du triffst gerne
auf neue Menschen, du bist aufgeschlossen und immer offen für neue Freunde,
und an dem Tag, an dem du zurückkommst, werde ich dir sagen können, dass du
Millionen von neuen Freunden gefunden hast. Freunde, denen du nie begegnet
bist, die deinen Zustand aber jeden Tag mit Sorge verfolgt haben und sagen,
dass sie stolz auf dich sind. Im Gegensatz zu jener Minderheit von Menschen
schauen sie mir nicht zweifelnd in die Augen und denken nicht, dass du
etwas wirklich Schlimmes getan haben musst, weil du jetzt im Gefängnis
bist.
## Papa vergießt Tränen für dich
Wenn du etwas über unsere Eltern wissen willst, dann kann ich sagen, dass
sie uns wie immer stolz gemacht haben. Unsere Mutter hat nicht ein einziges
Mal geweint. Du weißt, wie stark sie ist. Nur, als in dieser verdammten
Nacht in Evin das Feuer ausgebrochen ist, hat sie Gott das Versprechen
abgerungen, dass er dich sicher zu ihr zurückbringt, und „ihr Gott“ hat
dich vor dem Tod bewahrt. Jeden Tag betet sie zu Gott, dass alle Gefangenen
gerettet werden, und am Ende erwähnt sie auch deinen Namen. Unsere Mutter
ist viel stärker, als wir all die Jahre dachten, Elahe, wusstest du das?
Papa vergießt manchmal Tränen für dich, er fragt mich: „Liebe Tochter, wann
kommt Elahe zurück?“ Er sagt: „Warst du nicht Elahes Redakteurin? Warum
antwortest du nicht?“ Und er bittet mich, alles zu tun, damit du früher
zurückkommst, aber ich kann nichts tun, ich habe keine Antwort für ihn, es
quält mich.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich als deine Redakteurin deiner
Reise nach Saqez [1][zum Begräbnis Mahsa Aminis] zugestimmt habe. Ich
wünschte, ich wäre taub dafür gewesen und hätte nicht zugestimmt. Said,
dein besonnener und geduldiger Ehemann, ist so stark wie immer und wir sind
alle stolz auf ihn. Dein lieber Partner seit zwölf Jahren ist mit
derselben Sanftheit, die du von ihm kennst, ruhelos, aber jeden Tag stärker
und widerstandsfähiger.
## Komm bald zurück
Elham und ich haben unsere liebe Schwester, den ruhigen Hafen unserer
Rastlosigkeit, die Besitzerin des schönsten Lachens, seit vierzig Tagen
nicht mehr gesehen. Wir haben von dir gelernt, geduldig zu sein. Du warst
das geduldige und bedachte Mädchen unserer Familie. Ohne dich, deine
Stimme, deine Anwesenheit, ist das Leben schwer. Es ist sehr schwer.
Komm bald zurück und bringe Licht in diese dunklen Tage. Mach dieses Leben
wieder hell. Ich vermisse es, dein schönes Gesicht zu sehen. Komm bald
wieder.
Aus Farsi: Kourosh Ardestani
14 Jan 2023
## LINKS
[1] /Frauenrechte-in-Iran/!5879321
## AUTOREN
Elnaz Mohammadi
## TAGS
Proteste in Iran
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Islamismus
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Kolumne La dolce Vita
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