# taz.de -- Irans Geheimdienste in Deutschland: Im Visier iranischer Spione | |
> In Deutschland in Sicherheit? Immer wieder werden iranische | |
> Oppositionelle hier von Geheimdiensten des Mullah-Regimes bedroht. | |
Bild: Zeigen sich solidarisch mit den Protesten im Iran: Teilnehmer*innen einer… | |
BERLIN taz | Als Ozi Ozar an einem Montagabend im Oktober in Berlin nach | |
einem Spaziergang zurückkommt, ist die Wohnung hell erleuchtet. Der | |
Passwort-Schutz auf dem Computer wurde aufgehoben, ein Chat- und ein | |
Videoschnitt-Programm sind geöffnet. So berichtet es Ozar später der taz. | |
Alle Wertsachen seien noch da und an der Eingangstür keine Einbruchsspuren | |
zu erkennen gewesen. | |
Es ist eine Aktion, die Ozar dem iranischen Geheimdienst zuordnet: „Ein | |
Einschüchterungsversuch“. Ozar ist 29 Jahre alt, kam 2018 aus dem Iran nach | |
Deutschland und engagiert sich [1][im Women* Life Freedom Kollektiv in | |
Berlin]. Die Gruppe hat die große Demonstration mit rund 80.000 Menschen | |
organisiert, die am 22. Oktober 2022 in Berlin stattfand – zwei Tage später | |
wurde bei Ozar eingebrochen. | |
Weltweit, auch in Deutschland, findet der Widerstand der Menschen im Iran | |
gegen das diktatorische Regime Unterstützung. Das Regime fürchtet um seinen | |
Machterhalt; auch die Opposition in Deutschland sieht es als Gefahr. Dass | |
seine Vertreter*innen hierzulande aktiv sind, Oppositionelle ausspähen | |
oder einschüchtern, ist lange bekannt. Diese Aktivitäten iranischer | |
Geheimdienste auf deutschem Boden wurden nun erneut [2][durch die | |
Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der | |
Linken-Abgeordneten Clara Bünger bestätigt]. Die Antworten liegen der taz | |
vor. | |
Nachrichtendienste würden demnach als zentrales Instrument der politischen | |
Führung in Teheran zur Sicherung ihres Herrschaftsanspruchs eingesetzt. | |
„Somit besteht weiterhin eine abstrakte Gefährdung, etwa durch | |
nachrichtendienstliche Ausspähungen oder Einschüchterungsversuche, für in | |
Deutschland lebende iranische Oppositionelle“, heißt es in der Antwort. | |
## Fehlende Schutzmechanismen für iranische Oppositionelle | |
Laut Bundesregierung sind seit 2018 gegen 24 mutmaßliche iranische | |
Agentinnen und Agenten in Deutschland 9 Ermittlungsverfahren eingeleitet | |
worden. Unter den Beschuldigten seien keine Diplomatinnen und Diplomaten. | |
Weitere Einzelheiten gab die Bundesregierung unter Verweis auf eine | |
Gefährdung der Ermittlungen nicht bekannt. | |
Zu Fragen bezüglich der Hintergründe von Angriffen und Tätern in | |
Deutschland erklärte die Bundesregierung nur, sie nehme die Sachverhalte | |
„sehr ernst“, und verwies ansonsten auf die Zuständigkeiten der Polizeien | |
und Staatsanwaltschaften der Länder. | |
Bünger kritisiert das. „Das macht das Ausmaß des katastrophalen Umgangs der | |
Bundesregierung deutlich, weil sie im Grunde keinen Überblick zu haben | |
scheint, wie konkret die Gefahr für iranische Oppositionelle in Deutschland | |
wirklich ist“, sagte die Linken-Abgeordnete. Auch habe die Bundesregierung | |
keine geeigneten Schutzmechanismen geplant, um Menschen in Deutschland vor | |
Angriffen durch iranische Regimekräfte zu schützen. | |
Sie fordert eine härtere Linie gegen Vertreter*innen des Regimes: | |
„Personen, die für die Ermordung, Folter und Verfolgung der Protestierenden | |
im Iran verantwortlich sind, werden durch die Maßnahmen der Bundesregierung | |
nicht ausreichend zur Verantwortung gezogen“, sagte Bünger. | |
## Attacken auf Mahnwachen vor der Botschaft in Berlin | |
Darauf, dass es bei den deutsch-iranischen Beziehungen einiger Korrekturen | |
bedarf, deutet ein weiteres Detail hin, auf das Bünger in einer ihrer | |
Fragen eingeht: Noch 2018 hatte der iranische Polizeichef Hossein Ashtari | |
die deutsche Bundespolizei besucht – laut Aussagen der Bundesregierung von | |
2019 war das ein Gegenbesuch zu einer Delegationsreise der Bundespolizei im | |
Jahr 2017 in den Iran. Gespräche über „Grenzsicherheit, Luftsicherheit und | |
Aus- und Fortbildung sowie zu den Organisationsstrukturen beider Behörden“ | |
seien geführt worden. Danach sei es „zu keinem weiteren ähnlich gelagerten | |
Austausch“ gekommen, antwortete die Bundesregierung nun. | |
Bei der Anzeige des Einbruchs fühlte sich Ozar durch die Polizei zunächst | |
nicht ernst genommen. Die Berliner Polizei bestätigte gegenüber der taz | |
Ermittlungen durch die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes, legte | |
aber keine weiteren Einzelheiten offen. | |
Bereits zwei Wochen vor der Großdemonstration in Berlin wurde klar, dass | |
Ozars Engagement dem Regime in Teheran nicht passt. Eine nahestehende | |
Person sei im Iran festgenommen worden, berichtet Ozar. Ihr sei eine | |
Botschaft mitgegeben worden: Ozar solle aufhören, sich in Deutschland | |
politisch zu engagieren. | |
Immer wieder berichten iranische Oppositionelle und Exilant*innen in | |
Deutschland von Bedrohungen gegen sie selbst [3][oder gegen Verwandte und | |
Freund*innen im Iran.] Manche davon sind dokumentiert: Etwa die Attacken | |
auf Mahnwachen vor der iranischen Botschaft in Berlin oder auf ein | |
Protestcamp von Exil-Iraner*innen vor der Parteizentrale der Grünen. | |
## Grenzüberschreitende Einschüchterungsversuche Teherans | |
In ihrer jüngsten Antwort verweist die Bundesregierung zudem auf | |
Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, denen zufolge iranische | |
Nachrichtendienste seit einiger Zeit verstärkt auch Personen während ihrer | |
Reisen in den Iran ansprechen und zur Zusammenarbeit nötigen wollen. So | |
werde versucht, oppositionelle Strukturen in Deutschland zu unterwandern. | |
Das Regime agiere repressiv über Grenzen hinweg, erklärt der | |
Politikwissenschaftler Marcus Michaelsen. Er forscht am Citizen Lab an der | |
Universität Toronto zu grenzüberschreitender Unterdrückung und digitaler | |
Überwachung. „Mit diesen Einschüchterungen und Bedrohungen kann das Regime | |
Exilaktivisten zur Selbstzensur zwingen und dazu bringen, ihre Kontakte zu | |
Familien, Freunden und Kollegen in Iran einzuschränken“, sagt er. Viele | |
Aktivist*innen berichteten von Stress, Unsicherheit und Gefühlen der | |
sozialen Isolation, weil sie sich nicht sicher sind, wie und mit wem sie | |
sicher kommunizieren können. | |
Laut Michaelsen nutzt das iranische Regime die gesamte Bandbreite der | |
bekannten Methoden transnationaler Repression. Angefangen mit der | |
Überwachung sozialer Medien und Hackingangriffen gegen E-Mail-Konten von | |
Kritiker*innen in der iranischen Diaspora, über Spionage und Bedrohung | |
von Oppositionellen durch Botschaftsmitarbeiter*innen bis hin zu | |
tätlichen Angriffen, Entführungen und Mordversuchen. | |
Auch im Fall von Mina Ahadi agierte das iranische Regime mutmaßlich über | |
Grenzen hinweg. Seit Jahren ist die 66-jährige Kritikerin des Regimes | |
politisch in Deutschland aktiv. Ahadi kennt Hassbotschaften, auch wegen | |
ihrer Kritik an Islam und Religion. Sie steht zeitweise unter | |
Polizeischutz. | |
## Spezialeinheiten der Revolutionsgarden in Deutschland aktiv | |
Zuletzt aber sei es noch ernster geworden, so Ahadi. Eine Todesdrohung im | |
September habe auf Wissen basiert, das nicht aus einer einfachen | |
Internetsuche stammen könne: Fast zeitgleich bekamen Bekannte von Ahadi | |
Anrufe – in London, Stockholm, Oslo und Deutschland. Ein Mann übermittelte | |
jeweils auf Farsi die Nachricht, dass Ahadi um ihr Leben fürchten müsse. | |
Ahadi führt diesen Fall wegen seiner koordinierten Ausführung auf | |
Geheimdienstaktivitäten des Iran zurück. Die Polizei bestätigt | |
Ermittlungen. | |
Das Regime nutzt verschiedene Wege, um einzuschüchtern. | |
Exiliraner*innen berichten beispielsweise davon, dass sie nach der | |
Teilnahme an einer Demonstration von der Seite angesprochen und | |
aufgefordert werden, sich nicht weiter politisch zu engagieren. Immer | |
wieder bringen Betroffene die Bedrohungen auch mit dem Islamischen Zentrum | |
in Hamburg (IZH) in Verbindung. Die Ampelfraktionen im Bundestag forderten | |
im vergangenen Oktober, ein Verbot zu prüfen. Das IZH hat die | |
Anschuldigungen stets zurückgewiesen. | |
Der Hamburger Verfassungsschutz beobachtet das IZH und bezeichnet es als | |
Außenposten des iranischen Mullah-Regimes in Europa, gibt aber keine | |
Auskunft zu konkreten Geheimdienst-Aktivitäten, die mit dem IZH in | |
Verbindung stünden, oder zu Fällen, in denen Bedrohungen gegen | |
Oppositionelle auf das Zentrum zurückzuführen sein könnten. | |
Klar ist: In Deutschland lebt europaweit die größte iranische Community und | |
[4][entsprechend groß ist das Interesse der iranischen Geheimdienste]. | |
Hauptakteur der gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten ist laut | |
Bundesregierung weiterhin das Ministry of Intelligence (MOIS). In seinem | |
Fokus stünden insbesondere iranische Oppositionsgruppen sowie die deutsche | |
Außen- und Sicherheitspolitik. Neben dem MOIS sei die Quds Force der | |
iranischen Revolutionsgarden (IRGC) in Deutschland aktiv. Die Quds Force | |
ist eine militärische Spezialeinheit der IRGC, die auf Einsätze im Ausland | |
ausgerichtet ist und auch geheimdienstlich agiert. „Ihre umfangreichen | |
Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-)israelische | |
beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele“, heißt es in der Antwort der | |
Bundesregierung. | |
## Revolutionsgarden hinter Anschlägen vermutet | |
Anfang Dezember war bekannt geworden, dass Ermittler*innen die | |
Revolutionsgarden hinter den jüngsten Anschlägen auf Synagogen in | |
Nordrhein-Westfalen vermuten. Die Bundesanwaltschaft hatte die Ermittlungen | |
übernommen. Der Fall ist politisch brisant, weil laut Aussagen des | |
Auswärtigen Amtes geprüft werde, ob die Revolutionsgarden auf die | |
Terrorliste der EU gesetzt werden können. Voraussetzungen dafür seien unter | |
anderem Ermittlungen wegen des Verdachts des Terrorismus in einem | |
EU-Mitgliedstaat. In der aktuellen Antwort der Bundesregierung finden die | |
Fälle in Nordrhein-Westfalen keine Erwähnung. | |
Im November wurde zudem bekannt, dass zwei Journalist*innen des | |
Exil-TV-Senders „Iran International“ in London wegen ihrer regimekritischen | |
Berichterstattung von den Revolutionsgarden mit dem Tode bedroht wurden. | |
Die Metropolitan Police sprach von einer „unmittelbaren, glaubhaften und | |
erheblichen Gefahr für ihr Leben“. Das britische Unterhaus rief dazu auf, | |
die IRGC auf die Terrorliste zu setzen. | |
3 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Aktivistin-ueber-Revolution-in-Iran/!5901676 | |
[2] /Iranische-Oppositionelle-in-Deutschland/!5906725 | |
[3] /Proteste-in-Iran/!5904610 | |
[4] /Iranische-Tarnfirmen-in-Deutschland/!5885984 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
Gilda Sahebi | |
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