| # taz.de -- Verwicklungen der SPD: Ein Raubzug namens Cum-ex | |
| > Das Hamburger Bankhaus Warburg, ein verbrecherisches Hütchenspiel – und | |
| > was das mit Kanzler Olaf Scholz und SPD-Politiker Johannes Kahrs zu tun | |
| > hat. | |
| Bild: Traditionsbank Warburg in Hamburg | |
| Weil in einem Schließfach des Hamburger SPD-Granden Johannes Kahrs 214.800 | |
| Euro gefunden wurden, rückt der Cum-Ex-Skandal der dortigen Warburg-Bank | |
| wieder in den Blickpunkt. Die wichtigsten Fragen und Antworten. | |
| 1Was sind Cum-ex-Geschäfte überhaupt? | |
| Es handelt sich um einen systematischen Steuerbetrug. [1][Die | |
| Cum-ex-Geschäfte waren ein organisierter Raubzug.] Die Banken ließen sich | |
| mit Tricks und Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag vom Staat | |
| Steuern erstatten, die nie gezahlt worden waren. Das Ganze funktionierte | |
| wie eine Art Hütchenspiel, bei dem die Finanzbehörden am Ende nicht mehr | |
| durchblicken konnten, wem wann welche Aktien gehört hatten. Den deutschen | |
| Staat hat das rund 10 Milliarden Euro gekostet. Cum-ex war kein | |
| Steuervermeidungstrick am Rand des Illegalen, sondern gezielter Diebstahl. | |
| Die traditionsreiche Hamburger Warburg-Bank hat sich an diesem kriminellen | |
| Betrug beteiligt – wie viele andere Banken auch. | |
| 2Welche Rolle hat Olaf Scholz dabei gespielt? | |
| Das ist die entscheidende Frage. Scholz hat 2016 und 2017 als Erster | |
| Bürgermeister in Hamburg Christian Olearius, Miteigentümer der | |
| Warburg-Bank, dreimal in seinem Amtszimmer empfangen. Damals sollte die | |
| Warburg-Bank 47 Millionen Euro aus den Cum-ex-Raubzügen aus dem Jahr 2009 | |
| zurückzahlen. Diese Rückforderung wäre Ende 2016 verjährt gewesen. Laut | |
| seinen eigenen Tagebüchern schilderte Olearius Scholz die miese | |
| wirtschaftliche Lage der Bank. Scholz habe zwar nichts versprochen, | |
| schreibt Olearius, doch er habe das Gefühl, „dass wir uns keine Sorgen zu | |
| machen brauchen“. | |
| Scholz empfiehlt dem Banker am 9. November, die rechtliche Begründung der | |
| Bank, warum sie meint, die 47 Millionen nicht zurückzahlen zu müssen, an | |
| den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Das passiert | |
| auch, obwohl die Finanzbehörde diese Begründung längst hat. Kurz darauf | |
| bestätigt sich Olearius frohe Erwartung, dass er sich keine Sorgen zu | |
| machen braucht. Die Hamburger Finanzbehörde entscheidet: Die Bank braucht | |
| die 47 Millionen nicht zurückzuzahlen. | |
| 3Warum trifft die Finanzbehörde diese Entscheidung, die offenkundig falsch | |
| war? | |
| Es gab 2016 in der Finanzbehörde lange Debatten um diese 47 Millionen. | |
| Manche waren für die Rückforderung des Geldes, weil es sich um einen | |
| Cum-ex-Betrug handele. Auch die Sachgebietsleiterin Daniela P. sieht das so | |
| – ändert aber plötzlich ihre Meinung. Am Ende ist die Finanzbehörde der | |
| Ansicht, die schwer nachvollziehbaren Cum-ex-Geschäfte der Bank aus dem | |
| Jahr 2009 nicht beweisen zu können. Ein Argument ist: Wenn die Bank wegen | |
| der Zahlung der 47 Millionen in finanzielle Schwierigkeiten komme, müsse | |
| die Stadt am Ende dafür haften. So stellt es Tschentscher im Hamburger | |
| Cum-ex-Untersuchungsausschuss dar. | |
| 4Was hat Olaf Scholz damit zu tun? | |
| Er sagt: nichts. Die Finanzbehörde habe unabhängig entschieden. Er habe | |
| keinen Einfluss auf die Rückzahlung genommen. Am Donnerstag hat er | |
| versichert: „Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten | |
| zähle, die so was machen.“ | |
| 5Ist das glaubwürdig? | |
| Auffällig ist die zeitliche Nähe zwischen Olearius’ Termin bei Scholz im | |
| November 2016 – und der Entscheidung der Finanzbehörde, die Sache auf sich | |
| beruhen zu lassen, ein paar Wochen später. Scholz’ Engagement bei der | |
| Aufklärung dieser Affäre übersichtlich zu nennen, ist eine Untertreibung. | |
| Zuerst behauptete die Senatskanzlei, Scholz habe sich nie mit Olearius | |
| getroffen. Das war, wie die Tagebücher zeigten, unwahr. Im | |
| Untersuchungsausschuss konnte sich Scholz im Mai 2021 an nichts mehr | |
| erinnern. Um diese Erinnerungslücken plausibel zu finden, muss man sehr | |
| sozialdemokratisch sein. Scholz ist bekannt für sein gutes Gedächtnis. Und | |
| es ging ja um viel Geld und eine bekannte Hamburger Bank in | |
| Schwierigkeiten. Daher rührt der Verdacht: Der Kanzler verschweigt etwas. | |
| 6Hat Scholz sich womöglich bereichert? Geht es um Korruption? | |
| Nein. Es geht nicht um Bestechung. Politik und Wirtschaft sind in Hamburg | |
| traditionell eng verflochten. Der Verdacht lautet, dass Scholz mit | |
| Rücksicht auf die Bank und Arbeitsplätze, die in Gefahr geraten könnten, | |
| der Finanzbehörde sanft nahegelegt hat, auf die Rückforderung zu | |
| verzichten. | |
| 7Hat die Warburg-Bank das geklaute Geld wieder rausgerückt? | |
| Ja, aber nicht wegen der Hamburger Finanzbehörde, sondern gegen sie. Denn | |
| 2017 wollte Hamburg wieder auf Rückforderungen, jetzt aus dem Jahr 2010, | |
| verzichten. Das verhinderte Schäubles Bundesfinanzministerium. Mittlerweile | |
| gibt es neue Gesetze – die Warburg-Bank musste die geraubten 155 Millionen | |
| Euro zurückzahlen. | |
| 8Scholz hat vor eineinhalb Jahren vor dem Ausschuss ausgesagt. Warum ist | |
| die Affäre jetzt wieder in den Schlagzeilen? | |
| Weil die Kölner Staatsanwaltschaft dem Untersuchungsausschuss ein 140 | |
| Seiten dickes Papier geschickt hat. Inhalt unter anderem: Die Finanzbeamtin | |
| Daniela P. schrieb am 17. November 2016 per Whatsapp einer Vertrauten, ihr | |
| „teuflischer Plan“ sei aufgegangen. Damit war gemeint: keine Rückforderung | |
| der 47 Millionen. Wusste sie, dass sie Unrecht tat? Die Frage, warum | |
| Daniela P. im November 2016 ihre Meinung in der Rückzahlungsfrage so abrupt | |
| geändert hat, ist nach wie vor unbeantwortet. Außerdem vermutet die Kölner | |
| Staatsanwaltschaft, dass Mails in der Finanzbehörde unrechtmäßig gelöscht | |
| worden sind. Das schürt den Verdacht, dass etwas verheimlicht werden soll. | |
| [2][Am Freitag nächster Woche wird Scholz nochmal vor dem Ausschuss | |
| erscheinen müssen.] | |
| 9 In einem Schließfach des Hamburger Ex-SPD-Politikers Johannes Kahrs | |
| wurden mehr als 200.000 Euro gefunden. Hat das etwas mit dem | |
| Warburg-Skandal zu tun? | |
| Kann sein, kann auch nicht sein. So viel Bargeld legt den Verdacht nahe, | |
| dass hier Geschäfte ohne Konten gemacht wurden. [3][Kahrs, der sich 2020 | |
| aus der Politik zurückzog, war ein Strippenzieher in der Hamburger SPD, der | |
| für raue Methoden bekannt war.] In der Warburg-Cum-ex-Affäre wird gegen | |
| Kahrs ermittelt, weil er sich 2016 bei der Bundesanstalt für | |
| Finanzdienstleistungen (Bafin) nach der Warburg-Bank erkundigt hatte. 2017 | |
| spendeten Firmen, an denen Banker Olearius beteiligt ist, 45.000 Euro an | |
| die Hamburger SPD. 38.000 Euro erhielt der Hamburger Kreisverband Mitte. | |
| Kahrs war dessen Vorsitzender. Das beweist keine Korruption, ist aber | |
| erklärungsbedürftig. Genauso wie die 214.000 Euro im Schließfach. | |
| 10 Wird diese Affäre Olaf Scholz die Kanzlerschaft kosten? | |
| Das hängt davon ab, ob ein Beweis auftaucht, dass Scholz oder Tschentscher | |
| Einfluss auf die Entscheidung der Finanzbehörde genommen haben. Falls ein | |
| Beleg existiert und publik würde, wäre das die smoking gun – und Scholz und | |
| Tschentschers stete Beteuerungen, nichts mit dem Verzicht auf die | |
| Rückforderung der 47 Millionen zu tun gehabt zu haben, würden | |
| zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Scholz’ Version lautet: „Unglaublich | |
| viele Anhörungen, unglaublich viele Akten haben nur ein Ergebnis gebracht: | |
| Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine politische Beeinflussung | |
| gegeben hat.“ Richtig ist: Daniela P. bestreitet bis heute, dass es eine | |
| politische Einflussnahme auf die Entscheidung der Finanzbehörde gab. | |
| Kurzum: Wenn es in dieser Schlüsselfrage nichts Neues gibt, wird Scholz | |
| Kanzler bleiben. | |
| 12 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Cum-Ex-Geschaefte/!t5261780 | |
| [2] /Cum-Ex-Affaere-in-Hamburg/!5873824 | |
| [3] /Cum-Ex-Skandal-in-Hamburg/!5870430 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
| Stefan Reinecke | |
| ## TAGS | |
| Johannes Kahrs | |
| Hamburg | |
| Olaf Scholz | |
| Cum-Ex-Geschäfte | |
| Serien-Guide | |
| SPD | |
| Kanzleramt | |
| Finanzen | |
| Peter Tschentscher | |
| Untersuchungsausschuss | |
| Cum-Ex-Geschäfte | |
| Cum-Ex-Geschäfte | |
| Johannes Kahrs | |
| Hamburg | |
| Johannes Kahrs | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Serie „Die Affäre Cum-Ex“: Milliardenfacher Steuerraub, einfach erklärt | |
| „Die Affäre Cum-Ex“ entwirrt einen der größten Finanzskandale. Handwerkl… | |
| aber bleibt die Serie unambitioniert – und das ist beinahe tragisch. | |
| Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex: Parteipolitik oder Erkenntnisgewinn | |
| Die Union will einen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Verstrickungen des | |
| Kanzlers. SPD und Grüne verteidigen Scholz, doch die FDP billigt den | |
| Antrag. | |
| Kanzleramtschef im Cum-Ex-Ausschuss: About Scholz | |
| Wolfgang Schmidt (SPD) sagt im Untersuchungsausschuss, was er alles nicht | |
| weiß – und warum sein Freund Olaf Scholz trotzdem unschuldig ist. | |
| Kanzler im Cum-Ex-Skandal: Scholz kann sich nicht erinnern | |
| Der Bundeskanzler wurde das zweite Mal im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss | |
| befragt. Er blieb bei seiner Linie, kaum konkrete Antworten zu geben. | |
| Cum-Ex-Skandal um Steuerbetrug: Scholz und die Affäre ohne Ende | |
| Wird es brenzlig für den Kanzler? Der Cum-Ex-Ausschuss hört ihn am | |
| Freitagnachmittag an. Es wird vermutlich nicht sein letzter Auftritt dort | |
| sein. | |
| Finanzexperte über Cum-Ex-Skandal: „Offenbar hat Scholz gelogen“ | |
| Finanzexperte Gerhard Schick wirft dem Kanzler Nähe zur „Herrschaft von | |
| Oligarchen“ vor. Er fordert den Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister | |
| Tschentscher. | |
| Abgeordneter über Scholz und Cum-Ex: „Ein Auge zudrücken beim Bankraub“ | |
| Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Hackbusch glaubt dem Kanzler seine | |
| Erinnerungslücken im Cum-Ex-Skandal nicht. Nun muss Scholz vor den | |
| Ausschuss. | |
| Cum-Ex-Geschäfte: Kein Verdacht gegen Scholz | |
| Die Generalstaatsanwaltschaft weist eine Beschwerde gegen Olaf Scholz im | |
| Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften zurück. Er habe sich nicht strafbar | |
| gemacht. | |
| Scholz, Kahrs und der Cum-Ex-Skandal: Schuldig bei Verdacht? | |
| Wie tief steckt Olaf Scholz in der Hamburger Cum-Ex-Affäre? Geraunt wird | |
| viel, doch die Unschuldsvermutung gilt auch für den Kanzler. | |
| Steuerskandal Warburg: Steuer-Chefin rechnete mit Ärger | |
| Leiterin der Hamburger Steuerverwaltung hat sich früh auf | |
| Untersuchungsausschuss eingestellt. Vermutungen über teuflischen Plan einer | |
| Finanzbeamtin. | |
| Cum-Ex-Skandal in Hamburg: Zu nah an den Bonzen | |
| Das Hamburger Bündnis von „Kaufleuten und Arbeiterklasse“ ist passé. Der | |
| Cum-Ex-Skandal bringt auch Kanzler Scholz erneut in Erklärungsnot. |