# taz.de -- Sachbuch von David de Jong: Braun bis ins Mark | |
> Welchen Einfluss haben in der Nazizeit groß gewordene | |
> Unternehmerdynastien heute? David de Jong geht in seinem Buch „Braunes | |
> Erbe“ dieser Frage nach. | |
Bild: Einer, der sich auf Enteignungen verstand: Privatbankier August Baron von… | |
„Zukunft braucht Herkunft.“ Diesen Satz ließ 2019 die | |
Ferry-Porsche-Stiftung verlauten, als sie ihren Willen bekundete, | |
Deutschlands erste Professur für Unternehmensgeschichte zu finanzieren. | |
Dabei klingt aber noch eine andere Botschaft mit: Ohne Herkunft besteht in | |
Deutschland nur bedingt Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg. | |
Dass diese Herkunft meist in der dicken braunen Erde der NS-Zeit wurzelt, | |
lässt sich noch heute an der Rangliste der reichsten Deutschen ablesen. | |
Jenen Unternehmerdynastien, die besonders von der nationalsozialistischen | |
Herrschaft profitiert haben, hat David de Jong in seinem Buch „Braunes | |
Erbe“ nachgespürt. Nur einige der Industriemagnaten waren dabei glühende | |
Nationalsozialisten, befindet der niederländische Journalist. Die meisten | |
waren einfach kühl kalkulierende, skrupellose Opportunisten. | |
Während Anton Piëch so etwa aus Überzeugung gleich zweimal in die NSDAP, | |
zuerst in die österreichische Schwesterpartei, und die SS eintrat, hatten | |
er und sein Schwiegervater Ferdinand Porsche kein Problem damit, ihr | |
Automobilkonstruktionsbüro 1931 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Adolf | |
Rosenberger zu gründen. Sieben Jahre später konnten sie ihn als | |
„Nichtarier“ allerdings günstig loswerden, um mit der Produktion des | |
„Volkswagens“ ihren Milliardenreichtum zu begründen. | |
## Piech, Porsche, Quandt | |
Der Großindustrielle Günther Quandt, dessen Nachfahren heute BMW | |
kontrollieren, war kein Nationalsozialist der ersten Stunde. Persönlich | |
war er mit den Nazis jedoch enger verbunden als jeder andere Unternehmer, | |
war seine Ex-Frau doch die First Lady des Dritten Reichs, Magda Goebbels. | |
Die wiederum, auch das ein interessantes Detail, ließ sich von niemand | |
anderem als [1][Prinz August Wilhelm davon überzeugen, in die NSDAP | |
einzutreten. Der Kaisersohn ist im Jahr 2022 wieder Gegenstand eines | |
Gerichtsprozesses: Geklärt werden soll, ob der Hohenzollern-Clan dem | |
Aufstieg der Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“ geleistet hat]. | |
Wie in „Braunes Erbe“ die Kennenlerngeschichte der beiden Goebbels, belegt | |
durch Tagebuchpassagen des Propagandaministers, nacherzählt wird, sorgt für | |
erheblichen Unterhaltungswert im Buch. | |
Dem Autor merkt man ein wohliges Grausen an, das er beim Wühlen im braunen | |
Klatsch empfunden haben muss: So bringen Magda und Joseph Goebbels ihre | |
Eheprobleme stets vor ihren Mediator Adolf Hitler, der, zwar eigentlich in | |
Magda verliebt, die Ehe zur Staatsangelegenheit erklärt und eine Scheidung | |
untersagt. | |
## Das reichste Geschwisterpaar Deutschlands | |
Magdas Sohn aus erster Ehe, Harald Quandt, lieben Goebbels wie Hitler | |
„abgöttisch“, ist er mit seinen blonden Haaren und blauen Augen doch dem | |
arischen Erscheinungsbild so nahe, wie die beiden Männer davon entfernt | |
sind. Sein Bruder Herbert Quandt sollte mit dem Geld des Vaters nach dem | |
Krieg BMW retten und seine Kinder Susanne Klatten und Stefan Quandt zum | |
reichsten Geschwisterpaar Deutschlands machen. | |
Günther Quandts Reichtum lag in Textilfirmen, in der Waffen- und | |
Batterieproduktion begründet. In seinen Fabriken schufteten | |
Zwangsarbeiter:innen, zudem konnte er sich einige seiner Firmen nur | |
sichern, weil sie unter jüdischer Aufsicht standen und so günstig zur | |
Arisierung, sprich Enteignung, angeboten wurden. | |
Einer, der sich ebenfalls auf Enteignungen verstand, war August Baron von | |
Finck. Seine Merck Finck & Co, die heute noch unter selbem Namen operiert, | |
stieg während der NS-Zeit zur erfolgreichsten Privatbank auf, auch wegen | |
der Arisierung der Bank J. Dreyfus sowie der S. M. v. Rothschild, die er | |
für knapp 6 Millionen Reichsmark „übernahm“, wie es heute auf der | |
Wikipedia-Seite der „Merck Finck“ verharmlosend heißt. | |
## Unterstützung rechtsextremer Politiker | |
Der eigentliche Wert lag bei 48 Millionen Reichsmark und selbst den | |
vergleichsweise kleinen Betrag zahlte von Finck, indem er die Privatkonten | |
der Rothschilds plünderte. Das verdiente Geld legte der Von-Finck-Clan auch | |
nach dem Krieg wohlüberlegt an, wie de Jong nachweist: Sohn August von | |
Finck junior, dessen Ehefrau 2022 auf der Forbes-Liste den 14. Platz | |
belegt, spendete zeitlebens Geld an rechtsextreme Politiker, auch wird | |
stark vermutet, dass er die AfD in ihrer Gründungsphase unterstützt hat. | |
Dass einer der umtriebigsten NS-Unternehmer seinen Reichtum nie verlor, | |
verwundert nicht, wurde er im Rahmen seines Entnazifizierungsprozesses doch | |
lediglich als Mitläufer klassifiziert. Zudem habe er sich in der | |
Rothschild-Angelegenheit „so vorbildlich verhalten, dass jedes Wort darüber | |
zu viel wäre“. Womöglich spielte die Erpressung des homosexuellen Richters | |
bei dem Urteil eine Rolle. | |
Doch zu Erpressungen mussten die meisten angeklagten Industriellen nicht | |
mal greifen. Mit Beginn des Kalten Kriegs ging es den Alliierten, allen | |
voran den USA, weniger darum, Nazis ins Gefängnis zu bringen, als eine | |
kapitalistische Gesellschaft als Bollwerk gegen den Kommunismus aufzubauen. | |
Zudem übergaben sie NS-Verbrecher und NS-Sympathisantinnen nach den | |
Nürnberger Prozessen vermehrt an westdeutsche Gerichte und Richter, die | |
verständlicherweise nicht alle daran interessiert waren, ihre | |
Gesinnungsgenossen wegzusperren. | |
## Flick-Skandal | |
Vergleichsweise hart bestraft wurde lediglich [2][Friedrich Flick. Als | |
Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam der Stahl- und | |
Rüstungsmagnat] schon 1950 frühzeitig wegen guter Führung frei. Sein | |
Flick-Konzern sorgte in den 80er-Jahren für den bis dato größten | |
Politskandal um Spendengelder an konservative Politiker. Verurteilt worden | |
war er 1947 unter anderem wegen der unmenschlichen Bedingungen, unter denen | |
seine Zwangsarbeiter:innen arbeiteten. Seine Lager, fand de Jong | |
heraus, gehörten zu den schlimmsten. | |
In der Aufarbeitungsarbeit der Bundesrepublik nahmen die NS-Zwangsarbeiter | |
lange Zeit wenig Raum ein. 2013 eröffnete in dem deutschlandweit einzigen | |
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin die erste Ausstellung. | |
Dessen Leiterin, Christine Glauning, sagte einmal dem Deutschlandfunk, es | |
habe im Reichsgebiet etwa 30.000 Zwangsarbeiterlager gegeben. | |
Für Aufruhr sorgte 2019 die Kekserbin Verena Bahlsen, die öffentlich und | |
medial maximal ungeschickt erklärte, „wir“ hätten „die Zwangsarbeiter | |
genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“. | |
Nun ist es wohl unrealistisch, von Firmenchefs zu erwarten, | |
Zwangsarbeiter:innen abzulehnen und eine Pleite wegen fehlender | |
Arbeitskräfte zu riskieren, wenn ihnen der Massenmord an der jüdischen | |
Bevölkerung noch nicht Grund genug gewesen war, die Stimme zu erheben. | |
Gerade Rüstungsfirmen dürften daran wenig Interesse gehabt haben. | |
Doch gab es erhebliche Unterschiede in der Behandlung der | |
Zwangsarbeiter:innen; ein oder zwei Stücke Brot aus Sägemehl täglich | |
konnten bei den unterernährten Arbeitssklav:innen ebenso einen | |
Unterschied machen wie der Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer | |
Versorgung. | |
## Nürnberger Prozesse | |
David de Jong beschäftigt sich in „Braunes Erbe“ erklärtermaßen mit den | |
größten Unternehmerdynastien, die sich bis auf den Puddingkonzern Dr. | |
Oetker, der Hitlers Frontgruppen verpflegte, alle in der Rüstungsindustrie | |
engagierten. Angeklagt wurden allein in den Nürnberger Prozessen neben | |
Flick jedoch 42 Wehrwirtschaftsführer, deren jeweiliger Werdegang im Buch | |
unerwähnt bleibt. | |
Die Geschichten der Quandts und der Oetkers sind zudem in Biografien und | |
TV-Dokumentationen vergleichsweise gut nachgezeichnet. Doch bei vielen in | |
der NS-Zeit operierenden Unternehmen fehlen die 12 Jahre Terrorherrschaft | |
komplett in den Firmenchroniken; weitere exemplarische Erfolgsgeschichten | |
hätte man gerne in dem Buch ebenfalls nachgelesen. | |
Ein Blick auf die aktuelle Forbes-Liste der reichsten Deutschen ist | |
ziemlich erhellend. Der zweitreichste Deutsche, Klaus-Michael Kühne, ist | |
Erbe eines Logistikunternehmens, das seinen jüdischen Anteilseigner | |
verdrängte und am Abtransport „beschlagnahmter“ Einrichtungsgegenstände a… | |
jüdischen Wohnungen verdiente. | |
Platz 15 nimmt, direkt hinter der Finck-Erbin, Georg Schaeffler ein, Erbe | |
des damals Rüstungsgüter produzierenden Schaeffler-Konzerns, der | |
Menschenhaar von ermordeten KZ-Häftlingen verarbeitete. | |
Ob die Erb:innen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben, darf bezweifelt | |
werden. Noch Jahre nach dem Krieg beschäftigten Firmen alte Nazikollegen, | |
spendeten große Summen an zwielichtige Vereine wie die Stille Hilfe, die | |
verurteilte und flüchtige SS-Mitglieder unterstützte (Dr. Oetker), und so | |
gut wie nichts als Entschädigung für Zwangsarbeiter:innen (Flick). | |
Zu leiden scheint die zweite und dritte Generation vor allem an sich | |
selbst. Es sei schwierig, mit dem Neid auf ihr Vermögen umzugehen, zitiert | |
de Jong das Geschwisterpaar Quandt. „Wer würde denn mit uns tauschen | |
wollen?“ | |
10 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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