| # taz.de -- Carl Friedrich von Siemens Stiftung: Alte braune Zöpfe | |
| > Ex-Geschäftsführer Marcel Lepper wollte die Geschichte der Carl Friedrich | |
| > von Siemens Stiftung aufarbeiten. Die war lange verzahnt mit der Neuen | |
| > Rechten. | |
| Bild: Edler Stiftungssitz: das Münchner Schloss Nymphenburg | |
| Der Aufruhr an der vornehmen Adresse im Münchner Schloss Nymphenburg ist | |
| seit einiger Zeit groß. Dort, am südlichen Schlossrondell, wo die | |
| renommierte Carl Friedrich von Siemens Stiftung residiert, ereignete sich | |
| Anfang des Jahres ein Eklat, dessen kulturpolitische Dimension jetzt | |
| Gestalt annimmt. Die Stiftung, die sich der Förderung der Wissenschaft | |
| verschrieben hat, warf – wie im Februar bekannt wurde – ihren seit kaum | |
| einem Jahr beschäftigten neuen Geschäftsführer, den | |
| Literaturwissenschaftler Marcel Lepper, raus. | |
| Lepper hatte sich mit Forschungsprojekten an renommierten Einrichtungen | |
| verdient gemacht. Der Germanist und erfahrene Transformationsmanager mit | |
| Schwerpunkt auf Archivarbeit wirkte unter anderem bei der Klassik Stiftung | |
| Weimar und am Literaturarchiv Marbach. | |
| Die Stiftung begründete die Personalie mit einem angeblichen Fehlverhalten | |
| Leppers bei der Personalführung. Marcel Lepper dagegen gab gegenüber | |
| verschiedenen Medien an, er sei grund- und fristlos entlassen worden. | |
| Marcel Lepper stellte in der vergangenen Woche gegenüber dem | |
| Deutschlandfunk und dem Bayerischen Rundfunk seine Sicht der Ereignisse | |
| dar. Brisant: Lepper wollte die Geschichte der Stiftung aufarbeiten. | |
| Zentrales Objekt seines Unterfangens sollte das Stiftungsarchiv sein. | |
| Schenkt man seinen Aussagen Glauben, so gab es gegen das | |
| Aufarbeitungsprojekt Widerstand. | |
| ## Vordenker der Neuen Rechten | |
| Die rechte Vergangenheit der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ist nicht | |
| nur in München ein relativ offenes Geheimnis. Leppers langjähriger | |
| Vorvorgänger auf der Geschäftsführerposition war Armin Mohler, Vordenker | |
| und Netzwerker der Neuen Rechten. Sein Amt bei der Stiftung trat der | |
| rechtsextreme Publizist 1964 an. Ein Netzwerk unter Beteiligung ehemaliger | |
| NS-Eliten hatte Mohler auf die Spur gesetzt. Der Waffen-SS-Freiwillige und | |
| [1][ehemalige Privatsekretär Ernst Jüngers] hatte nach dem Krieg unter | |
| anderem ein Handbuch zur „konservativen Revolution“ verfasst. | |
| Bis heute gilt Mohler als entscheidende Integrationsfigur der [2][Neuen | |
| Rechten] in der angehenden Bonner Republik. Er wollte eine Bewegung rechts | |
| der CDU/CSU – antidemokratisch, antiliberal und – in vermeintlicher | |
| Abgrenzung zu dumpfen rechten Schlägern – rechtsintellektuell. Eine | |
| Steilvorlage zur Gründung der Partei Die Republikaner. | |
| Auch das Vortragsprogramm der Stiftung prägte Mohler einschlägig, | |
| verschaffte Beiträgen zum „Ernstfall“ und zur „deutschen Neurose“ eine | |
| exklusive Öffentlichkeit. Wellen schlug 1980 der vor der Stiftung gehaltene | |
| Vortrag „Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus“ [3][des Historikers | |
| Ernst Nolte,] der Ausgangspunkt des Historikerstreits werden sollte und den | |
| die FAZ gekürzt abdruckte. Nolte vertrat darin die These, dass Hitler und | |
| der Nationalsozialismus lediglich eine Reaktion auf die Bedrohung durch die | |
| Russische Revolution gewesen seien. | |
| Der Geschichtswissenschaftler legte später nach und stellte die | |
| Einzigartigkeit des Holocaust infrage, sprach angesichts der | |
| Judenvernichtung von einer „asiatischen“ Tat, bei der sich die | |
| Nationalsozialisten von Stalins Gulag-System inspirieren ließen. Noltes | |
| Vortragsaussagen riefen unter anderem den Widerspruch von Intellektuellen | |
| wie Jürgen Habermas hervor, der später selbst an der Siemens-Stiftung | |
| referieren sollte. | |
| ## Gegenprogramm zum progressiven Gesellschaftsprojekt | |
| Der Streit ist Stimmungsbild einer Zeit, in der Konservativen die | |
| Post-68er-Republik und deren angebliche linke Hegemonie ein Dorn im Auge | |
| waren. Ihr Gegenprogramm zum progressiven Gesellschaftsprojekt war | |
| relativierend, revisionistisch und apologetisch der NS-Vergangenheit | |
| gegenüber. | |
| Mit dem Nachfolger Mohlers, dem Philosophen Heinrich Meier, der 1985 die | |
| Geschäftsführung übernahm, öffnete sich die Stiftung und die politische | |
| Arbeit trat in den Hintergrund. Vortragende wie Giorgio Agamben, Daniel | |
| Dennett, Hans-Ulrich Gumbrecht und Karl Schlögel prägten das Programm. Doch | |
| auch Meiers Vergangenheit wirft Fragen auf. In frühen publizistischen | |
| Beiträgen bekennt sich der spätere Rousseau-Forscher offensiv zur | |
| politischen Rechten. | |
| Der heute an der University of Chicago Lehrende trat als Autor in der | |
| gemeinsam von Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing herausgegeben | |
| rechtskonservativen Zeitschrift Criticón in Erscheinung. In seiner eigenen | |
| antiegalitären und von Elitedenken geprägten Lehre vertritt Meier die | |
| Vorstellung einer natürlichen Ungleichheit der Menschen. | |
| Was nun die feine Adresse in Nymphenburg betrifft, – das zeigt der Fall | |
| Lepper exemplarisch – herrscht dringender Aufklärungsbedarf. Mit ihrem | |
| geschätzten Stiftungsvermögen von 600 Millionen Euro spielt die Carl | |
| Friedrich von Siemens Stiftung in der Topliga vergleichbarer Einrichtungen | |
| mit, auch wenn es etwa mit der Robert-Bosch-Stiftung und ihrem Vermögen von | |
| 5 Milliarden Euro weit größere Player gibt. | |
| ## Keine Reaktion vonseiten der Stiftung | |
| Die Wissenschafts- und Kulturlandschaft ist auf die Arbeit privater | |
| Stiftungen angewiesen. Von den Stiftungsgeldern profitieren | |
| wissenschaftliche Einrichtungen wie Bibliotheken, aber auch Forschende | |
| direkt. Mit der Bedeutung der Stiftungsarbeit geht eine gesellschaftliche | |
| Verantwortung einher. | |
| Verhalten hat sich die Stiftung zu den Vorwürfen Leppers [4][in einer | |
| Stellungnahme]. Die Stiftungsleitung hat interimsmäßig die kaufmännische | |
| Leiterin der Stiftung, Carola Schütt, inne. | |
| Die Rufe nach Transparenz, die im Fall der Carl Friedrich von Siemens | |
| Stiftung zuletzt in Form eines offenen Briefs, unterzeichnet von 40 | |
| Wissenschaftlern, laut wurden, sind daher nur allzu verständlich. | |
| Angesichts der von Marcel Lepper angestoßenen Debatte stellt sich nichts | |
| weniger als die Frage, wie die Stiftung in Zukunft glaubwürdig | |
| Wissenschaftsförderung betreiben will. | |
| Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde hinsichtlich der rechtlichen | |
| Vorgänge präzisiert. | |
| 20 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ernst-Juengers-Hauptwerk-ueberarbeitet/!5055212 | |
| [2] /Buch-Intellektuelle-Rechtsextremisten/!5868368 | |
| [3] /Historiker-Ernst-Nolte-ist-tot/!5331963 | |
| [4] https://www.cfvss.de/assets/Uploads/Presse/20230424-CFvS-Stiftung-Stellungn… | |
| ## AUTOREN | |
| Chris Schinke | |
| ## TAGS | |
| Rechtsextremismus | |
| Neue Rechte | |
| München | |
| Konservatismus | |
| Film | |
| Hohenzollern | |
| Deutsche Geschichte | |
| BMW | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rechte Geschichte der Siemens Stiftung: Aufarbeitung braucht Öffnung | |
| Marcel Lepper wollte die Carl Friedrich von Siemens Stiftung reformieren, | |
| wurde jedoch nach einem Jahr wieder entlassen. Ein Gastbeitrag über rechte | |
| Verstrickungen. | |
| Regisseur über holländische Kämpferin: „Sie wurde von der Farc benutzt“ | |
| Regisseur Marcel Mettelsiefen über seine Recherchen zu Tanja Nijmeijer. | |
| Sein neuer Dokumentarfilm porträtiert die niederländische Farc-Kämpferin. | |
| Hohenzollernstreit um Geschichte im NS: Adel, Nazis und kein Widerstand | |
| Haben die Hohenzollern eingesehen, dass ihnen bei ihrer Geschichte keine | |
| weiteren Restitutionen zustehen? Eine Veranstaltung in Berlin lässt | |
| zweifeln. | |
| Stand im Hohenzollernstreit: Adel als Gegenpol zur Demokratie | |
| Alle Schlichtungsversuche scheiterten. Nun dürfte der Streit zwischen | |
| Behörden und Preußen-Erben um Millionenwerte vor Gericht fortgesetzt | |
| werden. | |
| Sachbuch von David de Jong: Braun bis ins Mark | |
| Welchen Einfluss haben in der Nazizeit groß gewordene Unternehmerdynastien | |
| heute? David de Jong geht in seinem Buch „Braunes Erbe“ dieser Frage nach. |