# taz.de -- Keks-Hersteller Bahlsen in der NS-Zeit: Mehr Zwangsarbeiter als bek… | |
> Das Familienunternehmen hat seine Verstrickungen mit dem NS-Regime | |
> untersuchen lassen. Die Geschäfte zogen im Nationalsozialismus enorm an. | |
Bild: Hat sich endlich der Firmengeschichte in der NS-Zeit gestellt: Werner Mic… | |
Hannover dpa | Fünf Jahre nach den empörenden Aussagen der Firmenerbin | |
arbeitet eine Studie die Geschichte des Gebäckherstellers Bahlsen auf. | |
[1][Verena Bahlsen] hatte viel Kritik auf sich und das Unternehmen gezogen, | |
[2][als sie 2019 behauptete], man habe Zwangsarbeiter bei Bahlsen während | |
der NS-Zeit „gut behandelt“. Kurz danach hatte sie sich entschuldigt und | |
von einem Fehler gesprochen. Doch der Name Bahlsen stand plötzlich nicht | |
mehr nur für Leibniz-Keks und Pick-up-Riegel. | |
Die öffentlichen Diskussionen hätten dazu geführt, dass sich intensiv mit | |
der Vergangenheit auseinandergesetzt wurde, teilte die Familie nun in einer | |
Stellungnahme mit. „Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns | |
nicht bekannt und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben.“ | |
Eine Studie der beauftragten Historiker Manfred Grieger und Hartmut | |
Berghoff sollte folglich Antworten liefern. Entstanden ist ein 600 Seiten | |
starkes Buch mit dem Titel „Die Geschichte des Hauses Bahlsen“, das sich | |
mit den Jahren von 1911 bis 1974 beschäftigt. | |
Das Ergebnis der Untersuchung: Der Konzern unterstützte das Naziregime und | |
profitierte vom System, insbesondere durch den Einsatz [3][von | |
Zwangsarbeitern]. Bahlsen beschäftigte mehr Zwangsarbeiter als bislang | |
bekannt. Die Geschäfte im Nationalsozialismus zogen gewaltig an. | |
Von 1940 bis 1945 haben nach Unternehmensangaben mehr als 800 ausländische | |
Arbeitskräfte Zwangsarbeit für Bahlsen geleistet. Bahlsen zufolge handelte | |
es sich zumeist um Frauen aus Polen und der Ukraine. Die Zwangsarbeiter in | |
Deutschland unterlagen generell weitreichenden rassistisch motivierten | |
Diskriminierungen, wie die Autoren ausführen. Polinnen und Polen mussten | |
eine violett-gelbe P-Raute auf ihrer Kleidung tragen, die sie als | |
rassistisch diskriminierte Personen erkennbar machte. | |
## Archiv erstmals vollständig geöffnet | |
Auch bei Bahlsen mussten Zwangsarbeiter aus Polen das stigmatisierende | |
P-Zeichen tragen, schrieben Grieger und Berghoff. Sie erhielten geringere | |
Löhne, kleinere Lebensmittelrationen und eine schlechtere medizinische | |
Versorgung. Der Studie zufolge waren sie in Baracken untergebracht und vom | |
öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sozialer Kontakt zu Deutschen war ihnen | |
verboten. Polnischen Männern, denen sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen | |
nachgewiesen wurden, drohte die Hinrichtung. | |
Die Wahrheit über die damaligen Ereignisse sei unbequem und schmerzhaft, | |
teilte die Familie weiter mit. „Wir bedauern das Unrecht, das diesen | |
Menschen bei Bahlsen geschehen ist, zutiefst. Auch bedauern wir, dass wir | |
uns dieser schwierigen Wahrheit nicht früher gestellt haben.“ | |
Das Unternehmensarchiv sei erstmals vollständig für wissenschaftliche | |
Forschungen geöffnet worden. Bahlsen habe das Projekt großzügig finanziert, | |
aber keine inhaltlichen Vorgaben auferlegt, schrieben die Autoren. Ein | |
besonders enger Kontakt habe zu Werner M. Bahlsen und seiner Tochter Verena | |
bestanden. | |
Jahrzehntelang habe das Unternehmen seine Erinnerung an Zwangsarbeit im | |
eigenen Haus auf das Narrativ eines einvernehmlichen Miteinanders in | |
schweren Zeiten reduziert. Heute bekenne man sich zu seiner Geschichte. „Es | |
ist an uns, diese Erinnerung wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass sich | |
diese Geschichte des Nationalsozialismus nie wiederholt“, steht auf einer | |
Erinnerungstafel im Foyer des Stammhauses. | |
21 Aug 2024 | |
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