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# taz.de -- Nationale Minderheit in der Lausitz: Tokio Hotel auf Niedersorbisch
> Junge Sorbin:innen wie Maja Schramm wollen die Kultur und Sprache
> bewahren – aber anders als ihre Vorfahren. Damit ecken sie schon mal an.
Bild: Maja Schramm will die sorbische Kultur bewahren. Aber nicht unbedingt in …
Mit dem Auto sind es nur ein paar Minuten von Cottbus nach Gulben, aber für
Maja Schramm ist es immer auch eine Fahrt in eine traditionsreiche
Vergangenheit. Kein Mensch ist auf der Hauptstraße zu sehen, es geht vorbei
an Einfamilienhäusern mit glatt geschnittenen Hecken und kleinen Teichen im
Vorgarten. Nur der Maibaum, der hier den ganzen Sommer stehen bleibt,
bewegt sich langsam in der Sommerbrise.
Maja Schramm, 21 Jahre alt, ist auf dem Weg zu ihrer Familie. Sie trägt ein
schwarzes Sommerkleid, das einige ihre Tattoos bedeckt, und
Eintrittsbändchen von Festivals am Handgelenk. Im Vorbeifahren grüßt sie
ihre alten Nachbarn durchs Seitenfenster. Das Haus ihrer Familie steht am
Ende des Dorfes. Sie komme immer gerne zurück, sagt sie. Sie habe eine echt
schöne Kindheit gehabt. Aber mit dem, was sie heute macht, eckt sie bei
ihrer Familie schon ein bisschen an.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wohnt Familie Schramm, Šramojc auf
Sorbisch, hier in dem zweistöckigen Haus zwischen einer hölzernen alten
Scheune, einem Hühnerstall und dem riesigen Walnussbaum im Hof. Im
Wohnzimmer steht ein altes Spinnrad neben dem Kamin und im Bücherregal
ordentlich aufgereiht Literatur auf Nieder- und Obersorbisch. Majas Mutter
kommt in einer Ausgehtracht mit Bluse und Seidenschürze und den dazu
passenden schwarzen Halbschuhen die Treppe hinuntergelaufen. „Soll ich die
Haube auch noch aufsetzen, oder ist das Klischee genug?“, fragt sie. Es ist
kein üblicher Nachmittag bei Familie Schramm, wenn ein Reporter zu Besuch
ist.
Drei Generationen sitzen an diesem Junitag am Wohnzimmertisch, Maja, ihre
Mutter Astrid und die Großeltern. Es gibt Kuchen und frisch aufgebrühten
Kaffee aus glänzenden Porzellantassen. Die Familie ist seit Generationen
sorbisch. Und was das bedeutet, davon wollen sie heute erzählen.
Die Sorben sind [1][eine von vier anerkannten nationalen Minderheiten in
Deutschland, rund 60.000 Menschen]. Autochthone Minderheit werden sie auch
genannt, das bedeutet, sie sind alteingesessen, seit mehr als 1.500 Jahren
leben sie in der Lausitz. Westslawische Stämme waren damals von den
Karpaten in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge gezogen. Und heute
stellen sie sich die Frage: Wie können sie ihre Identität bewahren? Und was
zeichnet diese Identität überhaupt aus?
## Wunsch nach Veränderung
Etwas mehr als 400 Menschen wohnen noch in Gulben. Kaum jemand spricht hier
noch Sorbisch und es sind auch nicht mehr viele kulturelle Einflüsse zu
erkennen. Majas Großvater, sein Leben lang Landwirt im Ort, hat dafür eine
simple Erklärung. „Mit dem Ende des Weltkrieges war Schluss mit dem
Sorbischen. Es kamen Schlesier und weitere Geflüchtete und dann ging es mit
der wendischen Sprache Stück für Stück zurück.“ Wendisch, das ist die
Sprache der Niedersorben, eine westslawische Sprache wie Polnisch oder
Tschechisch. Aber auch hier am Tisch, bei einem Stück Waldbeerentorte, ist
Deutsch die Amtssprache.
Majas Mutter ist in diesem Haus groß geworden, nur für ihre Ausbildung
verließ sie das Dorf. Sie ist sehr enttäuscht über die Entwicklung ihrer
eigenen Heimat. „Die Generation, welche die Sprache hätte weitergeben
können, ist zu großen Teilen in den 80ern ausgestorben.“ Zwei Diktaturen
und eine um sich greifende Globalisierung hätten die Sprachräume drastisch
beschnitten. Wendisch zu sprechen war in Nazideutschland strengstens
verboten. Und auch unter der Fahne des Sozialismus war es für die
Sorb*innen schwierig, ihre Kultur und die Sprache auszuleben. „Häufig
wollten die Eltern, dass ihre Kinder nicht diesen dörflich und sorbisch
klingenden Sprachslang haben, und gaben es dann einfach nicht weiter“, sagt
Majas Mutter.
Eine zweite Tasse Kaffee. Es ist ja nicht nur die Sprache, die die
Identität bestimmt. [2][Was bedeutet es also, sorbisch zu sein?] Die
mediale Darstellung der anerkannten Minderheit ist einfach: Immer wieder
dieselben Bilder von Tracht, Tanz und Tradition. Nun meldet sich Maja zu
Wort, die bislang still am Tischende saß. Das verstaubte Bild stört sie
massiv, sie hält nichts davon, die Sorb*innen darauf zu reduzieren. „Dass
ich in einer sorbischen Tracht auch gleichzeitig Antifaschistin sein kann,
verstehen nicht viele“, sagt sie. Maja ist erklärte Antifaschistin,
Feministin und liebt harten Punk.
Maja Schramm hat ein Sorabistikstudium in Leipzig angefangen, aber das hat
ihr dann doch nicht so recht getaugt. Vor über einem Jahr kam sie zurück
nach Cottbus mit dem Wunsch, etwas verändern zu wollen. Als unten im Haus
ihrer Wohngemeinschaft Räume frei werden, will sie zusammen mit ihren
Freund*innen und Mitbewohner*innen einen Treffpunkt für
Gleichgesinnte schaffen, eine Begegnungsstätte, vielleicht ein Café. Es
wurde ein Kollektiv für sorbische Kunst und Kultur – das Kolektiw.Wakuum.
„Corona hat ein riesiges Vakuum für viele Kunst- und Kulturschaffende
entstehen lassen“, sagt Maja. Aber es geht ihnen um mehr. Sie wollen neue
Räume für Subkultur schaffen und das Niedersorbische wieder in den Alltag
bringen.
Nach nur einem Jahr ist das Kollektiv zu einem der wichtigsten
Ansprechpartner für sorbische Subkultur geworden. Sie haben
Kunstausstellungen mit den Werken sorbischer Künstler*innen organisiert,
eigene Kurzfilme und Musik produziert, ein Technofestival ist in Planung.
Der nächste Termin: ein Karaokeabend nur auf Sorbisch.
Majas Mutter kann damit nicht so viel anfangen. „Es ist anarchistisch“,
sagt sie am Wohnzimmertisch in Gulben. Ohne Regeln und einfach drauflos, so
sieht sie das Kollektiv. Das mag Kultur sein, räumt sie ein, „als Tradition
kann man es jedoch nicht bezeichnen.“ Innerhalb der konservativ geprägten
sorbischen Gemeinschaft ist das keine ungewöhnliche Position.
Es klingt so, als sei dieses Thema in der Familie noch nie so intensiv
besprochen worden wie jetzt. Majas Mutter führt ihren Gedanken weiter aus.
„Tradition ist der Kern und das, was Heimat und die eigene Identität
ausmacht, sonst sprechen wir aneinander vorbei“, sagt sie. „Nur wenn man
dies entstaubt und modernisiert, hat es was mit Sorbisch oder Wendisch zu
tun, alles andere könnte man überall auf der Welt aufziehen.“ Maja
entgegnet: „Ich verteufle keine einzige sorbische Tradition.“ Es sei doch
schön, dass sie nebenbei eine alternative Kultur etablierten. „Das eine
schließt das andere nicht aus.“
Wenn sie eines Tages Kinder haben sollte, sagt Maja, werde sie beides
weitergeben – das Neue und das Alte.
Die Kaffeekanne ist leer, ihre Mutter muss zur Arbeit, sie ist bei der
Niedersorbischen Kulturakademie beschäftigt. Maja schnappt sich die Leine,
es geht eine Runde mit dem Hund der Großeltern durchs Dorf. Da sie nun
wieder allein ist, erklärt Maja, was aus ihrer Sicht der Hauptkonflikt ist:
„Was häufig nicht von älteren Generationen verstanden wird, ist, dass
sorbisch sein ein Selbstbekenntnis ist und nichts mit Abstammung zu tun
hat.“
Tatsächlich ist sogar die Gesetzeslage bei der Frage nach der sorbischen
Identität eindeutig. Paragraf eins der sächsischen und brandenburgischen
„Sorbengesetze“ aus dem Jahr 1994 besagt: „Zum sorbischen Volk gehört, w…
sich zu ihm bekennt. Das Bekenntnis ist frei. Es darf weder bestritten noch
nachgeprüft werden. Aus diesem Bekenntnis dürfen keine Nachteile
erwachsen.“ Es gibt keinen eigenen Staat. Keine höhere Instanz, die einem
verkündet, du bist sorbisch aus diesem oder jenem Grund.
Jede*r Sorb*in muss für sich selbst herausfinden, was es bedeutet,
sorbisch zu sein. „Für uns ist Identität eine philosophische Frage. Wir
haben zum Beispiel absolut keinen Bock auf Patriotismus. Uns geht es darum,
Kunst und Kultur zu schaffen, Menschen zusammenzubringen“, sagt Maja.
## Gemeinsam auf Tour
Mit dem Auto geht es zurück nach Cottbus. An einer langen Straße direkt
hinter dem Hauptbahnhof befindet sich ein unscheinbares Eckhaus. In diesem
Altbau ist Majas WG und hier ist die Gründungsstätte des Kolektiw.Wakuum.
Die Wohnungstüren stehen offen und in der zweiten Etage wird Maja von ihren
Mitbewohner*innen zur Begrüßung umarmt. Es ist eine große,
mehrsprachige Kommune. Deutsch, Englisch, Sorbisch. Auf dem Parkettboden in
Majas Schlafzimmer sitzen Hella Stoletzki und Annelie Ćemerjec, auch sie
gehören zum Kollektiv. Aus der Musikbox erklingt lautstark eine Melodie
zusammengesetzt aus Streichern und sorbischem Gesang. Es ist die Hymne der
sorbisch-walisischen Freundschaft. Ein Song aus dem Album, den das
Kollektiv zusammen mit sorbischen und einer Gruppe walisischer
Musiker*innen vor Kurzem aufgenommen hat. Bald wollen die beiden
Gruppen gemeinsam auf Tour gehen. Berlin, Cottbus, Schleife.
An diesem frühen Abend wird jedoch die bevorstehende „Krabaoke“ geplant:
Ein Karaokeabend nur auf Sorbisch. Das Kollektiv und die Krabat-Mühle im
sächsischen Schwarzkollm organisieren die Show. Sie haben für das Projekt
Geld von dem Projekt „Sprache verbindet“ der Stiftung für das sorbische
Volk bekommen.
Sie sitzen auf dem Fußboden und diskutieren darüber, wie der Abend ablaufen
soll, welche Songs sie auswählen. Und auch hier in der WG geht es schnell
wieder um die Frage nach der eigenen Identität. Sie sähen es als ihre
Aufgabe, einen Raum für das Sorbische zu schaffen“, erläutern Annelie und
Maja. Sie wollen das Sorbische neu denken. Das Selbstverständnis des
Kollektivs ist dabei eindeutig: weltoffen, feministisch und
antifaschistisch.
Häufig sieht man die acht aktiven Kollektivmitglieder auf Demonstrationen.
Zwei Plakate von der jüngsten Demo liegen auf dem rot gemusterten Teppich
im Schlafzimmer. Darauf der Aufruf, aus der Kohle auszusteigen. In
Cottbuss, [3][nicht weit vom Braunkohletagebau], ist das Thema noch mal
präsenter als anderswo.
Auch der Aktivismus gegen rechts spielt für alle im Kollektiv eine wichtige
Rolle. Für Annelie Ćemerjec hat vor allem dieser Punkt einen direkten Bezug
zu ihrer sorbischen Identität. „Ich habe mich immer geschämt, Deutsche zu
sein“, sagt sie. Sie kommt aus der Oberlausitz, wo es im Raum Bautzen in
den letzten Jahren immer wieder zu Angriffen von Rechtsradikalen auf
Sorb*innen gekommen ist. Ein trauriger Höhepunkt war die Nacht vom 6.
Oktober 2018. Mindestens 15 Neonazis stürmten eine sorbische
Partyveranstaltung und schlugen auf mehrere Gäste ein. Deswegen sei auch
die Arbeit des Kollektivs so wichtig, sagt Maja. „Das Kollektiv gibt mir
endlich eine Möglichkeit, ein modernes Lebensgefühl mit dem sorbischen
kombinieren zu können. Das alles kann man zusammendenken und ausleben.“
Dass es auch vereinzelt Widerspruch aus den eigenen Reihen gibt, dafür hat
Annelie ebenfalls eine Erklärung. „Es gibt, vor allem im ländlichen Raum,
Berührungsängste zu Themen wie Feminismus, moderner Kunst oder
subkultureller Arbeit“, sagt sie. Eine blühende Landschaft der Subkulturen
gab es vor dem Kollektiv nicht wirklich. Wer als Sorb*in
gesellschaftspolitische Themen behandeln wollte, ging in die örtliche
Korčma, die Kneipe. Oder zur Jungen Union.
Auch die Religion ist von großer Bedeutung im Alltagsleben vieler
Sorb*innen, vor allem im obersorbischen Raum. Von schätzungsweise noch
60.000 sich bekennenden Sorben gehören 40.000 entweder der katholischen
oder evangelischen Konfession an. Eine Auseinandersetzung mit Themen wie
sexueller Identität oder modernen Subkulturen stellt sich in diesen Räumen
schwierig dar. Dennoch gebe es auch unfassbar viel Zuspruch, sagen die
Kollektivmitglieder, vor allem von jungen Menschen aus der Region. „Ich
weiß nicht, ob es jemals so viele Menschen gab, die Schnaps auf Sorbisch
bestellen konnten, und das nur, weil es uns gibt“, sagt Annelie. Und muss
ein bisschen grinsen dabei.
Langsam senkt sich die Sonne hinter den Altbaufenstern. Der letzte Punkt
der Planung steht an: die Finanzen. Dass dies ein zentrales Problem für das
Kollektiv darstellt, wird schnell klar. „Wir stemmen den großen Teil
unserer Kosten über Spenden oder aus eigener Tasche“, sagt Annelie.
Inzwischen bekämen sie aber auch viel von Stiftungen.
## Pśez ten monsun
In der Gruppe diskutieren sie, wie sie neben der Finanzierung durch eine
Stiftung noch mehr Einnahmen beim Karaokeabend generieren können. Einige
Mitglieder des Kollektivs wollen Merch mitbringen und einen Stand aufbauen.
Und direkt am Eingang wird eine Spendenbox stehen.
Dass es Geld für sorbische Kulturveranstaltungen gibt, ist gesetzlich
geregelt. Den anerkannten Minderheiten in Deutschland steht finanzielle
Unterstützungen vom Bund zu. Im Fall der niedersorbischen Bevölkerung sind
es in den Jahren 2021 bis 2025 fast 4 Millionen Euro. Die Gelder gehen
direkt an die Stiftung für das sorbische Volk und von da aus an die
Domowina. Die Stiftung sowie die Domowina, der Dachverband sorbischer
Vereine und Vereinigungen, besitzen das finanzielle Monopol. In ihren
Gremien wird entschieden, welche Vereine, Projekte oder Kunst- und
Kulturschaffende Förderung für ihre Arbeit erhalten. Schon mehrfach hat das
Kollektiv versucht, dort an diese Gelder zu kommen, doch die bürokratischen
Hürden, kurz und knapp erklärt, sind sehr hoch. Und sie bemängeln:
Obersorbische Projekte hätten es leichter. Es gebe seit jeher
Diskriminierung zwischen Ober- und Niedersorben.
Doch auch bei dieser Thematik ist eine Veränderung erkennbar. Zuletzt
wurden fast alle Förderanträge genehmigt. „Wir haben den Traum, eines Tages
unsere Projekte nicht mehr aus der eigenen Tasche finanzieren zu müssen,
und ich glaube, wir sind auf einem verdammt guten Weg“, sagt Annelie und
klingt ziemlich zufrieden dabei.
Das hölzerne Mühlrad der Krabat-Mühle setzt sich mit lautem Krach in
Bewegung. Dutzende Menschen stehen in der prallen Sonne daneben und schauen
an diesem sagenumwobenen Ort dem Schauspiel zu. Dank des beliebten
Kinderbuchs von Otfried Preußler ist die Mühle vermutlich sogar bekannter
als die sorbische Kultur an sich.
Die Krabat-Mühle, der Ursprungsort der Sage von Awgust Bulank, ist nur ein
Nachbau, sie wird per Knopfdruck in Bewegung gesetzt. Und heute werden hier
keine Märchen erzählt. Es wird gesungen. In ein paar Stunden steigt in der
alten Scheune die erste „Krabaoke“.
Während die Tagestourist*innen sich langsam in Richtung Parkplatz
verabschieden, bereiten Maja und ihre Mitstreiter*innen den Abend vor.
Sie decken den letzten Tisch, darauf liegen für alle Gäste die Liedtexte in
drei Sprachen aus – Deutsch, Ober- und Niedersorbisch. Die
Techniker*innen sind mit dem Soundcheck durch. Jetzt müssen sie noch
die selbst designten Hefte ausdrucken. Darin wird erklärt, wie die
Buchstaben ausgesprochen werden. Ó wie in Brötchen und das R schön rollen.
Highlight des „Krabaoke“-Abends soll [4][„Durch den Monsun“ von Tokio H…
werden], auf Niedersorbisch versteht sich. Den Song haben sie nicht
ausgesucht, weil sie die größten Fans der Band wären. Aber er ist bekannt
und es gibt eine Übersetzung. Jemand aus dem Dunstkreis des Kollektivs hat
sie erstellt, mit leichten Abweichungen zum Original.
Die ersten Gäste trudeln ein. Viele sind Freund*innen des Kollektivs, es
ist aber auch jemand von der sorbischen Zeitung Nowy Casnik da und
Personen, die sie nicht kennen, Jugendliche und auch Senior*innen. Sie
erwartet harter niedersorbischer Punk bis hin zu einer umgetexteten Version
von Mamma Mia. Die Kollektivmitglieder wollen damit zeigen, dass das
Sorbische mehr kann als nur Folklore, auch wenn drei bis vier sorbische
Klassiker in der Playlist des Abends nicht fehlen dürfen.
50 Gäste sind da, mehr als erwartet. Nun sitzt Maja zusammen mit zwei
Mitstreiterinnen an einer Tischgarnitur vor dem Veranstaltungssaal. Sie
knobeln aus, wer sich für Tokio Hotel auf die Bühne trauen muss.
Gleich geht es los. Die Plätze vor der Bühne sind belegt. Am Tresen prostet
sich eine Gruppe auf Sorbisch zu und am Nachbartisch tauschen sie sich aus,
wie man am besten die Schneckenplage im Garten bekämpfen kann. Mit leichter
Verspätung steigt Moderatorin Hella Stoletzki auf die Bühne und eröffnet
die Show. Applaus.
## Und dann: Schnaps
Die ersten Songs laufen an, zuerst trauen sich nur die Kollektivmitglieder
auf die Bühne, doch nach und nach werden die Gäste warm mit dem Konzept.
Sie ziehen ein Los mit einem Lied. Fast jeder wird heute mindestens einmal
auf die Bühne gehen. Es gibt viele schiefe Töne, kleine Texthänger – und
zufriedene Gesichter bei den Kollektivmitgliedern. Und dann gibt es Schnaps
aufs Haus.
Schnaps ist in jeder slawischen Kultur wichtig, und auch dafür hat das
Kollektiv eine eigene Kreation: Leinölschnaps. Aus den Lautsprechern tönt
der Punksong „Palenc“ von Berlinska Dróha, auf Deutsch: Schnaps. Hella hat
ein Tablett voll mit Schnapsgläsern beladen und läuft die Reihen der Tische
ab. Und sie geht gleich ein zweites Mal, damit alle ein Glas bekommen. Auch
Maja stößt an. „Uns ist es wichtig, dass endlich mit den Sorben und nicht
über die Sorben geredet wird“, sagt sie. „Ein Abend wie dieser ist der
perfekte Anlass.“
Dann der Höhepunkt. Aus den Lautsprechern Schlagzeug, E-Gitarre, Bass. Das
Los hat Maja getroffen, sie performt den Hit von Tokio Hotel. Maja Schramm
betritt die Bühne und singt los. „Pśez ten monsun“, der ganz Saal brüllt
mit. Durch den Monsun. Und dann: „Mej gromadu“. Wir beide zusammen.
4 Aug 2022
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## AUTOREN
Gianluca Siska
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