# taz.de -- Sorbische Minderheit in der Pandemie: Nichts zu feiern | |
> Das Kontaktverbot trifft die Minderheit der Sorben in der Lausitz | |
> besonders. Der Sprachunterricht leidet so wie der Tag der Muttersprache. | |
Bild: Historisches Zampern: mit sorbischem Brauchtum unterwegs im Spreewald in … | |
Eigentlich hätten die Sorben in Brandenburg und Sachsen in diesen Wochen | |
viel zu feiern. Der Winter ist sozusagen Festsaison. Da passt der Tag der | |
Muttersprache am 21. Februar ganz gut dazu. Doch in diesem Jahr liegt | |
sprichwörtlich alles auf Eis. Die Einschränkungen durch die Coronapandemie | |
haben das kulturelle Leben praktisch zum Erliegen gebracht, und auch die | |
Vermittlung der Sprache an die jüngere Generation leidet. | |
Ende Januar findet normalerweise die vor allem bei den Kindern beliebte | |
Vogelhochzeit statt. Gleich danach beginnt die sorbische oder wendische | |
Fastnacht. Sie heißt „Zapust“ und ist ein Umzug, bei dem Trachten getragen | |
werden. Beim „Zampern“ zog ursprünglich die Dorfjugend von Haus zu Haus und | |
sammelte Speck, Eier und Geld. Mittlerweile seien auch Verheiratete dabei, | |
erklärt die Vorsitzende des [1][Rates für Angelegenheiten der Sorben/Wenden | |
Brandenburg] Kathrin Šwjelina. | |
Um diese Jahreszeit käme man sonst in den Dörfern rund um Cottbus zusammen. | |
Zwischen Ende Januar und Mitte März könne man jedes Wochenende durch die | |
Lausitz fahren und würde auf Zamperer treffen. Der Zeitraum habe sich | |
ausgedehnt, weil die immer weniger werdenden Musikkapellen ausgebucht sind. | |
Mittags beginne ein Umzug, abends feiere man gemeinsam. „Dabei kommt man | |
zusammen mit Freunden und Verwandten.“ Doch nun falle vieles davon das | |
zweite Mal in Folge aus. „Auf den Dörfern passiert nichts mehr.“ Sie macht | |
sich Sorgen: „Bei uns bricht kulturell alles zusammen“, so Šwjelina. | |
Man versuche natürlich durch digitale Formate zumindest etwas vom | |
kulturellen Leben aufrechtzuerhalten. Es gebe immer mehr Videos in | |
sorbischer Sprache. Man treffe sich zum Videochat. Ein DJ aus der Region | |
organisiert am 27. Februar die traditionelle Fastnacht auf Youtube – mit | |
Trachtenpaaren aus den Dörfern des Landkreises Spree-Neiße, Blasmusik, | |
einer Partyband sowie Videobeiträgen von Kulturschaffenden aus der Region. | |
„Die bekannteste und wichtigste Tradition darf auch 2021 nicht fehlen“, | |
schreibt er auf seiner [2][Webseite]. „Wjaselimy se na Waš. Freut euch | |
drauf.“ | |
Doch mit digitalen Formaten könne man nicht alle erreichen, meint Šwjelina. | |
Und die Ressourcen der Aktiven seien begrenzt. „Wir sind ein kleines | |
Völkchen.“ Ohnehin müsse viel Kraft aufgewendet werden, um die vorhandenen | |
Sprachinseln zu bewahren. Das sei nun noch schwieriger. Und Besserung ist | |
erst mal nicht in Sicht. Auch Brauche wie das Ostersingen und das | |
gemeinsame kunstvolle Verzieren der Ostereier dürften wohl auch ausfallen, | |
fürchtet sie. | |
Katrin Suchy-Zieschwauck hat in Radibor bei Bautzen eine sorbische | |
Elterninitiative mitgegründet, aus der mittlerweile ein Verein geworden | |
ist. Ihr Ziel ist es, sorbische Sprachräume in und um die Schule zu | |
stärken. Doch das ist momentan schwierig. Zwar sind seit Mitte Februar in | |
Sachsen Kitas und Grundschulen wieder geöffnet. Doch Monate im | |
Distanzunterricht haben ihre Spuren hinterlassen. Das habe natürlich nicht | |
nur den Sorbischunterricht getroffen, diesen aber besonders, sagt sie. | |
„Sprache muss angewendet werden, sonst geht sie verloren.“ Allein vor dem | |
Rechner sei das schwieriger als in der Gruppe. Außerdem habe es anfangs | |
Mängel bei der digitalen Ausstattung und beim Lernmaterial gegeben. | |
Mittlerweile habe sich das gebessert. | |
Problematisch sei die Situation in den Randregionen des Siedlungsgebiets, | |
dort, wo es ohnehin wenige Sorbischsprechende gibt. Dort seien die | |
Ressourcen an den Schulen entsprechend geringer. Für die Lehrer werde der | |
Sorbischunterricht zu einer zusätzlichen Belastung. Und gerade in solchen | |
Regionen sprechen auch viele Eltern kaum oder gar nicht Sorbisch. „Dort ist | |
die Schule der Ort, wo die Sprache weitergegeben wird.“ Doch im | |
Homeschooling können die Eltern ihre Kinder kaum unterstützen, wenn sie | |
selbst die Sprache nicht beherrschen. Man gehe deshalb auf Schulen zu, um | |
Angebote zu schaffen, die die Eltern auch umsetzen können. | |
Der Vorsitzende des [3][Dachverbands Domowina], David Statnik, versucht | |
zwar optimistisch zu bleiben. Die Situation sei sehr anstrengend, aber | |
lösbar. Sorgen macht er sich trotzdem. „Kultur findet in der Gemeinschaft | |
statt. Die muss man erleben“, sagt er. Gerade wenn zu Hause kaum Sorbisch | |
gesprochen werde, seien Schule und Kita die Orte, wo die Kinder sich die | |
Sprache aneignen. Und für die Älteren seien die regelmäßigen Treffen ein | |
wichtiger Teil ihres Alltags. Es drohe Vereinsamung. | |
Doch auch wenn die Pandemie vorbei ist, dürfte die Sorge um die Zukunft der | |
sorbischen Sprache nicht aufhören: Für die Vermittlung der Sprache fehlen | |
nämlich nach Ansicht des Sorbischen Schulvereins Lehrer. „Aus der aktuellen | |
Prognose ergibt sich, dass wir in den nächsten fünf Jahren mindestens 100 | |
Lehrerinnen und Lehrer allein in Sachsen benötigen“, sagte kürzlich die | |
langjährige Vorsitzende des Vereins, Ludmila Budar, mit Blick auf die | |
Abdeckung des Unterrichts an sorbischsprachigen Schulen. Eine wichtige | |
Aufgabe bliebe, sorbische Studenten und Quereinsteiger für den Beruf des | |
Lehrers und Erziehers zu begeistern. Der Schulverein ist Träger von fünf | |
Kitas in der sächsischen Oberlausitz und zwei Kitas in der | |
brandenburgischen Niederlausitz. Er engagiert sich für bilinguale Projekte | |
im Kindergarten und Konzepte für das Sorbische in der Schule. Der Verein | |
ist mit der Domowina – dem Bund Lausitzer Sorben – Ansprechpartner für die | |
Ministerien in Bildungsfragen in Kita und Schule im sorbischen | |
Siedlungsgebiet. | |
Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit soll das Sorbische in Sachsen nun | |
bekommen: Ein Triebwagen der Länderbahn in Ostsachsen wirbt seit Anfang | |
Februar für die sorbische Sprache. Als Botschafter der Zweisprachigkeit in | |
der Lausitz fahre er auf der Strecke bis nach Dresden, teilte das | |
Tourismusministerium in Dresden mit. Der Freistaat Sachsen fördert das | |
Projekt mit 15.000 Euro. Der Dachverband der Sorben, die Domowina, wolle | |
den Zug künftig auch nutzen, um Aktionen rund um die sorbische Sprache | |
anzubieten. Er könne zum Beispiel sorbischen Autoren für Lesungen zur | |
Verfügung stehen. | |
21 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.landtag.brandenburg.de/de/rat_fuer_angelegenheiten_der_sorben/w… | |
[2] https://www.tobi-musik.de/veranstaltungen/ | |
[3] https://www.domowina.de/witajso-witajce-willkommen/ | |
## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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