| # taz.de -- Lausitz Festival: Die Lausitz als Behauptung | |
| > Das Lausitz Festival will Dinge zusammenbringen, die sonst wenig | |
| > miteinander zu tun haben: nicht zuletzt auch die Nieder- mit der | |
| > Oberlausitz. | |
| Bild: Lausitzer Perspektiven: Samuel Weiss in Weißwasser in Shakespeares „Ka… | |
| Zuerst fallen nur ein paar Tropfen. Dann kracht irgendwo über den weiten | |
| Ebenen der Niederlausitz der Donner. Blitze zucken am schwarzen Himmel, | |
| Wind beginnt zu wüten. Er krallt sich an Regenschirme, fährt in Röcke und | |
| Frisuren und unter die Planen der Catering-Aufbauten. Bald stehen die | |
| Verkäuferinnen am Würstchenstand ohne Dach über dem Kopf im Regen, doch | |
| stoisch setzen sie ihre segensreiche Tätigkeit fort. Kultur macht die | |
| Menschen hungrig. | |
| Das kleine Gewitter ist auch eine willkommene Erfrischung nach der Schwüle | |
| des Tages und der Hitze des Saales. Im Hangar 1 des ehemaligen Cottbuser | |
| Flughafens ist soeben das Eröffnungskonzert des Lausitz Festivals zu Ende | |
| gegangen. „Eröffnungsaktion“ haben sie diesen Abend vergangene Woche | |
| genannt, weil „Konzert“ wohl zu langweilig klänge und zu kurz griffe. Nach | |
| einer Umbaupause soll nämlich DJ Hell dem Hangar noch ein bisschen mehr | |
| einheizen. | |
| Vor dem Gewitter aber haben die Dresdner Philharmonie sowie der | |
| Tschechische Philharmonische Chor Brno unter dem Dirigat Sylvain | |
| Cambrelings Giuseppe Verdis „Quattro pezzi sacri“ gegeben – eine | |
| musikalisch und stimmlich eindrucksvolle Performance, die anschließend | |
| ihren avantgardistischen Kontrapunkt in Bernd Alois Zimmermanns selten | |
| gespielter „Ekklesiastischer Aktion“ findet. „Ich wandte mich um und sah … | |
| alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ lautet ihr voller Titel. Der | |
| Sänger Bo Skovhus und der Schauspieler Rainer Süßmilch haben sich auf | |
| schwebende Bauträger in luftiger Höhe begeben, um von oben Dostojewski- und | |
| Bibelworte auf die Menschen zu schleudern, während das Orchester mit einer | |
| von Luigi Nono entlehnten Zwölftonreihe eher begleitende Akzente setzt, am | |
| Schluss aber mit einem gewaltig auftrumpfenden Choralfragment das letzte | |
| Wort behält. | |
| Schwere Kost, fürwahr, für einen ersten Festivalabend, und umso | |
| beglückender ist es, später zu sehen, wie zu den elektronischen Klängen, | |
| die DJ Hell unter farbigen Lichtspielen in den Hangar zaubert, auch viele | |
| Menschen rhythmisch zucken, die weder alters- noch klamottenmäßig je in | |
| einem Club anzutreffen wären. Zwar hätten in den Hangar zehnmal so viele | |
| Tanzwillige gepasst, da gibt es viel Luft nach oben. Aber der | |
| Stilebenen-Mix kann allemal gelungen genannt werden, und das | |
| Bewegungsangebot sorgt nach der vorangegangenen musikalischen Verdichtung | |
| existenzieller Gedankenschwärze für wohltuende Entladung. | |
| ## Dinge zusammenbringen | |
| So etwas kann ein Festival: Dinge zusammenbringen, die sonst eher | |
| berührungslos nebeneinanderher laufen. „Das Lausitz Festival ist | |
| vorbildlos“, sagt Intendant Daniel Kühnel anderntags im Pressegespräch, und | |
| das gelte in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur als Mehrspartenfestival falle | |
| es aus dem üblichen Rahmen, sondern auch insofern, als zwei Bundesländer | |
| gemeinsam als Träger daran beteiligt seien. Achtzig Prozent der Gelder aber | |
| kommen vom Bund. | |
| Die Lausitz erstreckt sich über Teile Brandenburgs und Sachsens, reicht | |
| sogar bis in polnisches Gebiet hinein. Die Städte Cottbus und Görlitz | |
| verantworten das Festival in gleichberechtigter Trägerschaft: Cottbus als | |
| urbanes Zentrum der Niederlausitz, Görlitz als größte Stadt der südlich | |
| gelegenen Oberlausitz. Nicht zuletzt ist es ein Anliegen des Festivals, ein | |
| Gefühl der Verbundenheit zwischen Ober- und Niederlausitz zu stärken – oder | |
| stellenweise auch erst herzustellen. „Die Lausitz ist eine Behauptung. | |
| Diese Region wird von Fliehkräften bestimmt, die sie in alle Richtungen | |
| ziehen, nur nicht in eine Mitte“, sagt Kühnel und bekennt, er habe | |
| anfänglich unterschätzt, wie sehr die beiden Teilregionen miteinander | |
| fremdeln könnten. Und dann erlebte das Festival ausgerechnet im Coronajahr | |
| 2020 seinen ersten Jahrgang, was das Sich-einander-Annähern nicht leichter | |
| machte. | |
| Übrigens ist es natürlich nicht so, als gäbe es sonst in der Lausitz keine | |
| Kultur. Gleichzeitig mit Festivalbeginn feiert in diesem Jahr etwa das | |
| Staatstheater Cottbus groß Saisonstart. Das ist allerdings Zufall. Man habe | |
| sich, sagt Festival-Geschäftsführerin Maria Schulz, nun einmal darauf | |
| festgelegt, das Festival jedes Jahr genau am 25. August beginnen zu lassen, | |
| egal welcher Wochentag gerade sei. So könnten alle Partner beizeiten | |
| planen. | |
| Zu den Spielorten, die über die gesamte Lausitz verteilt sind, gehören | |
| natürlich etablierte Kulturstätten wie eben das Staatstheater Cottbus, in | |
| dem dieses Jahr der polnische Pianist Piotr Anderszewski konzertieren wird, | |
| oder das Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau. Es gibt aber auch deutlich | |
| raueres Ambiente, und manche Spielorte seien sogar erst für das Festival | |
| erschlossen worden, betont Daniel Kühnel. Das gelte zum Beispiel für die | |
| riesige Danner-Halle auf dem Telux-Gelände in Weißwasser, aus der man erst | |
| massenweise Sondermüll habe entsorgen müssen. Am 2. September findet dort | |
| eine Uraufführung statt. Das Tanzstück „Gletscher“ handelt laut | |
| Vorankündigung von „erhofften Heimaten, zurückgelassenen Träumen, | |
| aufgefressenen und auffressenden Landschaften“. | |
| [1][Schauplatz Weißwasser], Oberlausitz: Das Telux-Gelände, auf dem einst | |
| zweieinhalbtausend Menschen in der Glasproduktion arbeiteten, wird | |
| mittlerweile von der Kultur davor bewahrt, zur Industrieruine zu werden. | |
| Auf einem kleinen Teil des riesigen Werkes werden bis heute Spezialgläser | |
| hergestellt, der größere Teil aber ist von der Produktion aufgegeben worden | |
| und stellenweise schon umgewidmet. Ein Verein für Jugend- und Kulturarbeit | |
| hat Räumlichkeiten hergerichtet, betreibt eine Bar und organisiert | |
| Workshops und Abendveranstaltungen. | |
| ## Shakespeare zurechtgestuzt | |
| Das Lausitz Festival ist zum wiederholten Mal auf dem Gelände zu Gast. | |
| Mehrere Produktionen werden hier gezeigt; die erste Premiere ist – am | |
| zweiten Festivalabend – Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ in einer | |
| Inszenierung von Stefan Pucher und einer Textfassung von Malte Ubenauf, der | |
| das Drama auf sein Grundgeäst zurückgestutzt und Texte von Gertrude Stein | |
| darin verwoben hat. Spielort ist der sogenannte Lehrofen, eine Halle, in | |
| der es aus zahlreichen Öfen rot lodert. An den Wänden hängen noch Schilder: | |
| „Scherbenlager“ steht da oder „Abteilung Hart- und Weichglaskolben“. | |
| Zwei Personen stehen an diesem Abend für das ganze Drama, und dem alten | |
| Betriebstelefon der Halle kommt eine wichtige dramaturgische Rolle zu. | |
| Samuel Weiss spielt außer einem sehr eindringlichen Shylock auch dessen | |
| Antipoden Antonio sowie einen eitlen Bassanio. Katharina Marie Schubert | |
| gibt eine munter naseweise Porzia sowie eine Richterfigur, die über Porzias | |
| eigentliche Rolle in der Gerichtsszene weit hinausgeht und den | |
| rachedurstigen Juden mit einer Mischung aus Schläue und Rechthaberei fertig | |
| macht. Zwischendurch kommt ein Junge und schürt den Ofen – und damit auch | |
| allerlei beklemmende Assoziationen. | |
| In diesem Lehrofen öffnet sich in nur 75 Minuten ohne Pause ein erstaunlich | |
| weiter Gedankenraum. | |
| Zum Schluss ein klassischer Lausitz-Schauplatz: Bad Muskau. Hier steht das | |
| Schloss des berühmten [2][Gartenfürsten Pückler], und dahinter liegt sein | |
| Park, durch den die Neiße fließt. Am anderen Ufer ist schon Polen. | |
| Durch das binationale, 830 Hektar große Kulturerbe lässt sich schlendern | |
| ohne Ende, auf den Hauptwegen darf auch Fahrrad gefahren werden. Im Schloss | |
| lädt eine bunte Dauerausstellung ein, mehr zu erfahren über das Leben des | |
| in England einst als „Prince Pickle“ verspotteten Gartenvisionärs. Und | |
| nebenan im alten Kavalierhaus hat das Lausitz Festival wieder einen schönen | |
| kulturellen Kontrapunkt gesetzt. Noch bis zum 17. September ist zwischen | |
| rohem Mauerwerk die Ausstellung „So lange ich kann“ zu sehen, die Werke | |
| zeitgenössischer KünstlerInnen zeigt. [3][Monica Bonvicini] zum Beispiel | |
| ist mit einer Installation vertreten.Das wohl ikonischste Stück im Haus | |
| aber ist eine kleine Skulptur von Georg Herold: Sie besteht in einer alten | |
| Socke, die der Künstler auf ein Drahtgestell gespannt hat. Das Werk trägt | |
| den Titel „Statement“. Denn nicht nur die Lausitz ist eine Behauptung. | |
| 31 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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