# taz.de -- Lausitzfestival ohne Lausitzer: Kulturpolitik nach Gutsherrenart | |
> Der Hamburger Intendant Daniel Kühnel soll mehr Kultur in die Lausitz | |
> bringen. Doch die Menschen werfen ihm vor, selbstherrlich zu sein. | |
Bild: Nicht nur Künstlerinnen werden eingeflogen, sondern auch Tontechniker un… | |
„Das Team des Lausitz Festivals verabschiedet sich aus einem erfolgreichen | |
Festival 2023.“ So steht es auf der [1][Webseite des Festivals], das seit | |
vier Jahren das kulturelle Aushängeschild der Lausitz sein will. Es folgen | |
ein paar Dankesworte an das Publikum, die Künstlerinnen und Künstler und | |
vor allem an die Geldgeber. | |
Doch zu Ende ist das Festivaljahr für den Intendanten Daniel Kühnel wohl | |
noch nicht. Wenn am Freitag das [2][erste Lausitzer Kulturforum] in | |
Doberlug-Kirchhain an Brandenburgs Grenze zu Sachsen zusammenkommt, geht es | |
auch um Kühnels bisherige Bilanz. Bereits am Tag zuvor ist der | |
künstlerische Beirat zu einer Klausurtagung eingeladen. Es dürfte eine | |
Krisensitzung werden. Denn zahlreiche künstlerische Akteurinnen und | |
Akteuren aus der Region werfen Kühnel vor, selbstherrlich und ohne Bezug | |
zur Region zu agieren. In einem fünfseitigen Brief, der der taz vorliegt, | |
fordern sie ein „echtes Lausitz Festival“. | |
Es hat sich etwas aufgestaut in der Brandenburger und Sächsischen Lausitz, | |
in der der Hamburger Intendant den Strukturwandel kulturell begleiten und | |
künstlerische Impulse setzen soll. Den Anspruch formuliert Kühnel selbst | |
auch für sich. „Wir wollen mit den Menschen, die hier leben, die Lausitz | |
transformieren“, sagte er im Juli vergangenen Jahres in einem Interview mit | |
dem Cottbuser Magazin Hermann. | |
Die Festivalausgabe 2023, insgesamt die vierte unter der Regie Kühnels, | |
stand unter dem Leitmotiv „Hereinforderung“. „Klingt gut. Doch der Anspru… | |
wird bei Weitem nicht eingelöst“, meint Jörg Ackermann, der den offenen | |
Brief „Für ein echtes Lausitz Festival“ mit initiiert hat. | |
Ackermann ist einer, der die Lausitz kennt. Bis 2021 hat er das | |
Filmfestival in Cottbus veranstaltet, und noch bis zum Sommer dieses Jahres | |
hat er versucht, beim Lausitz Festival zu retten, was zu retten ist. | |
Inzwischen hat er das Team verlassen. „Es gibt keine Diskussion, wie man | |
den Anspruch des Festivals unter Beteiligung regionaler Künstlerinnen und | |
Künstler entwickeln kann“, sagt Ackermann der taz. | |
Genau dafür aber hat der Bund das Festival üppig ausgestattet. [3][2019 | |
stellte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretzschmer (CDU) in Görlitz | |
erstmals die Pläne für ein Lausitz Festival vor]. Vier Millionen Euro würde | |
der Bund jährlich dafür bereitstellen. Im Schlepptau hatte Kretzschmer den | |
1973 in Jerusalem geborenen Kühnel, im Hauptberuf [4][Intendant der | |
Symphoniker Hamburg]. Schon damals gab es kritische Stimmen aus der Region. | |
In einer Resolution hatten Kulturschaffende aus der Oberlausitz vom „Gefühl | |
der Missachtung“ der etablierten Kulturakteure gesprochen, denen es nicht | |
ausreiche, die „Erzeuger“ jener von Kühnel im Konzept als spannend | |
erachteten „poetischen Leitmythen“ zu sein. | |
Schnell hatte auch die Brandenburger Landesregierung den Finger gehoben, | |
und so fungiert das Festival seit 2020 als gemeinsames Projekt der | |
Brandenburger Niederlausitz und der Sächsischen Oberlausitz. Eine | |
gemeinsame Trägergesellschaft zwischen beiden Ländern ist allerdings nie | |
gegründet worden. Stattdessen gibt es seit April eine gemeinnützige GmbH | |
der beiden Städte Görlitz und Cottbus. | |
## Die Hamburg-Connection | |
Diejenigen, die das Geld für das Festival lockermachten, waren die beiden | |
ehemaligen Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse | |
(CDU). Als Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestags gaben sie sich | |
gerne als Kulturförderer, vor allem für die Hamburger Kulturszene. Daniel | |
Kühnel soll mit der Idee des Festivals an Kruse herangetreten sein, | |
schreibt das Kulturmagazin VAN. | |
Über Nacht waren dann die ersten vier Millionen in trockenen Tüchern. „In | |
der deutschen Musiklandschaft sorgte so viel Geld für ein Festival, das es | |
noch gar nicht gab und für das – wie sich später herausstellen sollte – | |
weder ein Konzept noch Kooperationspartner vorlagen, für einige | |
Verärgerung“, so das Magazin, [5][das im Zusammenhang mit Kahrs und Kruse | |
von einer „Hamburg-Connection“ spricht]. | |
Später wurde gegen Kahrs, der 2020 sein Bundestagsmandat niederlegte, wegen | |
des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der | |
Cum-Ex-Affäre ermittelt. In einem Bankschließfach von Kahrs waren 210.000 | |
Euro in bar gefunden worden. | |
Bis heute ist das Geschäftsgebaren des Festivals intransparent, heißt es | |
nun in dem Brief, der auch an das Brandenburger Ministerium für | |
Wissenschaft, Forschung und Kultur ging. Nicht einmal die genauen | |
Zuschauerzahlen der einzelnen Veranstaltungen würden bekannt gegeben. Jörg | |
Ackermann und die anderen Kritikerinnen und Kritiker fordern deshalb eine | |
„sowohl quantitative als auch qualitative Evaluation des Festivals“ und die | |
Schaffung von Transparenz. „Wir wissen nicht einmal, wie lange der Vertrag | |
mit Daniel Kühnel läuft“, sagt Ackermann der taz. | |
Angestaut hat sich auch etwas bei Alexander Dettke. „Warum stecken wir so | |
viel Geld pro Gast in ein Festival, anstatt die lokalen Strukturen zu | |
stärken“, sagt er der taz. Dettke selbst stellt seit zehn Jahren das | |
Festival [6][„Wilde Möhre“] auf die Beine. Förderung bekommt er dafür | |
nicht. Allerdings wurde das Festivalgelände in der „Alten Ziegelei Muckwar“ | |
mit Lausitzmitteln gefördert. Dafür musste Dettke ein Werkstattverfahren | |
der [7][Wirtschaftsregion Lausitz] durchlaufen. Bei den vier Milliarden | |
Euro, die das Land Brandenburg über die Wirtschaftsregion Lausitz | |
ausreicht, legt die Landesregierung viel Wert auf Transparenz. | |
Anders sei es beim Lausitz Festival, meint Dettke. „Inzwischen haben wir | |
ein edles Programm, das aber nicht nachhaltig ist“, sagt Dettke der taz. | |
„Es müssen aber Gäste kommen, die dann auch wiederkommen.“ | |
Michael Apel sieht das ähnlich. „Man hat das Gefühl, die interessieren sich | |
nicht für uns, nicht für die Leute, die hier leben, und auch nicht für die | |
Kulturschaffenden“, sagt er der taz. Der Geschäftsführer der | |
[8][Spremberger Kino und Kultur GmbH] spricht von einer Monokultur, die | |
gerade durch eine andere getauscht werde. „Lange hing hier alles am | |
Bergbau, und nun kommen die großen Player von außen.“ | |
Natürlich stelle niemand infrage, dass beim Lausitz Festival hochkarätige | |
Künstler auftreten. „Aber das ist nicht, was die Menschen hier gerade | |
brauchen“, sagt Apel. „Was es braucht, ist Vertrauen und Dialog.“ Und | |
Räume, in denen man zusammenkommen kann. Viele dieser Räume seien aber in | |
der Vergangenheit dichtgemacht worden. | |
„Die Leute wählen auch die AfD, weil sie kein Vertrauen mehr haben in das, | |
was ihnen versprochen wird“, sagt Apel. Gerade die in der Region verankerte | |
Kultur könne hier eine wichtige Rolle spielen, meint Apel. | |
In ihrem Brief fordert die Initiative deshalb ein kuratiertes, für die | |
Lausitz gemachtes Festivalprogramm. „Gerade in der angespannten politischen | |
Situation ist der Austausch künstlerischer Positionen und der Aufbau | |
europa- oder weltweiter Netzwerke sinnvoll und wichtig“, heißt es. „Aber | |
dafür müssen die Betreffenden vor Ort auf Augenhöhe einbezogen werden.“ | |
Die Stärkung einer regionalen und kulturellen Identität gelte auch für die | |
Zweisprachigkeit in der Region. Die sorbische Kultur finde sich im Programm | |
kaum wieder. | |
## Neues Geld vom Land | |
Kulturelle Initiativen vor Ort zu stärken: Das war Brigitte Faber-Schmidt | |
schon immer ein Anliegen. Zwanzig Jahre lang leitete sie die Geschäfte von | |
[9][Kulturland Brandenburg]. Jedes Kulturlandjahr hat ein eigenes Thema, zu | |
dem Vereine, Initiativen, Museen mit eigenen Projektideen Fördermittel | |
beantragen können. Das große Verdienst von Kulturland ist es, Fördermittel | |
für kulturelle Projekte auch in ländliche Räume wie die Lausitz gebracht zu | |
haben. Für ihr Engagement hat sie 2021 den Kulturpreis des Landkreises | |
Elbe-Elster bekommen. | |
Seit 2021 ist Brigitte Faber-Schmidt Abteilungsleiterin im Brandenburger | |
Kultusministerium. Sie wird auch bei der Sitzung des künstlerischen Beirats | |
am Donnerstag und beim Lausitzer Kulturforum am Freitag dabei sein. Die | |
Punkte, die die Lausitzer Kulturschaffenden in ihrer Kritik ansprechen, | |
kennt sie. „Ich setzte sehr auf die Prozesse und die Moderation unter allen | |
Beteiligten“, sagt Brigitte Faber-Schmidt der taz. „Aus meiner Zeit bei | |
Kulturland weiß ich um die Wichtigkeit von Bottom-Up-Prozessen.“ | |
Einfach wird diese Moderation aber nicht werden. Faber Schmidt will deshalb | |
am Donnerstag und Freitag ihre Idee vorstellen, parallel zum Festival die | |
lokalen Akteure zu stärken. „Wir werden für 2024 einen Projektförderfonds | |
aufsetzen, der an die Erfahrungen des [10][Ideenwettbewerbs Kulturelle | |
Heimat Lausitz anknüpft]“, sagt sie der taz. „Da geht es dann auch um | |
Kooperationen mit dem Lausitz Festival.“ | |
Kooperationen mit dem Festival gibt es schon jetzt. Doch die Erfahrungen | |
sind durchwachsen. „Im zweiten Jahr fand bei uns eine Aufführung im Rahmen | |
einer Filmreihe mit Krzysztof Kieślowski statt“, sagt der Spremberger | |
Kinobetreiber Michael Apel. „Das, was wir davon bekommen haben, war die | |
Saalmiete.“ Eine Kooperation gab es auch mit der [11][Jazzwerkstatt in | |
Peitz]. „Da wird nicht nur der Flügel eingeflogen, sondern auch der | |
Klavierstimmer“, heißt es aus dem Umfeld des Festes. | |
Ein Mitglied des künstlerischen Beirats des Lausitz Festivals sagt: „Wenn | |
einer dieser Acts in die Lausitzhalle nach Hoyerswerda kommt, kann die | |
Technik dort den Schlüssel abgeben. Dann übernimmt der Bühnenmeister aus | |
Wien und der Tontechniker aus Hamburg. Als ob die Leute vor Ort das nicht | |
können.“ | |
## Paternalistische Geste | |
„Natürlich ist es toll, so ein Festival zu haben, das ist auch eine | |
Wertschätzung“, sagt das Mitglied des Beirats zur taz, das seinen Namen | |
nicht in der Zeitung lesen will. „Aber so, wie es läuft, hat es vor allem | |
eine paternalistische Geste. Wir bringen euch die Kultur. Wir knipsen das | |
Licht an. Daran wird sich auch nichts mehr ändern.“ Mit der Lausitz habe | |
das alles nichts zu tun. | |
Für das Mitglied des Beirats ist klar: „Die ganze Struktur geht nicht. | |
Kühnel muss weg.“ | |
Doch Daniel Kühnel, das wird Brigitte Faber-Schmidt am Donnerstag im Beirat | |
und am Freitag beim Lausitzer Kulturforum berichten, wird nicht gehen. | |
Gerade eben wurde sein Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert. | |
1 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lausitz-festival.eu/de/ | |
[2] https://www.kulturraum-on.de/de_DE/erreichbarkeit-kulturraumverwaltung | |
[3] https://www.hermannimnetz.de/die-fluessigkeit-von-bundesmillionen/ | |
[4] https://www.symphonikerhamburg.de/laeiszhalle-orchester-symphoniker-hamburg… | |
[5] https://van-magazin.de/mag/johannes-kahrs-kulturpolitik/ | |
[6] https://wildemoehrefestival.de/ | |
[7] https://wirtschaftsregion-lausitz.de/ | |
[8] https://spreekino.de/ | |
[9] https://gesellschaft-kultur-geschichte.de/kulturland-brandenburg/ | |
[10] http://www.kulturwettbewerb-lausitz.de/ | |
[11] https://jazzwerkstatt.eu/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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