| # taz.de -- Neues Forschungszentrum in Sachsen: Sternstunde für die Lausitz | |
| > AstrophysikerInnen wollen die perfekten Bedingungen in Ost-Sachsen nutzen | |
| > und die Gegend zum Magneten für Hightech machen. Kann das klappen? | |
| Bild: Der intensive Braunkohleabbau der letzten Jahrzehnte hat die Landschaft i… | |
| Die Lausitz ist ein perfekter Ort, um in den Nachthimmel zu schauen. | |
| Zumindest sagt das der Verein der Lausitzer Sterngucker. Die geringe | |
| Lichtverschmutzung macht den Ausblick besser. Was unsichtbar ist: In der | |
| Lausitz kann man auch besonders gut dem Weltraum lauschen. | |
| Wer heute das All erforscht, schaut nicht mehr nach längst verglühten | |
| Sternen. Hinhören ist das neue Ding, mit Teleskopen, die sogenannte | |
| Gravitationswellen einfangen und damit Erkenntnisse über das All | |
| ermöglichen. Dafür sind die Bedingungen in der Lausitz optimal. | |
| Vergangenen Herbst verkündete das Bundesforschungsministerium, dass im | |
| sächsischen Hoyerswerda das Deutsche Zentrum für Astrophysik angesiedelt | |
| wird, kurz: DZA. Christian Stegmann, Direktor des | |
| [1][Helmholtz-Forschungszentrums DESY], und seine KollegInnen hatten sich | |
| in einem milliardenschweren Wettbewerb gegen andere Anträge durchgesetzt. | |
| Sie wollen ein Forschungszentrum mit internationaler Strahlkraft in eine | |
| strukturschwache Region bringen. | |
| Das DZA bekommt zwei Standorte im Lausitzer Revier: eins an der polnischen | |
| Grenze in Görlitz, das andere einen Landkreis weiter westlich in Bautzen. | |
| Können WissenschaftlerInnen eine abgehängte Gegend retten? | |
| ## Strukturwandel für die Lausitz | |
| Christian Stegmann weiß, wie wichtig es ist, zuzuhören – und zwar nicht nur | |
| dem Weltraum. Er steht auf dem Marktplatz von Hoyerswerda, hinter ihm | |
| warten Menschen vor einem aufblasbaren Ufo. Sie wollen das mobile | |
| Planetarium besuchen, das darin aufgebaut ist. Das Ufo soll Menschen | |
| [2][die Weltraumforschung zugänglich machen], die bald in ihre Nähe zieht. | |
| Ein Mann mit Schiebermütze erzählt Christian Stegmann von all den | |
| Förderungen und Plänen, die seiner Region schon versprochen wurden. Er ist | |
| wütend: Immer sei es bei den Versprechen geblieben. Christian Stegmann | |
| kennt diese Geschichten und den Frust der Bevölkerung. | |
| Fast jede Woche pendelt er aus Berlin zu Gemeindeversammlungen in Sachsen, | |
| um die Leute von seiner Kampagne zu überzeugen. Er will mit allen Gruppen | |
| sprechen: mit den BürgerInnen in den Nachbarorten, den LandwirtInnen, den | |
| Unternehmen, den Hochschulen und mit der sorbischen Minderheit. Er will | |
| ihnen allen versichern, dass das Geld vom Ministerium auch wirklich in der | |
| Lausitz ankommt. | |
| Große Forschung braucht großen Platz, befürchten viele. Was passiert dann | |
| mit der Natur? Und bleibt am Ende die sorbische Kultur auf der Strecke, um | |
| deren Erhalt die sächsische Bevölkerung seit Langem kämpft? „Hier geht es | |
| um einen Strukturwandel, der auf lange Zeit ausgelegt ist“, so der | |
| Astrophysiker Stegmann. Die meiste Forschung werde unter Tage stattfinden, | |
| sagt Stegmann. Das verringere auch den Eingriff in die Natur. | |
| Strukturwandel haben viele der älteren Menschen, die sich hier auf dem | |
| Marktplatz versammelt haben, schon persönlich erlebt, daher auch die | |
| Skepsis. Nordöstlich der malerischen Ortsmitte von Hoyerswerda ragen | |
| Plattenbauten empor, dahinter quellen riesige weiße Schwaden der Schwarzen | |
| Pumpe in den sonst wolkenlosen Himmel. | |
| ## Forschungszentrum als Jobmotor | |
| Zu DDR-Zeiten war das Kraftwerk [3][die größte Kohleveredelungsstätte der | |
| Welt]. Damals zogen so viele Menschen in die Platten der „sozialistischen | |
| Wohnstadt“, dass sich die EinwohnerInnenzahl Hoyerswerdas auf mehr als | |
| 70.000 verzehnfachte. Um die Stadt herum wurden etliche Dörfer für den | |
| Tagebau weggebaggert. | |
| Und dann: Wende, Stilllegung, Rückbau, Landflucht. Heute versteckt sich | |
| Hoyerswerda hinter Seenland und Schutzgebieten, fernab von | |
| Autobahnanschluss oder ICE-Verbindung. Für die 150 Kilometer nach Berlin | |
| braucht man mit dem Bummelzug über drei Stunden. | |
| Wenn es nach dem DZA geht, könnte das Zentrum als Jobmotor Abwanderung | |
| verhindern und jungen Menschen neue Möglichkeiten eröffnen. „Die | |
| Großforschung hat ein Riesenpotenzial für die Lausitz“, sagt der | |
| Kulturwissenschaftler Christian Prunitsch, der das DZA berät. „Man darf die | |
| Menschen nur nicht mit der Behauptung langweilen, die Ingenieure hätten die | |
| Lösung parat und bräuchten nur noch das Volk zu überzeugen.“ | |
| Stattdessen will das DZA darauf achten, Forschung nicht nur um ihrer selbst | |
| willen zu betreiben, sondern tatsächlich etwas in der Region zu bewegen. | |
| „Es ist entscheidend, die Menschen nicht zu überrollen, sondern sie | |
| einzubeziehen, ob Bürgerinitiative, Kindergartengruppe, Verein oder | |
| Hochschule“, so Prunitsch. | |
| ## Den Daten-Tsunami bändigen | |
| Alle wichtigen Schlüsselpositionen in der Finanzwirtschaft, Rechtsberatung | |
| und im wissenschaftlichen Bereich sollen zunächst mit eigenem Personal | |
| besetzt werden. Aber für die anderen Bereiche – Bau, Materialverarbeitung, | |
| Elektronik, Maschinenbau, Buchhaltung, Einkauf – werden die Menschen aus | |
| der Umgebung gebraucht. | |
| Bis zum Kohleausstieg 2038 stellt das DZA zunächst 1.000 Arbeitsplätze in | |
| Aussicht. Die Lausitz als Magnet für Hightech, so erzählt er die | |
| Geschichte. Das berühmte Schweizer Kernforschungszentrum Cern habe auch mal | |
| klein angefangen, so Stegmann. | |
| Der Standort Görlitz soll unter anderem eine gigantische Datenflut | |
| bändigen. Diese stammt aus einem riesigen Radioteleskop, für das tausende | |
| Radioschüsseln aus Südafrika und Australien zusammengeschaltet werden. „Die | |
| Datenmenge macht pro Jahr ein Vielfaches der Menge des heutigen Internets | |
| aus“, sagt Christian Stegmann. | |
| Eine solche Datenmasse ist zu groß, um sie zu speichern oder zu übertragen. | |
| Deshalb muss das DZA zunächst eine Technologie entwickeln, die automatisch | |
| entscheidet, welche Daten wichtig sind und welche nicht, ohne dass dabei | |
| wesentliche Information verloren geht. Ebenfalls ein Forschungsvorhaben mit | |
| Zukunft. | |
| ## Nachwuchs kommt aus der Region | |
| In Bautzen wird es vom DZA weniger zu sehen geben. Das „Low Seismic Lab“ | |
| wird nämlich 200 Meter unter der Erde entstehen. Die Lausitz liegt auf | |
| einem wahren Schatz für die Wissenschaft: der seismischen Null. Unter Tage | |
| herrscht absolute Ruhe, ohne Erschütterungen oder Geräusche. | |
| Diese geologischen Bedingungen sind zwingend notwendig für die Erforschung | |
| der Astroteilchenphysik, weil hochsensible Messungen dort nicht | |
| beeinträchtigt werden. Und so könnte noch eine weitere Großinvestition in | |
| den Granit gegraben werden: ein Gravitationswellenteleskop. Ob das | |
| Prestigegerät hier gebaut wird, entscheidet sich in einigen Jahren. Die | |
| Erkenntnisse damit könnten die aus dem Cern in den Schatten stellen und die | |
| Region für noch mehr WissenschaftlerInnen attraktiv machen. | |
| Forschungsinstitutionen als Motor ländlicher Entwicklung, bedeutet das in | |
| der Praxis, die SpitzenforscherInnen werden eingeflogen und die | |
| Menschen aus der Gegend servieren ihnen in der Kantine das Mittagessen? | |
| Sachsen will in Zukunft zumindest damit anfangen, selbst Weltraumforschende | |
| auszubilden. An der Technischen Universität Dresden soll ein neuer | |
| Studiengang entstehen und drei neue Professuren werden besetzt. Dort können | |
| junge Menschen dann bald Astrophysik studieren. | |
| 31 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Philipp Brandstädter | |
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