| # taz.de -- Astrophysiker über Weltraumforschung: „Der nächste große Durch… | |
| > In der Lausitz entsteht ein neues Großforschungszentrum. Direktor Günther | |
| > Hasinger erklärt, was Sachsen mit Schwarzen Löchern zu tun hat. | |
| Bild: Für moderne Weltraumforschung muss es nicht nur klar, sondern auch still… | |
| In der Lausitz entsteht das Deutsche Zentrum für Astrophysik. Dafür hat der | |
| Weltraumforscher Günther Hasinger seine Verantwortung als Direktor für | |
| Wissenschaft bei der Europäischen Weltraumorganisation, kurz ESA, | |
| abgegeben. In ein paar Jahren könnte in der Lausitz auch ein Riesenteleskop | |
| gebaut werden – das Einstein-Teleskop. Hasingers Hoffnung ist, damit das | |
| Rätsel um die Entstehung des Universums zu lösen. | |
| wochentaz: Herr Hasinger, Sie hätten eigentlich auch in Rente gehen können. | |
| Nun haben Sie sich entschieden, von Madrid nach Görlitz zu ziehen, um das | |
| Deutsche Zentrum für Astrophysik als Gründungsdirektor aufzubauen. Warum? | |
| Günther Hasinger: Ich bin grundsätzlich ein rastloser Mensch und immer | |
| getrieben, etwas Neues zu machen. Als wir unseren Vorschlag bei dem | |
| Wettbewerb für Strukturwandel eingereicht haben, hat niemand damit | |
| gerechnet, dass wir uns gegen die vielen tollen Ideen durchsetzen würden. | |
| Aber dann hat es tatsächlich geklappt. | |
| Es gibt unter meinen KollegInnen so viele Ideen für Forschungsarbeiten, für | |
| die die Lausitz als Standort perfekt wäre. Am Ende habe ich mich | |
| entschieden, meinen Lebensmittelpunkt nach Görlitz zu verlegen. Die Chance, | |
| ein komplett neues Projekt mit einer so großen Reichweite zu starten, | |
| bietet sich nur einmal im Leben. | |
| Was ist an dem Forschungsprojekt in der Lausitz so wichtig? | |
| Es könnte den nächsten Durchbruch in der Weltraumforschung ermöglichen. | |
| Seit 30 Jahren suchen wir nach den Teilchen, aus denen Dunkle Materie | |
| gemacht ist. Die machen schätzungsweise 95 Prozent des Weltalls aus. Dunkel | |
| wird die Materie genannt, weil sie nicht sichtbar ist. Sie bildet die | |
| Substanz, die Galaxien und Galaxienhaufen zusammenhält und dafür sorgt, | |
| dass die Sterne nicht einfach ins All hinausgeschleudert werden. | |
| Bisher ist das aber nur Theorie, bis heute haben wir nicht herausfinden | |
| können, woraus diese Substanz besteht. Mit dem Teleskop, das hoffentlich | |
| bald in der Lausitz gebaut wird, könnten wir Dunkle Materie endlich | |
| aufspüren. | |
| Wie kann man sich Dunkle Materie genau vorstellen? | |
| Darüber hat auch der britische Astrophysiker Stephen Hawking schon | |
| gegrübelt. Er hat sich unter Dunkler Materie winzige Objekte vorgestellt, | |
| die sich mit der Zeit auflösen. Meine bevorzugte Theorie ist dagegen, dass | |
| Dunkle Materie eigentlich [1][riesige Schwarze Löcher sind]. Das sind | |
| Objekte im Weltall, die alles verschlucken, was ihnen zu nahe kommt. | |
| Einige von ihnen sind wohl unmittelbar nach dem Urknall entstanden, in | |
| einer extrem heißen und sich rasant ausbreitenden Ursuppe. Diese Schwarzen | |
| Löcher müssten mittlerweile entsprechend sehr große Massen haben. Die | |
| könnte man nachweisen, wenn wir ihre Gravitationswellen aufspüren. | |
| Und was sind jetzt diese Gravita tionswellen? | |
| Gravitationswellen sind ein Wackeln der Raumzeit. Sie entstehen, wenn eine | |
| Masse bewegt wird. Messbar werden sie aber nur bei riesigen Massen. | |
| Schwarze Löcher zum Beispiel, die können so viel wiegen wie mehrere | |
| Millionen Sonnen. Schwarze Löcher schlucken auch Licht, deshalb kann man | |
| sie nicht sehen. Lediglich die immer schneller um das Loch kreisenden | |
| Gasteilchen können wir wie einen Ring um das Loch erkennen. | |
| Halt, stopp. Das klingt nach ganz schön viel abstrakter Physik. Wofür | |
| brachen wir dieses Wissen eigentlich? | |
| Die Astrophysik verbindet Hightech und Kreativität. Ohne dass viele sich | |
| dessen bewusst sind, hat sie das Leben der Menschen in den letzten Jahren | |
| sehr geprägt. Ohne unsere Wissenschaft gäbe es keine Gleitsichtbrillen, | |
| keine Augenlaser, keine Cerankochfelder und kein drahtloses Internet. | |
| Okay, das sind alles Dinge auf der Erde, aber was hat sich in unserem | |
| Wissen über das Universum getan? | |
| Ganz viel! Wir wissen nun, dass die Milchstraße gar keine so flache Scheibe | |
| ist, wie wir einmal dachten. Sie sieht mehr wie eine dicke US-amerikanische | |
| Pizza aus. Auch wissen wir inzwischen, dass unsere Sonne gerade mit uns | |
| durch den Überrest einer Supernova fliegt und die meisten Sterne, die wir | |
| gerade sehen, aus dieser Sternenexplosion entstanden sind. Um zu solchen | |
| Erkenntnissen zu kommen, braucht es Großprojekte wie das DZA. Die | |
| Erforschung der Gravitationswellen könnte der nächste große Durchbruch | |
| sein. | |
| Also sind Gravitationswellen schon mehr als bloße Theorie? | |
| Genau, 2015 konnten wir Gravitationswellen messen, nachdem zwei Schwarze | |
| Löcher umeinander herumtanzten und sich schließlich unter großem Getöse | |
| vereinigten. Die dadurch entstandenen Gravitationswellen stauchten und | |
| streckten die Raumzeit derart, dass man das auch auf der Erde messen | |
| konnte. | |
| Die Form der Welle verrät uns zudem nicht nur, dass da etwas ist, sondern | |
| auch, woher es kommt und wie lange die Welle schon unterwegs ist. Anhand | |
| von Gravitationswellen könnte man also auch feststellen, ob ein Schwarzes | |
| Loch kurz [2][nach dem Urknall entstanden] ist oder später. | |
| Damit das besser erforschbar wird, wollen Sie ein Riesenteleskop in die | |
| Lausitz bauen: das Einstein-Teleskop. Was hat es damit auf sich? | |
| Bislang waren Gravitationswellen-Detektoren in langen Vakuumröhren | |
| untergebracht, die auf der Erdoberfläche stehen. Es gibt welche in | |
| Hannover, in Pisa, in Japan und in den USA. Die nächste Generation dieser | |
| Teleskope ist so hochempfindlich, dass man sie unter die Erde bringen muss, | |
| wo Störungen möglichst klein sind. Dafür wäre die Lausitz der perfekte Ort. | |
| Und wie funktioniert das Teleskop genau? | |
| Das Einstein-Teleskop ist ein Dreieck mit einer Kantenlänge von 10 | |
| Kilometern. In seinen Seiten werden mit Spiegeln mehrere tausendmal | |
| Laserstrahlen hin- und hergeschickt. Bei Erschütterungen ändern sie ihren | |
| Kurs minimal. Die Messunterschiede sind zehntausendmal kleiner [3][als | |
| Protonen in einem Atomkern]. Solche Unterschiede deuten dann auf | |
| Gravitationswellen hin. | |
| Und so ein Teleskop wird am beziehungsweise unter dem Deutschen Zentrum für | |
| Astrophysik gebaut? | |
| Das steht noch nicht fest, entschieden wird das frühstens in drei Jahren. | |
| Es bewerben sich auch andere Orte um den Bau: an der niederländischen | |
| Grenze bei Maastricht und auf Sardinien zum Beispiel. Die Chancen dafür, | |
| dass es in der Lausitz gebaut wird, stehen aber gut. Die sitzt nämlich auf | |
| einem ungebrochenen Granitstock von 20 Kilometern Länge. | |
| Dort unten gibt es kaum akustische Störungen. Unsere Testbohrungen in 250 | |
| Meter Tiefe haben gezeigt, dass das [4][Einstein-Teleskop hier optimal | |
| arbeiten] könnte. Die Erde schreit förmlich danach, für Weltraumforschung | |
| genutzt zu werden. | |
| 31 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Philipp Brandstädter | |
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