# taz.de -- Menschen im Weltraum: Da oben reden sie noch | |
> Die bemenschte Raumfahrt: Eine Umweltkatastrophe, die abgeschafft gehört? | |
> Oder ein Labor für echte internationale Zusammenarbeit? | |
Bild: Kann uns ein Blick von ganz oben dabei helfen, ein planetares Bewusstsein… | |
Die Raumfahrt zeigt sowohl menschliche Stärken als auch Schwächen, bringt | |
sie wie in einem Brennglas zum Vorschein. Manchmal auf fast komische Weise: | |
Im September 2022, während Russland in der Ukraine Krieg führt und sich die | |
Nato geschlossen hinter der Verteidigung aufbaut, starten vom | |
Weltraumbahnhof Baikonur in der kasachischen Steppe zwei Russen und ein | |
US-Amerikaner zur internationalen Raumstation ISS. | |
Ihr Raumschiff ist russisch und heißt Sojus MS-22, was Vereinigung bedeutet | |
oder Union. Wie in Sowjetunion. In 400 Kilometer Höhe dockt die Sojus an | |
der ISS an. [1][Sie ist beschädigt; Kühlflüssigkeit tritt aus]. Für einen | |
Rückflug ist sie nicht mehr geeignet. Anfang des Jahres 2023 gibt die | |
russische Weltraumbehörde bekannt: Die Aufenthaltsdauer der Besatzung | |
verlängert sich um ein halbes Jahr. | |
Das Team steckt bis September 2023 in der Raumstation fest. Vor wenigen | |
Tagen dockte nun nach 33 Erdumrundungen eine unbemannte Kapsel an der | |
Raumstation an. Sie soll, leicht umgebaut, das Rettungsschiff werden. Aber | |
bis es so weit ist, haben die Astronauten noch viel Zeit, sich die Welt | |
von oben anzuschauen. | |
Die Erde als Ganze sehen. Wörtlich genommen war das für Menschen lange | |
undenkbar. Die letzte Grenze für die Menschen: das All. Dann kam die | |
Raumfahrt. | |
Menschen sind Erfinder. Die Fähigkeit des Menschen, Neues oder sogar | |
Unvorhergesehenes zu erschaffen, nennt die Philosophin Hannah Arendt | |
„Natalität“. Darin liegt Kraft für die Zukunft wie auch der Ursprung von | |
Katastrophen: Menschen tüfteln, bauen, investieren in Technik, die uns | |
reich macht, die uns ganz wörtlich fliegen lässt. [2][Zunächst nur ein paar | |
Meter über der Erde und bald bis zum Mars.] Gleichzeitig schaffen wir es | |
nicht, sorgsam mit unserem Zuhause umzugehen. Wir produzieren Schrott und | |
emittieren Abgase, vergiften uns selbst. | |
Der Blick aus einem Fenster der internationalen Raumstation könne helfen, | |
die Dimension zu begreifen, findet der Soziologieprofessor Stefan Selke. Er | |
hat Luft- und Raumfahrt studiert und das Buch „Wunschland“ geschrieben. | |
„Aus der Perspektive aus dem All gibt es keine Grenzen, es gibt nur diesen | |
einen blauen Planeten.“ Im Weltraum würden die Menschen zusammen an den | |
Problemen arbeiten. | |
## Mit planetarem Bewusstsein zu besseren Entscheidungen? | |
Das All ist einer der wenigen Bereiche, in denen das auch für die USA und | |
Russland gilt, jedoch ist unsicher, wie lange noch. Auch wegen der | |
politischen Konflikte will die russische Weltraumbehörde sich abkapseln und | |
plant [3][eine eigene Raumstation]. Doch mitten im Krieg beschloss Russland | |
gerade, länger als bisher geplant auf der ISS zu bleiben. | |
Die Astronaut:innen bilden dort eine Wohngemeinschaft auf einer Fläche | |
der Größe eines Hauses mit sechs Zimmern, weitgehend ohne Privatsphäre. | |
Dort experimentieren sie, dort leben und schlafen sie. Sie erforschen | |
Fragen wie: Welche Effekte hat Schwerelosigkeit auf den menschlichen | |
Körper? Wir wirkt sich kosmische Strahlung aus? | |
Der US-Politiker Bill Nelson schlug vor, größere internationale Konferenzen | |
mal von dort oben abzuhalten, um das „planetare Bewusstein“ zu stärken. Es | |
habe einen positiven Effekt auf die Entscheidungsfindung. | |
Das kann allerdings angesichts des ökologischen Fußabdrucks von | |
Weltraumreisen auch zynisch klingen. Aus Umweltsicht ist der Raumfahrt-Boom | |
ein Desaster. Raketenstarts haben einen enormen Treibstoffbedarf, Partikel | |
wie Ruß und Aluminiumoxid verbreiten sich in der Stratosphäre. | |
Raketentreibstoff unterliegt kaum Vorschriften und ist zum Teil stark | |
giftig. | |
Und je mehr nach oben wollen, Maschinen wie Menschen, desto stärker werden | |
diese Probleme. 2.000 Satelliten hat Elon Musk bereits in die Umlaufbahn | |
gebracht, 12.000 sollen es werden. [4][Weltraumschrott überall]. | |
Die Investition in Unternehmen der privaten Raumfahrt kann auch als eine | |
Flucht nach oben wirken, ein Eskapismus für Superreiche. Während die Welt | |
darum ringt, die Erderhitzung aufzuhalten, lieferten sich Firmenbosse wie | |
Tesla-Chef Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos ein ressourcenintensives | |
Wettrennen um den Vorstoß ins Weltall. Is there a Planet B? Und wenn ja, | |
für wen? | |
Der Soziologe Stefan Selke meint: „Nicht moderne Technologien sind die | |
Mangelware des 21. Jahrhunderts, sondern Antworten auf Sinnfragen. Wer | |
möchten wir sein? Was ist uns wichtig?“ Die internationale Raumstation sei | |
eine Art Zukunftslabor. Ein gemeinsamer Zwischenschritt, um Utopien zu | |
wagen. | |
Am Donnerstag hat nach einem gescheiterten Versuch eine weitere Rakete zur | |
ISS abgehoben. Sie stammt von Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX und startete | |
von Weltraumbahnhof Cape Canaveral im US-Staat Florida. Zwei US-Amerikaner | |
sind an Bord, ein Astronaut aus den Emiraten und Andrej Fedjajew aus | |
Russland. Alle in einem Boot. | |
6 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.reuters.com/world/europe/russia-launch-backup-soyuz-spacecraft-… | |
[2] /Kapitalismus-und-Raumfahrt/!5854163 | |
[3] https://www.spiegel.de/wissenschaft/iss-russland-stellt-modell-einer-eigene… | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikatione… | |
## AUTOREN | |
Sean-Elias Ansa | |
## TAGS | |
wochentaz | |
Zukunft | |
Weltraum | |
ISS | |
Essay | |
Weltraumforschung | |
Zukunft | |
SpaceX | |
Zukunft | |
Unternehmen | |
Zukunft | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wissenschaftler über Weltraumnahrung: „Alles, was krümelt, ist verboten“ | |
Volker Hessel ist Professor für Nachhaltiges Chemieingenieurswesen. Er | |
verrät, warum Tubenessen im Weltraum bald der Vergangenheit angehören | |
könnte. | |
Astrophysiker über Weltraumforschung: „Der nächste große Durchbruch“ | |
In der Lausitz entsteht ein neues Großforschungszentrum. Direktor Günther | |
Hasinger erklärt, was Sachsen mit Schwarzen Löchern zu tun hat. | |
Starship-Riesenrakete von SpaceX: Explosion bei erstem Testflug | |
Die unbemannte Riesenrakete von Elon Musk ist drei Minuten nach dem Start | |
explodiert. Ein erster Versuch war wegen technischer Probleme abgebrochen | |
worden. | |
Internationale Raumfahrt: Eine Uhrzeit für den Mond | |
Planen auf dem Mond ist gar nicht so einfach. Welche Zeitzone gilt dort, | |
wie schnell läuft die Zeit und vor allem: Wann trinkt man den 5-Uhr-Tee? | |
Technocracy-Bewegung: Rente mit 40 und Grundeinkommen | |
Die Technocracy-Bewegung plante eine nach den Prinzipien von Wissenschaft | |
und Technik organisierte Welt. Eine ihrer Leitfiguren war Musks Großvater. | |
Wohnen im Weltall: Häuser aus Eis und Staub | |
Wie könnten Astronaut:innen auf dem Mars leben? Space-Architekt:innen | |
designen Gebäude aus Mondsand und ringen mit kosmischer Strahlung. | |
+++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Russland droht mit ISS-Aus | |
Weitere 500 Menschen sollen per Bus aus Mariupol evakuiert werden. Papst | |
Franziskus erwägt eine Reise nach Kiew. | |
Deutsch-Russische Forschungsprojekte: Eiszeit in der Wissenschaft | |
Für deutsch-russische Forschungsprojekte bedeutet Putins Angriffskrieg das | |
Aus. So gut wie alle wissenschaftlichen Kooperationen sind ausgesetzt. |