| # taz.de -- Tagebaue in der Lausitz: Muss es denn ein See sein? | |
| > Der ehemalige Tagebau Cottbus-Nord soll mit Spreewasser geflutet werden, | |
| > doch der Fluss führt zu wenig Wasser. Jetzt werden Alternativen | |
| > ausgelotet. | |
| Lausitz taz | Der Aussichtsturm in Merzdorf ist 31 Meter hoch. Von hier aus | |
| kann man den „Schlichower Schlauch“ sehen, eine Wasserfläche, über die | |
| schnatternd eine Gänseschar hinwegzieht. Links drängt sich das Kraftwerk | |
| Jänschwalde ins Bild, einer der größten Braunkohleverstromer Europas, in | |
| dem aus zwei der neun Kühltürme Rauch strömt. In der Mitte liegt eine | |
| riesige Brache, über die schon wieder Gras wächst. Sie soll bald zum | |
| „größten See Brandenburgs“, dem Cottbuser Ostsee, werden. | |
| Früher war das hier der Tagebau Cottbus-Nord. Die Leag, Ostdeutschlands | |
| größter Kohlekonzern, plant dort nun „Baumaßnahmen der Superlative“. 26 | |
| Kilometer Uferlinie soll der neue See haben. 14 Millionen Euro für einen | |
| Radweg um den See sind bewilligt. Am Cottbuser Hafen wird längst | |
| gearbeitet, der Seehafen in der Gemeinde Teichland im Norden ist schon | |
| fertig. Schiffe können aber noch nicht anlegen, denn dem Ostsee fehlt das, | |
| was einen See [1][zum See macht: das Wasser]. | |
| Seit April 2019 strömt zwar regelmäßig Wasser aus der Spree in den Ostsee. | |
| Denn Mitte der 2020er Jahre soll laut der Leag der mit 19 Quadratkilometern | |
| flächenmäßig größte Bergbaufolgesee Deutschlands fertig sein. Doch im Mai | |
| wurde die Flutung nach nur wenigen Monaten [2][wieder einmal gestoppt], | |
| weil die Spree schon wieder viel zu wenig Wasser führt. | |
| Etwa 70 Prozent der Trinkwasserversorgung Berlins wird durch die Spree | |
| gesichert. Eigentlich soll der Fluss mindestens 8 Kubikmeter Wasser je | |
| Sekunde an der Landesgrenze zu Berlin übergeben – das haben die anliegenden | |
| Bundesländer Sachsen, Brandenburg und Berlin beschlossen. Wie aber soll das | |
| gehen, wenn zeitweise schon in Leibsch, eine Autostunde südlich von Berlin, | |
| nur noch 0,79 Kubikmeter fließen, wie im August des Hitzesommers 2022? | |
| ## Schon heute zu wenig Wasser in der Lausitz | |
| Der Klimawandel ist auch in der Lausitz angekommen. In den letzten Jahren | |
| gab es des Öfteren wesentlich weniger Niederschlag und wegen der | |
| gestiegenen Temperaturen mehr Verdunstung. Das Wasser fehlt im Spreesystem. | |
| Immer wieder passierte es in den letzten Jahren, dass die Spree rückwärts | |
| floss, weil zu wenig Nass nachkam und über jenen Seen, durch die die Spree | |
| fließt, zu viel Wasser verdunstete. | |
| Wie soll da genügend Wasser für den Cottbuser Ostsee bleiben? „Es ist ja | |
| nicht nur so, dass eine 19 Quadratkilometer große Fläche geflutet werden | |
| muss“, sagt die bündnisgrüne Umweltpolitikerin Isabell Hiekel. Um den | |
| ganzen See aufzufüllen, sind mehr als [3][250 Millionen Kubikmeter Wasser] | |
| notwendig, das entspricht dem Volumen von 100.000 Schwimmbecken. | |
| „Das aus der Umgebung zufließende Grundwasser trägt wesentlich zur | |
| Auffüllung des Sees bei, aber vor allem in den Hitzesommern verdunstet eine | |
| so große Wasserfläche sehr viel – und das Wasser fehlt letztendlich in der | |
| Spree.“ Hiekel bezweifelt, dass der Ostsee bis Mitte der 2020er Jahre | |
| geflutet sein wird, wie es die Leag versprochen hat. | |
| Wenn es nach der Leag geht, sollen nach dem Ostsee im Tagebau Jänschwalde | |
| drei weitere Seen entstehen. „Auch in den Tagebauen Nochten, Welzow und | |
| Reichwalde sind viel zu große Seen geplant“, sagt René Schuster, | |
| Bundesvorsitzender des Ostdeutschen Umweltnetzwerks Grüne Liga. Und auch | |
| diese sollen mit Spreewasser versorgt werden. „Die Planungen stammen aus | |
| den 1980er Jahren, einer Zeit, als noch niemand den Klimawandel ernst | |
| genommen hat“, sagt Schuster. | |
| In der Logik des Abbau-Konzerns seien große Seen sinnvoll, „es ist der | |
| billigste Weg, die Tagebauflächen zu rekultivieren“. In der Logik der | |
| Behörden, die solche See-Pläne genehmigen, sei es aber der teuerste Weg, so | |
| Schuster: „Die Wasserknappheit wird zunehmen, die Verteilung wird | |
| strittiger, aber der Strukturwandel in der Lausitz kann nur mit Wasser | |
| klappen: Denn auch Wirtschaft braucht Wasser.“ So soll [4][ab 2025 in einem | |
| Kraftwerk in Spreetal] Energie aus grünem Wasserstoff gewonnen werden. Für | |
| die Herstellung von 1 Kilogramm Wasserstoff werden aber 9 Liter Wasser | |
| benötigt. | |
| Und Wasser gibt es schon heute in der Lausitz zu wenig. „In den Tagebauen | |
| der Leag und den Sanierungsgebieten der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche | |
| Bergbau-Verwaltungsgesellschaft; Anm. d. Red.) fehlen derzeit 7 Milliarden | |
| Kubikmeter Wasser“, sagt Umweltpolitikerin Hiekel, also fast 3 Millionen | |
| Schwimmbecken. | |
| Tatsächlich gibt es in der Lausitz und im Mitteldeutschen Braunkohlerevier | |
| nämlich bereits über 200 Seen aus dem Braunkohlebergbau. „Das geht von | |
| kleinen, wenige Hektar großen wie dem Kranichteich bei Lauchhammer bis hin | |
| zum 18,4 Quadratkilometer großen Geiseltalsee bei Merseburg“, sagt Uwe | |
| Steinhuber, Sprecher der LMBV. | |
| Um die Hinterlassenschaften des DDR-Bergbaus aufzuarbeiten, hat die LMBV | |
| bislang mehr als 12 Milliarden Euro ausgegeben. Und obwohl der DDR-Bergbau | |
| schon 33 Jahre nicht mehr existiert, gibt es noch immer sehr viel zu tun. | |
| „Bis 2027 müssen wir weitere 1,44 Milliarden Euro investieren“, sagt | |
| Steinhuber. | |
| ## Bauschutt als mögliche Füllmasse für Tagebaulöcher | |
| Unter anderem in [5][die Wasserversorgung der Seen] in der Lausitz: „Die | |
| Dürre der letzten Jahre stellt uns vor große Herausforderungen“, sagt | |
| Steinhuber. Er weist auf die Verdunstung hin, die an den heißen Tagen | |
| überdurchschnittlich groß sei. Schnell sinke dann der Wasserstand um 30, 40 | |
| Zentimeter, was bei Tagebau-Restloch-Seen – anders als bei natürlichen | |
| Gewässern – zu Böschungsproblemen führen kann: Die Ufer sind nicht | |
| natürlich und verlieren ohne den Wassergegendruck ihren Halt. Mehrere | |
| Tagebau-Restlochseen sind wegen solcher Probleme bereits gesperrt. | |
| Aber muss es denn unbedingt ein See sein, der als Hinterlassenschaft eines | |
| Tagebaus übrig bleibt? „Das hängt vom Masseverlust ab“, sagt Carsten | |
| Drebenstedt, Professor für Tagebau an der Bergakademie Freiberg. Im Tagebau | |
| Lichtenberg in Ostthüringen sei in der DDR beispielsweise Uranerz abgebaut | |
| worden, „für 1 Kubikmeter Erz fielen dort 1.000 Kubikmeter Abraum an“, also | |
| für den Bergbau unnutzbarer Erdraum. Nach der Wende habe die LMBV das | |
| Restloch mit diesem überschüssigen, sogenannten tauben, also nicht | |
| verwertbaren Gestein wieder aufgefüllt. | |
| „Bei der Braunkohle aber ist das Verhältnis zum Abraum nicht eins zu | |
| tausend wie bei Uran, sondern eins zu vier bis fünf“, sagt der Professor. | |
| Bedeutet: 25 beziehungsweise 20 Prozent des Volumens einer [6][Landschaft, | |
| die dem Tagebau weichen] muss, gehen verloren. | |
| „Natürlich kann man das verlorene Volumen durch andere Stoffe ersetzen“, | |
| erläutert Drebenstedt. In der Regel würde die Asche der verbrannten Kohle | |
| beispielsweise zurückgebracht und so etwa 7 Prozent der verlorenen Masse | |
| aufgefüllt. Auch Bauschutt wird genutzt. Im ehemaligen Tagebau | |
| „Schlabendorf-Nord“ sei beispielsweise der Erdaushub vom Berliner | |
| Hauptbahnhof eingelagert worden. | |
| „Trotzdem bleibt bei Braunkohle-Tagebauen immer ein Restloch“, so | |
| Drebenstedt, der früher einmal als Abteilungsleiter bei dem | |
| Vor-Vorgänger-Konzern der Leag für die Rekultivierung zuständig war. Ziel | |
| dieser Arbeiten sei immer, „die Seen klein zu halten und so viel Fläche wie | |
| möglich wiederherzustellen“. Denn Fläche sei wertvoller als See, sie lässt | |
| sich vielseitiger und wirtschaftlicher nutzen. | |
| Dass der Cottbuser Ostsee flächenmäßig so groß ausgefallen sei, liege an | |
| der Abbaumethode: „Die Abraumbrücke hat hinten das wieder aufgeschüttet, | |
| was sie vorn abbaggerte, um an die Kohle heranzukommen“, erläutert | |
| Drebenstedt. Anstatt das überschüssige Gesteinsmaterial an einem Ort zu | |
| sammeln und später so aufzuschütten, dass ein möglichst kleines, aber | |
| tiefes Loch entsteht, verteilt es sich gleichmäßig auf der gesamten | |
| Abbaufläche. | |
| Der Tagebau-Professor will den Ostsee aber auch als Chance sehen, „etwa als | |
| Wasserspeicher. Vergessen wir nicht, dass sich mit dem Kohleausstieg die | |
| Wasserknappheit in der Lausitz zuspitzen wird!“ Weil Braunkohle nur aus | |
| trockenem Boden abgebaut werden kann, laufen hunderte Pumpen, um das | |
| Grundwasser rings um die Tagebaue abzusaugen. Ein Teil dieses Wassers nutzt | |
| die Leag selbst, einen anderen Teil speist sie in die Spree ein – etwa 5 | |
| Kubikmeter je Sekunde, etwa halb so viel, wie die Spree im Mittel im Raum | |
| Spremberg selbst führt. | |
| „Das Ziel einer jeden Sanierung ist, die Pumpen abzuschalten“, sagt | |
| LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber. Trotz Ende des Kohleabbaus müssen die Pumpen | |
| weiter laufen, weil sonst der Grundwasserspiegel viel zu schnell steigen | |
| und die Sanierung der Tagebaue so unmöglich machen würde. Der Betrieb ist | |
| kostspielig, aber der Tagebaubetreiber ist erst nach Pumpenstillstand aus | |
| der Haftung entlassen. | |
| Für Berlin und die Lausitz bedeutet das: Die Spree wird dann, wenn die | |
| Pumpen abgeschaltet werden, noch weniger Wasser transportieren. | |
| Deshalb hat das Umweltbundesamt (UBA) jetzt Alarm geschlagen: Die Spree, | |
| immerhin Deutschlands zehntlängster Fluss, könnte in trockenen | |
| Sommermonaten örtlich bis zu 75 Prozent weniger Wasser führen. | |
| Das habe Konsequenzen für den Spreewald, für das Grundwasser und die | |
| Trinkwasserversorgung im Großraum Berlin. „Ohne Gegenmaßnahmen könnte die | |
| Spree im Sommer trockenfallen“, erläutert UBA-Sprecher Florian Kuhlmey. | |
| „Trockenfallen“ bedeutet austrocknen, was alles Leben im Wasser vernichten | |
| würde. Das Umweltbundesamt schlägt deshalb vor, bestehende Seen als | |
| Wasserspeicher auszubauen. | |
| „Mit der Aufrüstung durch Schöpfwerke könnten die Seen beispielsweise in | |
| trockenen Sommermonaten Wasser an die Spree zurückgeben, das sie zuvor im | |
| Winterhalbjahr zusätzlich aufgenommen haben“, so Kuhlmey. Schöpfwerke heben | |
| Wasser an, damit dieses anschließend in ein anderes Gewässer fließen kann. | |
| Auch sollten die Länder gemeinsam ausloten, wie sich Wasser aus anderen | |
| Regionen durch sogenannte Überleiter möglichst naturverträglich in die | |
| Spree pumpen lässt, heißt es in einer [7][Studie]. | |
| ## Seen können als Wasserspeicher dienen | |
| Umweltpolitikerin Isabell Hiekel sieht das kritisch. „In Frage kommt Wasser | |
| aus der Neiße, der Oder oder Elbe.“ Die Neiße falle für größere | |
| Wassermengen aus, weil Polen den Tagebau Turów, direkt an der Neiße, selbst | |
| irgendwann fluten will. „Oderwasser? Wir sind froh, dass es bislang | |
| gelungen ist, die Brackwasseralge, die 2022 das Fischsterben verursacht | |
| hat, aus den Brandenburger Gewässern weitgehend fernzuhalten.“ Bleibt die | |
| Elbe. „Aber der Bau des Elbeüberleiters würde zu lange dauern. Und auch | |
| hier gibt es ökologische Bedenken.“ | |
| Die Seen in der Lausitz vermehrt als Wasserspeicher auszubauen sei dagegen | |
| eine gute Idee, besonders für den Cottbuser Ostsee. „Der ist dafür gar | |
| nicht vorgesehen, aber das muss jetzt möglichst schnell nachgeholt werden, | |
| rein rechtlich und technisch“, so Hiekel. Denn der Abfluss aus dem See in | |
| das Spreesystem soll in den nächsten zwei Jahren gebaut werden, und das | |
| Wasser wird gebraucht. | |
| Kurzfristig versuchen die Behörden Wasser länger in der Landschaft zu | |
| halten und Fehler der Vergangenheit zu beheben. Um die Lausitz an das | |
| schnell wachsende Berlin anzuschließen, war die Spree zwischen 1904 und | |
| 1909 ausgebaut und verbreitert worden. Außerdem wurden damals viele | |
| Flusswindungen der Spree durchstochen, um den Transportweg zu verkürzen. | |
| Um dem Fluss nun wieder mehr Raum zu geben und die ehemaligen Auenwälder | |
| wiederzubeleben, wurde 2004 damit begonnen, Altarme wieder anzuschließen. | |
| Auenwälder sind die perfekten Wasserspeicher, unter jedem Quadratmeter | |
| können sich mehr als 200 Liter Wasser ansammeln, natürliche Reservoirs für | |
| trockene Zeiten. Durch die Altarme fließen kann aber nur, was weiter unten | |
| im Fluss ankommt. | |
| ## An die neuen Wasserverhältnisse anpassen | |
| Nicht nur die Lausitz kämpft ums Wasser. Auch in der Niederrheinischen | |
| Bucht im Westen sollen ab 2030 drei riesengroße Seen entstehen, „zusammen | |
| 75 Quadratkilometer groß“, sagt Kohleexperte Dirk Jansen vom BUND. Das wäre | |
| viermal so viel wie der Cottbuser Ostsee. Das Wasser dafür soll aus dem | |
| Rhein kommen. | |
| Doch auch hier stellt sich die Frage nach der Wasserversorgung in den | |
| Sommermonaten: „Der Rhein hatte in den letzten Jahren oft selbst viel zu | |
| wenig, und wenn durch den Klimawandel die Schmelze Mitte des Jahrhunderts | |
| die Gletscher hinweggerafft haben wird, steht noch weniger Wasser zur | |
| Verfügung“. | |
| Welche anderen Möglichkeiten gibt es, den Bergbauflächen wieder Leben | |
| einzuhauchen? Umweltpolitikerin Hiekel sieht die Herausforderungen und die | |
| Chancen: „Auf Sorbisch heißt die Lausitz ‚Łužyca‘ – feuchte Wiesen�… | |
| sie. Klar ist, dass die Menschen mehr als ein Jahrhundert lang die Lausitz | |
| trockengelegt haben, nicht nur um die Kohle auszubeuten. Klar ist, dass | |
| ihre Verfeuerung den Klimawandel angefacht und die Lausitz trockener | |
| gemacht hat. | |
| „Ich denke, wir müssen uns nun auf die neuen Wasserverhältnisse einstellen, | |
| Moore und Wiesen feucht halten, Fließgewässer und Seen renaturieren. Aber | |
| wir müssen uns vor allem fragen, wie wir sparsamer mit Wasser umgehen | |
| können, wie wir Kreisläufe schließen können.“ | |
| Auf dem Aussichtsturm in Merzdorf am Ostsee hat jemand „Don’t let idiots | |
| ruin your day“ gesprüht. Östlich der Nebelschwaden des Kraftwerks | |
| Jänschwalde drehen sich drei Dutzend Windräder, westlich geht glutrot die | |
| Sonne unter. | |
| 17 Aug 2023 | |
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