| # taz.de -- Ein Jahr nach Umweltkatastrophe in der Oder: Die Teichmuschel ist n… | |
| > Ein Jahr nach dem Fischsterben besucht Umweltministerin Lemke die Oder. | |
| > Das Ökosystem erholt sich langsam – doch eine neue Katastrophe ist | |
| > möglich. | |
| Bild: Ministerin vor Ort: Steffi Lemke im Juni im Nationalpark Unteres Odertal | |
| Schwedt taz | Dirk Treichel hat extra die Gummistiefel angezogen. Der | |
| Leiter des Nationalparks Unteres Odertal steigt in die trübe Flut an | |
| Flusskilometer 92 und holt einen Messbecher Oderwasser heraus. | |
| Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hält den Messstab ins Wasser: | |
| 1.400 Mikrosiemens – normal sind 600, ab 1.400 wird es gefährlich, sagen | |
| Experten. Der Wert misst, wie gut das Wasser Strom leitet. Und je höher er | |
| ist, desto mehr Salz ist im Wasser. | |
| Die Ministerin guckt besorgt. Und sie sorgt auch dafür, dass das möglichst | |
| jede und jeder mitbekommt, der sie auf ihrer Reise begleitet. Vor einem | |
| Jahr vergiftete eine tödliche Welle das Leben im Fluss: Tausend Tonnen | |
| Fisch allein auf deutscher Seite starben, die Population der Großen | |
| Teichmuschel wurde praktisch ausgelöscht, Fischer standen vor dem Ruin. Der | |
| Grund: Eine ruckartig erhöhte Salzfracht im Fluss brachte die Goldalge | |
| explosionsartig zur Vermehrung. Dazu war die Oder in einem heißen und | |
| trockenen Sommer sehr warm und niedrig. Eine tödliche Mischung für Fische, | |
| Muscheln, Insekten. | |
| Ein Jahr später heißt es: Ausgerottet hat das Gift keine Arten, aber sehr | |
| wohl dezimiert. Viele Fischarten sind wieder da – wenn auch mit weniger | |
| Exemplaren und nur, weil die Fischer sie schonen. Die Muscheln dagegen, die | |
| im Fluss große Bänke bilden und das Wasser filtern, seien erst einmal | |
| praktisch verschwunden und würden erst nach Jahren wiederkommen. Die | |
| Umweltministerin ist gekommen, um zu sehen, wie es dem Fluss geht. Sie | |
| sagt: „[1][Alle Rahmenbedingungen für ein neues Massensterben sind da.] Es | |
| kann jederzeit wieder losgehen.“ | |
| Nationalparkchef Treichel nickt, Lemkes Experten nicken: Das Salz im Fluss, | |
| vermutlich aus den oberschlesischen Bergbauregionen, hat nicht mehr die | |
| tödliche Menge wie vor einem Jahr. Die Abwässer auf polnischer Seite würden | |
| inzwischen besser geklärt. Aber: [2][Es ist immer noch genug Salz im Fluss | |
| für eine Katastrophe.] Der Fluss hat immer noch Niedrigwasser. Er ist immer | |
| noch zu warm. Und immer noch gibt es große Pläne, den Fluss weiter zu | |
| kanalisieren und auf deutscher und polnischer Seite massiv auszubauen. | |
| ## Lemke hat mit allen geredet | |
| Vielleicht das Schlimmste für die Experten: Sie verstehen nicht wirklich, | |
| was passiert, oder was nicht passiert. Sie können nicht sagen, warum es in | |
| diesem Jahr nicht zu einer Katastrophe wie 2022 gekommen ist. „Keiner weiß, | |
| warum es in diesem Jahr keine explosionsartige Ausbreitung der Alge gegeben | |
| hat“, sagt Nationalparkchef Treichel. Und Lemke meint: Wenn sie den Sommer | |
| ohne das nächste große Sterben überstehen, „werden wir sagen: Da haben wir | |
| Glück gehabt.“ | |
| Keine gute Grundlage für vorausschauende Umweltpolitik. Lemke hat mit allen | |
| geredet: [3][mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa], damit Polen | |
| die Salzfracht verringert. Am Bergbau will Polen aber nichts ändern. Auch | |
| die großen Pläne für den Ausbau will das Nachbarland weiter verfolgen. Und | |
| auch Deutschland hat sich 2015 verpflichtet, die Oder weiter für Schiffe | |
| auszubauen, damit im Winter die Eisbrecher Überschwemmungen verhindern | |
| können. | |
| Mit dem zuständigen Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) sei man im | |
| Gespräch, so Lemke. Aber ob das reicht, um am deutsch-polnischen | |
| Staatsvertrag zu rütteln, der „aus ökologischer Sicht hochproblematisch | |
| ist“, wie Lemke sagt? Und gegen den sie schon erfolglos als grüne | |
| Abgeordnete gekämpft hat. Damals hatte sie den Eindruck, das Thema habe in | |
| Deutschland niemanden interessiert, auch weil es so weit im Osten liegt. | |
| ## Der Umgang mit Wasser muss sich ändern | |
| Was bleibt der Ministerin? Werben für umfassenden Schutz der Umwelt, der | |
| Menschen, ihrer Arbeit und ihrer Heimat. „Biodiversität bedeutet, dass die | |
| Landschaft intakt ist, dass der Hochwasserschutz funktioniert, dass man | |
| Dürre und Hochwasser nicht nur mit technischen Maßnahmen begegnen kann.“ | |
| Flüsse seien mehr als nur Kanäle, gerade in Zeiten, wo die Sommer heißer | |
| und trockener werden und Wasser knapp. Der Umgang mit dem Wasser müsse sich | |
| ändern, intakte [4][Auenlandschaften] seien für alle wichtig. | |
| Aber wenn die Verträge zum Flussausbau eingehalten werden müssen; wenn die | |
| polnischen Behörden Gerichtsurteile ignorieren, die den Ausbau in Frage | |
| stellen; wenn die Salzfracht im warmen Fluss gefährlich hoch bleibt und | |
| wenn niemand weiß, wann und warum die tödliche Algenblüte wiederkommt und | |
| selbst einer Bundesministerin „ein Stück weit die Hände gebunden sind“. | |
| Dann bleibt nur noch, zu hoffen, „dass es nicht wieder passiert.“ | |
| 31 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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