| # taz.de -- Ein Jahr nach dem großen Fischsterben: Wahlkampfthema Oder | |
| > Die polnische Regierung baut die Oder als Wasserstraße aus – für den | |
| > Hochwasserschutz, wie sie sagt. Das bringt die Bundesregierung in die | |
| > Bredouille. | |
| Bild: Noch sind die Flussauen da: die Oder bei Sonnenaufgang | |
| Frankfurt (Oder) taz | Wäre die Oder eine Rechtsperson, wie es der „Marsch | |
| für die Oder“ fordert, dann wäre im Falle des Fischsterbens vom letzten | |
| Sommer nicht der Staat der Geschädigte, sondern die Oder selbst. [1][Jerzy | |
| Bieluk, Professor für Agrarrecht im polnischen Białystok, hat das im | |
| Februar der Märkischen Oderzeitung (MOZ) verraten]. Eventuelle | |
| Strafzahlungen wegen des Einleitens illegaler Substanzen würden dann nicht | |
| mehr dem polnischen Staat zugutekommen, sondern der Oder, etwa in Form von | |
| Projekten, die ökologische Schäden beseitigen. | |
| Aber auch gegen ihren Ausbau könnte sich die Oder besser wehren. Denn der | |
| geht trotz zweier gegenteiliger Gerichtsurteile auf der polnischen Seite | |
| weiter. In diesen Tagen werden zum Beispiel die Buhnen, mit denen das | |
| Flussbett eingeengt werden soll, südlich der Frankfurter Schwesterstadt | |
| Słubice erneuert. Dass das Warschauer Oberste Verwaltungsgericht (NSA) die | |
| Arbeiten im März gestoppt hat, schert den zuständigen | |
| Vizeinfrastrukturminister Marek Gróbarczyk herzlich wenig. „Es geht um den | |
| Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser“, [2][sagte Gróbarczyk dem | |
| konservativen Portal wPolytice.pl]. „Wir können uns nicht erlauben, eine | |
| Investition zu stoppen, die bereits zu 96 Prozent abgeschlossen ist.“ | |
| Seit Jahren schon nimmt die nationalkonservative Regierung in Warschau den | |
| Hochwasserschutz als Vorwand, um die Oder als Wasserstraße zu ertüchtigen. | |
| Zwar wurden die Pläne zur Eindeichung des amazonasähnlichen | |
| Zwischenoderlandes südlich von Stettin gestoppt. An anderer Stelle aber | |
| macht Warschau Tempo. [3][Im Mai leakte die polnische Umweltstiftung | |
| Greenmind einen Entwurf für ein „Gesetz zur Revitalisierung der Oder“], den | |
| ein Mitstreiter der Stiftung einen „Gnadenstoß für die Oder“ nannte. | |
| Vordergründig soll mit dem Gesetz eine Wiederholung des katastrophalen | |
| Fischsterbens vom August 2022 erschwert werden – etwa durch die | |
| Modernisierung von Kläranlagen. Neben dem Neubau von Buhnen ist aber auch | |
| der Bau zweier neuer Staustufen vorgesehen. Die Kanalisierung der Oder auf | |
| polnischer Seite würde damit vorangehen. Noch ist die Oder zwischen den | |
| Staustufen Malczyce (Maltsch) und Hohensaaten auf 500 Kilometern ein frei | |
| fließender Fluss. | |
| ## Warschau treibt Oderausbau voran | |
| Die Vehemenz, mit der Warschau den Oderausbau zur Wasserstraße vorantreibt, | |
| bringt auch die Bundesregierung in die Bredouille. Zwar hatte sich auch das | |
| brandenburgische Umweltministerium der Klage von je drei polnischen und | |
| deutschen Umweltorganisationen angeschlossen, die im März mit dem Urteil | |
| „Baustopp“ entschieden wurde. Gleichzeitig hatte Berlin Warschau 2015 im | |
| „Abkommen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den | |
| Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet“ eine Mindesttiefe von 1,80 | |
| Meter zugesichert. | |
| Allerdings wurden darin auch „grenzüberschreitende | |
| Umweltverträglichkeitsprüfungen“ für jede einzelne Baumaßnahme verabredet… | |
| die gesetzliche Grundlage für die Klage vor dem Warschauer Obersten | |
| Verwaltungsgericht. | |
| Umweltschützer wollen nun auch Brüssel einschalten. Im April traf sich | |
| deshalb der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius in Breslau mit der | |
| [4][Organisation Eko-Unia], einer der sechs Klägerinnen gegen den Ausbau | |
| der Buhnen. EU-Mittel fließen derzeit aber nicht mehr in den Oderausbau. | |
| [5][Nach dem ersten Urteil aus Warschau hat Brüssel 200 Millionen Euro auf | |
| Eis gelegt, berichtet die MOZ]. | |
| Sollte sich Brüssel gegen die Ausbaupläne aussprechen, wäre das auch eine | |
| Ohrfeige für die Bundesregierung und ihr Abkommen mit Polen. Für die PiS | |
| wiederum ist das Thema Oder ein denkbar unangenehmes Thema vor den | |
| Parlamentswahlen im Herbst. [6][Jüngsten Umfragen zufolge sprechen sich 57 | |
| Prozent der Polinnen und Polen für einen sofortigen Stopp der Einleitung | |
| von Substanzen in den Fluss aus.] Auch jeder zweite Wähler der PiS | |
| befürwortet die Forderung. | |
| Auch ohne Rechtsperson zu sein, ist die Oder in Polen ein Wahlkampfthema | |
| geworden. | |
| 4 Jun 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/wenn-die-oder-gegen-ihre-versalz… | |
| [2] https://wpolityce.pl/polityka/639924-polska-nie-wstrzymuje-prac-na-odrze-ni… | |
| [3] https://greenmind.pl/wp-content/uploads/2023/04/Projekt_specustawy_rewitali… | |
| [4] https://eko-unia.org.pl/ | |
| [5] https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/streit-um-ausbau-der-oder-umwelt… | |
| [6] https://www.rp.pl/ekologia/art38377381-sondaz-polacy-chca-natychmiastowego-… | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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