# taz.de -- Nach der Oder-Katastrophe 2022: Warten auf den frischen Fisch | |
> Aus der Oder holt Fischer Henry Schneider derzeit keine Fische raus. Nach | |
> dem großen Fischsterben im Sommer 2022 muss sich der Bestand erst | |
> erholen. | |
Bild: Die Idylle trügt: Die Oder ist schwer beschädigt durch die Ausbauarbeit… | |
BERLIN taz | „Damals hat es sich alles chaotisch angefühlt“, sagt der | |
Oderfischer Henry Schneider über den Tag, als er vom Fischsterben in der | |
Oder mitbekam. Er sitzt in seiner Pension in Brieskow-Finkenheerd, einer | |
kleinen Gemeinde im südöstlichen Brandenburg. Die Wände sind bedeckt mit | |
Bildern vergangener Fischfänge, schwarzer Kaffee dampft auf dem Tisch. | |
Schneider rekapituliert die Ereignisse. „Es war der 9. August“, der | |
Geburtstag seiner Tochter, deshalb wisse er es noch so genau. Da habe er | |
morgens um 7:30 Uhr einen Anruf von einem Angler bekommen – es seien tote | |
Fische gesichtet worden. Dann ging alles sehr schnell. „Die | |
Wasserschutzpolizei war schon vor Ort, als ich dort ankam.“ | |
[1][Hunderte Tonnen Fische sind damals in der Oder verendet], die Ursache | |
gilt mittlerweile als geklärt: Polnische und deutsche Expert*innen | |
identifizierten unabhängig voneinander die Goldalge „Prymnesium parvum“ als | |
Auslöser für das Fischsterben. Die Blüte der Alge erzeugt bei Verbreitung | |
ein Toxin, das die Atmungsorgane von Kiemtieren schädigt. Die Alge lebt | |
eigentlich in Salzwasser oder Gewässern mit einem hohen Mineralgehalt. In | |
der Oder konnte sie sich nur wegen eines hohen Salzgehaltes vermehren, der | |
von der Einleitung von Substanzen in die Oder und einem niedrigen | |
Wasserstand kommen soll. | |
Heute wirkt es ruhig in Brieskow-Finkenheerd, von der Naturkatastrophe ist | |
auf den ersten Blick nichts zu sehen. Auch für Fischer Schneider und seinen | |
Familienbetrieb ist es diesen Winter etwas ruhiger geworden. Gemeinsam mit | |
anderen Fischer*innen der Region habe sich seine Familie damals | |
entschieden, die Oder bis Jahresende nicht weiter kommerziell zu befischen, | |
damit sie sich erholen kann. „Das wird sich wahrscheinlich bis zum Frühjahr | |
hinziehen“, sagt er nun beim Besuch des taz-Reporters Ende Dezember. | |
Dass die Oder und der Fischbestand wieder was werden, hofft Schneider auch | |
für nachfolgende Generationen. „Ich bin schon die fünfte Generation, die | |
diesen Betrieb führt“, sagt der Fischer stolz. Nicht nur er, auch seine | |
Mutter, sein Vater und sein Bruder sind vollzeitlich Teil des Betriebs. | |
„Wir sind Direktvermarkter, geben nichts an den Großhandel ab und wollen | |
nachhaltig auch für die kommenden Generationen fischen.“ | |
## Ausweichen auf die Seen | |
Weil das Fischen aktuell nicht möglich ist, kauft der Fischer Fisch bei | |
Berufskolleg*innen ein, die in anderen Gewässern fischen, und weicht | |
auch selbst auf benachbarte Seen aus. Finanziell kommt er so über die | |
Runden: Neben dem Fisch-Verkauf auf Märkten hat er ja auch noch seine | |
Pension, in der er ein paar Zimmer an Tourist*innen vermietet. Vom Land | |
Brandenburg hätten betroffene Betriebe außerdem finanzielle Hilfen | |
erhalten, erzählt er. | |
Und so hat sich rund fünf Monate nach der Katastrophe viel von der | |
Aufregung gelegt, auch im Ort. Damals hatte der Fischer viel Verantwortung | |
auf einmal gehabt: Einerseits war die Medienpräsenz überwältigend, | |
andererseits war Schneider auch Anlaufstelle für die Menschen im Ort, wie | |
er berichtet. | |
Doch auch wenn erstmal wieder Ruhe eingekehrt ist, die Idylle um die Oder | |
trügt: Seit Jahren geht das Stichwort „Oder“ auch mit der Frage nach dem | |
Oder-Ausbau einher. Dieser wird nicht erst seit dem Fischsterben von den | |
Naturschützer*innen scharf kritisiert. Dass Polen durch die Erneuerung | |
von Buhnköpfen, das sind quer in den Fluss gebaute Barrieren, die | |
Fließgeschwindigkeit der Oder erhöhen will, sei ein großes Problem, sagen | |
sie. Dadurch würde sich der Flussboden abtragen und so mehr Platz für | |
Binnenschifffahrt geschaffen werden. | |
Die offizielle Begründung von polnischer Seite ist jedoch Hochwasserschutz. | |
Die Grundlage: Das deutsch-polnische Wasserstraßenabkommen aus dem Jahr | |
2015. Finanziert wird der Ausbau durch die Weltbank. Die brandenburgischen | |
Grünen vermuteten eine mögliche Zweckentfremdung der für Hochwasserschutz | |
bewilligten Mittel. | |
Nicht nur Naturschützer*innen, sondern auch das brandenburgische | |
Umweltministerium äußern Bedenken. Konkrete sogar, denn um gegen den Ausbau | |
vorzugehen, haben Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) und | |
verschiedene Naturschutzverbände Klage bei der polnischen Generaldirektion | |
für Umweltschutz eingereicht. Diese hatte die Klage an ein Warschauer | |
Verwaltungsgericht weitergeleitet. | |
„Aus unserer Sicht wird der Ausbau der Oder auf polnischer Seite das | |
ohnehin bereits stark geschädigte Ökosystem weiter beeinträchtigen“, sagte | |
Vogel im November. Die Klimakrise würde auch in Zukunft häufiger für | |
Niedrigwassersituationen und erhöhte Wassertemperaturen sorgen. Da stiege | |
die Gefahr für weitere Fischsterben, wenn sich der Umgang mit der Oder | |
nicht ändere. | |
Nun hat das Verwaltungsgericht in Warschau die Genehmigung zum | |
[2][Oder-Ausbau vorläufig gestoppt]. Wann mit einer endgültigen | |
juristischen Entscheidung zu rechnen ist, ist noch unklar. Auf taz-Anfrage | |
bestätigt der Deutsche Naturschutzring (DNR): Das Verwaltungsgericht habe | |
in der schriftlichen Begründung geschrieben, die Fortsetzung der Arbeiten | |
ohne genaue Prüfung auf mögliche ökologische Auswirkungen mache es | |
wahrscheinlich, dass schwere und sogar irreversible Schäden an der Umwelt | |
verursacht werden. Jedoch betont der DNR, die Umweltverbände würden sich | |
noch nicht über diesen Sieg freuen können: Die Entscheidung sei nämlich | |
noch nicht rechtskräftig. | |
## Den Ausbau gab es schon immer | |
Zurück nach Brieskow-Finkenheerd: Fischer Schneider steht auf einem | |
Buhnkopf und betrachtet die fließenden Wassermassen, die sich langsam durch | |
das Flussbett schieben. Zum Oderausbau möchte er sich nicht wirklich | |
äußern. „Die Oder wurde schon immer ausgebaut“, sagt er. Was nun passiert, | |
könne er schlecht einschätzen. „Für die Fischerei ist es gut, wenn es | |
bleibt, wie es ist. Wenn allerdings mal Hochwasser ist, wünsche ich mir | |
aber natürlich auch Sicherheit.“ | |
Links und rechts ist das Ufer an diesem Tag leicht mit Schnee bedeckt, auf | |
der anderen Seite liegt das polnische Festland. „Hier ist der Bereich, in | |
dem ich normalerweise fische“, erzählt er, sein Atmen kondensiert in der | |
kalten Luft. Im Moment führe er aber nur Probefischfahrten zusammen mit dem | |
Institut für Binnenfischerei durch. | |
Dabei würde sich zeigen, dass manche Fischarten mehr vom Fischsterben | |
betroffen waren als andere, darunter Zander und Hecht. Die „mittleren | |
Größen“ würden inzwischen jedoch wieder häufiger vorkommen. „Der Schlei… | |
nach jetzigem Stand weniger gelitten“, sagt Schneider. Schlei, gebraten – | |
das ist sein Lieblingsfisch. | |
Zum Jahresende gibt es dann noch eine schlechte Nachricht für die Oder: Der | |
Naturschutzbund (Nabu) hat den Fluss mit dem Negativpreis „Dinosaurier | |
2022“ bedacht. Der seit 1993 verliehene Preis geht jährlich an Personen und | |
Projekte, die sich durch besonders rückschrittliches Engagement in Sachen | |
Natur- und Umweltschutz hervorgetan haben. „Wer in diesem Jahr nach der | |
größten Umweltsauerei sucht, hat sofort die Umweltkatastrophe an der Oder | |
vor Augen“, erklärte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. | |
12 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Fragen-und-Antworten-zum-Fischsterben/!5875673 | |
[2] /Klage-deutscher-Umweltverbaende/!5904079 | |
## AUTOREN | |
Max Leyendecker | |
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